Siebzehntes Kapitel
Nya, es sind schon zwei Tage«, sagte Aylin und stand mit verschränkten Armen vor meinem Bett. Schatten spielten auf der Wand unseres Zimmers. »Gib mir die Schmerzen.«
»Nein.«
Ich sah immer noch Fenda, wie sie da lag. Wie alle Gesichter der Menschen, die gestorben waren. Ich konnte keinen von ihnen retten, es sei denn, ich handelte noch schlimmer als die Unsterblichen. Und bei allen Heiligen, im Moment wollte ich das. Die Schmerzen zu tragen, hatte mein Verlangen zurückzuschlagen nicht gestillt. Ich wollte sehnlichst die Unsterblichen vernichten und alles aus dem Weg räumen, was der Herzog benutzte, um uns zu kontrollieren.
»Das ist doch töricht. Du kanntest sie nicht einmal.«
»Ich hätte sie sein können.« Ich setzte mich auf. Die Muskeln schrien, als ich die Bettdecke zurückschlug. »Wir müssen ihn aufhalten. Er darf nicht weiterhin Menschen töten.«
»Wer? Der Herzog?«
Die Tür öffnete sich, und Danello trat mit einem Tablett ein. Dampf stieg aus einer Schüssel auf. »Zeit zum Mittagessen.«
Aß Tali jetzt auch zu Mittag? Befand sie sich immer noch in der Gießerei? Ich musste einen Weg in diesen blöden Ort finden, aber Fenda ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Bis das geschah, würde die Wut gewinnen - und das durfte ich nicht zulassen. Nur die Heiligen wussten, in wen ich mich verwandelte, wenn das geschah.
Danello setzte sich neben mich aufs Bett und tauchte den Löffel in die Suppe. »Iss!«
»Ich habe keinen Hunger.«
»Du isst das, und wenn Aylin dich festhalten und dir die Suppe in den Hals gießen muss.« Er näherte sich mit dem Löffel meinem Mund. »Du bist nicht in der Lage, gegen mich zu kämpfen, also mach lieber, was ich sage.«
Ich öffnete den Mund. Er löffelte mir die Suppe hinein.
»Und noch einen.« Wieder füllte er den Löffel.
Nach einem halben Dutzend Löffel seufzte ich und nahm ihm das Besteck aus der Hand. »Ich fühle mich wie eine Fünfjährige.«
Danello grinste und reichte mir die Schüssel. »Du benimmst dich auch wie eine Fünfjährige.«
»Tut mir leid.«
»Wir vergeben dir.«
Aylin schnaubte. »Ich nicht. Nicht, bis sie einem von uns die Schmerzen gegeben hat.«
»Sie wird.« Danello grinste wieder, schaute aber besorgt drein. »Aylin hat einen Plan.«
Sie nickte. »Wenn Vyand nicht aus eigenem Antrieb herauskommt, müssen wir sie austricksen. Wir gehen zu den Docks und tun so, als wollten wir ein Boot mieten, um heimzufahren. Dann warten wir, bis sie davon erfährt. Sie ist nicht die einzige, die Gerüchte verbreiten kann.«
»Außerdem lässt sie die Docks bestimmt von ihren Männern überwachen«, meinte Danello.
Vyand herauslocken. Wenn sie glaubte, ich würde Baseer verlassen, würde sie dem Lockruf wahrscheinlich folgen. Sie wollte mich mehr als Tali, und es wäre ihr gleichgültig, was mit meiner Schwester geschah, wenn ich nicht hier wäre. Es war kein perfekter Plan, aber ich konnte mit ihm leben. »Wir brauchen Baseerikleidung.«
»Die kann ich von Neeme bekommen. Sie hat ungefähr unsere Größe.«
»Und Danello?«
Aylin verdrehte die Augen. »Würdest du mich das erledigen lassen?«
Wir konnten das durchziehen. Wahrscheinlich würde Vyand die Docks selbst kontrollieren, wenn sie glaubte, ich sei dort zu finden. Wir mussten uns einen Bootskapitän suchen, der reden würde.
