Kapitel 5

 

Gavin wachte zeitig auf. Schlaftrunken erinnerte er sich an den gestrigen Abend. Hatte er diese Begegnung nur geträumt? Nein, sie war Wirklichkeit gewesen — eine Frau wie Alexandra Warren hätte er sich nicht in einem Traum vorstellen können.

Er stand auf und zog statt der prächtigen Phantasieuniform alltägliche Kleidung an. Heute würde er dem Sultan seine Entscheidung mitteilen.

Leise betrat er den Salon. Der goldfarbene Käfig leuchtete im Licht der Dämmerung. Die verschlungenen Muster am oberen und unteren Rand waren für einen Sklavenkäfig unglaublich schön. Da er Alexandra nicht sehen konnte, umkreiste er das Gefängnis rund, um sich zu vergewissern, ob sie da war. Es war unwahrscheinlich, dass der Sultan sie über Nacht hatte fortbringen lassen.

Zusammengerollt lag sie hinter dem Schirm. Die fein geschnittenen Gesichtszüge hatten sich beim Schlafen entspannt.

Ihre Kraft erstaunte ihn. Sechs Monate lang hatte man sie wie einen Vogel gefangen gehalten. In ohnmächtiger Verzweiflung suchte sie ständig nach einem Fluchtweg, um ihre Tochter zu suchen. Da er selbst den Schmerz über den Verlust seiner eigenen Tochter zu tragen hatte, ahnte er, wie viel schlimmer es sein musste, eine Achtjährige verloren zu haben. Er betete zu Gott, dass Alexandra eines Tages ihre Katie wieder in die Arme schließen konnte. Aber die Aussichten standen nicht gut.

Seufzend drehte sie sich auf den Rücken. Die Decke rutschte herunter, und er sah, dass sie nur sein Hemd trug, das nur bis zur Mitte der Schenkel reichte. Der Anblick der nackten, wohlgeformten Beine löste bei ihm einen starken erotischen Reiz aus.

Sein Herz schlug einige Male, bis er sich abwandte und in sein Schlafzimmer ging. Er schämte sich, dass er diese Frau, eine hilflose Sklavin, begehrte. Schöne Sklavinnen wurden nicht als Küchenmagd gekauft, und Alexandra Warren hatte sicherlich Missbrauch und Gewalt von ihren ehemaligen Besitzern erleiden müssen, bevor sie als widerspenstig und ungelehrig abgestempelt wurde. Eine schwächere Frau wäre hysterisch oder trübsinnig geworden. Alex war hart wie Stahl geworden. Auch wenn er die Erniedrigungen, die sie erdulden musste, nicht ungeschehen machen konnte, würde er ihrem unausgesprochenen Wunsch nachkommen und nicht über das Geschehene sprechen. Er würde sie mit Achtung behandeln, so wie sie es verdiente.

Er machte sich absichtlich laut mit seinen Sachen zu schaffen, bevor er in den Salon zurückkehrte. »Alex?«

»Einen Augenblick!«, rief sie.

Schattenhaft sah er Bewegungen hinter der Abschirmung und hörte das Geräusch zerreißenden Stoffes. Dann tauchte sie mit dem bunten Sarong auf, der ihre Knöchel anmutig umspielte. Sein weites Hemd hatte sie in eine Tunika verwandelt. Aus der zerfetzten Bluse war ein Gürtel geworden, der ihre schmale Taille unterstrich. Mit einem abgerissenen Ärmel hatte sie das ungekämmte Haar zusammengebunden. Sie sah bezaubernd aus. Nur die wund geriebenen Stellen an ihren Handgelenken musste man sich wegdenken.

Es fiel ihm schwer, seinen Blick von ihrem V-förmigen Ausschnitt fern zu halten, als er ihr seinen Kamm reichte. »Tut mir Leid, daran habe ich gestern Abend nicht gedacht.«

»Ein Kamm.« Sie nahm ihn ehrfurchtsvoll entgegen. »Sie sind ein Heiliger.«

»Wohl kaum.« In der kurzen Zeit als Ehemann hatte er nur wenige Dinge gelernt. »Mein Steward Suryo dürfte gleich hier sein. Er wird Ihnen das Frühstück bringen und Ihnen alles beschaffen, was Sie sonst noch brauchen. Er ist ein Meister im Organisieren. Inzwischen wird er sich mit dem Chefkoch angefreundet haben, dem obersten Kammerdiener und dem Hauptmann der Wache.« Und gleichzeitig würde er ihnen die neuesten Palastgeheimnisse entlockt haben.

