Kapitel 6
Es war nicht einfach, sich auf einer Fläche zu bewegen, die diagonal nicht mehr als drei Meter maß. Trotzdem machte Alex während ihres Alleinseins das Beste daraus und überlegte, ob sie sein langes Fernbleiben als ein gutes oder schlechtes Zeichen deuten sollte.
Als er endlich zurückkehrte, eilte sie die wenigen Schritte, die in dem begrenzten Raum möglich waren, auf ihn zu und umfasste die Gitterstäbe. Aufgeregt versuchte sie seinen Gesichtsausdruck zu deuten. »Wie ging es aus?« Als er mit der Antwort zögerte, sagte sie mit sinkendem Mut: »Der Sultan erlaubt nicht, dass Sie mich kaufen.«
»Es ist nicht ganz so«, räumte Gavin ein, »er gibt mir die Chance, Ihre Freiheit in einem Spiel zu gewinnen, dem Löwenspiel, dem Singa Mainam, einem Wettstreit nach alter Maduri-Tradition. Ein besonderer zwölfseitiger Würfel wird fünfmal geworfen. Die darauf angezeigte Aufgabe muss vom Spieler erfüllt werden. Allerdings darf ich einmal ablehnen, falls die Anforderungen der Aufgabe meine Fähigkeiten überschreiten. Die Aussichten, Ihre Freiheit zu gewinnen, stehen also sehr gut.«
Sie sah ihn ungläubig an und versuchte das Gehörte zu begreifen. »Das ist ... das ist absonderlich. Aber wenn ich darüber nachdenke, ist mein Leben seit meiner Gefangennahme ebenso absonderlich verlaufen. Was sind das für Aufgaben?«
»Darüber bin ich mir nicht ganz im Klaren, aber Kasan erwähnte einen unbewaffneten Kampf, Schwimmen, Tauchen, Treffsicherheit und Schach.« Gavin lächelte ein wenig. »Eine dieser Aufgaben lautet: den Drachen bekämpfen. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was das bedeutet.«
»Das klingt gefährlich. Zu gefährlich für Sie.«
»Ein Duell, das durch den Tod entschieden wird, ist ausgeschlossen. Daher denke ich, dass dieses Löwenspiel interessant zu werden verspricht und nicht viel gefährlicher sein dürfte, als es das Leben eines Seemanns ohnehin ist.«
Die Monate in der Sklaverei hatten ihre Sinne geschärft. Sie spürte, dass Gavin die Gefahren absichtlich herunterspielte. Beunruhigt sagte sie: »Es ist nicht richtig, dass Sie sich meinetwegen in Gefahr begeben.«
»Ich weiß Ihre Bedenken zu schätzen, aber es ist Kasans Vorschlag, und weder Ihnen noch mir bleibt eine Wahl.«
Gelogen — Gavin konnte sich jederzeit verabschieden und in See stechen. Stattdessen hatte er sich auf ein grausames Spiel eingelassen, um sie aus der Sklaverei zu retten. »Wann beginnt der Wettkampf?«, fragte sie.
»Morgen früh. Der Sultan möchte dieses Ereignis zu einem Palastfest machen. Ein buddhistischer Richter, Scharen von Höflingen, Musik, Speisen und Getränke.« Gavin lächelte. »Löwen und Christen zur Belustigung des Volkes.«
Sie schauderte. »Ich hoffe nicht.«
»Eigentlich kommt dies eher den Taten eines Herkules näher als den Spielen in einer römischen Arena. Und Herkules hat tapfer überlebt.« Unbehaglich zupfte Gavin an seinem Kragen. »Stört es Sie, wenn ich die Jacke ablege? Es ist warm heute.«
»Eine Untertreibung. Bitte, machen Sie es sich bequem.« Sie zeigte auf ihren Sarong. »Die Kleider der Einheimischen sind für dieses Klima viel geeigneter.«
»Es ist lästig, sich ständig wie ein westlicher Talpan kleiden zu müssen.« Er zog das dunkle Jackett aus und lockerte erleichtert den Kragen. »Dann habe ich eine noch bessere Nachricht. Auf meine Frage, ob er Katie ausfindig machen könne, sicherte mir der Sultan zu, sofort nach ihr suchen zu lassen.«
»Gott sei Dank! Er hat viel bessere Möglichkeiten als ich.« Schwindlig vor Erleichterung setzte sich Alex auf ein Kissen.