Konnten wir nur zu zweit einbrechen? Danello musste mit mir gehen. Jeatar vielleicht, vielleicht auch Neeme und Ellis, wenn wir mehr brauchten. Mit mehr Leuten konnten wir auch sehr viel mehr Pynvium stehlen. Genug, um dem Untergrund zu helfen.
Sobald wir in die Gießerei eingedrungen waren, würde ich noch mehr tun, als Pynvium zu stehlen und unsere Familien zu retten. Ich würde alles zerstören, was sich dort befand, mit dem man Rüstungen fertigen konnte: die Formen zerbrechen, die Zauberrezepte verbrennen; was immer nötig war, um sicherzugehen, dass die Unsterblichen niemals wieder geschaffen werden konnten.
Ich reichte Danello die Suppenschüssel. »Hol die Kleidung und Karten der Stadt.«
»Und danach gibst du mir deine Schmerzen?«, fragte Aylin.
»Werde ich.«
Sie lächelte. »Jetzt vergebe ich dir.«
Siekte schaute empört drein, als Danello und ich fortgingen, aber da Onderaan anwesend war, versuchte sie nicht, uns aufzuhalten. Sie murmelte etwas zu ihrer Mannschaft und schmollte. Jeatar war wieder weg - was keine Überraschung war. Es war nicht leicht für ihn gewesen, die Geveger aus Baseer herauszubringen, und er hatte eine Menge Gefälligkeiten und Geld aufwenden müssen, um es zu bewerkstelligen. Seitdem war er schlechter Laune und in sich gekehrt. Er verschwand und kam zu jeder Tageszeit und ging mir aus dem Weg. Aylin hatte versucht, ihn im Auge zu behalten, aber er war weitaus listiger als sie.
Die Mittagshitze brannte auf die belebten Straßen herab, und ich war für das blusenartige, armlose Oberteil und die knielangen Hosen dankbar. Ich wäre glücklicher gewesen, wenn sie nicht purpurfarbene, grüne und gelbe Dreiecke getragen hätten, aber sie waren einigermaßen kühl. Wir mischten uns sehr gut in die Menge und folgten einer kleinen Karte, die Neeme auf einem Notizblock aufgezeichnet hatte.
Vor uns erhob sich das Tor zu einem Viertel, doch waren dessen Tore nur der Anfang, und Neeme hatte uns Siegel gegeben, damit wir passieren konnten. Sie schwor, dass die Torwachen niemanden schikanieren würden, solange in der Nähe kein Ärger entstand. Dennoch hielt ich den Atem an, bis die Wachen uns hindurchwinkten.
Die Brise vom Fluss traf mich kühl und frisch nach der widerlichen Hitze in der Stadt, als wir die Docks erreichten. Ich folgte meiner Nase, vorbei an Karren, die mit allerlei Waren beladen waren, und ging Rollen dicker Taue und Seeleuten, die offensichtlich nur herumlungerten, aus dem Weg.
»Mit wem reden wir?«, fragte Danello.
»Mit denen, die so aussehen, als würden sie keine Fragen stellen, und vielleicht willens sind, mitten in der Nacht abzulegen.«
»Und du weißt das, wenn du sie nur anschaust?«
»Klar, du nicht?«
Er lachte. »Für mich sehen die alle nicht vertrauenswürdig aus.«
Wir blieben auf den Docks stehen. Schiffe lagen am Kai in einer Schlange, von der ich das Ende nicht sehen konnte; vielleicht eine Meile, vielleicht länger. Piere ragten in den Fluss hinein, länger als die großen Docks für die Fähren in Geveg. Sie bildeten zu beiden Seite eine Kurve zu einem u-förmigen Hafen, in dem große Schiffe mit hohen Masten und breiten Rümpfen lagen. Noch nie zuvor hatte ich so große Schiffe gesehen.
