Zweiundzwanzigstes Kapitel

 

Nein«, sagte ich. »Mein Vater war kein Baseeri.« Ich war keine Baseeri.

Onderaan lächelte. »Von der Herkunft her schon, selbst wenn er es nicht wahrhaben wollte. Er liebte Geveg.«

»Das ist nicht möglich.«

Aylin nahm meine Hand, Danello die andere. Sie sagten kein Wort, hielten mich nur fest. Jeatar schaute mich mit offenem Mund an. Heilige, alle gafften mich an.

»Du bist eine Analov?«, fragte Jeatar.

»Ich bin eine de' Analov. Das ist ein Unterschied.«

Onderaan lächelte traurig. »Nein, ist es nicht. Peleven glaubte, die gevegische Version würde ihm die Eingliederung erleichtern, aber ich denke, eigentlich tat er es für Rhiassa.«

Mama.

»Ist Tali bei den Unsterblichen?«, fragte er.

»Ich glaube. Vyand hat sie gefangen genommen, aber wir haben sie nicht bei den anderen Schmerzlösern in der Gießerei gefunden. Sie kann nirgendwo anders sein.« Es sei denn, der Herzog hatte sie und folterte sie wegen meines Draufgängertums.

»Es tut mir so leid.«

Mir auch. Ich versuchte, die schockierten Blicke um mich zu ignorieren, aber sie schnitten mich wie ein Messer und entblößten die Wahrheit, die ich nicht wissen wollte. Onderaan war Familie. Ich hatte in Baseer Familie. Mein Blut war Baseeriblut, genau wie das meines Vaters. Aber ich hatte auch Blut aus Geveg, Blut von meiner Mutter. Was machte das aus mir?

»Jeatar, gibt es etwas, das wir tun können?«, fragte Onderaan.

Siekte fand ihre Stimme. »Du hast dich geweigert, etwas gegen den Herzog zu unternehmen, aber jetzt tust du es für eine Nichte, die du nie zuvor getroffen hast.«

»Ich habe sie getroffen. Aber ich habe geglaubt, die Mädchen seien zusammen mit meinem Bruder gestorben. Ich habe Nya nicht mehr gesehen, seit mein Vater umgebracht wurde.«

»Sorille«, flüsterte ich. Mein Großvater war in Sorille gestorben, mit so vielen vom Pynviumkonsortium.

Siekte nickte. »Sorille, ja. Schau dir an, was deine Familie dort getan hat. Tausende starben, weil sie sich weigerten zu handeln. Willst du dieses Versagen wiederholen?«

Ich hob den Kopf. Was hatte meine Familie in Sorille getan?

Jeatar trat näher zu Siekte, nur eine Handbreit vor ihr Gesicht. »Die Analovs waren nicht verantwortlich für das, was in Sorille geschehen ist.«

Sie wich nicht zurück, sie bewegte sich überhaupt nicht. »Sie haben sich dem Herzog widersetzt, ihn zum Handeln gezwungen. Alles, was sie hätten tun sollen, war eine Übergabe ...«

»Das reicht!« Onderaan trennte die beiden. »Wir sind nicht hier, um über Geschichte zu diskutieren.«

»Ist alles, worum es dir hier geht, Geschichte?«, fragte Siekte. »Zwei Brüder, die um einen Thron kämpften.«

»Drei«, sagte Jeatar. »Es waren drei Brüder.«

Sie rümpfte die Nase. »Bespaar zählt nicht. Er hatte nie eine Chance.«

»Trotzdem hat der Herzog ihn umgebracht.«

»Nur, weil er sich in Sorille versteckt hatte.« Siekte fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. »Das ist verrückt. Beide Brüder des Herzogs sind tot, und er hält den Thron. Und wir streiten über Zeug, das keine Rolle mehr spielt.«

»Selbstverständlich spielt es eine Rolle.«

»Für dich vielleicht. Das ist das Problem. Wir wollen nur, dass der Herzog wegkommt und ein neuer Mann an seine Stelle tritt. Du willst Gerechtigkeit für vergangene Missetaten. Da gibt es keine Gerechtigkeit, Onderaan.«

»Geht es nur um Rache?«, fragte ich leise.