Gavin ging durch das Zimmer und stellte sich zur Abkühlung in die leichte Brise, die durch die Fenster wehte. »Brauchen Sie etwas?«
»Nein, Suryo und die Palastsklaven überschlagen sich vor Hilfsbereitschaft.«
Als sich die Brise verstärkte, sah sie, wie das schweißfeuchte Hemd an Schultern und Oberkörper klebte und seine kraftvolle Gestalt betonte. Für ihre Freiheit konnte sie sich keinen besseren Kampfgefährten aussuchen.
Auch keinen besser aussehenden. Eine Frau musste tot sein, wenn sie Gavin Elliotts Vorzüge nicht bemerkte — aber dieser Teil in ihr war tot. Aber weit mehr als sein Äußeres zählten seine Hilfsbereitschaft und sein Mut.
Er wandte sich vom Fenster ab. »Ich werde heute Nachmittag an Bord der Helena gehen und dem Ersten Maat über meine geänderten Pläne Bescheid geben.«
Sie unterdrückte ihre plötzlich aufsteigende Angst. Würde er wieder an Land zurückkehren? »Könnten Sie mir vielleicht ein Buch mitbringen?«, fragte sie beiläufig. »Das Leben in einem Käfig ist doch ein wenig langweilig.«
Er wusste um das, was sie nicht ausgesprochen hatte und sagte ruhig: »Sie vertrauen den Menschen nicht so leicht.«
Mit einer Hand umklammerte sie den goldenen Gitterstab fester, als sie sich an die Zeit erinnerte, in der Vertrauen für sie etwas Natürliches gewesen war. »Früher ja. Diese ... diese Gewohnheit habe ich abgelegt.«
Er umfasste ihre Hand. »Das wird sich bald ändern.«
Ein warmer Strom floss von ihm zu ihr, und sie spürte, dass er mehr emotional als physisch war. Ein wenig verwirrt sagte sie: »Allmählich glaube ich daran. Sie üben einen guten Einfluss auf mich aus. Aber ...«
Als ihre Stimme abbrach, fragte er: »Aber was?«
»Auch wenn sich alles zum Besten wenden sollte — wenn ich meine Freiheit wiedererlange, Katie wohlbehalten wieder finde und mit ihr glücklich nach England zurückkehren kann, so weiß ich nicht, ob ich jemals wieder mein gewohntes Leben aufnehmen kann. Das Leben, das ich mir gewünscht hatte.« Trotz der Hitze fröstelte sie. »Wenn man erfährt, was mir widerfahren ist, wird die Gesellschaft vor Mitgefühl triefen, sich dann aber schnell von mir abwenden aus Furcht, befleckt zu werden. Und diese Schande wird Katie ein Leben lang verfolgen.«
»Und Ihre perfekte Mutter — würde sie ihre Tochter und ihr Enkelkind verstoßen?«
Alex sah Catherine vor sich, deren offene Arme einen stets willkommen hießen. »Natürlich nicht.«
»Würde Ihr Stiefvater Sie verdammen?«
Jetzt musste sie lächeln. »Den Colonel müsste man davon abhalten, hierher zu segeln, um den Piraten persönlich den Garaus zu machen.«
»Die Gesellschaft beginnt in ihrer Familie. Wenn Sie von ihr angenommen werden, dann sind die anderen unwichtig.« Seine Hand legte sich fester um die ihre. »Seien Sie dankbar, dass Sie eine Familie haben, die Sie liebt und zu Ihnen hält. Viele Menschen haben das nicht.«
Er hatte wenig von seinen eigenen Verwandten erzählt, dachte sie. »Haben Sie eine Familie, Gavin?«
»Nein, soweit ich weiß, nicht. Meine Eltern sind tot, und ich habe weder Brüder noch Schwestern.«
»Ich habe eine Unmenge von Verwandten, Sie können sich also einige von mir ausborgen«, schlug sie impulsiv vor. »Und Sie brauchen nur die netten zu nehmen, Ehrenwort!«
»Sehr freundlich von Ihnen. Vielleicht werde ich von Ihrem Angebot Gebrauch machen, wenn wir in London sind.« Er zog ihre Hand durch die Stäbe und deutete einen Handkuss an. »Für Sie wird sich alles zum Besten wenden, Alexandra. Das spüre ich in meinen alten schottischen Knochen.«
Seine Zuversicht verlieh ihr neuen Mut, auch nachdem er das Zimmer verlassen hatte, um zum Hafen hinunterzugehen. Der Nachmittag zog sich endlos dahin, bis eine ausgelassene Kinderschar neugierig durch die Tür schaute und sie kichernd aus dunklen Augen anstarrte. Sie versuchte die Kinder hereinzuwinken, ohne sich daran zu stören, dass sie für die Palastkinder zum Gegenstand der Belustigung geworden war. Aber die Kleinen waren zu schüchtern, um das Zimmer zu betreten.
