Kapitel 18

 

Der Rest des Nachmittags wurde damit verbracht, sich in Ashburton House einzurichten. Das angrenzende Schlafzimmer war frei, und Gavins Gepäck wurde kommentarlos umgeräumt, obwohl er sicher war, dass man Mutmaßungen über das frisch vermählte Paar anstellte, das auf getrennten Schlafzimmern bestand. Aber das berührte ihn nicht. Klatsch war leichter zu ertragen, als mit Alex das Bett zu teilen, wenn er nicht mit ihr schlafen durfte.

Die beiden besuchten Katie im Unterrichtszimmer. Sie hatte sich dort bereits mit Alex' junger Halbschwester und der jüngsten Tochter der Ashburtons angefreundet. Da sie monatelang die Gesellschaft anderer Kinder entbehrt hatte, war sie glücklich, Mädchen in ihrem Alter anzutreffen, und brauchte nicht mehr am Rockzipfel der Mutter zu hängen.

Eine Stunde vor dem Abendessen erschien Suiyo mit dem restlichen Gepäck, so dass sich Gavin passend für ein Dinner in einem herzoglichen Haus umkleiden konnte. Trotzdem — je mehr er sich im Hintergrund hielt, desto besser.

Absprachegemäß kam Alex in sein Zimmer, um ihn abzuholen, nachdem sie mit dem Umkleiden fertig war. Er wandte sich vom Fenster ab, von dem aus er die länger werdenden Schatten betrachtet hatte. Er hielt den Atem an. In ihrem rosenfarbenen Kleid und dem modisch nach oben gesteckten Haar war sie Zoll für Zoll eine Londoner Lady. »Du siehst bezaubernd aus. Ist das ein Kleid deiner Mutter?«

»Ja, und der Schmuck ist von meiner Tante. Das ' Kleid ist ein bisschen kurz, aber da ich im Augenblick sehr dünn bin, ist es vorzeigbar.«

Mehr als vorzeigbar. Er versuchte nicht darauf zu achten, wie tief das Kleid ausgeschnitten war, oder wie gut die Perlen und Rubine der Halskette den pfirsichfarbenen Ton ihrer Haut hervorhoben. Auch wenn ihr einige Pfunde mehr nicht schaden würden, war sie vor Glück so schön, dass es schmerzte. »Schwer zu glauben, dass du nur die zweitschönste Frau von Sydney warst. Die restlichen Einwohner sollten sich lieber eine Brille zulegen.«

Alex lachte. »Wenn du die verwitwete Mrs. Ryan gesehen hättest, dann wärst du erstaunt, dass man mich überhaupt wahrgenommen hatte. Frederica war eine bildschöne zierliche Blondine, die überall, wo sie auftauchte, sofort von einem Schwärm Männer umringt war. Wir Frauen waren sehr erleichtert, als sie einen reichen englischen Kaufmann heiratete und den Staub Australiens von ihren Füßchen schüttelte.«

»Hört sich an, als ob du sie nicht besonders gemocht hättest.«

»Sie hatte eine spitze Zunge, wenn sie mit Frauen oder dem Personal sprach.« Alex betrachtete ihn mit gespielter Strenge. »Ich glaube, wir halten uns so lange mit der abscheulichen Frederica auf, weil du nach Vorwänden suchst, um nicht hinunterzugehen, aber das lässt sich nun nicht mehr aufschieben.« Sie nahm seinen Arm. »Keine Bange! Heute Abend wird nur die Familie anwesend sein und ein paar gute Freunde. Du siehst umwerfend gut aus. Man wird mich um dich beneiden.«

»Das ist auch nötig, damit ich vor deinen männlichen Verwandten bestehen kann, die mich später beim Port unweigerlich auseinander nehmen werden«, sagte er finster.

