Dreiundsechzig
Kacy brauchte schon einen höllisch guten Grund, sich schon nach so kurzer Zeit von Dantes Leichnam zu lösen. Special Agent Swann, der mit einer Pistole auf ihren Kopf zielte, lieferte genau diesen Grund. Er stand unsicher auf den Beinen und hatte Mühe, das Gleichgewicht zu bewahren – zweifelsohne, weil er unter beträchtlichem Blutverlust litt, Folge der Wunden, die Kacy ihm erst kurze Zeit vorher zugefügt hatte.
Seine militärische Ausbildung und seine unglaublich hohe Schmerzschwelle ermöglichten ihm, die Verletzungen zu verdrängen und die junge Frau weiterzuverfolgen, nach der er nicht nur gelüstete, sondern die er auch eliminieren sollte und wollte. Er hatte seinen Hintern und seinen Schritt provisorisch mit Hilfe der Handtücher aus der Suite verbunden. Auf diese Weise war es ihm gelungen, die schlimmsten Blutungen zu stoppen, und das, zusammen mit dem Adrenalin in seinem Kreislauf und seiner heißen Wut auf Kacy, versetzte ihn in die Lage weiterzumachen. Er hatte den Schmerz völlig verdrängt, und als Resultat war die Verletzung kaum mehr als ein unbedeutendes Ärgernis. Und während Kacy durch den Korridor flüchtete und hinter der Biegung zur Treppe zu gelangen versuchte, die nach unten in die Lobby führte, hatte Swann genügend Kraft gesammelt, um zwei gezielte Schüsse abzugeben. Der erste zischte an Kacys Ohr vorbei und bohrte sich vor ihr in die Wand. Der zweite war hastiger aufgrund von Swanns unsicherem Gang, während er Kacy hinterherhastete. Er prallte als Querschläger von der Decke und landete ebenfalls in einer Wand. Lästerlich fluchend schob er die Pistole in das Halfter und rannte humpelnd weiter.
Während Kacy die Treppe hinuntersprang, hörte sie ihn über sich. Er schleuderte ihr die übelsten Beschimpfungen hinterher, während er sich nach Kräften bemühte, ihren Vorsprung zu verringern. Sie selbst bewegte sich nicht gerade mit ihrer persönlichen Bestzeit. Ihre Augen waren so voller Tränen, dass sie fast blind war, und als Folge davon war ihre Nase zugeschwollen. Ihr Herz hämmerte wie besessen, und tief im Innern fragte sie sich, ob es wirklich noch Sinn hatte zu fliehen. Dante war tot. Es gab nichts mehr auf der Welt, für das es sich gelohnt hätte weiterzuleben. Selbst wenn ihre Flucht glückte, wohin zum Teufel sollte sie sich wenden? Sie hatte nichts und niemanden.
Und doch ließ irgendetwas ihre Füße weiterrennen. Vielleicht war es der Gedanke, dass Dantes Tod sinnlos gewesen wäre, wenn sie nicht flüchtete. Er hätte gewollt, dass sie entkam. Und natürlich wollte sie nicht, auch wenn ihr nach Sterben zumute war, weil es nichts mehr gab, für das es sich zu leben gelohnt hätte, natürlich wollte sie nicht zuerst von diesem Dreckskerl Swann vergewaltigt und gefoltert werden, bevor sie starb. Wenn er es fertigbrachte, ihr in den Kopf zu schießen und alles zu einem schmerzlosen Ende zu bringen, bevor sie es wusste, dann gut und schön, aber die Wahrscheinlichkeit war doch eher, dass eine Menge ernster Unannehmlichkeiten und Qualen auf sie warteten, bevor sie Dante im Jenseits Gesellschaft leisten konnte. Also rannte sie, und sie rannte schnell.
