30
Wir waren doch die einzigen
Normalen
in einer Welt voller Kannibalen
Fabian und das Stromorchester
Draußen roch es nach Leben. Inmitten dieser sterbenden Welt war die Luft erfüllt von der ganzen Lebendigkeit eines ausgehenden Sommers.
Sabine hatte ihn durch einen Duschraum, ein Treppenhaus und die ehemalige Kantine aus dem Verwaltungsgebäude des Zoos herausgeführt. Auf dem Hof vor dem Gebäude stand nahe beim Eingang eine Schubkarre mit Werkzeug; Carsten blieb stehen. Ein Spaten, eine Harke, eine Schaufel – eine Axt. Die hob er auf. Sie war schwer und klobiger als seine Waffe aus dem Baumarkt. Das Blatt hatte Rost angesetzt, und am Stiel klebte angetrockneter Schlamm.
»Die wirst du hier nicht brauchen«, sagte Sabine und sah ihn gutmütig an. Als er keine Anstalten machte, sie zurückzulegen, zuckte sie die Schultern. »Komm.« Sie führte ihn einen Schotterweg zwischen üppigen, dunkelgrünen Büschen entlang.
»Das ist wie eine Oase hier«, sagte Carsten.
Sabine nickte. »Ich weiß. Schön, nicht?«
Sie lief mit ihm an einem See vorbei, der einmal voller Enten und Flamingos gewesen war, wie Carsten sich erinnerte. Das letzte Mal war er mit seiner Klasse hier gewesen. Zum Ausflug. Das schien ewig her zu sein, war es aber nicht. Jetzt war kein einziger Vogel auf dem See zu sehen. Wohl eher ein Fort als eine Oase, dachte er.
Die meisten Gehege und Käfige auf ihrem Weg waren leer, doch ein paar Tiere schienen auf Sabine geradezu zu warten und kamen ihr bis an den Zaun oder ans Gitter entgegen – zwei Esel, ein paar Schafe, eine Gruppe asiatischer Wildpferde. Sabine grüßte sie alle im Vorbeigehen.
Carsten erinnerte sich an den Biss. An jeden einzelnen Biss. An die Wunden in seinem Fleisch und die Prionen in seinem Körper. Seine Beine wurden schwach unter seinem Gewicht, er blieb stehen und stützte die Hände auf die Oberschenkel.
»Alles okay?«, fragte Sabine.
Wie konnte sie das fragen?
»Willst du dich hinsetzen?«
Carsten nickte. Er ließ sich auf einen großen Findling am Rand des Weges nieder, lehnte die Axt an den Stein und stützte seine Stirn in die gesunde Hand. Sabine legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Ich gehöre nicht hierher«, sagte er schließlich.
»Was?«
»Ich hätte nicht herkommen dürfen. Ich bringe dich in Gefahr, dich und Miriam und deinen ganzen sicheren Bereich hier.« Er sah sie an. Sabine machte eine Bewegung, als könnte sie das Problem mit der Hand wegwischen.
»Du bist nicht gefährlicher als ich oder er.« Sie zeigte auf einen Ziegenbock.
Carsten schüttelte den Kopf. »Du hast doch meine Wunden gesehen. Das sind Bisswunden, Sabine. Ich bin infiziert! Die Prionen sind jetzt in mir, ich kann … Es kann jederzeit …«
»Lass gut sein«, unterbrach ihn Sabine ruhig. »Ich weiß schon, was ich tue. Du bist immun. Genau wie ich, genau wie Miriam, genau wie meine Tiere hier. Einige werden krank und sterben. Viele, leider. Aber ein paar bleiben gesund und überleben. Du bist einer, der überlebt.«
Carsten schüttelte den Kopf.
»Es ist die Inkubationszeit«, erklärte er und merkte erst beim Sprechen, dass er wütend klang. »Die ist bei jedem Menschen unterschiedlich. Bei den Tieren wahrscheinlich auch. Es kann jederzeit beginnen. Und das gilt auch für Miriam. Du solltest wissen«, er sah sie ernst an, »sie hat eine Menge Leitungswasser getrunken.«
Sabine zog eine Braue hoch und schmunzelte, als müsse sie sich beherrschen, ihn nicht auszulachen. »Eine Menge Leitungswasser?«, wiederholte sie betont. Carsten nickte.