Die glänzenden Augen und fröhlichen Gesichter erinnerten sie an Gavins Worte über Katies möglicherweise gute Behandlung in der Gefangenschaft. Auch wenn sie niemals befreit werden würde, könnte sie ein glückliches Leben führen. Aber Alex wollte ihre Tochter selbst heranwachsen sehen und erziehen. Kein Fremder, meinte er es auch noch so gut mit Katie, könnte sie so lieben wie ihre eigene Mutter.
Diese trübseligen Gedanken verschwanden, als Gavin zurückkehrte. Er hatte zwei Bücher mitgebracht: eine Sammlung von Byrons Gedichten und Sir Walter Scotts Ivanhoe. »Wenn sie Ihnen nicht gefallen, kann ich andere kommen lassen.«
»Gott segne Sie, Gavin!« Freudig strich sie über die Ledereinbände. »Ich hatte ein Buch mit Seekarten erwartet, und sogar darüber hätte ich mich gefreut.«
»In meiner Kabine stapeln sich die Bücher. Ich bin froh, dass Ihnen diese beiden gefallen.«
Als er sich zurückzog, um sich für das nächste Dinner im Palast umzukleiden, öffnete sie das Buch Ivanhoe. Auf der ersten Seite stand in einer kühnen, männlichen Handschrift: Für Helena zu ihrem 22.ten Geburtstag. In Liebe — Gavin.
Die Kehle schnürte sich ihr beim Lesen zusammen. Wie großzügig von ihm, ihr ein Buch seiner Frau zu leihen, das er jahrelang aufbewahrt hatte.
Als sie den Byron öffnete, las sie Helena Elliott in zierlicher, klarer Handschrift. Wie mochte Helena wohl gewesen sein? Sicherlich schön und liebenswert, voller Bewunderung für ihren gut aussehenden jungen Ehemann, der sie anbetete. Wie tragisch, dass sie so jung sterben musste.
Mit einem stillen Dank an Helena für die Benutzung dieser Bücher vertiefte sich Alexandra sofort in die Lektüre von Ivanhoe und bemerkte Gavins Fortgehen nicht. Als das Licht zu dunkel zum Lesen wurde, aß sie den Reis, Curry und Früchte, die Suryo gebracht hatte. Dann wickelte sie die Ikat—Decke um sich und legte sich hinter dem Wandschirm zum Schlafen nieder. Die Bücher legte sie neben ihr Kissen, wie ein Symbol für das Leben in Freiheit, das wieder zum Greifen nahe war.
Zum ersten Mal seit Monaten war sie glücklich.
Der Schein einer Laterne weckte sie. Sie setzte sich auf, blinzelte mit den Augen und sah vier bewaffnete Palastwachen vor ihrem Käfig stehen. Einer von ihnen öffnete die dreifach verriegelten Schlösser mit einem Satz von Schlüsseln. Erschrocken versuchte sie ihr spärliches Malaiisch zusammenzuklauben, um zu fragen, was dies zu bedeuten habe, unterließ es aber, als der Anführer der Wachen sie mit einer Handbewegung zum Schweigen brachte.