Sie band das Haar auf und machte sich daran, die zerzausten Enden durchzukämmen. Die schweren Wellen waren braun, nicht schwarz, mit rötlich und golden aufleuchtenden Reflexen, die sie als eine Europäerin kennzeichneten. »Wie geht es jetzt weiter, Gavin?«

»Ich werde zu Sultan Kasan gehen und wunschgemäß an seinem Morgenmahl teilnehmen. Dann werde ich ihn wieder fragen, ob er mir die Erlaubnis gibt, Sie freizukaufen.«

Auf leisen Sohlen, wie eine Katze, betrat Suryo den Salon. In einer Hand hielt er einen Korb. Weder der riesige Käfig noch sein Inhalt überraschten ihn. Nachdem Gavin die beiden miteinander bekannt gemacht hatte, verbeugte sich Suiyo. »Ich hatte gehört, dass Ihr hier seid, puan.« Puan bedeutete Lady, und tuan bedeutete Lord. Er öffnete den Korb. Brot, Reis, Obst und ein Krug heißen Tees kamen zum Vorschein.

»Möchtet Ihr frühstücken?«

»Tüchtig wie immer!« Gavin goss einen leichten, gesüßten Tee in eine kleine Tasse und reichte ihn Alexandra durch die Gitterstäbe.

Mit einem genussvollen Seufzer nippte sie an der Tasse. »Vermutlich weiß jeder im Palast, dass eine ausländische Frau hier wie ein wildes Tier in einem Käfig gefangen gehalten wird.«

»In den Küchen des Königs weiß man alles, was im Palast geschieht«, stimmte ihr der Malaie zu.

Obwohl das Zimmer heimlichen Lauschern kein Versteck bot und es außerdem auf Maduri nur wenige Leute gab, die fließend Englisch sprachen, senkte Gavin die Stimme, als er fragte: »Was denkt man im Palast über Kasan?«

»Er ist ein guter Herrscher, wenn auch vielleicht kein guter Mensch«, sagte Suryo langsam. »Er kann grausam sein. Er spielt mit den Menschen wie ein Tiger mit seiner Beute. Für ihn ist er und Maduri eins, und er nimmt keine Rücksicht, wenn es um das Wohl des Landes geht. Er ist ein großer Sportler und Spieler, der gerne gewinnt, aber er respektiert auch diejenigen, die den Mut und das Können besitzen, ihn zu besiegen. Ein gefährlicher Mann, Captain, vielleicht ein Tyrann, aber kein bösartiger Verrückter.«

Das bestätigte Gavins eigenen Eindruck und gab ihm einige Richtpunkte im Umgang mit ihm. »Wenn ich mich weigere, für ihn zu arbeiten, wird er mich dann auf der Stelle totschlagen?«

»Ich denke nein«, sagte Suiyo ernst.

Gavin empfand dies nicht gerade beruhigend, aber bevor er noch weitere Fragen stellen konnte, erschien ein Sklave des Sultans in der Tür und verbeugte sich tief. »Captain Elliott«, sagte er im Basarmalaiisch. »Seine Hoheit erwarten Sie.«

Gavin blickte zu Alexandra. Als ob sie sich mit einer festen Stimme selbst überzeugen wollte, sagte sie: »Es besteht für ihn kein Grund, mich als Sklavin zu behalten.« Gavin hoffte, dass sie Recht behielt, aber sein untrügerischer Seemannsinstinkt sagte ihm, dass die Dinge nicht so einfach ablaufen würden.

 

Ein ausgedehntes Mahl in einem Palast im Paradies hätte höchst angenehm verlaufen können. Eine duftende tropische Brise zog durch die luftigen Räume, die mit goldenen Statuen und seidenen Teppichen, die im Westen ein Vermögen kosteten, dekoriert waren. Trotzdem war Gavins Magen mit Tauen verknotet. Obwohl weder er noch Suryo der Meinung waren, Kasan würde einen Menschen töten, der ihm widersprach, so hieß das nicht, dass es nicht doch geschehen konnte, wenn dem Sultan nach Blut zumute war.

Als die Obstschalen des letzten Ganges abgetragen wurden, beobachtete Gavin, wie ein Singvogel mit schillerndem Gefieder hereinflog, ein Körnchen stahl und dann auf dem Haupt einer goldenen Statue landete. Eine Glücksgöttin vielleicht, da sie in ihrer ausgestreckten Hand ein Paar der zwölfseitigen Maduri-Würfel hielt.