Als sie schließlich am Fuß der Treppe ankam und in die Lobby rannte, stellte sie fest, dass eine ausgemachte Panik im Gange war. Zur Rechten der Treppe lag ein kopfloser Leichnam gleich vor dem Lift auf dem Boden. Normalerweise hätte der Anblick ausgereicht, um Kacy in eine Beinaheohnmacht fallen zu lassen, doch im Moment bewirkte es kaum mehr als einen milden Schock. Weil nämlich irgendeine verdammt hässliche Sache im Gange war, und der enthauptete Leichnam war offensichtlich nur ein Teil des Ganzen. Leute in der Lobby schrien durcheinander, und die Anfänge eines Massenexodus waren zu erkennen. Das einzige Problem dabei war, dass niemand in eine bestimmte Richtung rannte. Alles in allem waren es rund zwanzig kreischende Individuen – Gäste und Personal –, die durcheinanderrannten wie aufgescheuchte Hühner. Wer auch immer für den kopflosen Leichnam verantwortlich war, schien längst verschwunden zu sein. Vielleicht durch den Haupteingang? Was eine Erklärung bot, warum die schreiende Menge nicht in diese Richtung strömte …
Der Lärm von Swann, der um den letzten Treppenabsatz gepoltert kam, weniger als eine halbe Etage hinter ihr, sorgte dafür, dass sie eine schnelle Entscheidung traf. Raus auf die Straße, aber schnell!
Sobald sie durch die Tür war, wünschte sie sich allerdings, sie hätte einen anderen Weg gefunden. Es regnete in Strömen, und der Wind war eisig. Ihre Bemühungen, die Eingangsstufen hinunterzurennen, wurden vom heulenden Wind stark behindert. Er war so stark, dass ihr Vorankommen dramatisch verlangsamt wurde. Es fühlte sich an, als arbeitete der Wind gegen sie, als wollte er sie zurück ins Hotel stoßen. In die Arme von Special Agent Swann, der plötzlich durch die Tür hinter ihr platzte. Während Kacy sich noch gegen den Wind stemmte und über den Bürgersteig davonzurennen versuchte, machte er einen großen Satz vorwärts und packte sie mit seinen riesigen Händen, die sich von hinten um ihre Schultern schoben und jede eine ihrer Brüste umfasste.
Anstatt sie zu sich herumzudrehen, nutzte er die Gelegenheit, ihre Titten unter dem nassen T-Shirt zu quetschen, während er sie mit seinem Leib auf ein Taxi zudrängte, das am Straßenrand direkt vor dem Hoteleingang auf Kundschaft wartete. Er rammte sie heftig gegen die Seite des Taxis und drückte ihr Gesicht gewaltsam gegen das hintere Passagierfenster auf der Fahrerseite.
Es gab keine Passanten hier draußen angesichts des Gewitters und des Sturms, also würde auch niemand kommen, um ihr zu helfen. Abgesehen davon hatten die Leute wichtigere Dinge zu tun, als sich um Swann und seine Absichten zu sorgen. Lediglich der Taxifahrer bemerkte etwas. Das elektrische Fenster seiner Tür glitt summend herab. »Hey, Kumpel …!«, begann er.
Swann löste seinen Griff um Kacys rechte Brust und zerrte seine Pistole aus dem Halfter unter der Schulter.
PENG!
Der Schuss traf den völlig überraschten Taxifahrer mitten ins Gesicht, und sein Hirn spritzte von innen auf die Windschutzscheibe. Ungerührt steckte Swann seine Pistole wieder ein, bevor er sich erneut Kacy zuwandte, die inzwischen zu erschöpft war, um ihn abzuwehren. Sie war nur noch ein Bündel Elend, das gegen die Seite des Taxis gepresst wurde, außerstande, einen Ansatz zur Gegenwehr zu finden.
Swanns Finger bewegten sich von ihren Brüsten nach unten zu ihrem Schritt. Sein Oberkörper drückte sich immer noch fest gegen ihren Rücken und hielt sie gegen das Taxi gepresst, während er an ihren Jeans zu zerren anfing.
Der Regen hielt Kacy Stück für Stück genauso fest wie Swanns lüsterner Griff. Ihre Kleidung war schwer vom Wasser, und das nasse Haar klebte in ihrem Gesicht. Der einzige Trost war, dass die Massen von Speichel, die ihrem Angreifer aus dem Mund und in ihren Nacken tropften, genauso schnell fortgespült wurden, wie sie kamen.
Während er an ihren Jeans riss und sie ein paar Zentimeter nach unten zog, hörte sie ein lautes Bersten, ähnlich einem Fenster, das eingeschlagen wurde. Mitten im Regen, der wie aus Eimern herunterprasselte, sah sie einen Schatten im Glas des Taxifensters, gegen das ihr Gesicht gepresst wurde. Mehrere große Scherben landeten auf dem Bürgersteig hinter Agent Swann.
Und noch etwas.
Ein dunkler Schatten. So groß wie ein Mann.