Kapitel 15

 

Colombo, Ceylon

Katie zog die Stirn in Falten. »Mama, du zitterst ja.«

»Oh, es ist ganz normal, dass man vor der Hochzeit nervös ist.« Alex versuchte unbefangen zu klingen. »Als ich deinen Vater heiratete, erging es mir auch nicht besser.«

Vor ihrer ersten Hochzeit wollte sie am liebsten Reißaus nehmen, da sie meinte, sie würde den größten Fehler ihres Lebens begehen. Rückblickend war es keine Katastrophe, aber auch nicht der siebente Himmel. Es blieb also nicht aus, dass sie sich heute fragte, ob sie nicht wieder einen Fehler beging. Seit dem Überfall auf die Amsel war ihr Leben aus dem Ruder geraten, und alles, was sich seitdem ereignet hatte, geschah unter Zwang. Hätte ihr Leben einen normalen Verlauf genommen, wären sie und Gavin sich wahrscheinlich niemals begegnet.

Und doch hatte er Recht, dass sie sich bereits viel besser kannten als viele Paare vor der Ehe. Sie zweifelte nicht daran, dass er ein treu sorgender Ehemann sein würde und Katie und dem Kind, das sie erwartete, ein liebevoller Vater. Nach ihrer anfänglichen Überraschung war auch Katie der Meinung, dass er einen guten Stiefvater abgeben würde.

Auch wenn Gavin beträchtliche Tugenden aufwies, war sich Alexandra bewusst, dass sie ihn aus Angst und Schwäche heiratete. Sie brauchte den Schutz eines mächtigen Mannes, wenn sie in ihre Heimat zurückkehrte, eines Mannes, dem ihre Eltern zugetan waren. Gavin und der Colonel würden bestens miteinander auskommen. Jetzt, wo sie über die beiden Männer nachdachte, stellte sie fest, dass sie sich in vielen Punkten ähnlich waren. Gavin war zwar etwas lässiger in seiner Art, aber beide waren liebenswürdig, aufrichtig und zuverlässig.

Gavin hatte in Colombo für Alex und Katie eine Unterkunft im Hause von Rose Walker gefunden, der Witwe eines britischen Soldaten, die es vorgezogen hatte, im Osten zu bleiben. Deren achtzehnjährige Tochter Jane hatte eine romantische Ader und bot sofort ihre Dienste an, als sie erfuhr, dass einer ihrer Hausgäste heiraten wollte. Sie und ihre Mutter waren Schneiderinnen und hatten für die Braut und ihre Tochter mit viel Geschick in kurzer Zeit die Hochzeitsgarderobe gefertigt. Hübsche Kleider stärkten ein wankelmütiges Herz.

»Es ist Zeit, um in die Kirche zu gehen.« Alex nahm Katie bei der Hand. Mit Jane auf der anderen Seite verließen sie das Haus, um in die wenige Schritte entfernte Anglikanische Kirche zu gehen. Die tropische Hitze machte ihnen zu schaffen, aber die Sonne schien, und das wertete sie als gutes Omen.

Pünktlich mit dem elften Glockenschlag erreichten sie die Kirche. Am Fuße der Treppe hatte Alexandra plötzlich das schreckliche Gefühl, von Kopf bis Fuß gelähmt zu sein. Sie atmete tief durch, hob die Röcke, um nicht zu stolpern, und ging die Treppen hinauf. Sie war verwitwet und Mutter, viel zu alt für kindisch romantische Träume. Nur wenigen Frauen war es vergönnt, eine so glückliche Ehe wie ihre Mutter und der Colonel zu führen; die meisten mussten sich wie sie mit weniger zufrieden geben.

Bei Edmund hatte sie ihre Abenteuerliebe mit der Liebe zum Mann verwechselt. Dieses Mal heiratete sie mehr aus Vernunft als aus Liebe. Wenigstens war sie jetzt alt und weise genug, um sich ihres Tuns be~ wusst zu sein. Sie mochte Gavin, vertraute und achtete ihn. Das ehrliche Eingeständnis, dass sie ihn anziehend fand, stiftete nur Verwirrung.

Doch als sie ihn mit Suryo und Benjamin Long am Altar stehen sah, wurde sie traurig. Gavin sah wie ein Held der Romantik aus, und wie ein solcher hatte er auch gehandelt. Sie hingegen hatte zu viele Narben und Wunden davongetragen, um ihm und seinen Träumen gerecht zu werden.

Innerlich fröstelnd ging sie den Mittelgang mit Katie und Jane entlang. Gavin betrachtete sie so eindringlich, dass sie befürchtete, er könne Hintergedanken haben. Aber nein, sein Lächeln war offen und aufrichtig, als er ihre kalte Hand nahm.

