24. KAPITEL

Mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks trafen Briefe und Blumenarrangements von Leutnant Butler ein, der Abigails Empfindlichkeit gegen Blütenstaub vergessen zu haben schien. Wie die heftigen Niesanfälle, so überfielen jetzt die Zweifel sie.

Dieses muss einfach richtig sein, sagte sie sich. Jeder war so erfreut - ihr Vater, ihre Schwester, die Butlers und die ortsansässige Oberschicht, die sie früher für eine Eigenbrötlerin gehalten hatte. Abigail erhielt sogar eine Gratulation von der First Lady und eine Einladung zur Gala anlässlich der Eröffnung des neues National- Aquariums.

Allerdings wuchs mit ihrer Erregung auch ihre Unsicherheit. Es ging alles so schnell, viel zu schnell. Boyd sollte ein Kommando zur See bekommen, und er wünschte Abigail zu ehelichen, bevor sein Schiff die Segel setzte. Das ließ ihr nur wenige Wochen für die Vorbereitungen, und sie wusste nicht, womit sie anfangen sollte. Sie benötigte Hilfe. Und es gab nur einen Menschen, der ihr bei solchen Dingen zu helfen vermochte. Also ging sie nach nebenan, um ihm einen Besuch abzustatten.

Zuerst traf sie auf den säuerlichen Gerald Meeks; sie ließ den Diener einfach stehen und platzte, ohne anzuklopfen, sofort in Ja- mies Zimmer.

Er war nur halb angezogen, ungekämmt, unrasiert und deutlich erkennbar nicht in der Stimmung für Besucher. Dokumente aus dem Kongress und eine halb gegessene Pastete waren über seine Arbeitsfläche verteilt.

„Sie sind die letzte Person, die ich jetzt zu sehen wünsche“, erklärte er grimmig.

„Sie brachten mich in diese Lage, also müssen Sie mir jetzt da auch hindurchhelfen.“ Sie warf die Einladung aufs Bett. Dass sie sich überhaupt in der Nähe des Bettes eines Gentleman aufhielt, hätte bei ihr eigentlich Entsetzenskrämpfe auslösen sollen, doch im Augenblick war sie viel zu erregt, um sich um Anstand zu kümmern.

Jamie winkte ab. „Meine Hilfe benötigen Sie nicht. Dafür haben Sie ja jetzt Butler.“

„Er würde es nicht begreifen. Sie sind es, den ich will... ich meine, Sie sind derjenige, dem ich das Ganze zu verdanken habe!“

„Und Sie haben ja auch erreicht, was Sie sich vorgenommen hatten.“

„Wie kann ich es Ihnen nur nahe bringen, Jamie? Ich brauche Sie immer noch.“ Abigail hatte ganz leise gesprochen, fast nur geflüstert, und nun biss sie sich auf die Lippe.

Er sog hörbar die Luft ein, fing sich jedoch wieder. Nun setzte er ein spöttisches Lächeln auf, las die Einladung durch und stieß dann einen leisen Pfiff aus. „Das National-Aquarium - kein geringeres! Stachelrochen und Zitteraale. Sie müssen ja schwer begeistert sein!“

„Bin ich ja auch, nur...“ Sie fühlte noch immer diese innere Unruhe; die Dinge entwickelten sich einfach zu schnell. „Das geschieht alles zu hastig“, gab sie zu. „Ich fürchte, ich überlege es mir möglicherweise noch einmal anders.“

„Das wäre ja noch schöner!“ Er ging im Zimmer auf und ab. „Glauben Sie, Hannibal hätte es sich noch einmal anders überlegt, ehe er sich auf den Marsch über die Alpen machte? Was, wenn Galileo es sich noch einmal anders überlegt hätte, während er vor dem Tribunal des Vatikans stand? Was hätte er dann wohl gesagt? ,Oh, möglicherweise irre ich mich ja doch, und die Sonne ist nichts weiter als ein Stern, der sich zufällig um die Erde dreht'?“

Unwillkürlich musste Abigail lächeln. Jamie brachte sie immer zum Lachen, selbst wenn er auf sie wütend war. Bei dem ganzen Wirbel um ihre neue gesellschaftliche Stellung hatte sie das Lachen beinahe verlernt.

„Also - ist Ihr bevorstehender Ehestand nun tatsächlich das, was Sie sich vorgestellt haben?“ wollte er wissen.