Siekte schwieg und schaute mich an, als wäre sie nicht sicher, was sie von mir halten sollte. »Es geht darum, zu tun, was richtig ist.«

Ich lachte und sank auf den nächsten Stuhl. Das schien sie noch mehr zu verwirren. »Das Rechte zu tun, ist nie leicht. Glaube mir, ich weiß es. Du glaubst, du hast recht, aber du verlierst den Überblick über das, was du die ganze Zeit tun wolltest, und dann gibt es Blut, Schreie und Tod. Etwas Böses zu tun, um ein gutes Ende zu erzielen, zersetzt das Gute.«

»Das verstehst du, wenn du älter bist.«

»Es sei denn, du zettelst einen Krieg an. Denn dann werde ich nicht älter.«

Sie wurde zornig. »Du hast selbst viel mehr getan, das zu erreichen.«

»Siekte, das reicht«, sagte Jeatar. »Was geschehen ist, ist geschehen, und jetzt müssen wir entsprechend handeln, ob uns das passt oder nicht. Schauen wir mal, ob wir das nicht in unseren Vorteil verwandeln können. Danello hat recht, dass der Herzog abgelenkt ist. Das müssen wir ausnützen. Benachrichtigt unsere Leute, macht sie einsatzbereit und überzeugt auch diejenigen, die noch nicht sicher sind. Nehmt Kontakt zu den Mitgliedern des Hohen Gerichts auf. Sagt ihnen, was geschehen ist, was der Herzog getan hat. Heilige, nehmt einen dieser Schmerzlöser mit, wenn es nötig ist.«

»Du kannst nicht einfach über uns verfügen«, erklärte Sorg. »Wir sind keine Gefangenen mehr.«

»Fein, dann frage die Löser höflich, ob sie willens sind zu helfen. Wenn nicht, erzählst du ihre Geschichte trotzdem.«

»Mach, was er sagt, Siekte«, sagte Onderaan ruhig. »Sammle unsere Leute. Bereite sie für das, was kommt, vor. Vielleicht wird ja etwas Gutes daraus.«

Sie zögerte und schaute Jeatar an, aber dann schüttelte sie den Kopf. »Nichts Gutes entsteht aus dieser Sauerei. Du hast uns im Stich gelassen, Onderaan, genauso wie dein legitimer Erbe. Tu was du willst, aber ich folge dir nicht länger. Hättest du auf mich gehört, hätten wir diesen blöden Diebstahl als Ablenkung nutzen und mit meinen Leuten koordinieren können, um einen richtigen Angriff auszuführen. Aber du hast es vermasselt, und jetzt haben wir Glück, wenn wir die Nacht überleben. Wir werden es ab jetzt auf unsere Art durchziehen.« Sie drängelte sich an Jeatar vorbei und ging die Treppe nach oben. Ein Dutzend Leute folgten ihr, dann ein zweites Dutzend. Nur eine Hand voll blieb zurück.

»Sollen wir sie aufhalten?«, fragte Aylin.

»Lasst sie gehen«, warf Jeatar ein, als Onderaan etwas sagen wollte. »Es spielt keine Rolle mehr.« Er seufzte und setzte sich.

»Es tut mir leid«, würgte ich hervor. Mir war kalt und übel. »Ich wollte nur helfen.«

»Ich weiß«, sagte Onderaan, als Jeatar nicht antwortete. »Es wäre ohnehin so gekommen. Siekte wurde ungeduldig und hat mich fast täglich herausgefordert. Sie hatte die anderen auch kampfbereit. Du bist ihnen nur zuvorgekommen.«

»Ich bin es müde zu kämpfen«, sagte Jeatar leise. Die Wut und das Feuer in seinen Augen waren verschwunden. Er sah jetzt traurig aus und müde, wie er gesagt hatte. Besiegt.

Onderaan ging mit erstauntem Ausdruck zu ihm. »Gib nicht auf! Es ist beinahe vorbei.«

»Aber nicht, wie wir hofften. Baseer in Flammen, Geveg an der Schwelle zur Rebellion, Verlatta verhungert aufgrund der Belagerung des Herzogs.« Er deutete zur Treppe. »Und wenn es ihr gelingt, ihn zu töten, werden alle drei Städte noch mehr leiden. Ständige Invasionen, ein Kampf nach dem anderen, um an die Macht zu kommen. Es wird schlimmer werden als ... « Wieder seufzte er und schüttelte den Kopf. »Ich bin es müde. Ich bin am Ende.«

»Jeatar, sag das nicht!«

»Wir gehen, sobald wir können. Bestechen die Wachen, erkämpfen uns den Weg nach draußen, mir ist es egal. Wir gehen zum Bauernhof. Jeder, der will, ist willkommen«, rief er den anderen zu. Dann wandte er sich an mich. »Deine Leute auch, Nya. Keiner von uns muss wieder zurück nach Geveg.«

Ohne Tali weggehen? Das konnte ich nicht. Wir hatten jetzt die Rüstung des Unsterblichen und die beste Ablenkung, die ich je erhoffen konnte. Wenn wir zu den Docks durchkämen, müssten wir uns auch zu dem Lager außerhalb der Stadt durchschlagen können.

