Neunzehn
Frühstück, von jemand anderem zubereitet, war eines der wenigen Dinge im Leben, die Sanchez über alle Maßen schätzte. Das Olé Au Lait war bekannt als der beste Laden in Santa Mondega, wenn man ein ordentliches Frühstück wollte. Besser noch, das Essen wurde von einer entzückenden jungen Kellnerin mit Namen Flake serviert. An diesem speziellen Morgen war sie sogar so freundlich gewesen, ihm eine Tageszeitung neben den Teller aufs Tablett zu legen. Doch er wusste auch, dass sie ihn nur deswegen so gut behandelte, weil zu dieser Zeit des Tages – acht Uhr morgens – noch keine anderen Gäste im Café waren. Die anderen Stadtbewohner schliefen meist bis in die Puppen. Tatsächlich war Sanchez einer von ganz wenigen Frühaufstehern in der gesamten Gegend.
»Nachher gibt es ein gutes Trinkgeld«, sagte Sanchez und zwinkerte Flake dabei zu. Die liebreizende Brünette zwinkerte zurück und schwieg. Sie begab sich hinter die Theke, wo sie auf die nächste Bestellung wartete.
Sanchez war einigermaßen sicher, dass sie auf dem Weg zur Theke absichtlich ein wenig stärker als üblich mit dem Hintern gewackelt hatte, ihm zuliebe – also starrte er auch gebührend darauf, um sicherzugehen, dass ihre Bemühungen nicht verschwendet waren.
Als er mit Starren fertig war, wandte er seine Aufmerksamkeit dem Frühstück vor ihm auf dem Tisch zu. Ein rasch kalt werdender Kaffee, zehn Minuten vor dem bestellten Essen serviert, eine Zeitung und ein überdimensionierter weißer Teller, randvoll mit Speck, Eiern, riesigen Pilzen und selbstgemachten Bratkartoffeln. Wo sollte man da anfangen?
Er begann mit einem Schluck Kaffee, dann nahm er Messer und Gabel und machte sich über das nächstbeste Würstchen her. Er stach mit der Gabel hinein und biss ein großes Stück ab. Mmm, köstlich, dachte er.
Auf der Titelseite der Zeitung stand ein ziemlich langweiliger Artikel über einen einheimischen Priester, der in einen Skandal mit Chorknaben verwickelt war. Nichts wirklich Neues, und schon gar nicht für jemanden wie Sanchez. Wie in vielen anderen Boulevardzeitungen gab es auch hier in jeder Ausgabe auf Seite drei ein Foto von einer hübschen jungen Frau. Sanchez blätterte die Titelseite um, bereit für den Augenschmaus.
Und hätte sich beinahe an seinem Würstchen verschluckt.
Sein Unterkiefer klappte herab, und die halb gekauten Bissen fielen neben seinem Teller auf den Tisch. Es war ein Bild von Jessica, das Sanchez von Seite drei der Santa Mondega Universal Times (oder SMUT, wie die Einheimischen ihre Zeitung nannten) anlächelte. Sie war zwar angezogen, wohlgemerkt, doch es war definitiv Jessica. Als er genauer hinsah, stellte er fest, dass es eigentlich kein Foto von Jessica war, sondern von einem Gemälde von ihr – und darunter stand zu lesen:
Vermisst.
$500 Belohnung für Informationen über den Verbleib.
Schockiert blickte sich der Barmann unauffällig um. Er war noch immer der einzige Gast im Olé Au Lait, daher hatte wahrscheinlich niemand gesehen, wie ihm das Würstchen aus dem Mund gefallen war. Außer Rick, dem Küchenchef hinter der Theke.
»Hey, Sanchez, alles in Ordnung?«, rief er herüber. Seine weiße Kochmütze hing ihm ins Gesicht, und er besaß auch sonst eine frappierende Ähnlichkeit mit dem schwedischen Koch aus der Muppet Show: dicke, buschige Augenbrauen, winzige schwarze Knopfaugen und ein mächtiger brauner Schnurrbart. »Stimmt was nicht mit dem Würstchen oder wie?«
»Nä!« Sanchez schüttelte den Kopf. »Ich dachte nur, ich müsste niesen, das ist alles. Scheint aber wieder weg zu sein.«
»Okay.« Rick nickte und wandte sich wieder der Zeitung zu, die er auf dem Tresen ausgebreitet hatte.