Im Glauben, sie wollten Gavin nicht aufwecken, hielt sie den Mund. Wenn sie vorhatten, sie fortzubringen, konnte Gavin die bewaffneten Männer nicht daran hindern, und wenn, würde er sich auf einen aussichtslosen Kampf einlassen.
Die Tür zum Käfig öffnete sich. Einer der Männer winkte sie heraus. Mit steinernem Gesichtsausdruck gehorchte sie. Draußen ging die Sonne auf, im Palast aber war es dunkel, als sie durch das Labyrinth der Gänge geführt wurde. Warum brachte man sie fort? Gewiss nicht, um sie hinzurichten, da Kasan Gavin bei Laune halten wollte. Höchstwahrscheinlich würde man sie in eine Gefängniszelle sperren, bis das Löwenspiel beendet war.
Einige Ebenen tiefer in einem weit entfernten Flügel blieb der Anführer der kleinen Truppe stehen und klopfte an eine schwere Holztür. Ein Sklave öffnete. Eine zarte, kostbar gekleidete Frau mit grauem Haar und würdevollem Aussehen erschien. Eilig wurden einige Worte gewechselt. Dann verneigte sich der Anführer und zog mit seinen Männern ab. Vor dem Gehen warf er Alexandra einen Blick zu und tätschelte seinen Kris bedeutungsvoll mit der Hand. Sie verstand: er und seine Männer würden vor der Tür stehen bleiben, und sie würde es sehr, sehr bedauern, wenn sie der alten Dame Schwierigkeiten machte.
Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, strömte eine Schar von Frauen aller Altersstufen von einer gegenüberliegenden Tür in das Zimmer. Mit neugierigem Geplapper umringten sie den Ankömmling. Sie strichen ihr über das Haar, streichelten bewundernd ihre helle Haut, sagten etwas über Hautabschürfungen an den Gelenken und rieben sie mit Salbe ein. Unter den feingliedrigen, prunkvoll gekleideten Frauen kam sich Alex wie ein großer plumper Ochse vor. Aber welch Erleichterung, sich in Frauengemächern zu befinden und nicht in einem Kerker!
Die ältere Frau sagte: »Mandl.«
Alex verstand. Sie wollten, dass sie ein Bad nahm. Waren dies Vorbereitungen zu ihrer Freilassung? Die Frauen waren freundlich, und sie wurde wie ein Gast, nicht wie eine Sklavin behandelt. Endlich wieder baden, sauber sein ... »Ya mandi«, sagte sie begeistert.
Einige der jüngeren Frauen halfen ihr beim Baden, reichten Seife, füllten warmes Wasser nach und kicherten ständig. Während ihr Haar trocknete, spielte Alex ausgelassen Kuckuck mit einem Kleinkind, und keiner hatte etwas dagegen einzuwenden. Auch wenn Alex nur einige Brocken Malaiisch sprach und die Frauen kein Wort Englisch, war die weibliche Sprache universal.
Nachdem sie gefrühstückt hatte, wurde sie neu eingekleidet und in ein Gewand aus glänzender Seide gehüllt, das genau ihre Maße hatte. Passend zu einem zusätzlichen Sarong mit Batikmuster legte man ihr einen selendang, eine Art Schal um. Mit Begeisterung und Hingabe kämmten die Frauen ihr Haar, zupften hier und da an den seidenen Stoffen herum, so als ob sie eine große, fremdländische Puppe wäre.
Alexandras Belustigung schwand, als die oberste der Damen ihr mit einer Schale entgegenkam, in der sich goldglänzender Schmuck zu häufen schien. Mit einem Ausdruck des Bedauerns zog sie eine goldene Kette hervor.
Fesseln.