Danello pfiff. »Das sind eine Menge Schiffe.«
Meine Hoffnung sank. Es musste Dutzende von Eingängen zu den Docks geben und Hunderte von Schiffen. Die Chance, dass ich die richtigen Kapitäne ansprach und diese es Vyand meldeten, erforderte mehr Glück, als ich in meinem gesamten Leben gehabt hatte.
»Weißt du noch immer, mit wem du reden solltest?«, fragte er. »Vyand kann nicht die gesamten Docks überwachen.«
Ich straffte die Schultern. Tali rechnete mit mir. Es musste einen Weg geben.
»Vyand ist ein Spürhund, und sie ist gut. Sie lässt durch ihre Männer die Boote überwachen, von denen sie glaubt, ich würde sie wahrscheinlich aufsuchen. Händler aus Geveg, Frachtschiffe aus Verlatta, kleine Barken. Je schlimmer sie aussehen, desto besser.«
»Was ist, wenn sie uns sehen und uns zur Villa folgen?«
Daran hatte ich nicht gedacht. »Dann redest du mit den Kapitänen, und ich passe auf, ob dir jemand folgt. Ich bezweifle, dass hier viele Leute versuchen, nach Geveg zu fahren. Das sollte reichen, um ihre Aufmerksamkeit zu wecken.«
»Wenn sie zuhört.«
Während wir weitergingen, überflog ich die Docks und die Schiffe. Hauptsächlich sah ich die Flaggen Baseeris, aber ich entdeckte auch drei, die ich nicht kannte. Und zwar auf großen Schiffen. Vielleicht kamen sie aus Städten flussaufwärts.
»Dort.« Ich deutete auf ein kleines Kauffahrteischiff mit breitem, flachen Rumpf, das man gut durch flache Gewässer steuern konnte. »Das ist der gleiche Schiffstyp, mit dem Barnikoff unsere Schmerzlöser aus Geveg weggebracht hat.«
»Ich gehe zu ihm. Bleib du außer Sicht.«
»Ich warte dort drüben.«
Er ging zu dem Schmugglerschiff. Ich setzte mich auf eine Reihe abgestellter Kisten zwischen Dock und Verkäufern. Weiter vorn lachten Kinder, und ein Junge rannte aus der Menge, einen ganzen, dampfenden Fisch in den Händen. Als nächster tauchte ein schlaksiger Mann auf, und so wie er brüllte, war er keineswegs glücklich, dass er einen Fisch verloren hatte. Der Junge rannte direkt auf mich zu. Es war derselbe Junge, der mir an meinem ersten Tag in Baseer geholfen hatte.
Ganz in meiner Nähe versteckte er sich hinter den Kisten. Einen Herzschlag später bahnte sich der Mann mit Hilfe seiner Ellbogen einen Weg durch die Menge und blickte suchend umher.
»Er ist dahin gelaufen«, sagte ich und zeigte in die Gegenrichtung. »Das Dock hinunter.«
Der Mann blieb stehen, aber Neemes Ausstattung ließ mich offenbar respektabel aussehen, denn er nickte und rannte in die Richtung, in welche ich gezeigt hatte.
Ich wartete kurz. »Er ist weg.«
Der Junge steckte den Kopf heraus, Reste des Fisches waren um seinen Mund verschmiert. »Danke.« Er kniff die Augen zusammen, dann wurden sie groß. »Gestohlenes Mädchen!«
Das war's mit meiner Tarnung. »Ja, das bin ich.«
»Wie hast du deine Haare so lang wachsen lassen?«
Ich schwänzelte mit meinem Zopf. »Der ist falsch.«
Er grinste. »Falsch bei dir, aber echt bei jemand anderem.«
»Meiner Freundin.«
Er nickte und riss noch ein Stück Fisch ab. »Hungrig?«
»Nein, danke.« Ich holte eine der Birnen aus der Tasche, die ich vom Frühstück aufgespart hatte. »Ich habe noch eine übrig, wenn du möchtest.«
Er nickte schnell und griff nach der Birne, während er noch auf dem Fisch kaute. »Die Jäger haben dich noch nicht gefunden?«
»Noch nicht. Jetzt jage ich sie.«
Er lachte und warf die Gräten über die Schulter. »Sie haben Iesta.«
Ich zuckte zusammen. Der Anführer der Bande, der Neemes Bein gebrochen hatte. Wenn er ihnen erzählte, dass ich die Schmerzen in ihn geschiftet hatte, suchten mich vielleicht mehr Menschen als nur Vyand.