Er hoffte, die Göttin würde ihm gewogen sein, da er heute alles Glück dieser Erde brauchte. Die ausgedehnte Mahlzeit im engsten Kreis hatte ihm bestätigt, dass Kasan nicht nur einen zuverlässigen, ehrlichen Handelspartner brauchte, sondern auch ein Fenster zum Westen — einen Botschafter, der Maduris Geschäftsinteressen in Europa und Amerika vertrat. Er hatte auch erwähnt, wie viel Elliott House an dieser Partnerschaft verdienen würde. Wenn Gavin das Angebot annahm, würde er innerhalb einer Dekade reicher sein, als es sich ein habsüchtiger Mensch je erträumte.

Kasan erhob sich und bedeutete Gavin, ihn hinaus durch die zierlichen Bögen auf die Terrasse zu begleiten, die einen überwältigenden Blick über den westlichen Teil der Insel bot. Gavin sagte: »Dies ist ein Anblick für einen Sultan, oder vielleicht auch für den sagenumwobenen Vogel der Inseln, den garuda.«

»Werden Sie mein Partner, und Ihr Haus wird auch auf diesem Berg stehen.«

Diese Bemerkung signalisierte ihm, dass der Zeitpunkt für Geschäfte gekommen war. Im Geist drückte sich Gavin beide Daumen. »Ich fühle mich zutiefst geehrt, Eure Hoheit. Aber ich kann Euer Angebot nicht annehmen.«

Die Luft kühlte sich merklich ab. »Wieso nicht?«, fragte der Sultan. »Halten Sie den Gewinn für unzureichend?«

»Eure Großzügigkeit übersteigt jegliche Vorstellung«, antwortete Gavin wahrheitsgemäß. »Aber meine Wunschvorstellungen und Absichten liegen woanders.«

»Welcher Wunsch könnte größer sein, als ein Prinz von Maduri zu sein?«

»Mich in London niederzulassen ist mehr als ein Wunsch. Es ist so, als ob ich ... sagen wir, eine Rechnung begleichen möchte, die mich ein Leben lang bedrückt hat.«

Eine Rechnung zu begleichen war etwas, das Kasan verstand. »Klären Sie die Angelegenheit, und dann kehren Sie zurück.«

Gavin wechselte die Richtung und fragte: »Warum wollt Ihr unbedingt Elliott House zu Eurem Vertreter machen? Jahrelang habt Ihr westliche Handelsgesellschaften begutachtet. Es gibt doch gewiss andere, die Euren Erfordernissen entsprechen.«

»Keine ist so gut wie die Ihre.« Die dunklen Augen des Sultans blitzten belustigt auf. »Ihre Ehrlichkeit und Ihr Starrsinn sind im ganzen Osten bekannt. Ich habe andere Kapitäne in Betracht gezogen, zum Beispiel den Engländer Barton Pierce, den Holländer Nicolas Vandervelt oder den Franzosen Foucault. Gute Männer allesamt, aber Sie sind der beste. Ihre Treue gewinnt man nicht so schnell, aber wenn Sie einmal Ihr Wort gegeben haben, weiß ich, dass ich Ihnen absolut vertrauen kann.«

Gavins Gesicht wurde ausdruckslos, als er den Namen Pierce hörte. Das schwache Glied in einer sonst so starken Kette von Kaufleuten. »Es gibt andere ehrliche Männer.«

»Im Augenblick sind Sie nicht ganz so ehrlich«, bemerkte Kasan hinterlistig. »Was sind die wahren Gründe für Ihre Absage? Vielleicht lassen sich Ihre Einwände entkräften.«

Gavin zögerte. Er wusste, dass er Gefahr lief, seinen Gastgeber zu erzürnen, aber wenn man seine Ehrlichkeit anzweifelte, musste er sich der Frage stellen. »Ich akzeptiere die Sitten und Gebräuche des Ostens, so wie sie sind, aber ich kann mich nicht mit einem Königreich verbinden, in dem Sklaverei und Piraterie zum Alltag gehören.«

Der Sultan zog die Stirn in Falten. Der erwartete Zornausbruch trat nicht ein. »Eine sehr westliche Denkungsweise. Die Briten und Holländer sind die größten Diebe und Räuber der Welt, und Ihr Amerika hat seinen Reichtum auf dem Rücken der Sklaven erworben.«

»Auch das billige ich nicht, darum habe ich immer für mich gearbeitet und nicht für eine Regierung. Wenn ich Maduris Interessen in der Welt vertrete, verstoße ich gegen meine Grundsätze. Damit würde ich erklären, dass ich mit der Sklaverei und Piraterie einverstanden bin, wenn ich davon profitiere.«

»Ich bewundere Ihre Prinzipien, es sei denn, sie lassen sich nicht mit meinen Zielen vereinbaren.«

