Einundzwanzig
Das Hotel, das Dante für seine überraschenden Flitterwochen mit Kacy gebucht hatte, erwies sich als ideale Basis für seine Undercover-Mission. Nach einem schnellen Upgrade, bar bezahlt von Robert Swann, fanden sie sich in einer stattlichen Suite im dritten Stock wieder. Das glückliche Paar hatte ein Doppelzimmer für sich alleine, und neben einem Wohnzimmer gab es ein zweites Schlafzimmer für Swann und eine weibliche Kollegin, die als Babysitter für Dante und Kacy mitgekommen waren.
Dante saß auf dem großen Doppelbett, das er mit Kacy teilte. Das Zimmer war ziemlich groß, und das Bett stand genau in der Mitte, zugedeckt mit einer hübschen, frisch gewaschenen orangefarbenen Tagesdecke. Dante hatte nur noch wenige Minuten bis zu seiner ersten Nacht als falscher Vampir.
Swann betrat das Zimmer und näherte sich mit einer vollen Spritze bewaffnet seinem Schützling. »Bereit für die Injektion, Söhnchen?«, fragte er und setzte sich neben Dante auf das Bett.
»Steck sie mir schon rein, du trauriges Stück Scheiße«, grollte Dante zurück.
Dante hatte den linken Ärmel seines rotbraunen Hemds hochgekrempelt, so dass Swann ihm die notwendige Dosis des lebensrettenden Serums verabreichen konnte. Kacy, bekleidet mit einer Bluejeans und einem pinkfarbenen T-Shirt, saß neben ihm. Sie hielt seine Hand und machte das Beste aus den letzten paar Minuten, die sie mit ihrem Geliebten hatte, bevor diese feigen Schweine vom Secret Service ihn fortschickten, damit er ihre schmutzige Arbeit für sie erledigte. Sie hoffte und betete inbrünstig, dass er mit Hilfe dieses Serums die erste Nacht unter Vampiren überstand und unentdeckt überlebte. Man hatte ihnen erklärt, dass die Chemikalien in diesem Serum Dantes Bluttemperatur weit genug senken würden, damit er sich unter den Vampiren bewegen konnte, ohne von ihnen als Mahlzeit ausgespäht zu werden.
Agent Swann sah aus, als hätte er ein gewisses Maß an widerlichem Vergnügen daran, die klare Flüssigkeit in Dantes Arm zu injizieren. Dante zuckte mit keiner Wimper, als die Nadel in sein Fleisch eindrang und viel länger dort stecken blieb, als nötig gewesen wäre. Swann war von Natur aus sadistisch veranlagt und hatte bereits jetzt eine beträchtliche Antipathie für Dante entwickelt (wozu die meisten Personen mit einer gewissen von Amts wegen verliehenen Autorität neigten), und so verschaffte es ihm einen gewissen Kick, Dantes Unbehagen oder gar seine Schmerzen zu verlängern.
Swanns neue Kollegin, Special Agent Roxanne Valdez, war ebenfalls im Raum. Sie war eine groß gewachsene dunkelhäutige Frau mit eng am Kopf anliegenden, von Perlen durchsetzten, zurückgebundenen Flechtzöpfen in einem figurbetonten weißen Pullover, der großartige Kurven erahnen ließ. Darunter trug sie einen kurzen braunen Rock. Ihre Kleidung war Teil der Fassade, die sie für das Hotelpersonal errichtet hatten – zwei Paare, die gemeinsam ihren Urlaub verbrachten. Swann war angezogen wie ein Tourist, ein blaues Hawaiihemd und knielange Chinohosen. So viel zu diskret, dachte Dante, während er die Injektion von der Hand des Special Agent über sich ergehen ließ. Da hätte ich mir gleich ein Schild um den Hals hängen können. Was für ein dämliches Arschloch.
Agent Valdez beendete das unangemessen lange dauernde Spiel mit der Spritze. Sie sah, dass ihr Kollege viel zu viel Vergnügen an seiner Arbeit empfand.