»Hat das Bein gebrochen. Haben ihn liegen lassen. Ist gestorben.«
Gestorben? Meine Brust schnürte sich zusammen. Es sollte mich eigentlich nicht bekümmern. Iesta hätte Neeme getötet, aber ich habe schon zu viele Tode auf dem Gewissen.
»Sei nicht traurig«, sagte der Junge und tätschelte meine Schulter. »Iesta war so gemein wie Feuer. Niemand konnte ihn ausstehen.«
»Was ist mit deiner Bande?«
Er zuckte mit den Schultern. »Wir haben einigermaßen zu essen. Quenji weiß, wo Fenster offen stehen.«
»Wie heißt du?«
»Ceun.«
»Ich bin Nya.«
Sein Blick schoss zur Seite und er duckte sich wieder hinter die Kisten. Ich lehnte mich zurück und gab ihm Deckung. Dann spähte ich auf den Docks umher, was ihn so erschreckt haben könnte. Der Fischverkäufer kam mit mürrischem Gesicht zurück. Er ignorierte mich und verschwand in der Menge.
»Ceun, hast du in letzter Zeit hier Greifer gesehen?«
Er schlang die Arme um sich und schüttelte sich. »Lass die in Ruhe!«
»Das versuche ich. Ich muss nur wissen, ob hier welche nach mir gefragt haben.«
Ceun sprang auf eine niedrige Steinmauer, von der aus man über den Hafen schauen konnte. Eine starke Brise blies und raschelte in den Bäumen hinter uns. »Wer sucht dich denn?«
»Eine Frau namens Vyand. Ein bisschen größer als ich, immer fein gekleidet und perfekte Frisur. Sie arbeitet mit Stewwig, einem Hünen, der nie etwas sagt.«
Seine Augen leuchteten auf. »Eintopf!«
»Du kennst ihn?«
»Er isst, was er erlegt. Deshalb ist er so groß. Von ihm solltest du dich nicht festnehmen lassen.«
Ich lachte. »Hast du ihn in letzter Zeit gesehen?«
»Nein, aber vielleicht die Bande. Ich bei deiner Jagd mitmachen?« Seine blauen Augen funkelten.
Hätte ein anderer gefragt, hätte ich abgelehnt, aber Ceun konnte wahrscheinlich selbst auf sich aufpassen, besser als ich. Außerdem hatten die Straßenbanden die Augen überall. Wenn jemand herausfinden konnte, mit wem Vyand in diesem Chaos redete, dann sie. Und wenn Vyand hörte, dass sich jemand nach mir oder ihr erkundigte, konnte das helfen, sie herbeizulocken. »Kannst du.«
Er lächelte so breit wie der Mond.
»Sie hätte inzwischen Männer schicken müssen«, sagte ich vier Tage später. Wir hatten mit einem Dutzend Schiffen gesprochen und die Rolle der verängstigten Reisenden gespielt, die unbedingt die Stadt verlassen wollten, aber es sich nicht leisten konnten. Ceuns Bande hatte keinen von Vyands Männern gesehen, und niemand fragte nach mir.
Wir hatten auch keinen anderen Zugang zur Gießerei gefunden. Wenn Vyand also tatsächlich herauskam, mussten wir den Aquädukt versuchen und hoffen, improvisieren zu können, sobald wir drinnen waren. Nach so langer Zeit war ich sicher, dass Tali nicht mehr dort wäre. Pynvium für Onderaans Gerät zu besorgen, war vielleicht die einzige Chance, die mir blieb, um sie zu retten.