Da nur wenige Leute anwesend waren, standen Katie und Jane neben ihr, wie Suiyo und Benjamin neben Gavin. Der alte Vikar begrüßte die vor ihm Stehenden mit einem Kopfnicken und sprach dann langsam mit tiefer Stimme. »Meine Lieben, wir sind hier zusammengekommen ...«

Die Zeremonie war ein verworrenes Wortgemurmel, bis Gavin mit klarer Stimme die Worte »Mein Körper wird dich ehren« nachsprach. Unwillkürlich musste sie zusammengezuckt sein, denn seine Hand schloss sich fester um die ihre, und seine ernsten Augen erinnerten sie an sein Versprechen, so lange wie nötig zu warten. Sie brachte ein Lächeln zustande, um ihm zu sagen, dass sie ihm vertraute, und sie war erstaunt, wie sehr sie es tat. Aber Gavin war nicht wie andere Männer.

»Ich erkläre Euch zu Mann und Frau«, schloss der Vikar.

Nach dem letzten Segen sagte Gavin leise: »Mann und Frau. Das hört sich schön an, Mrs. Elliott.« Er hob ihre linke Hand und berührte den Ehering mit den Lippen.

Sie war jetzt Mrs. Elliott. Gavins Worte klangen endgültiger als die Erklärung des Vikars.

Als Jane Walker vor Rührung weinte, kniete sich Gavin vor Katie hin. »Es gibt keine Zeremonie, um uns als Familie zu vereinen, aber ich möchte dir ein Symbol unserer neuen Verbindung geben.« Er zog ein Schächtelchen aus seiner Tasche und überreichte es ihr feierlich. »Ich bin dankbar, dass ich dich zur Stieftochter bekommen habe, Katie.«

»Und ich freue mich, dass du mein Stiefvater geworden bist, Captain«, sagte Katie ebenso förmlich wie er. Als sie die Schachtel öffnete, entwich ihr ein kleiner weiblicher Freudenschrei. Auf einem dunkelroten Samtpolster lag ein wunderschönes goldenes Medaillon. Für ein Kind nicht zu aufwändig, aber doch elegant genug, um es noch als Heranwachsende zu tragen. »Vielen Dank! Darf ich es umlegen, Mama?«

»Selbstverständlich.« Alex nahm das Medaillon mit der Kette aus der Schachtel und legte es ihrer Tochter um den Hals. Wie aufmerksam von Gavin, Katie mit einzubeziehen. Ja, sie hatte die richtige Wahl getroffen. Sie stand in seiner Schuld und wollte versuchen, ihm eine gute Frau zu sein.

 

Auch als sich das Hochzeitsmahl dem Ende näherte, begriff Gavin noch immer nicht ganz, dass Alexandra ihn tatsächlich geheiratet hatte. Als sie in die Kirche getreten war, sah sie aus, als ob sie am liebsten Reißaus genommen hätte. Eine Frau, die sich so vehement wie Alex gegen die Gefangenschaft aufgelehnt hatte, würde auch nicht eine Sekunde zögern, ihn vor dem Altar stehen zu lassen, wenn sie plötzlich erkannt hatte, dass die Ehe mit ihm ein Fehler sei. Gott sei Dank war dies nicht geschehen!

Als sich die Gäste vom Tisch erhoben, sagte Suryo: »Miss Katie, möchten Sie Elefanten sehen? Wenn Sie wollen, dürfen Sie auch auf ihnen reiten.«

»Ja, bitte!« Katie lächelte spitzbübisch. »Mama und der Kapitän wollen wohl allein sein.« Sie zögerte. »Bist du einverstanden, wenn ich Captain anstatt Papa zu dir sage?«

»Natürlich. Darf ich dich auch manchmal Katielein nennen, wie es deine Mutter tut?«

»Gern.« Katie sprang von ihrem Stuhl auf und freute sich auf das bevorstehende Abenteuer mit den Elefanten.

»Vielleicht möchte uns Miss Walker begleiten?«, fragte Suryo. »Schließlich kennt sie sich in Colombo viel besser aus als ich.«

Jane war einverstanden, und die Elefantensucher machten sich auf den Weg. Benjamin Long folgte ihnen, nachdem er sich von Gavin mit einem Händeschütteln und von Alexandra mit einer tiefen Verbeugung verabschiedet hatte. Endlich waren sie allein. Als er Alexandras argwöhnischen Blick sah, sagte Gavin: »Ich dachte, wir machen vielleicht auch einen kleinen Spaziergang und üben ein wenig Mrs. Elliott und Captain zu sagen.«

Ihr Ausdruck entspannte sich. »Das musst du wahrscheinlich nicht üben, aber ich. Von der Stadt würde ich allerdings gerne etwas mehr sehen, da wir ja morgen abfahren.«

Seite an Seite, ohne sich zu berühren, verließen sie das Gasthaus, in dem sie gegessen hatten. Abgesehen von jener Nacht, in der sie in Gavins Armen bitterlich geweint hatte, vermied sie körperliche Berührungen, außer mit Katie, aber er hatte auch nichts anderes erwartet.