»Kommen Sie schon, das reicht jetzt!«, schnappte sie. »Sie benehmen sich wie ein Arschloch. Hören Sie auf damit!«
Swann bedachte sie mit einem raschen, bockigen Blick und zog die Nadel aus Dantes Arm. »Ich wollte nur ganz sichergehen, dass ich die richtige Menge Serum injiziert habe. Besser zu viel als zu wenig«, sagte er wenig glaubwürdig.
Er überzeugte sich, dass die Spritze völlig geleert war, dann erhob er sich und brachte sie nach draußen. Er durchquerte das Wohnzimmer mit dem Sofa, den beiden Lehnsesseln, der Minibar, dem Wohnzimmertisch und dem Fernseher und verschwand durch eine Tür in der Ecke in einem der Badezimmer der Suite. Als er weg war, kam Roxanne zu Dante ans Bett und setzte sich auf die Stelle, wo Swann während des Verabreichens der Injektion gesessen hatte. Sie ergriff Dantes Arm und kontrollierte ihn auf eine sichtbare Einstichstelle. Kacy war sicher, dass sie Dantes Bizeps ein wenig zu fest gepackt hielt, wie um sich von seiner Festigkeit zu überzeugen. Außerdem legte sie raffiniert die andere Hand auf Dantes Oberschenkel, als wollte sie sich aufstützen. Nicht nur das, sondern sie benötigte auch definitiv eine Sekunde länger, als nötig gewesen wäre, um Dante zu untersuchen.
»Okay, scheint alles in Ordnung«, sagte sie schließlich und lächelte ihren Patienten an. »Wie fühlen Sie sich? Sind Sie bereit, es mit der Unterwelt aufzunehmen?«
Dante sah ihr in die Augen und zwang sich zu einem falschen Lächeln. »Leck mich, Miststück!«, fauchte er.
Kacy sah mit Erleichterung, dass das Lächeln und das unangemessene Tätscheln ihren Ehemann in keiner Weise für die Agentin hatten erwärmen können.
»Hey, seien Sie nicht so böse zu mir«, sagte Roxanne immer noch warm lächelnd. Sie streichelte ihm erneut über den Arm. »Fühlen Sie sich fit genug, um schon heute Nacht einen Draht zu tragen? Oder sollen wir es fürs Erste lieber lassen?«
»Einen Draht? Sehe ich vielleicht aus wie eine perverse Sau oder was?«
»Nein«, erwiderte Roxanne gelassen. »Niemand hier sieht aus wie eine perverse Sau.«
»Da bin ich anderer Meinung«, widersprach Dante und deutete zur Tür hinaus auf Agent Swann, der aus dem Bad zurückkehrte. »Sehen Sie genau hin. Perverse Sau.«
Swann betrat den Raum. »Das hab ich gehört. Schluss damit. Wir haben alle unsere Befehle, okay? Ich hab mir diese Mission nicht ausgedacht, Jüngelchen. Ich bin lediglich der arme Trottel, der den Babysitter für euch spielen darf. Ich hab nicht die geringste Lust, den ganzen beschissenen Tag lang in diesem beschissenen Hotelzimmer zu sitzen und auf deine quengelige kleine Freundin hier aufzupassen, klar? Also lass gefälligst deine beschissenen Kommentare, okay?«
»Ach, leck mich doch«, sagte Dante. »Und wenn du Kacy noch einmal beleidigst, dann kriegst du von mir was, dass du Grund hast zum Jammern. Kapiert?«
»Ist das so?«, fragte Swann über die Schulter, als er zurück ins Wohnzimmer ging.
»Darauf kannst du einen lassen.«
Roxanne beschloss, dem Macho-Geschwätz, das sich ihrer Meinung nach rasch Kindergartenniveau näherte, ein Ende zu bereiten und die Situation zu entschärfen. Sie streichelte erneut über Dantes Arm, dann zog sie den hochgekrempelten Ärmel herab, um die Einstichstelle zu verbergen.