»Ma'af.« Mit einem Wort der Entschuldigung ließ die ältere Dame die Fesseln um Alexandras Handgelenke einschnappen. Fußketten wurden an ein junges Mädchen gereicht, die sich niederkniete, um sie zu befestigen. Sie waren wunderschön. Die einzelnen Glieder waren wie zu einem Schmuckstück geformt und miteinander verbunden, aber es änderte nichts daran, es waren trotzdem Ketten. Unter der Goldschicht verbarg sich gnadenlos eine Metalllegierung. Alexandras Mut sank, als ihr bewusst wurde, warum sie in die Quartiere der Frauen gebracht worden war: der Preis bei Kasans teuflischem Spiel sollte begehrenswert erscheinen.
Immer noch war sie eine Sklavin.
Gavin erwachte vor Anspannung vibrierend. Heute Morgen begann das Löwenspiel. Fünf Tage würde es dauern. Jeden Tag würde ein Würfel fallen.
Als er sich wusch und rasierte, gestand er sich insgeheim ein, dass sich ein kleiner verrückter Teil in ihm auf die Herausforderung freute — ein Kaufmann war nicht erfolgreich, wenn er nicht den Wettkampf suchte. Aber die Risiken in diesem Spiel waren verdammt hoch. Natürlich hatte er Alexandra verschwiegen, welche Konsequenzen ihn erwarteten, wenn er verlor — schließlich hatte sie bereits große Schuldgefühle, weil er sich ihretwegen in Gefahr begab. Mit einer Portion Glück würde er das Spiel gewinnen. Er würde mit ihr Maduri verlassen, und sie brauchte dann niemals zu erfahren, dass er zehn Jahre seines Lebens für sie eingesetzt hatte.
Nachdem er die entsprechende Kleidung gewählt hatte, um sich frei bewegen zu können, ging er in den Hauptraum. »Alex?«
Keine Antwort. Er wiederholte ihren Namen. Wieder keine Antwort. Er schaute hinter den Wandschirm. Sie war fort. Erschrocken beschleunigte sich sein Puls. Dann öffnete sich die in den Flur führende Tür. Kampfbereit wirbelte er herum, aber es war nur Suryo. »Weißt du, wo Mrs. Warren ist?«
»Ich bin im Wachraum gewesen, und dort sagte man mir, sie sei in den Frauengemächern«, antwortete sein Diener. »Dort wird ihr nichts geschehen.«
»Warum, zum Teufel, hat Kasan sie fortgebracht?«
»Für gewöhnliche Menschen ziemt es sich nicht, die Beschlüsse der Könige zu ergründen«, sagte Suryo ironisch. »Aber ich habe Näheres über das Singa Mainam erfahren. Die meisten Aufgaben entsprechen Ihren Fähigkeiten: Schwimmen, Tauchen, Schachspielen, Klettern und der Kampf mit dem Kris oder mit bloßen Händen. Sie dürften gut abschneiden.« Er zog die Stirn in Falten. »Angaben zu dem Kampf mit dem Drachen, dem Tanz auf dem Feuer und die Anbetung der Göttin sind weniger klar.«
»Mir scheint, als ob die Bezeichnungen profane Dinge beschönigen sollen«, bemerkte Gavin. »Ich hoffe nur, ich muss nicht gegen Kasan antreten. Auch wenn er sagt, es gebe kein Duell auf Leben und Tod, fürchte ich, dass er im bewaff neten wie unbewaffneten Kampf ein äußerst gefährlicher Gegner sein dürfte.«
Suryo lächelte. »Ich persönlich habe Ihnen die Kunst despentjak und den Gebrauch des Kris gelehrt. Sie werden nicht verlieren.«
»Ich wünschte, ich könnte deine Zuversicht teilen.« Gavin blickte auf seine Taschenuhr. »Zeit zu gehen. Ich hoffe, du weißt, wo der Löwengarten ist.«
»So ist es. Folgen Sie mir, Captain.«
Der Weg führte sie durch den Palast und eine in den Fels gehauene Wendeltreppe hinunter. Am Fuß der Treppe standen zwei Wachen vor einer mächtigen Tür. Gavin blinzelte, als er in das grelle Sonnenlicht hinaustrat. Ein Stimmengebrüll schlug ihm entgegen.