Abigail zögerte mit der Antwort. Jamie hatte sich der Aufgabe gewidmet, sie und Boyd zusammenzubringen, und sie wollte ihn nicht enttäuschen.

An dem kurzen Zögern erkannte er wohl ihre Stimmung. „Bekommen Sie jetzt nur keine kalten Füße“, riet er ihr scherzhaft. „Ich habe Ihren Vater für mein Anliegen gewonnen, und er wird auch die Unterstützung des Vizepräsidenten sicherstellen. Es steht also sehr viel auf dem Spiel.“

Wieder lachte Abigail; es erleichterte sie, mit jemandem zu reden, der sie weder von oben herab betrachtete noch sich fragte, was, um alles in der Welt, ein Butler mit Senator Cabots seltsamer Tochter machte. „Sie schaffen es noch, dass ich mich verantwortlich fühle für das Wohlergehen sämtlicher Farmer in den Niederungen der Chesapeake Bay!“

„Das sind Sie ja auch, meine Liebe.“

„Und ich dachte immer, ich würde ganz einfach nur heiraten.“ „Einfach ist gar nichts“, murmelte er, wandte sich dann rasch ab und blätterte in den Drucksachen auf seinem Schreibtisch.

Eine Weile beobachtete sie ihn dabei und war seltsam berührt von der steifen Haltung seiner Schultern und von seinen bedächtigen Bewegungen. „Darf ich Sie einmal etwas fragen?“

Ehe er ihre Bitte abzuschlagen vermochte, sprach sie weiter. „Weshalb sind Sie so verbittert und zynisch, was Liebe und Ehe betrifft? Was ist Ihnen nur widerfahren, Jamie?“

Er erstarrte, und dann entspannten sich seine Schultern. Als er sich zu ihr umdrehte, lächelte er wieder unbekümmert. „Ist das denn nicht offensichtlich? Man hat mir natürlich das Herz gebrochen.“ Er hatte so leichthin gesprochen, dass sie nicht wusste, ob er es ernst meinte oder nicht. „Doch das ist jetzt unwichtig. Im Moment müssen wir Sie erst einmal auf Ihr erstes öffentliches Auftreten mit Ihrem Geliebten vorbereiten. Also passen Sie gut auf; wir haben zu arbeiten.“

Während der nächsten Stunde sprachen sie über das, was Abigail anziehen sollte, wie sie sich verhalten musste, was sie tun und wen sie sehen würde. Jamie ging mit ihr noch einmal die Kunst des Hofknickses durch, wobei er seine Technik so exakt wie ein Feldwebel auf dem Exerzierplatz vorführte. Danach pfiff er eine Walzermelodie und half Abigail, an ihren Tanzkünsten zu feilen.

Bezüglich der Kunst der Unterhaltung warnte er sie davor, zu laut zu lachen, zu leise zu sprechen und ihre Meinung zu oft zu äußern. Schließlich wandte er sich der Kunst des Fächerns zu, und da vermochte Abigail sich wirklich nicht länger zurückzuhalten. Lachend sank sie auf das Bett.

Im nächsten Augenblick lag er neben ihr; sie fühlte seine Körperwärme und konnte den Stärkegeruch seines Hemds wahrnehmen. Als sie den Kopf ein wenig drehte, sah sie jede Facette seiner bemerkenswerten Augen. Diese Augen erinnerten sie an Steine, die in Eis gefangen waren - kalt und unergründlich.

Eine Woge der Empfindungen überschwemmte sie. Sie wusste nicht mit Sicherheit, wer von ihnen sich zuerst bewegte, doch ihre Lippen trafen sich. Sanft fordernd drang er mit der Zunge in ihren Mund.

Abigail erschauderte ein wenig. Kleine, gefährliche Hitzeschocks durchliefen sie und weckten in ihr ein heißes Sehnen. Der verführerische Augenblick enthielt alles, was Jamie sie je über das Küssen gelehrt hatte - und noch mehr, denn jetzt legte sie auch ihre eigenen Gefühle, ihre eigene Leidenschaft mit hinein.

Jamie beendete den Kuss, ehe Abigail dazu bereit war. Er schob sie sanft zurück, stand auf und wandte sich zum Fenster. Im hereinfallenden Licht sah er aufgelöst und ein wenig zornig aus.

„Jamie?“

„Es wird schon alles in Ordnung gehen“, meinte er, als hätte sie nichts gesagt. „Sie sind so bereit, wie Sie es nur sein können.“