»Hören Sie, Dante«, sagte sie leise. »Vergessen Sie das mit dem Draht für heute Nacht, okay? Versuchen Sie, in einen dieser Vampir-Clans aufgenommen zu werden, und vielleicht auch noch rauszufinden, in welchem Ihr Kumpel, der Mönch, sich versteckt. Vielleicht ist er ja auch längst tot – in diesem Fall versuchen Sie herauszufinden, wo das Auge des Mondes abgeblieben ist und ob einer der Clans es in die Finger bekommen hat.«
»Sie hat recht, Freundchen«, rief Swann aus dem Wohnzimmer. »Wie wir bereits besprochen haben, am besten gehst du gleich zum Nightjar, wo alle Vampire rumhängen. Versuch reinzukommen und benutz deine gewinnende Persönlichkeit, um dich mit einem der Vampire anzufreunden, die allein unterwegs sind, dann bring ihn dazu, dich seinen Freunden vorzustellen. Kaum hast du dich’s versehen, sitzt du schon bei einem Drink mit dem beschissenen Graf Dracula am Tisch. Baby-einfach, klar? Keine Angst, dir passiert schon nichts.«
»Wenn es so beschissen einfach ist, warum machst du es dann nicht selbst, du harter Bursche?«, entgegnete Dante.
»Würde ich ja, aber ich weiß schließlich nicht, wie dein Kumpel Peto aussieht, oder, du taube Nuss? Tsss, tsss.«
Swann tat, als ärgerte er sich über Dantes Dummheit, doch in Wirklichkeit hätte er nicht in einer Million Jahren mit dem jungen Burschen tauschen wollen. Er bewegte sich erneut in Richtung Bad, doch dann blieb er vor der Minibar stehen, um sich einen Drink zu nehmen. Während er gebückt vor dem Kühlschrank stand, drückte Kacy Dantes Arm, um seine Aufmerksamkeit zu wecken. Ihr Geliebter wendete den Blick von Swanns Rücken ab und zu ihr hin.
»Stell keine Fragen, wenn du befürchten musst, dich dadurch in Schwierigkeiten zu bringen, okay?«, sagte sie. Es gelang ihr nicht mehr, die ständige Angst um ihn zu verbergen. »Wenn du glaubst, dass du deine Deckung gefährdest und dich als Außenseiter zu erkennen gibst, frag nichts. Am besten, du machst für den Anfang überhaupt nichts, außer nicht auffallen. Scheiß auf diese beiden hier und ihre Forderungen. Das ist deine erste Nacht als Undercover-Agent. Nimm dir Zeit. Sag nichts Dummes. Sperr einfach die Ohren auf, ob du irgendetwas Nützliches in Erfahrung bringen kannst.«
Dante beugte sich vor und küsste sie auf den Mund. Er löste seinen Arm aus dem Griff von Roxanne Valdez, um Kacy über das lange dunkle Haar zu streicheln und sie zu beruhigen.
»Vertrau mir, Baby. Ich weiß, was ich tue. Ich mische mich unter jeden, wenn ich muss, okay? Mach dir keine Sorgen, ich bin zurück, bevor die Sonne aufgeht.«
»Sei einfach nur vorsichtig, versprich mir das.«
»Sicher, Baby, ich verspreche es.« Er zwinkerte ihr zu und erhob sich vom Bett. »Ich schätze, es ist Zeit.«
Swann erschien in der Tür und wackelte mit dem Zeigefinger. »Hör auf deine Freundin, Bürschchen. Versuch keine Dummheiten, aber versuch rauszufinden, worüber wir geredet haben. Und ich will alles über die verschiedenen Clans wissen. Und sieh zu, ob du herausfinden kannst, wer die Anführer der jeweiligen Clans sind. Damit beeindruckst du den Boss, und vielleicht kriegst du am Ende dieser Mission sogar eine Belohnung.«
»Als würd ich einen Dreck darauf geben, deinen Boss zu beeindrucken!«, murmelte Dante, als er an Swann vorbeistreifte und ins Wohnzimmer ging. »Dein kahlköpfiges Schwanzgesicht von einem Boss kann verdammt noch mal alleine rausfinden, wer die dämlichen Bosse dieser beschissenen Clans sind.«
Er ging ins Badezimmer und verschwand hinter der Tür außer Sicht. Es war ein kleines Bad (es gab ein größeres, das gleich von Kacys und Dantes Schlafzimmer abging) mit einem weißen Waschbecken aus Porzellan zur Linken und einer dazu passenden Dusche auf der anderen Seite sowie einem WC in einer Ecke. Dante stand über dem Waschbecken und starrte auf sein Spiegelbild. Du kannst das schaffen, sagte er sich. Du hast Nerven aus Stahl. Du kannst das schaffen. Das ist nur ein Spaziergang im Park.