Danello trat vor, ehe ich etwas sagen konnte. »Mein Vater ist noch dort. Ich muss zurück, um ihn zu holen.«

»Das wird nicht leicht werden. Ich habe mit einem meiner Kontakte hier gesprochen. In Geveg herrscht wieder Aufruhr. Der Generalgouverneur hat das Kriegsrecht ausgerufen und die Docks geschlossen. Mein Mann ist gerade noch herausgekommen.«

Mir drehte sich der Magen um. »Wie schlimm steht es?«

»Nicht so schlimm wie hier. Aber solange der Herzog abgelenkt ist, wird er kaum Truppen schicken, um den Aufstand niederzuschlagen.« Er seufzte. »Du hast sie vielleicht gerettet. Sie könnten den Kampf gewinnen.«

Aber wie lang würde es dauern, bis der Herzog oder ein ebenso großer Schurke sich dort zeigte, um die Macht an sich zu reißen, wenn alles, was Jeatar berichtete, stimmte? Geveg hatte keine Armee mehr. Sie hatten niemanden außer denen, die willig waren zu kämpfen.

Und wenn der Herzog doch Truppen entsandte, war Tali vielleicht Teil davon.

»Ich kann noch nicht fortgehen, ich ...«

»Es ist vorbei, Nya - wir können nichts mehr tun.« Jeatar stand auf, schaute mir aber nicht in die Augen. »Ich gehe ins Bett. Oben habe ich Wachen aufgestellt, die uns warnen, wenn die Soldaten diese Straße erreichen. Hier unten müssten wir sicher sein, aber bewaffnet euch - nur für den Fall. Wir versuchen, morgen früh die Stadt zu verlassen, wenn sich die Lage etwas beruhigt hat.«

»Aber ...«

Jeatar drehte sich nicht um und blieb nicht stehen. Er ging durch die Tür zu den Zimmern weiter hinten und schloss sie mit einem grauenvoll endgültig klingenden Knall.

»Gehen wir mit ihm?«, fragte Danello. Ich war nicht sicher, ob er wollte oder nicht.

»Ich ...« Ich wusste es nicht. Tali hier zu lassen, war undenkbar, aber wie konnte ich sie finden ohne Jeatars Hilfe und die Villa als Versteck?

»Wir gehen mit ihm«, sagte ich leise. »Er wird es schaffen, uns aus der Stadt herauszubringen, und dort befinden sich die Lager der Schmerzlöser.«

Danello nickte, sichtlich erleichtert. Wahrscheinlich wäre er das nicht, hätte ich ihm gesagt, dass ich mich allein auf die Suche nach Tali machen würde. Er hatte seine eigene Familie, um die er sich Sorgen machen musste, und so sehr ich ihn auch an meiner Seite haben wollte, die Familie kam zuerst.

»Nya«, sagte Onderaan. »Kann ich mit dir reden und ...«

»Ich muss den Heiler zu Neeme und Ellis bringen«, unterbrach ich ihn und ging. Er wollte über Papa reden, über Tali und mich. Das ertrug ich nicht. Nicht, solange ich sie nicht heimgebracht hatte.

 

Wir fanden keinen Schlaf, ganz gleich wie müde wir waren. Der Heiler kümmerte sich um Neeme und Ellis. Danach gingen er, die Techniker und Lehrlinge zu Bett in den Zimmern, die man ihnen gegeben hatte. Der Rest von uns saß in meinem, zusammengedrängt wie die Fische im Netz. Ich, Enzie, Winvik, Jovan, Bahari, Aylin, Danello und Halima. Tali hätte auch hier sein sollen.

»Ich gehe nicht ohne Tali«, erklärte ich.

Aylin nickte. »Das haben wir gewusst.«

»Aber ihr solltet alle weggehen.«

Sie richtete sich auf. »Keine Chance.«

»Du kannst nicht weiterhin Leben aufs Spiel setzen. Danello hat wegen mir beinahe seine Familie verloren.« Ich schaute ihn an, aber er bestritt das nicht. »Ich habe genug von euch gefordert. Das ist mein Kampf, meine Schwester. Ich hole sie raus.«

Danello umarmte Halima. »Nya, vielleicht solltest du auf Jeatar hören und weggehen. Wir haben diesmal nur gewonnen, weil wir die Gießerei mit unserem Überfall überrascht haben und weil wir Hilfe hatten. Jetzt sind sie auf der Hut. Die Pynviumrüstung ist nicht genug, damit du hineinkommst.«

»Ich muss es versuchen.«

Ich wusste aber nicht, wie. Ich könnte Jeatar fragen. Er war bereit, uns aus Baseer herauszuhelfen, war sonst aber sicher nur noch wütend auf mich. Was auch sonst? Ich hatte all seine Pläne zunichte gemacht. Den Herzog zum Rasen gebracht, den Untergrund zersplittert. Wie viele Menschen würden heute Nacht wegen mir sterben?