»Natürlich möchten sie dich kennen lernen, aber sie werden keine lästigen Fragen stellen.«

»Du bist naiv.« Seine Stimme wurde ernst. »Die Leute werden wissen wollen, was mit dir passiert ist. Wie viel sollen sie wissen?«

Sie seufzte. »So wenig wie möglich. Die Piraten haben uns überfallen; Katie und ich wurden getrennt, aber nicht verletzt, und du hast uns gerettet. Halte alles so vage wie möglich. Wahrscheinlich werden wir meinen Eltern mehr erzählen müssen, aber auf keinen Fall möchte ich, dass sie die ganze Geschichte erfahren.«

Er nickte, und sie verließen gemeinsam das Zimmer. Als sie die geschwungene Treppe hinabstiegen, spürte er auf seinem Arm den leichten Druck ihrer Hand. Wenn sie ein normales Ehepaar wären, würde er jetzt den zarten Bogen ihres Nackens küssen. Dann müsste er aufpassen, dass er ihr Kleid nicht zerknitterte. Anschließend würden sie verspätet zum Dinner erscheinen.

Nur mühsam unterdrückte er diese Vorstellung, als er sich von Alex in den Salon führen ließ, wo sich die Familie und die Gäste vor dem Essen einfanden. Sofort wurden er und Alex von der Familie und mindestens einem Dutzend weiterer Menschen umringt. Sie trugen allesamt Adelstitel und liebten Alex über alle Maßen. Sie umarmte alle, auch auf die Gefahr hin, sich blaue Flecken einzuhandeln.

Gavin zog sich in einen stillen Winkel des Salons zurück, von dem aus er das Geschehen beobachten konnte. Noch nie in seinem Leben hatte er so viele reiche und gut aussehende Menschen auf einem Haufen gesehen, ausgenommen bei einer Abendeinladung von Chenqua, dem wohlhabendsten Kaufmann in Kanton.

Auch wenn er nicht viel vom Adel hielt, musste er zugeben, dass keiner der Anwesenden auffallend verlebt oder dekadent aussah. Viele waren im Alter der Kenyons und wirkten wie Männer und Frauen, die verantwortungsbewusst ihren Pflichten nachkamen. Heute Abend feierten sie die Heimkehr einer der Ihren mit einer zu Herzen gehenden Wärme.

»Sie sehen wie ein Naturforscher aus, der das Verhalten der Pinguine studiert.« Lady Michael kam mit zwei Gläsern Sherry auf ihn zu und reichte ihm eines davon. »Werden Sie eine Studie über diesen sonderbaren Stamm veröffentlichen?«

Er lächelte. »Ich beobachte gern. Das habe ich auf meinen vielen Reisen in fremde Länder immer getan und dadurch viel über Land und Leute gelernt.«

»Aber vorher waren Sie nur auf der Durchreise. In diesen Stamm hier haben Sie eingeheiratet und müssen sich einfügen.« Sie trank einen Schluck Sherry. »Im Augenblick ein überwältigender Anblick, würde ich sagen.«

»Schon oft wollte ich Teil einer großen Familie sein«, sagte er ernst. »Ich hätte daran denken sollen, dass man mit seinen Wünschen vorsichtig sein muss; sie könnten in Erfüllung gehen.«

»Sie verzeihen doch hoffentlich, wenn wir Ihnen unhöflich erscheinen. Die meisten unserer Freunde kennen wir schon seit .Jahrzehnten, und diese wiederum kennen Alex noch als Kind, und sie ...« Lady Michaels Stimme brach. »Sie haben mit uns getrauert. Sie haben es verdient, dass sie heute Abend mit uns feiern. Ein Wunder erlebt man nicht oft, Captain Elliott.«

Er sah die Tränen in ihren Augen, zog ein sauber gefaltetes Taschentuch hervor und reichte es ihr. »Da ich Ihr Schwiegersohn bin, würde ich mich freuen, wenn Sie Gavin zu mir sagen.«

»Vielen Dank, Gavin.« Sie tupfte die Augen ab und brachte ein Lächeln zustande. »Seitdem meine Tochter hier zur Haustür hereingekommen ist, schwebe ich auf Wolken. Das ist einer der glücklichsten Tage in meinem Leben. Darum sitzen mir die Tränen auch so locker.«