Sanchez starrte auf das Bild in seiner eigenen Zeitung. Darauf trug Jessica ein schwarzes Kleid – soweit sich der Barmann erinnern konnte, das einzige, das sie besaß. In dem kurzen Textabschnitt darunter wurde darum gebeten, dass jeder, der etwas über ihren Verbleib wusste, sich doch bitte mit der Zeitung in Verbindung setzen sollte. Kein Hinweis, wer die Vermisstenanzeige aufgegeben hatte oder die Belohnung anbot.
Sanchez hätte zwar nichts dagegen gehabt, die angebotenen fünfhundert Dollar einzukassieren, doch noch mehr zog er es vor, am Leben zu bleiben. Wenn sich herumsprach, dass er die im Koma liegende Jessica bei sich in einem Raum über der Tapioca Bar versteckt hielt, dann bestand eine verdammt große Chance auf einen unerwünschten Besuch vom Bourbon Kid. Und das wollte Sanchez verdammt noch mal auf gar keinen Fall. Vielleicht hatte der Bourbon Kid selbst die Vermisstenanzeige aufgegeben? Eines war jedenfalls sicher – Sanchez musste herausfinden, wer nach Jessica suchte und warum. Doch er konnte nicht riskieren, persönlich bei der SMUT anzurufen und auf diese Weise zu verraten, dass er sich für die Geschichte interessierte. Geistesabwesend pickte er mit der Gabel das halb gekaute Stück Wurst auf, stopfte es sich in den Mund und kaute da weiter, wo er aufgehört hatte. Nachdem er es heruntergeschluckt und mit einem Schluck Kaffee nachgespült hatte, blickte er zu Rick dem Küchenchef.
»Hey, Rick!«, rief er ihm zu. »Was würdest du dazu sagen, dir eine Gratisflasche Stoff zu verdienen?«
Rick runzelte die Stirn. »Wenn ich sie verdienen muss, ist sie nicht gratis.«
»Willst du jetzt eine verdammte Flasche oder willst du nicht?«
»Sicher. Wo ist der Haken?«
»Kannst du für mich bei der SMUT anrufen und nachfragen, wer diese Vermisstenanzeige auf Seite drei aufgegeben hat?« Er hielt die Seite aufgeschlagen hoch, so dass der Koch sehen konnte, was er meinte.
Rick kam um den Tresen herum an Sanchez’ Tisch. Er nahm die Zeitung und studierte die Anzeige.
»Das erzählen sie dir ganz bestimmt nicht«, sagte er schließlich. »Sie sind sehr diskret in diesen Dingen.« Er zuckte die Schultern.
»Es muss doch einen Weg geben, das herauszufinden!«
»Könnte sein. Ich kenne einen Freund, der hat einen Freund, der für die SMUT arbeitet. Ich schätze, ich könnte ihn bitten, sich umzuhören und etwas herauszufinden, wenn es so wichtig für dich ist.«
»Ist es. Und es ist mir außerdem eine ganze Flasche von meinem besten Zeug wert, wenn du das für mich erledigst.«
»Tennessee Whiskey?«, fragte der Koch hoffnungsvoll.
»Was immer du magst«, antwortete Sanchez großzügig. Und jeder, der ihn kannte, wirklich jeder wusste auch, dass es sich um etwas sehr Wichtiges handeln musste, wenn er bereit war, dafür etwas herzugeben, das ihn eine Stange Geld gekostet hatte.
»Also gut, abgemacht. Könnte einen oder zwei Tage dauern, bis ich es herausgefunden habe, aber ich rufe dich an, sobald ich etwas höre.«
»Danke, Rick. Ich weiß das wirklich zu schätzen«, sagte Sanchez. Es klang, als meinte er es tatsächlich so. »Mach mir die Kaffeetasse noch mal voll, okay?«
Der Koch runzelte die Stirn. »Warum rufst du die SMUT eigentlich nicht selbst an?«, wollte er wissen.
»Ich will nicht, dass irgendjemand erfährt, dass ich mich für das Mädchen interessiere, das ist alles. Diese Sache bleibt unter uns, ja?«
»Sicher«, antwortete der Koch. Er grinste, dann fügte er hinzu: »Du weißt, wo die Kaffeekanne steht. Mach dir deine Tasse selbst voll, du feister Bastard.«