Ich ignorierte die quälende Stimme in meinem Kopf, die sagte, ich hätte zuerst sie suchen müssen. Jedes Mal, wenn ich sie hörte, konnte ich Aylin oder Danello eine Zeitlang nicht in die Augen schauen.
»Vielleicht war mein Plan nicht so gut«, meinte Aylin.
Danello setzte sich auf, aber das war furchtbar mühsam. Ich half ihm, seine Haut fühlte sich fiebrig an. »Vielleicht solltest du eine Passage buchen und sehen, was dann geschieht«, schlug er vor.
»Einen Versuch wär's wert.«
Wir mussten etwas tun, und zwar bald. Danello sah gar nicht gut aus. Er ertrug die Schmerzen erst seit etlichen Stunden, aber sein Gesicht war bereits blass und von Schweiß bedeckt. Er zitterte selbst unter den dicken Decken. Halima saß bei ihm und bemühte sich, dass er etwas aß. Aylin wirkte froh, die Schmerzen los zu sein, aber auch schuldig, dass Danello jetzt an der Reihe war. Ich wusste genau, wie sie sich fühlte.
Jeatar war gestern fortgegangen und hatte versprochen, in ein paar Tagen zurückzukommen. Siekte wollte mich immer noch rauswerfen und stritt ständig mit Onderaan. Onderaan schien nicht mehr allzu begeistert von unserem Plan zu sein, und ich befürchtete, Siekte gelang es langsam, ihn davon zu überzeugen, dass er uns hinauswerfen sollte.
»Wir lassen dich jetzt ausruhen«, sagte ich zu Danello. Am liebsten hätte ich ihn umarmt, doch das hätte er nicht ausgehalten.
»Ja ... bis später.«
»Wir haben nicht mehr lang, oder?«, fragte Aylin, sobald die Tür geschlossen war.
»Ich schätze, noch eine Schmerzladung für jeden von uns.«
Sie wurde blass, nickte jedoch. »Was machen wir nur?«
Ich hatte keine Ahnung. »Vielleicht kriegt Onderaan sein Heilungsgerät in Gang.«
»Gut so.« Sie schaute so hoffnungsvoll drein, wie ich fühlte.
In verließ unser Zimmer und ging zu Onderaans Tür. Neeme und Ellis saßen im Hauptraum und spielten Karten. Onderaan hatte nach Mondri und Fenda sämtliche Missionen eingestellt. Abgesehen von dem, was Jeatar tat. Das war teilweise der Grund, weshalb Siekte so wütend war.
Ich klopfte.
»Herein.«
Onderaan saß hinter seinem Schreibtisch, vor ihm waren Karten und Papiere ausgebreitet. Er schaute auf. »Nya, was kann ich für dich tun?«
»Wir können die Schmerzen nicht mehr schiften. Ich hatte gehofft, du könntest dein Heilgerät an Danello erproben.«
Er seufzte und rieb sich die Augen. »Es ist noch nicht fertig.«
»Er stirbt. Uns läuft die Zeit davon.«
»Ich weiß. Ich habe Karten und Aufzeichnungen über die Gießerei studiert. Es gibt keinen Weg hinein, es sei denn mit einem Großangriff.«
»Der Aquädukt geht.«
»Das ist zu riskant. Wenn ihr entdeckt werdet, gibt es mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Entkommen.«
Ich würde einen Weg finden. »Würdest du das Gerät ausprobieren? Oder lass es mich tun. Vielleicht ist es besser, wenn ein Schmerzlöser es benutzt.« Meine Haut zog sich bei dem Gedanken, es in den Händen zu halten, zusammen. Aber besser, als Danello sterben zu lassen.