»Frauen haben das Glück, weinen zu können, um ihre tiefe Bewegtheit auszudrücken. Männer müssen sich meistens damit beschränken, laut zu brüllen oder auf irgendetwas einzuschlagen.« Er wollte sie wieder lächeln sehen und fragte: »Vorhin habe ich Ihre jüngere Tochter Anne gesehen. Sie sagte mir, sie sei elf. Wie alt sind Ihre Söhne?«

»Nicholas ist siebzehn und Stephen vierzehn.« Sie strahlte. »Alle meine Kinder sind wunderbar, aber zu Alex habe ich eine besondere Beziehung. Ich war so jung, als sie zur Welt kam, dass wir mehr oder weniger gemeinsam groß geworden sind.«

Nicht nur Catherine Kenyons Schönheit zog die Männer an, überlegte Gavin, sondern auch ihr Charme. »Erst als Alex selbst ein Kind hatte, so erzählte sie mir einmal, hätte sie erkannt, wie schwierig es für Sie als Mutter gewesen sein muss, den Trommeln zu folgen, da Sie ja fast noch ein Mädchen waren.«

»Es war eine ... interessante Zeit. Zum Glück war ich zu jung, um mir bewusst zu sein, wie unerfahren ich noch war. Ah, hier ist jemand, den Sie unbedingt kennen lernen müssen.« Ashburton kam mit einer auffallenden, blonden Frau in Lady Michaels Alter auf sie zu. »Rosalind, das ist Alex' Mann, Captain Elliott. Gavin, Ihre Gastgeberin, die Herzogin von Ashburton.«

Er versuchte seine Überraschung zu verbergen, als er sich über ihre Hand beugte. Herzoginnen waren doch steif und hochmütig, nicht rundlich, golden und lächelnd.

»Es freut mich sehr, Sie kennen zu lernen, Captain«, begrüßte ihn die Herzogin herzlich. »Wir müssen unbedingt einen Ball geben, um Alexandras Rückkehr und Ihre Hochzeit zu feiern. Nächste Woche würde ich sagen.«

»So bald?«, fragte er erstaunt.

»Da die Saison zu Ende geht, können wir keine Zeit vergeuden«, erklärte sie. »Haben Sie Freunde in London? Wenn Sie möchten, lade ich sie gerne für Sie ein.«

Er dachte an die durchtriebenen, ungehobelten britischen Kaufleute, die er kannte. »Einige, aber mit einer Ausnahme sind sie, ehrlich gesagt, nicht gesellschaftsfähig. Es sind meistens Geschäftsleute.«

Anstatt von ihrem Vorschlag Abstand zu nehmen, lachte sie. »Ausgezeichnet. Einladungen sind immer vergnüglicher, wenn nicht jeder Gast comme ilfaut ist. Wenn Sie Zeit haben, stellen Sie bitte eine Liste zusammen, damit ich ihnen eine Einladung schicken kann.«

»Und wer ist nun der einzige respektable Freund?«, fragte Lady Michael.

»Lord Maxwell, der Erbe des Earl of Wrexham. Ich habe ihn in Indien kennen gelernt.« Zu Ashburton gewandt sagte er: »Darf ich einen Ihrer Lakaien beauftragen, ihm eine Nachricht zu überbringen? Soviel ich weiß, müsste Maxwell jetzt in London sein.«

»Selbstverständlich. Aber Ihr Freund ist jetzt der Earl of Wrexham«, erklärte Ashburton. »Sein Vater ist vor ungefähr sechs Monaten verstorben.«

Nachdem der Gesundheitszustand des alten Earls nicht der beste war, kam die Nachricht nicht überraschend. »Das tut mir Leid. Ein Glück, dass Maxwell vorher zurückgekehrt ist. So konnten die beiden noch einige Zeit miteinander verbringen.« Aus den Briefen seines Freundes ging klar hervor, dass sich Vater und Sohn in den zwei Jahren seit seiner Rückkehr nach England näher gekommen waren. Das machte den Verlust zwar größer, aber den Schmerz kleiner. »Es wird mir schwer fallen, ihn nicht Maxwell zu nennen.«

