15
»Warum haben Sie sie geöffnet?« wollte Alicia wissen, während Jack an der Schnur zog, um die Jalousie zu schließen.
»Ich wollte sichergehen, daß sie wissen, daß wir hier sind.« Er zog sich vom Fenster zurück und schüttelte den Kopf. »Sie sind mit Sturmpistolen ausgerüstet. Es scheint, als meinten sie es wirklich ernst.«
Alicias Eingeweide verkrampften sich zu einem schmerzhaften Knoten. Männer mit Waffen … die nach ihr suchten … wie hatte sie nur in diese Lage geraten können?
»Sie meinen, die Leute wollen uns töten?« fragte sie.
»Das ist das einzige, wofür die Tec-9 gut ist«, erwiderte Jack. »Totale Vernichtung auf geringste Entfernung.« Er lächelte flüchtig. »Aber nicht Sie. Sie zu töten, dürfte das letzte sein, was sie wollen.«
Alicia bemerkte, daß er das auf der Hand liegende nicht ausgesprochen hatte: Jack zu töten stünde auf ihrer Liste ganz oben.
Will Matthews, wo sind Sie, wenn ich Sie brauche?
»Rufen Sie die Polizei«, sagte sie plötzlich erregt. Sie wollte nicht, daß Jack vom gleichen Schicksal ereilt wurde wie die drei anderen Männer, die sie in diese Affäre hineingezogen hatte. »Vielleicht wenn sie wissen, daß die Polizei kommt …«
»Der Kerl, der auf den Mast geklettert ist, hat das schon erledigt. Und selbst wenn er es nicht getan hätte, wären die Cops niemals rechtzeitig hier. Und wenn sie hier sein könnten, würden wir sie trotzdem nicht rufen.«
Er ging durch das Wohnzimmer und verschwand im angrenzenden kleinen Eßzimmer. Alicia folgte ihm.
»Sehen Sie, Jack. Ich weiß, daß Sie etwas gegen die Polizei haben, aber da draußen sind mindestens ein Dutzend bewaffnete Männer …«
»Acht«, korrigierte er sie, während er vor einem verstaubten Sideboard auf die Knie ging und es von der Wand wegzog. »Und einer von ihnen ist nicht bewaffnet – oder zumindest zeigt er es nicht, wenn er es doch ist.«
An der Wand hinter dem Sideboard befand sich etwas, das aussah wie das Bedienungsfeld eines Sicherheitssystems. Jack begann einen Code einzugeben.
»Na schön, dann eben nur acht«, sagte sie, und ihre Angst und Hilflosigkeit steigerten sich. »Egal wie viele, auf jeden Fall lauert da draußen eine kleine Armee, und hier drin sind nur Sie und ich. Und was tun Sie? Sie stellen einen Alarm ein. Wir brauchen keinen Alarm, wir brauchen Hilfe!«
»Nein«, widersprach er. »Wir müssen raus. Und genau dorthin werden wir gleich verschwinden.« Er schob das Sideboard wieder vor die Wand und ging zur Küche. Er bedeutete ihr mit einer Handbewegung, daß sie ihm folgen sollte. »Gehen wir.«
Er führte sie durch die Küche, ohne eine Lampe anzuknipsen. Hinter dem Kühlschrank ging es scharf nach links zu einem offenen dunklen Durchgang.
»Dort geht es in den Keller«, sagte er. »Das Geländer ist auf der rechten Seite. Sobald Sie diese Tür hinter sich schließen, schalte ich das Licht an.«
Der Keller war nur halb fertig – teils getäfelt, teils waren nackte Steine zu sehen. Jack ging über den mit Schutt übersäten Boden zu einem Teil der Täfelung, fuhr mit dem Finger über den oberen Rand und zog. Das Teil schwang an Scharnieren von der Wand weg. Dahinter gähnte eine runde Öffnung, Durchmesser ungefähr anderthalb Meter, im Mauerwerk.
»Was, um alles in der Welt…«, setzte Alicia an.
»Nicht in der Welt, sondern in der Erde«, meinte Jack grinsend.
»Ein Bunker?« Der Gedanke, in einem finsteren Loch eingeschlossen zu sein, dort zu kauern, während Männer mit Maschinenpistolen nach ihr suchten, war zuviel. »Oh, nein. Ich glaube nicht, daß ich dort reingehe.«
»Es ist ein Tunnel.« Sie hörte an seinem Tonfall, daß er allmählich die Geduld verlor. »Wir gelangen auf diesem Weg auf die andere Straßenseite. Kommen Sie schon. Wir haben nicht viel Zeit.«
Er reichte ihr eine Taschenlampe und bedeutete ihr, vorzugehen. Indem sie tief Luft holte, tauchte sie in die Öffnung und kroch ein paar Schritte weit. Sie stellte fest, daß sie sich in einer Röhre aus geriffeltem Stahl befand. Kalt, aber überraschend sauber. Jack folgte ihr und zog das Wandstück hinter sich zu. Sie knipste die Taschenlampe an, als totale Dunkelheit sie einhüllte.
»Leuchten Sie für einen Moment hierher«, bat er sie.
Er betätigte eine Art Verschluß an dem Wandstück, dann schlängelte er sich an ihr vorbei. Er nahm ihr die Taschenlampe ab und kroch weiter in den Tunnel hinein.
»Hier entlang.«
»Habe ich denn eine andere Wahl?« erwiderte sie und fragte sich, wann diese Nacht wohl enden würde.