Als sie durch eine unbelebte Straße schlenderten, erklärte Gavin: »Ceylon hat eine abwechslungsreiche Geschichte. Indien, Portugal, Holland und England haben ihre Spuren hinterlassen. Schade, dass wir nicht die Zeit haben, das Hochland im Inneren zu besuchen. Dort ist es viel kühler und sehr schön.«

»Das hört sich an, als ob du Ceylon gut kennst.«

»Ich bin an mehreren Kaffeeplantagen beteiligt.«

»Weitere Geldquellen.« Sie blickte auf ihren Ehering. »Ich gewinne bei dieser Ehe viel mehr als du.«

Er runzelte die Stirn. »So darfst du nicht denken, Alexandra. Wir müssen die Ehe als gleichwertige Partner beginnen, wenn wir beide zufrieden sein wollen.«

Alexandras Mund verzog sich. »Gleichwertige Partner. Diese Vorstellung fällt mir schwer. Ich bin nicht gerne der ... der nimmt, wenn ich so wenig zu geben habe.«

»Du schenkst mir Mut und Kraft und Aufrichtigkeit — Perlen, die unbezahlbar sind.« Und diese einmalige, wilde Schönheit, die durch Not und Entbehrung intensiviert wurde. Aber er wusste, dass sie ihm das nicht glauben würde, wenn er es aussprach. Er schlug einen leichteren Ton an. »Ich erwarte, dass du die willensstarke Frau bist, die mich fest bei der Hand nimmt.«

Das schönste, ehrlichste Lächeln des Tages erhellte ihr Gesicht. »Dieser Gedanke gefällt mir.«

Sie kamen zu einem Straßenmarkt, der sie mit seinen Farben und Gerüchen anlockte. Frauen in bunt schillernden Saris, lachende Kinder, Körbe mit rotem Pfeffer, Rosenblättern und Kardamom. Auf der Straße drängten sich die Menschen, so dass Alex Gavins Arm nahm. Ihre Berührung war leicht wie eine Feder, aber sie erfreute ihn mit unerwarteter Heftigkeit.

Zum ersten Mal hatte sie ihn aus freien Stücken berührt. Es war ein Vertrauensbeweis, rar und zart wie die Berührung eines vorbeischwirrenden Kolibris. Er unterdrückte die Reaktion seines Körpers auf ihre Nähe, so wie er es schon oft getan hatte, seitdem sie einander begegnet waren und wie er es noch unzählige Male tun würde. Vielleicht würde es ihm mit der Zeit leichter fallen, sich zurückzuhalten. »Es ist doch ganz gut, dass wir heute einige Stunden für uns allein sind, ohne die neugierigen Augen und Ohren der Mannschaft. Ich möchte noch so viel von dir wissen. Zum Beispiel, wo du nach der Wiederverheiratung deiner Mutter gelebt hast?«

»Die meiste Zeit in Wales. Der Colonel hat dort in einem der schönsten Täler Englands einen Besitz.« Ihre Augen blitzten schelmisch auf. »Mir wird gerade bewusst, dass ich die Rangleiter hinabgestiegen bin. Meine Mutter hat immerhin einen Colonel geheiratet, wohingegen ich mich mit einem Captain begnüge.«

Mit einem Lachen quittierte er ihre Neckerei. »Ein Kapitän der Marine ist doch das Äquivalent zu einem Colonel der Armee, oder? Obwohl ich als Kaufmann natürlich keinen richtigen Rang bekleide, auch wenn mich Katie >Captain< nennen möchte. Vermutlich hat sie das von dir übernommen, schließlich sprichst du von deinem Stiefvater stets als >Colonel<.«

»Das kommt davon, weil ich in militärischer Tradition aufgewachsen bin«, erklärte sie. »Der Rang eines Mannes ist ein wichtiger Bestandteil seiner Person. Mein Vater war Kavallerieoffizier, mein Stiefvater Kommandant eines Infanterieregimentes bei Waterloo. Er lernte meine Mutter kennen, als sie ihn nach seiner Verwundung als Krankenschwester gepflegt hatte. Trommelschläge haben meine Kindheit geprägt.«

»Bis du in einem friedlichen Tal von Wales gelandet bist.«

»Unterbrochen von einigen Besuchen bei meinem Urgroßvater, der auf einer Insel bei Cornwall lebte, und Aufenthalten in London, damit ich keine Landpomeranze wurde. Und was ist mit dir? Wo hast du gelebt, bevor deine Familie nach Amerika ausgewandert ist?«

»Meistens in Aberdeen mit Blick auf die Nordsee. So wie ich das sehe, werden wir ein Haus in London brauchen, da ich dort arbeiten werde, aber ich möchte für uns auch ein Landhaus am Wassel' haben.«

»Einverstanden. In kleinen Portionen ist London wunderschön, aber für die Seele ist es gut, wenn man sich wieder aufs Land zurückziehen kann.«

»Warst du glücklich in deiner ersten Ehe?« Er wusste, dass er diese Frage besser nicht gestellt hätte, aber er wollte es wissen.