Aylin zog die Decke vom Bett und legte sie mir um die Schultern. »Wenigstens hast du herausgefunden, dass du noch Familie hast. Das ist gut, richtig?«

»Meinst du?«

»Aber sicher. Du bist nicht mehr allein.«

Das war ich früher auch nicht. Ich hatte Tali, Aylin und Danello. Seit Monaten waren wir eine Familie, hatten aufeinander aufgepasst und uns gegenseitig geschützt. Ich konnte auf sie zählen, ganz gleich, worum es ging. Konnte ich auch auf Onderaan zählen? Ich kannte ihn kaum.

»Sobald Jeatar und Onderaan schlafen, werde ich losgehen und versuchen, Ceun zu finden«, sagte ich. Tali war das Familienmitglied, das Probleme hatte, und ich musste mich auf sie konzentrieren. »Wenn jemand einen Weg kennt, wie man ins Lager dieser Schmerzlöser kommt, ist es Quenji.«

»Ich komme mit dir«, erklärte Aylin.

»Nein, bleib bei Jeatar. Wir haben nur eine Rüstung und keine Möglichkeit, dich zu tarnen.«

»Du könntest so tun, als sei ich eine Löserin.«

»Sie würden es als Lüge erkennen, sobald sie dich berühren. Es ist besser, wenn ...«

Jemand hämmerte an die Tür. Wir sprangen alle auf. Jovan öffnete.

»Soldaten sind auf der Straße«, sagte die Frau vor der Tür. »Jeatar sagt, ihr sollt euch bewaffnen und für alles bereit sein.« Sie ging weiter zum nächsten Zimmer und wiederholte die Warnung.

Halima begann zu weinen. Enzie wollte sie trösten, aber ihr kamen die Tränen als nächste. Sie waren zu jung für das alles. Heilige, wir alle waren zu jung dafür.

»Ihr bleibt hier«, sagte Danello und zeigte auf die Mädchen. »Versteckt euch unter den Betten. Jovan, Bahari, Winvik, ihr versteckt euch auch und beschützt sie.«

»Wir schließen die anderen Türen zu, damit es so aussieht, als ob sich jemand dort versteckt«, sagte Aylin. »Vielleicht glauben sie, hier ist niemand, wenn das Zimmer offen ist.«

»Und löscht die Lampen«, sagte ich.

Wir bliesen auch die Lampen auf dem Gang aus und gingen in den Hauptraum. Dort waren Jeatar, Onderaan und die zehn anderen, die nach Siektes Abgang geblieben waren. Der Techniker und die Lehrlinge standen bei den Gestellen mit den Waffen und erprobten Schwerter. Auch hier waren die meisten Lampen ausgeblasen. Nur die nahe der Treppe leuchteten noch.

»Sind sie schon hier?«, fragte ich leise.

»Noch nicht. Sie durchsuchen Villa für Villa, und wir sind fast am Ende der Straße.«

»Wie viele?«

Er zögerte. »Ungefähr dreißig Soldaten.«

Neeme wurde blass und sank auf die Armstütze des Sofas. Das Schwert entglitt ihrer Hand. Ellis tätschelte ihre Schulter.

Ich schaute zu dem Heilerjungen, der die beiden geheilt hatte. Er saß am Tisch bei den Heilziegeln und hielt eine Hand auf dem Stapel, als müsse er sie kennen lernen, ehe er sie benutzte. Waren die Heiligen gnädig, würde er nicht müssen.

Ich ging zu ihm hinüber. »Sind diese Ziegel voll?« Onderaan hatte das rohe Pynviumerz bereits weggeschafft.