»Ich werde es versuchen.« Er holte das Gerät aus einer Schublade. »Ohne Garantie.«
»Die gibt es nie.«
Wir gingen in Danellos Zimmer. Neeme beobachtete uns mit genügend Neugier, um sechs Katzen zu füllen. Ich klopfte, und wir traten ein.
»Wir haben eine Idee«, sagte ich. Aylin schlüpfte mit gezwungenem Lächeln hinter mir herein.
Danello schaute auf. »Beinahe ... so beängstigend wie ... ›Ich habe einen Plan‹?«
Ich grinste und hielt die Tränen zurück. »Ich werde das Heilgerät an dir ausprobieren.«
Er nickte.
Onderaan reichte mir das Gerät. Meine Haut begann in dem Moment zu jucken, als es mich berührte, aber ich streifte es über Finger und Handgelenk.
»Einfach drücken und eine schnelle Drehung«, erklärte Onderaan.
Ich nahm Danellos Hand, drückte sie und drehte schnell mein Handgelenk.
Nichts.
Noch eine Drehung aus dem Handgelenk und drücken.
Immer noch nichts.
Ich konzentrierte mich auf das Pynvium und flehte es an, die Schmerzen herauszuziehen. Meine Hand prickelte, aber das war wahrscheinlich nur ich, nicht das Gerät. Ich streifte es ab und rieb mir das Handgelenk.
»Tut mir leid, es hat nicht funktioniert.«
»Schon gut. Ich kann es noch aushalten.«
Ich nahm wieder seine Hand und fühlte meinen Weg nach innen. Dickes Blut, aber noch keine Flecken auf seinen Organen. Er würde nicht glücklich sein, aber er konnte die Schmerzen tatsächlich noch bis heute Abend ertragen. Ich musste mir aber einen Plan zurechtlegen, sie ihm dann auch zu nehmen.
»Es tut mir leid«, sagte Onderaan.
»Wir müssen heute Nacht in die Gießerei einbrechen.«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist zu gefährlich. Ihr wartet, bis Jeatar zurückkommt, wie wir geplant haben.«
»Danello kann nicht so lange warten.«
Er seufzte. In seinen Augen sah ich Mitgefühl, aber kein Zeichen von Nachgeben. »Wartet auf Jeatar.« Damit verließ er das Zimmer und schloss leise die Tür.
Aylin schaute mich mit Tränen in den Augen an. Danello war vor Schmerzen krank, aber morgen würde ich im Bett liegen. Und ich würde nicht aufstehen können.
»Wir kriegen das schon hin«, sagte Aylin vertrauensvoll. »Dir fällt bestimmt etwas ein.«
Das Einzige, was mir einfiel, war, die Schmerzen zu nehmen, das Tor der Gießerei einzutreten und alles in Vyand hineinzudrücken.
»Ruh du dich aus«, sagte ich zu Danello und strich ihm das Haar aus den Augen. »Ich komme später wieder.«
Wir verließen Danellos Zimmer. Neeme und Ellis standen mit verschränkten Armen und ernsten Gesichtern auf dem Gang.
»Was ist los?«, fragte Neeme.
»Was meinst du?«, sagte ich.
»Etwas stimmt nicht. Onderaan ist mehr als üblich in Gedanken versunken und tut geheimnisvoll. Jeatar macht die-Heiligen-wissen-was. Siekte ist wütend und motzt. Ihr borgt euch keine Uniformen mehr, stattdessen andere Dinge. Ihr habt euer Aussehen verändert. Ihr geht ständig nach draußen, aber nie zu dritt, nur zu zweit. Man sieht jeden Tag nur zwei von euch und immer ein anderes Paar.«
Ich schaute Aylin an. Sie zuckte mit den Schultern.
»Wir teilen uns die Schmerzen«, sagte ich.