Sie seufzte ein wenig. »Edmund war ein wenig älter als ich und gewohnt, dass alle um ihn herum auf sein Kommando hörten, was manchmal, nun sagen wir zu ... Spannungen geführt hat. Ich glaube, es ist ihm nie in den Sinn gekommen, die Gedankengänge einer Frau zu ergründen. Aber ich konnte mich stets auf ihn verlassen, und Katie war er ein lieber, verantwortungsvoller Vater. Als er starb ...« Ihre Stimme stockte. »Er war immer so stark. Ich konnte einfach nicht begreifen, dass ihn ein Fieber so schnell hinwegraffen würde. Es kam mir vor, als ob ich plötzlich den Boden unter den Füßen verloren hätte.«

Sie hatte also eine gute, solide Ehe geführt und nicht die romantische Liebe wie im Märchen erlebt, die er wohl kaum hätte überbieten können. Er war froh, dass er das wusste, auch wenn er sich sagte, dass Alex vielleicht das Gefühl hatte, sich niemals mit Helena messen zu können, daher war es notwendig, dass er diesen Punkt zur Sprache brachte. »Ich denke, du weißt, wie sehr ich Helena geliebt habe. Aber das hat auf: das, was zwischen dir und mir ist, keinen Einfluss.«

»War sie dir in der Ehe ein gleichwertiger Partner?«

Er musste über die Antwort nachdenken. »Du und Helena, ihr seid so verschieden, dass Worte nicht die gleiche Bedeutung haben. Helena und ich waren sehr jung, und wir haben das Leben und die Ehe gemeinsam entdeckt. Du und ich — wir bringen beide unsere Erfahrungen mit. Unsere Narben, unsere Meinungen und hoffentlich auch unser Mitgefühl. Wir werden Partner auf andere Art und Weise sein.«

Ihre Finger schlössen sich fester um seinen Arm. »Du bist ein außergewöhnlicher Mann. Es ist mir neu, dass man als Ehepaar über diese Dinge spricht.«

»Haben deine Eltern das nicht getan?«

»Meine Mutter und mein Vater bestimmt nicht«, sagte sie nachdenklich. »Mein Vater war ein Mann der Kavallerie und nicht sehr tief schürfend. Meine Mutter und der Colonel haben Gespräche dieser Art sicherlich geführt. Mich wundert nur, dass ich nie darüber nachgedacht habe. In unserer Ehe habe ich bereits einiges gelernt.«

»Ich hoffe, dass wir uns im Lauf der Zeit gegenseitig noch vieles beibringen werden.« Mittlerweile waren sie in einem kleinen, begrünten Park angelangt. Da weit und breit kein Mensch in Sicht war, sagte er: »Kann ich dich um etwas bitten?«

»Natürlich.«

»Darf ich dich küssen?«

Einige Herzschläge lang wurde sie stumm wie eine Statue. »Ich ... ich denke, das ist wohl das Mindeste, was du dir an unserem Hochzeitstag wünschen kannst.«

Behutsam nahm sie die Hand von seinem Arm, stellte sich vor ihn hin und hob ihm das Gesicht zum Kuss entgegen. Ihre Lippen waren weich, ein wenig abwartend, aber unerschrocken. Und warm, so unwiderstehlich warm ...

Er bezwang seine Begierde und küsste sie lange, aber leicht, ohne zu fordern oder einzudringen. Allmählich entspannte sie sich. Er legte ihr die Hände auf die Hüfte. Durch den seidigen Stoff ihres Kleides spürte er den geschmeidigen Körper.

Da sie nichts dagegen zu haben schien, glitten seine Arme um sie. Jeder Muskel ihres Körpers spannte sich, und seine Hände wanderten wieder auf ihre Hüfte zurück. Wahrscheinlich empfand sie die Umarmung wie eine Falle.

Er hauchte einen Kuss auf ihren edel geschwungenen Wangenknochen und löste die Umarmung, bevor er seine guten Vorsätze vergaß. »Danke, Alexandra«, murmelte er.

»Ich mochte es.« Sie berührte ihren Mund mit den Fingerspitzen. »Das war ... sehr schön.«

Ein Hochzeitskuss war ein schaler Ersatz für den Höhepunkt — aber es war ein Anfang.