Kasan lächelte gewinnend. »Wo bleiben bei Ihren Prinzipien die Frauen?«

Der Knoten in Gavins Magen verdoppelte sich. Im Grunde hatte er bereits darauf gewartet, dass dieser Punkt zur Sprache kam, schließlich war Alex nicht rein zufällig in seinem Zimmer aufgetaucht. »Ich bitte um Eure Erlaubnis, die Engländerin Alexandra Warren freizukaufen«, erklärte er und betete innerlich, der Sultan würde Einsehen zeigen. »Ich möchte sie wieder zu ihrer Familie zurückbringen.«

»Sie ist nicht zu verkaufen, weder jetzt noch später.«

Diese Antwort hatte Gavin am meisten gefürchtet. »Ich werde einen guten Preis zahlen.«

»An Ihrem Gold bin ich nicht interessiert, sondern an Ihrer Zeit, und die verweigern Sie mir.«

Obwohl Gavin sich noch weitere Argumente zurechtgelegt hatte, sagte ihm sein Instinkt als Kaufmann, dass Kasan sich festgebissen hatte und sie nicht gelten lassen würde. Aber er konnte doch Alexandra Warren nicht als Sklavin zurücklassen! Er konnte in ihr nicht den Funken der Hoffnung wecken, um ihn dann wieder auszulöschen. Es würde ihr die Gefangenschaft noch unerträglicher machen. »Wenn Ihr nicht verkauft, wärt Ihr mit einem Tauschhandel einverstanden?«

Überrascht, dann gereizt, fragte der Sultan: »Gegen was würdet Ihr tauschen?«

Nur ein verschwenderisches Angebot hätte jetzt eine Chance auf Erfolg, dachte Gavin. »Ich werde mein Schiff Helena gegen Mrs. Warren eintauschen.«

Der andere Mann pfiff leise. »So sehr begehren Sie die Frau? Mir ist nie eine Frau begegnet, die ein Zehntel davon wert wäre.«

»Für mich ist dies keine Frage des Begehrens, sondern der Ehre.« Obwohl es schmerzen würde, die Helena zu opfern, würde er über den Verlust hinwegkommen und ein zweites, sogar besseres Schiff bauen.

»Arbeiten Sie für mich, und Sie können mit der Frau machen, was Ihnen beliebt. Für mich aber kommt nur ein Preis in Frage: Ihre Dienste.«

Gavins Kiefernmuskeln spannten sich, als er merkte, dass er in der Falle saß. Er wollte den Osten so schnell wie möglich verlassen. Ein Hierbleiben würde seinen Plan, der ihn mehr als sein halbes Leben lang angetrieben hatte, vereiteln. Inwieweit war er Alexandra Warren verpflichtet? Er hatte sein Möglichstes getan, um sie freizukaufen, und sein Schiff Helena, das der Stolz seiner Flotte war, zum Tausch angeboten. War das nicht genug?

Er hatte ihr sein Wort gegeben, und nach der vergangenen Nacht war sie für ihn keine Fremde mehr.

Verzweifelt suchte er nach einer Lösung, die ihr half, ohne ihn in Zugzwang zu bringen. Niemals hätte er dem Sultan zeigen dürfen, dass ihm Alexandra Warrens Schicksal am Herzen lag. Leider hatte sich dies aber nicht vermeiden lassen, als er am Sklavenmarkt gesehen hatte, wie sie sich gegen ihre Peiniger zur Wehr setzte. Jetzt, nachdem er sich für sie interessierte, war sie ein Pfand in Kasans Spiel geworden.

Sein Blick fiel auf den zwölfseitigen Würfel in der Hand der Glücksgöttin. Wie eine plötzliche Eingebung kam ihm der Gedanke. Die Chancen waren gering, aber wenn Kasan einwilligte, könnte es gelingen, Alex freizubekommen, ohne dass er seine Zukunft an Maduri verpfändete. »Eure Hoheit stehen in dem Ruf, ein fairer Gegner zu sein. Würdet Ihr erlauben, dass das Löwenspiel über das Schicksal der Frau entscheidet?«

Erstaunt und verständnislos sagte der Sultan: »Sie würden Ihr Leben in der Singa Mainam für eine Sklavin aufs Spiel setzen? Sie sind ein mutiger, ehrenwerter Tor, Captain.«

»Nicht ganz. Ich würde mich nicht auf das Löwenspiel einlassen, wenn es den sicheren Tod bedeutete. Was es nicht tut, oder?«