Der Herzog lächelte. »Wenn man zu meinem Sohn Lord Benfield sagt, fühle ich mich manchmal noch angesprochen, obwohl ich diesen Titel seit zwanzig Jahren nicht mehr trage.«

»Ein und denselben Namen sein Leben lang zu tragen ist so viel einfacher.«

»Das kann ich nicht abstreiten.« Lady Michael und die Herzogin hatten sich entfernt, um einen neuen Gast zu begrüßen, so fügte der Herzog mit leiserer Stimme hinzu: »Sie sind im Haus der Ashburtons immer willkommen und bleiben hier, solange Sie wollen, aber ich könnte mir vorstellen, dass Sie etwas Eigenes möchten. Vielleicht kann ich Ihnen helfen, ein passendes Haus zu finden.«

Gavin fragte sich im Stillen, ob sein Unbehagen so offensichtlich war. »Sehr freundlich von Ihnen, Sir, und ich bedanke mich für Ihre Gastfreundschaft. Ja, für Alexandra, Katie und mich möchte ich ein eigenes Haus haben. Vielleicht ein Haus in der Nähe, damit Alex und Katie ihre Verwandten oft besuchen können.«

Mit entschlossener Miene gesellte sich Lord Michael zu ihnen. Anscheinend wollte man ihn jetzt gleich sezieren und nicht erst warten, bis der Port gereicht wurde.

»Captain, was ist Alex in diesen furchtbaren Monaten widerfahren?«, fragte Lord Michael ohne Umschweife. »Kein Thema, um sich darüber beim Abendessen zu unterhalten, aber ... ich muss es wissen.«

Alex' Stiefvater hatte lebhafte grüne Augen, in denen man die quälende Sorge um seine Stieftochter sehen konnte. Da Gavin persönlich erfahren hatte, wie sehr er Katie bereits nach wenigen Monaten lieb gewonnen hatte, konnte er nachvollziehen, wie Lord Michael zumute war, nachdem er Alex von Kindheit an kannte.

Er war froh, dass er mit Alex abgesprochen hatte, inwieweit er über ihre Erlebnisse berichten konnte, und sagte knapp: »Die Amsel wurde von Inselpiraten im Morgengrauen nach einem schweren Sturm überfallen. Die Mitglieder der Mannschaft, die dem Gemetzel entkommen konnten, retteten sich und ließen Alex und Katie auf dem Schiff zurück, wo man sie gefangen nahm und als Sklaven verkaufte. Sie wurden sofort getrennt. Zum Glück verschlug es Katie in die Frauengemächer eines Inselradschas. Dort wurde sie wie ein Maskottchen geliebt und verwöhnt.«

»Und Alex?« Lord Michaels Stimme war rau.

»Sie wurde auf eine andere Insel gebracht. Rein zufällig hielt ich mich in Maduri auf, als ich sie auf dem dortigen Sklavenmarkt entdeckte. Als ich erkannte, dass sie Europäerin war, habe ich natürlich sofort angeboten, sie zu kaufen.«

Ashburton war entgangen, dass Gavin nicht erwähnt hatte, dass er sie tatsächlich gekauft hatte. »War dies gleich nach ihrer Gefangennahme? Haben Sie dann sofort gemeinsam nach Katie gesucht?«

Gavin hätte lieber gelogen, antwortete aber wahrheitsgemäß. »Leider nein. Ich habe Alex erst entdeckt, nachdem sie sechs Monate in der Sklaverei verbracht hatte.«

»Wurde sie schlecht behandelt?« Lord Michaels Lippen waren weiß.