»Nur der mit den Schmerzen von denen, die ich auf deinen Wunsch geheilt habe. Aber er ist bei Weitem nicht voll. Der Rest ist leer. Aber sie sind alle sehr gut. Falls wir es brauchen, halten sie eine Menge Heilung.«

»Was ist mit der Rüstung?«

Er griff danach und schüttelte dann den Kopf. »Leer. Aber auch sie kann eine Menge halten.«

Ich nahm die Rüstung. »Zieh das an.«

»Was?«

»Die Rüstung kann dich schützen, und du kannst direkt in sie hinein heilen. Verstau den Rest der Ziegel, falls wir sie brauchen.«

»In Ordnung.« Unbeholfen fingerte er mit den Riemen, aber ich half ihm, die Rüstung anzulegen. Sie war zu groß für ihn, aber für diesen Kampf würde sie genügen.

Für dich auch viel zu groß.

Eine schlecht passende Rüstung würde niemanden im Lager der Löser täuschen. Ich wäre eine Närrin, es auch nur zu versuchen. Aber manchmal rettet das Glück eines Narren einen Narren.

»Wie heißt du eigentlich?«, fragte ich. Tali würde sich für mich schämen, wenn ich nicht daran gedacht hätte, ihn das zu fragen.

»Tussen.«

»Alles wird gut, mach dir keine Sorgen.«

Er lächelte, aber ich bezweifelte, dass er mir glaubte. Heilige, ich glaubte mir ja nicht einmal.

Ich ging zu Jeatar hinüber, der über Strategien und Taktik sprach, was für mich keinen Sinn ergab. Danello nickte mit den anderen, demnach hatte er es begriffen. Ich musterte die Treppe, die sich emporwand, sodass man das Ende bis zur letzten Biegung nicht sah. Auf einer Seite war die Wand flach. Wenn man dort stand, war man für Leute verborgen, die die Treppe herabkamen. Wahrscheinlich war alles zu diesem Zweck so gebaut worden.

»Wie wäre es, wenn wir dort einen Stolperdraht anbrächten?«, fragte ich und zeigte auf die unterste Treppenstufe. »Hat Ellis nicht gesagt, dass sie den Soldaten bei der Gilde nur entkommen wären, weil sie einen Stolperdraht gespannt hatten?«

»Daran hätte ich denken müssen«, meinte Onderaan, als Ellis sagte: »Ja, sollten wir.«

Ellis verschwand und kam mit einer Rolle Draht zurück. Die Bücherregaltür ging auf, und wir verkrampften uns. Eine der Wachen kam herab. »Die Soldaten sind ein paar Villen weiter unten. Ich habe die Bücherregaltür verschlossen. Ich habe fünfzehn Unsterbliche und zehn reguläre Soldaten gesehen.«

»Die Unsterblichen kommen zuerst herein, oder?« Ich hielt den Draht, als Ellis einen Nagel in die Wand schlug.

Jeatar nickte. Hoffnung ließ seine Augen wieder strahlen.

»Dann möchte ich, dass ihr alle zurückbleibt«, sagte ich. »Dort an die Wand. Das dürfte reichen.« Ich zeigte auf eine Ecke, die man von der Treppe aus nicht sah, auch nicht, wenn man den Raum betrat. Danello und Aylin nickten, aber Onderaan schüttelte den Kopf.

»Nya, dort kannst du dich nicht verstecken. Wir haben diesen Fall oft geübt.«

»Lass sie nur machen«, sagte Jeatar und bedeutete den anderen wegzugehen. »Wir hatten bisher Glück.«

»Glück?«

»Nya ist etwas Besonderes.« Er schenkte mir ein kurzes Lächeln. »Sie ist die einzige Person, die ich kenne, die von den Unsterblichen nichts zu befürchten hat.«

Nicht, wenn ihre Rüstungen mit Schmerzen geladen waren. Wenn nicht, dann würde ich als erste aufgespießt. In beidem Fall musste ich wohl Schmerzen benutzen.

Von oben ertönte ein dumpfer Knall. Wir verstummten. Jeatar löschte die letzten Lampen. Alle warteten im Dunkel. Noch ein Knall, dann Krachen, so als ob eine Tür eingeschlagen wird. Dann vorsichtige Schritte über uns - viele Schritte. Stimmen, wohl ein Befehl, aber ich konnte kein Wort verstehen.

Die zögernden Schritte wurden lauter. Laute, als würden Möbel umgeworfen oder umhergeschleudert. Suchen. Sie durchsuchten die Villa.

Schweiß lief mir über den Rücken. Die Dunkelheit bedrückte mich, obgleich ich wusste, dass sie mich besser als alles andere schützte. Trotzdem sehnte ich mich nach Licht.

Wieder Lärm von oben. Dann leisere Geräusche. Offenbar holten sie Bücher aus dem Regal und warfen sie auf den Boden. Ein Freudenschrei.

Sie hatten die Geheimtür gefunden.