Als sich die Augen an das Licht gewöhnt hatten, fand er sich am Boden eines kleinen, natürlichen Amphitheaters wieder. Die Tür, die sich hinter ihm geschlossen hatte, war in den sich hinter ihm auftürmenden Fels gehauen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Amphitheaters befanden sich in den Fels gehauene Sitzreihen, dahinter ein Tor, das in die Stadt führte. Die erregten Gesichter hunderter von Zuschauern ließen ihn an die Spiele im alten Rom denken. Ja, er kam sich wie ein Gladiator in einer römischen Arena vor.
Ein Palastbeamter trat auf ihn zu, verbeugte sich und führte ihn und Suryo quer durch die sonnenheiße Arena zu einem Pavillon auf der Nordseite. Unter dem hohen, strohgedeckten Dach befand sich ein Pfauenthron aus Rattan und drei weitere, ähnliche, aber kleinere Stühle. Sie gruppierten sich in einem Halbkreis um ein Podest aus glänzendem Obsidian. Oben auf dem Podest lag ein zwölfseitiger Würfel aus altem Elfenbein, groß wie eine Kinderfaust.
Als Gavin zu dem linken Sitz geführt wurde, stellte sich Suryo hinter ihm auf, bereit, seinem Herrn wenn nötig als Ubersetzer zu dienen. Tuan Daksa, ein heiterer, älterer Mann in den Gewändern eines buddhistischen Mönchs, saß ihm gegenüber.
Gavin verbeugte sich höflich vor dem Mönch, dann vor dem Publikum und wünschte sich, sein Auftritt wäre nicht so verdammt öffentlich.
Ein dumpfer Trommelwirbel schwoll langsam zu einem donnernden Echo an, das von den Steinwänden widerhallte. Es wurde plötzlich totenstill, als die Männer aufstanden und auf den Tunneleingang starrten.
Als Erster tauchte Sheng Yu auf, Ministerpräsident von Maduri. Anschließend zwei Wachen in prächtiger Galauniform, gefolgt von Sultan Kasan, der königlich gekleidet und geschmückt war und auf dem Turban einen unbezahlbaren Rubin trug. Er verkörperte die westliche Vorstellung von einem östlichen Potentaten — stark, reich und mächtig, ein Mann, der über den Gesetzen des niedrigen Volkes stand.
Gavin versteifte sich, als er Alexandra im Gefolge des Sultans entdeckte. Wie eine Maduri gekleidet, sah sie schön und wild aus, und die goldenen Ketten glänzten, als sie das Rund der Arena mit schwingendem Gang durchquerte.
Kasan gelangte zum Pavillon und nahm auf dem Thron Platz. Alexandra wurde zu dem Stuhl zwischen ihm und Gavin geführt. Sie war die einzige Frau in der Arena und zeigte mit ihrer Anwesenheit, um was es in diesem Wettkampf ging. Leise fragte Gavin: »Geht es Ihnen gut?«
Ihre Augen verengten sich. »Abgesehen davon, dass ich Ketten trage und wie ein Silberpokal präsentiert werde, den es bei einem Rennen zu gewinnen gilt, geht es mir gut.« Auch wenn sie abgemagert war, sah sie in den kostbaren Gewändern und dem kunstvoll frisierten Haar sehr reizvoll aus, ein exotischer Preis, den jeder Mann zu gewinnen wünschte. Eine Göttin in goldenen Ketten. Kein Wunder, dass ihre Augen wütend blitzten.
Mit erhobenen Händen gebot Kasan Schweigen und sagte einige Worte mit kräftiger, wohlklingender Stimme, die bis zu den hintersten Sitzreihen trug. »Wir sind hier zusammengekommen, zu einem Singa Maina/n, bei dem Tuan Gavin Elliott, Kapitän der Kapitäne und Taipan von Elliott House versuchen wird, die Freisetzung der schönen Iskandra zu gewinnen, einer hochgeborenen Lady aus England. Er ist bereit, sein Leben für die Ehre und diese Lady aufs Spiel zu setzen.«
Nachdem sich der tosende Beifall gelegt hatte, rief der Sultan: »Das Spiel beginnt!«