»Ihr macht was?«
»Ich konnte nicht alle Schmerzen von Ellis in den Soldaten schiften, ehe er starb. Wir brauchen Pynvium und einen Heiler, um den Rest loszuwerden, aber beides ist nicht vorhanden. Wir zerbrechen uns den Kopf, wie wir etwas Pynvium bekommen können. Bis dahin erträgt jeder von uns einen Tag lang die Schmerzen.«
Beide blickten uns verwirrt an. »Warum teilt ihr sie?«
»Weil geschiftete Schmerzen jeden nach wenigen Tagen töten, der sie trägt. Indem wir sie auf uns verteilen, verlängern wir die Zeit, die wir sie ertragen können, ehe sie einen umbringen. Aber es wird jedes Mal schlimmer, wenn ich schifte. Jetzt ist es wirklich schlimm.«
Jetzt schauten die beiden entsetzt. »Das ist grauenvoll.«
»Ich weiß. Und wir müssen hinaus und vor heute Nacht Pynvium finden, also wenn ihr ...«
Sie ignorierten mich und steckten flüsternd die Köpfe zusammen. Neeme runzelte die Stirn, aber Ellis nickte. Schließlich seufzte sie und wandte sich wieder an uns.
»Ich nehme sie«, erklärte Ellis. »Das gibt euch einen weiteren Tag, richtig?«
Mir stand vor Staunen der Mund offen.
»Wird es«, sagte Aylin. »Danke.«
»Seid ihr sicher?«, fragte ich.
»Du hast mich gerettet. Lass mich euch helfen.«
»Mich auch«, fügte Neeme hinzu. »Das gibt euch noch mehr Zeit.«
»Möglich. Es würde es auf alle Fälle leichter machen.«
»Was müssen wir tun?«
Ich ging mit ihnen in Danellos Zimmer. Er schien überrascht, sie zu sehen, hatte aber nicht mehr die Kraft, mehr zu tun, als aufzuschauen. Neeme und Ellis waren sich nicht mehr so sicher, nachdem sie ihn gesehen hatten. Ich ergriff Danellos Hand und streckte die andere aus.
»Gib mir nur die Hand. Wer will die erste sein?« Ich hätte ihnen eine letzte Chance geben sollen, abzulehnen, aber wir brauchten sie zu dringend.
Ellis gab mir ihre Hand. »Das tut weh, nicht wahr?«
»Es fühlt sich so ähnlich an, wie damals, als du die Stichwunde bekommen hast. Ein Teil sind dieselben Schmerzen.«
Sie verzog das Gesicht, nickte aber. »Mach es.«
Ich zog die Schmerzen aus Danello heraus und drückte sie in Ellis. Sie schrie auf und wich zurück, aber ich hielt sie fest. Neeme packte ihre Schultern und hielt sie auch fest.
»O Heilige, ist das schlimm«, sagte Ellis und schlang die Arme um die Körpermitte.
Neeme leckte die Lippen. »Hm ...«
»O nein«, sagte Ellis und schob sie vorwärts. »Du kneifst nicht!«
Ich streckte die Hand aus, Neeme nahm sie und schloss die Augen. Ich zog, ich drückte, sie schrie. Danach lachte sie verlegen.
»Der Anführer der Bande hat wirklich bekommen, was er verdiente, wenn er sich so fühlte«, sagte sie.
Weitere Tote, mehr Schuld, aber ich hütete meine Zunge. »Habt ihr Zimmer, wo ihr euch ausruhen könnt?«
»Ja, im anderen Flügel.« Ellis ging langsam zur Tür. »Wir schaffen das. Ihr beide - nein, ihr drei - geht und findet das Pynvium, damit wir das nicht noch mal tun müssen.«
Ich schaute zu Danello, der sich aufgesetzt hatte, obwohl er noch müde aussah.
»Das klingt gut«, sagte er.
»Ja, aber nur Aylin und ich werden hinausgehen. Du bleibst hier und ruhst dich aus. Wir kommen in ein paar Stunden mit irgendeinem Plan zurück.« Wir würden heute Abend in die Gießerei gehen, ganz gleich wie. Wenn Vyand immer noch da war, mussten wir uns etwas ausdenken, um nötigenfalls an ihr vorbeizukommen.