Er ballte die Fäuste und machte ein hartes Gesicht. Er wollte nicht, dass Kacy seine Nervosität bemerkte und wie sehr er sich zusammenreißen musste, um da rauszugehen. Er wollte, dass sie ihn cool wie sonst was sah, den unerschrockenen Dante, der sich, ohne mit der Wimper zu zucken, im Schlafzimmer die Spritze hatte setzen lassen. Es war nicht nötig, sie noch mehr zu verängstigen, als ohnehin schon geschehen. Und es half ihr auch nicht weiter, wenn sie erfuhr, dass er zum ersten Mal in seinem Leben die Hosen gestrichen voll hatte.
Nach einem raschen Starr-Wettkampf mit seinem Spiegelbild drehte er den Warmwasserhahn an und wusch sich mit beiden Händen das Gesicht. Das Serum begann zu wirken, und er fröstelte, als seine Temperatur anfing zu sinken. Das warme Wasser half ihm über den ersten eisigen Schock hinweg.
Nach einer kurzen Weile streckte Roxanne das Gesicht durch die Tür. »Alles okay?«, fragte sie. »Du siehst ein wenig nervös aus, Honey. Vielleicht solltest du etwas trinken, bevor du aus dem Haus gehst?«
»Nein, geht schon«, erwiderte Dante. »Diese Scheiß-Vampire saufen wahrscheinlich wie Fische, deswegen ist es sicher schlauer, wenn ich so lange wie möglich nüchtern bleibe. Kann sein, dass ich heute Nacht eine Wagenladung Bier und Tequila trinken muss, und je besoffener ich werde, desto riskanter wird das Spiel für mich.«
Roxanne kam ganz ins Bad und schloss hinter sich die Tür. Sie trat hinter Dante und massierte ihm den Rücken.
»Hey, du bist ein ganzes Stück cleverer, als die meisten Leute dir zutrauen«, sagte sie und schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln.
»Danke.« Er lächelte höflich zurück, während sie mit der Hand über seinen Arm streichelte. Vielleicht war sie gar nicht so ein Miststück. Bis jetzt hatte sie jedenfalls ihr Bestes versucht, um ihm die Nervosität zu nehmen. Er konnte sich wenigstens ein klein wenig dankbar dafür zeigen.
»Ich mache mich jetzt besser auf«, sagte er und klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter, bevor er sich in dem kleinen Raum zwischen Waschbecken und Dusche an ihr vorbeimanövrierte und die Tür öffnete. Er lächelte ihr ein letztes Mal zu, dann verließ er das Badezimmer, bereit, sich zum ersten Mal seit seinem Weggang aus Santa Mondega vor über einem Jahr der Welt der Untoten zu stellen.
Eine Schande, dass er nicht aufgeweckt genug war, um etwas Eigenartiges zu bemerken, als Roxanne hinter ihm gestanden und ihm den Nacken massiert hatte.
Nämlich, dass im Spiegel über dem Waschbecken nur sein eigenes Spiegelbild zu sehen gewesen war.