»Darüber wird sie Ihnen selbst berichten, wenn sie es möchte.« Gavin versuchte seine Worte zu mildern. »Sie hatte ... eine schwere Zeit, aber sie war körperlich wie seelisch ungebrochen. Nie ist mir eine so unbeugsame Frau begegnet.«

»So wie Catherine.« Lord Michael starrte auf sein Sheriyglas, das er unruhig hin und her drehte. »Frauen sind stärker als Männer, sonst wäre die Menschheit längst ausgestorben. Aber kein Mann möchte, dass die Frau, die er liebt, so schwer geprüft wird.«

Zwischen den Männern herrschte angespanntes Schweigen, bis Lord Ashburton fortfuhr. »Alexandra ist jetzt wieder zu Hause, sicher und wohlbehalten, und heute Abend haben wir einen Grund zum Feiern.«

»So ist es.« Lord Michaels Gesichtszüge entspannten sich. »Captain, wenn man Kinder hat, ist es das Schlimmste, sie gehen zu lassen. Wie beruhigend wäre es doch, wenn wir sie in einen Turm sperren könnten. Vor allem die Töchter. Das werden Sie noch bei Katie merken.«

»Wenigstens brauche ich mir in den nächsten Jahren darüber keine Gedanken zu machen.«

»Seien Sie sich da nicht zu sicher ... meine jüngere Tochter und Stephens Tochter flößen Katie jetzt schon beunruhigende Ideen ein. Ich kann für nichts garantieren.«

Überrascht stellte Gavin fest, dass er bereits in die Familie aufgenommen worden war und dass er seinen Furcht erregenden Schwiegervater sympathisch fand.

Mit fortschreitendem Abend mochte er die anderen Gäste ebenfalls. Das Übermaß an Herzögen und Gräfinnen ging ihm als Amerikaner mit seiner demokratischen Seele gegen den Strich, aber er musste einräumen, dass es interessante und liebenswürdige Menschen waren. Obwohl sie reich und privilegiert waren, vermutete er, dass auch sie schwere Blessuren davongetragen hatten. In Gavins Augen gewannen Menschen an inneren Werten, die sich in Zeiten der Not bewährt hatten.

Alex blühte in der ihr vertrauten Umgebung wie eine Rose auf. Sie lachte und scherzte mit Verwandten und Freunden. Ihm kam wieder in den Sinn, was sie gesagt hatte, als er um ihre Hand anhielt: Er habe sie nicht in ihrer besten Form erlebt. Das war heute der Fall, und Alexandra war berauschend. Eine schöne lebensfrohe Frau, die ihre Klugheit nie zur Schau trug.

Als er mit der Gräfin zu seiner Linken plauderte, die, wie sich herausstellte, Lehrerin gewesen war, dachte er an die Unerbittlichkeit des Schicksals. Er hätte Alex niemals heiraten dürfen. Er hatte es in der besten Absicht getan. Sie war schwanger und verzweifelt. Sie hatte einen Mann gebraucht, der sie vor Verleumdungen schützte. Aber wenn sie die Fehlgeburt früher erlitten hätte, wäre es nicht zu einer Heirat gekommen. Sie wäre als schöne Witwe wieder in diese glanzvolle Welt eingetreten, und sie hätte einen Mann aus ihren Kreisen lieben und heiraten können. Stattdessen war sie an ihn gebunden. Wann würde es ihr Leid tun?

Am Tisch ihm gegenüber lachte und scherzte sie und hatte die Hand auf den Arm eines ihrer ehrenwerten Onkel gelegt. Eine dunkle Haarsträhne hatte sich gelöst und lockte sich am Hals. Gavin schluckte und blickte weg.

 

Vom Champagner beschwipst, verabschiedete Alex den letzten Gast. Es war ein wunderbarer Abend, an dem geredet, gegessen, geredet, Tee getrunken und wieder geredet wurde. Es war ein Glücksfall, dass Alex während der Saison nach England zurückgekehrt war. Da einige Freunde des Colonels Mitglieder des House of Lords waren und sich bis zu Beginn der Parlamentsferien in London aufhielten, konnte sie viele ihrer liebsten Freunde sehen. Sie war wirklich zu Hause. Zu Hause.