Danello schaute uns zweifelnd an.
»Keine Angst.«
»Muss ich Angst haben?«, fragte Aylin.
»Nein.«
Wir verließen Danello und gingen auf die Straße. Ich nahm Aylin am Arm, als wir die Villa verließen.
»Wir brechen heute Abend ein«, erklärte ich.
»Ich hatte so ein Gefühl, dass du das sagen würdest.«
»Aber wir brauchen Hilfe.«
»Ceuns Bande?«
»Genau daran habe ich gedacht.« In der Gießerei gab es genug, um auch die vorsichtigsten Diebe in Versuchung zu führen, und wenn ich ihnen einen Zugang und einen durchführbaren Plan vorlegte, waren sie gewiss willig zu helfen, wenn sie dafür alles bekamen, was sie herausschleppen konnten.
Wir eilten zu den Docks. Die Karte brauchten wir nicht mehr. Bei dem rasterartigen Aufbau der Straßen von Baseer war es nicht schwierig, sich zurechtzufinden. Wirklich. Der schwierigste Teil war, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen.
Mehrere große Schiffe wurden entladen, als wir im Hafen ankamen. Ich schob mich zwischen den Löschern und den Waren, die sie entluden, hindurch. Mehr als einmal hielt ich wegen des Gestanks den Atem an. Wir erreichten die Steinmauer mit der guten Übersicht, wo wir Ceun täglich trafen, und sprangen hinauf. Es war fast Mittag.
»Was ist mit Vyand?«, fragte Aylin.
»Wir versuchen Danellos Idee, buchen eine Passage für heute Abend und hoffen, sie hört davon.«
»Ziemlich riskant.«
»Welche Wahl haben wir?«
»He, gestohlenes Mädel.«
Wir zuckten zusammen. Ceun war neben mir auf der Mauer. Der Junge war so leise wie Sonnenschein.
»Du hast mir Angst eingejagt.«
Er grinste. »Ich habe Eintopf gesehen.«
Mein Herz machte einen Salto. »Wo? Bei den Docks?«
»Er und seine hübsche Dame sind gestern Nachmittag auf ein Schiff gegangen.«
»Sie sind gestern abgefahren?« O Heilige! Wir haben eine ganze Nacht verpasst!
Er nickte. »Wollte dich auch sehen, aber du warst nicht hier.«
Ich war so ein Dummkopf. Mir war nie der Gedanke gekommen, die Gießerei zu beobachten, um zu sehen, ob Vyand herauskam. Zwar hätte das nicht viel geholfen, da unsere Siegel nicht mehr gültig waren. Aber das spielte jetzt keine Rolle mehr - sie war weg! Ich umarmte Ceun, und er lachte.
»Ceun, heute Abend brauche ich deine Hilfe. Kannst du es schaffen, dass der Anführer der Bande mich gleich trifft? Ich habe eine Idee, die euch alle reich macht.«
Seine Augen wurden groß. »Dafür bringe ich dir die ganze Bande.«
»Ich brauche deine Hilfe für noch etwas.« Ich holte den Beutel mit den kleinen Münzen heraus, die Jeatar mir gegeben hatte. »Kannst du mir vier oder fünf Eisenkisten besorgen, wie sie die Fischer haben, um die Fackeln trocken zu halten?«
Er grinste beim Anblick der Münzen. »Die kann ich sogar besorgen, ohne sie zu kaufen.«
»Ich brauche sie heute Abend.«
»Für den Plan, uns reich zu machen?«
»Genau.«
»Ich hole Quenji und gehe einkaufen. Warte hier.«
Ich setzte mich, während er in der Menge untertauchte.
»Wofür sind die Kästen?«, fragte Aylin und setzte sich neben mich auf die Mauer.
»Gerechtigkeit.«
Ich konnte es kaum abwarten, Danello Bescheid zu sagen. Wir mussten in eine Gießerei einbrechen.