»Der Tod ist möglich, wird sich aber vermeiden lassen. Während einige der Aufgaben Geschicklichkeit und Mut des Kriegers erfordern, stellen andere den Verstand auf die Probe, zwei andere wiederum bereiten den Männern großes Vergnügen.« Mit einer steilen Falte auf der Stirn schritt Kasan in seinen prunkvollen, fremdländischen Seidengewändern durch die zierlichen Torbögen, die die Terrasse vom Palastinneren trennten. »Dies würde ein Löwenspiel werden, das sich von den anderen unterscheidet. Besondere Regeln müssten aufgestellt werden.«

Gavin verschränkte die Arme und lehnte sich mit dem Rücken an eine Säule. In was gerate ich da hinein?, fragte er sich. »Mir sind nicht einmal die normalen Regeln bekannt. Ihr sagtet, man habe fünf Würfe?«

Der Sultan nickte. »In einem Spiel um den Thron hätten Sie keine Wahl und müssten jeden Wurf akzeptieren. Es wäre jedoch unfair, ein oder zwei der Aufgaben einem Mann zu stellen, der nicht auf den Inseln aufgewachsen ist. Daher dürfen Sie einmal ablehnen.«

Das hörte sich vernünftig an. »Wenn eine der Aufgaben den Kampf mit einem anderen Mann einschließt, wer wird mein Gegner sein?«

Kasans Zähne blitzten weiß gegen den schwarzen Bart auf. »Ich, natürlich. Ich begrüße die Gelegenheit, gegen einen Mann anzutreten, der bereit ist, mich zu schlagen. Kaum ein Maduri würde dies wagen.«

»Wäre es ein Kampf auf Leben und Tod?«

»Nein. Ich möchte Sie lebendig haben.« Der Sultan rechnete offensichtlich nicht mit einer Niederlage.

»Wann hat man gewonnen? Wenn man die gefährlichen Aufgaben gelöst und überlebt und Euch im Wettkampf geschlagen hat?«

»So ist es.« Kasan zog die Brauen zusammen. »Ein neutraler Richter kann im Zweifelsfall zu Rate gezogen werden. Ich denke dabei an Tuan Daksa, das Oberhaupt der Buddhisten auf Maduri, der als weiser, rechtschaffener Mann geachtet wird.«

Bevor er antwortete, überlegte Gavin, ob Kasan dadurch einen Vorteil hätte. Er kannte mehrere buddhistische Mönche. Sie alle waren gerechte Männer, die ein unparteiisches Urteil fällen würden. »Ich bin mit Tuan Daksa einverstanden.«

»Wenn Sie gewinnen, gehört die Frau Ihnen. Wenn Sie verlieren, bleiben Sie die kommenden zwanzig Jahre auf Maduri und sind mir zu Diensten.«

Bei der Vorstellung, zwanzig Jahre seines Lebens in Abhängigkeit zu verbringen, wurde Gavin spei- übel. »Nur fünf Jahre. Soweit in die Zukunft zu planen fordert das Schicksal heraus.«

Der Sultan lächelte wie ein Leopard, der seine Beute erspäht hatte. »Zehn Jahre. Das ist mein letztes Wort.«

Zehn Jahre. Immer noch eine dicke Scheibe seines Lebens. Damit musste er sich abfinden. »Also gut, zehn Jahre. Im Gegenzug kommt Mrs. Warren frei, ob ich nun gewonnen oder verloren habe, und Ihr werdet versuchen, ihre kleine Tochter zu finden, die nach Mrs. Warrens Gefangennahme verschleppt wurde.«

Kasan hob die Schultern. »Gut. Ich habe kein Interesse an ihr, abgesehen von der Tatsache, dass Sie sich durch Ihr merkwürdiges Ehrgefühl dieser Frau gegenüber verpflichtet fühlen. Gilt der Handel?«

Einen Augenblick lang hielt sich Gavin den Wahnsinn vor Augen, so viele Jahre seines Lebens aufs Spiel zu setzen, um einem Menschen zu helfen, dem er gerade erst begegnet war. Aber verdammt noch mal! Er konnte sich doch nicht von einer Frau in Not abwenden. Sein Vater hatte ihn gelehrt, dass es die Pflicht des Mannes war, Frauen zu beschützen, und mit dieser Einstellung war er aufgewachsen. Helena hatte ihn scherzend ihren fahrenden Ritter genannt. »Der Handel gilt.« Er reichte dem Sultan die Hand. »Ich könnte gewinnen, vergesst dies nicht.«

Kasans harte braune Hand ergriff die seine. »Das werden Sie nicht, Captain.« Wieder das gefährliche Lächeln mit den aufblitzenden Zähnen. »Aber es ist das Risiko wert, eines so großartigen Spieles willen zu verlieren.«