Trotz seiner Befürchtungen hatte Gavin den Abend gelassen und mit wachsendem Vergnügen überstanden. Das überraschte sie nicht. Ein Mann, der seinen Kurs am Hofe des Sultans Kasan halten konnte, würde mit jeder Situation fertig werden. Außerdem mochte ihn jeder. Viele Frauen hatten ihr seinetwegen Komplimente gemacht.

Sie war zu Hause, und es wurde Zeit, dass sie in ihrer Ehe einen Schritt weiter kam. Nachdem sich die Familie überschwänglich umarmt und gute Nacht gesagt hatte, nahm sie Gavins Arm. Seite an Seite gingen sie die breite Treppe hinauf. »Hast du dich gut unterhalten?«, fragte sie.

»Ja, deine Familie und deine Freunde sind sehr nett. Allerdings glaube ich allmählich, dass in London jeder einen Adelstitel trägt.« Er hielt sie am Arm fest, als sie auf der obersten Stufe stolperte. »Man hätte dir nicht so viel Champagner einschenken sollen«, sagte er mit einem Lächeln. »Deine Navigationsfähigkeiten scheinen ein wenig gelitten zu haben.«

Sie kicherte, als sie an die Schlafzimmertür gelangten. »Ja, ein wenig. Aber zum Champagnertrinken hat mich keiner gezwungen. Das hab ich absichtlich getan.«

Sie zog ihn hinter sich in ihr Schlafzimmer, schloss die Tür und drehte den Schlüssel mit unsicheren Fingern um. Im matten Schein des Nachtlichts war er schön wie ein junger Gott. Auf diesen Augenblick hatte sie den ganzen Abend gewartet. .Ihre Stimme bebte leicht, als sie sich zu ihm wandte und sagte: »Ich ... ich möchte, dass wir wirklich verheiratet sind, Gavin.«

Sein Lächeln verschwand. »Du fragst mich, ob ich heute Nacht bei dir bleibe?«

Sie nickte. Die Hände ballten und öffneten sich wieder. »Ich möchte meine Angst überwinden. Darum habe ich mehr als gewöhnlich getrunken. Jetzt schwebe ich und bin glücklich. Vielleicht wird mir das erste Mal so leichter fallen.«

»Nach meinen Erfahrungen macht Trinken die meisten Dinge nur schwieriger und nicht einfacher.« Er zögerte und schien sichtlich hin-und hergerissen. »Bist du sicher, dass du mich heute Nacht bei dir haben möchtest, am Ende eines so aufregenden Tages?«

»Ich kann es nicht ausstehen, wenn ich Angst habe, Gavin.« Sie zog die Nadeln aus dem Haar und ließ es über die Schultern fallen. »Als Tochter eines Soldaten will ich der Furcht ins Auge sehen und weitergehen. Wenn ich meine Angst überwunden habe, können wir nach vorne blicken, anstatt an die Vergangenheit gefesselt zu sein.«

Er ging auf sie zu. »Ich hoffe, du weißt, was du tust, meine geliebte Frau, denn ich begehre dich zu sehr, um vernünftig zu sein.« Mit den Händen fuhr er ihr durchs Haar und hielt zärtlich ihren Kopf, als er sich über sie beugte.

Schwindlig vom Champagner schlang sie die Arme um ihn. Das erste Mal, als er sie nach ihrer Hochzeit geküsst hatte, war sie misstrauisch und verängstigt, weil sie nicht wusste, wie viel er von ihr erwartete. Sie kannte ihn jetzt besser. Sie vertraute sich ihm an, spürte die warmen, festen Lippen. Ich kann es, sagte sie zu sich selbst. Es ist etwas so Einfaches, mich hinzugeben und von meinem Mann Heben zu hissen. Das kann ich.

Sie wollte nicht einmal an die Möglichkeit denken, dass sie es nicht konnte.