»Was meinst du, wovon ich mich hier ernähre? Und womit ich die Tiere tränke? Meinst du, die saufen Evian?« Sie wurde wieder ernst. »Es ist so, Carsten: Einige leben, einige sterben. So ist das, und das ist alles. Und das ist auch nicht das erste Mal, dass sowas passiert. Und wenn du mir nicht glauben willst, dass du immun bist, dann bleib wenigstens so lange, bis wir merken, dass du krank wirst. Gehen kannst du dann immer noch. Einverstanden?«
Carsten antwortete nicht. Er suchte nach den richtigen Argumenten. »Es gibt keinen einzigen Anhaltspunkt«, sagte er schließlich langsam und betont, »für die Annahme, dass wir immun sind. Es gibt nichts, was dafür spricht. Die Ärzte, die Forscher … niemand hat irgendeinen Hinweis darauf gefunden, dass es bei irgendwem so etwas wie Immunität gibt. Es wäre schön, das zu glauben, aber … Es tut mir leid, ich fürchte, das ist nur dein Versuch, irgendwie die Hoffnung zu erhalten.«
»Ich habe inzwischen einige gesehen«, sagte Sabine, und ihr Ton war jetzt schärfer, »die krank geworden sind, und einige, die daran gestorben sind. Menschen und Tiere. Und ich sage dir: Wenn einer überlebt, dann ist er immun. Wenn einer so wie du gebissen wird und überlebt – ich war viele Stunden bei dir, als du ohnmächtig warst. Du hast geschwitzt wie ein Schwein, und zwischendurch dachte ich, das Fieber wird so stark, dass du daran stirbst. Bist du aber nicht. Fieber ist eine Immunantwort, Carsten. Prionen lösen normalerweise gar kein Fieber aus, weil der Körper sie nicht als Krankheitserreger erkennt. Bei dir schon. Und du hast überlebt. Und wenn wir nicht immun wären, hätten wir es nie im Leben so lange geschafft, gebissen oder nicht. Du weißt doch selbst am besten, dass das Zeug überall ist: im Essen, im Wasser, sogar im Regen. Wir wären schon längst tot, wenn wir nicht immun wären. So sieht es aus.«
»Hast du auch einen Biss überlebt?«, fragte Carsten. »Ich meine – bist du auch gebissen worden?« Ohne nachzudenken lehnte er den Oberkörper zurück, weg von ihr.
»Pass auf«, meinte Sabine. »Du bist entweder eine tickende Zeitbombe oder du bist immun. Such dir was aus. Und jetzt gehen wir zu Miriam und ihren Pinguinen. Komm.«
Carsten überlegte noch, was er erwidern sollte, als sich Sabine schon umdrehte und den Weg entlangstapfte.
Carsten stand von dem Findling auf und blieb noch einen Moment unentschlossen stehen, dann packte er die Axt und folgte ihr.
Er sah schon aus der Entfernung, dass Miriam sich verändert hatte. Das Mädchen war weniger blass, ihre Haut weniger transparent und sie wirkte sogar weniger mager, als Carsten sie in Erinnerung hatte. Miriam sah eindeutig gesünder aus. Sie trug immer noch sein viel zu großes, graues Sweatshirt mit den hochgekrempelten Ärmeln. Sabine rief ihren Namen so laut, dass Carsten zusammenzuckte. Sabine bemerkte das.
»Keine Angst, wir sind hier sicher, glaub mir«, erklärte sie. »Über den Zaun kommt keiner rüber. Wir dürfen hier so laut sein, wie wir wollen. Geronimo!«, rief sie wie zum Beweis unnötig laut dem Himmel entgegen.
Miriam drehte sich um, und als sie Carsten sah, strahlte sie. »Herr Lemmner!« Sie lief auf ihn zu. Carsten streckte ihr die Handfläche entgegen.
»Halt, Miriam!«, sagte er streng. »Komm nicht näher.«
»Jetzt hab ich aber genug!«, fuhr Sabine ihn an. »Wirst du wohl das Mädchen in den Arm nehmen?!«
Carsten stand da und hatte keine Ahnung, was richtig war. Miriam stand ein paar Schritte von ihm entfernt und schien es ebenfalls nicht zu wissen. Schließlich ging das Mädchen langsam auf ihn zu, den Kopf leicht schief gelegt und Skepsis in den Augen. Als sie ihn erreicht hatte, lächelte sie, drückte den Kopf an seinen Bauch und schlang die Arme um ihn. »Ich bin so froh, dass Sie aufgewacht sind, Herr Lemmner«, hörte er ihre gedämpfte Stimme. Carsten erwiderte die Umarmung, und es fühlte sich gut an, das Mädchen zu halten, von dem er gedacht hatte, er hätte es in den Tod geführt.
»Ich auch«, sagte er, »ich auch.«
Carsten wollte den Zaun selbst in Augenschein nehmen, um sich von ihrer Sicherheit zu überzeugen, und hatte Sabine gebeten, ihn hinzuführen.
»Kann ich machen«, hatte sie seine Bitte schulterzuckend beantwortet. »Aber schön ist es da nicht. Es kommen schon einige her aus der Umgebung. Sie werden von den Geräuschen der Tiere angelockt, nehme ich an. Und von meinem Generator. Und dann mühen sie sich tagelang ab, durch den Zaun zu kommen. Bis sie sterben. Und dann verrotten sie da. Und die, die später kommen, machen sich über die Leichen her. Der Gestank ist schwer zu ertragen, vom Anblick ganz zu schweigen. Überleg dir, ob du dir das wirklich antun willst.«
Carsten wollte sich das wirklich antun. Sich auf das Wort der Tierärztin zu verlassen war ihm zu unsicher.
Der Geruch von verfaulendem Fleisch stellte sich ein, noch bevor Carsten den Zaun sehen konnte. Bald darauf wurde er körperlich spürbar. Carsten bemühte sich, seine Übelkeit zu unterdrücken, und schluckte den Speichel, der sich in seinem Mund sammelte. Er hatte sich inzwischen oft genug bewiesen, dass er sich über seinen Ekel hinwegsetzen konnte. Schwer fiel es ihm jedes Mal.
Sabine ging voraus. Carsten hörte ein metallisches Rasseln und Klappern; der Zaun konnte nicht mehr weit entfernt sein. Die Geräusche verrieten auch, dass nicht nur verwesende Leichen vor dem Zaun versammelt waren.
Zwischen licht beieinanderstehenden, jungen Bäumen war der Zaun wie ein doppelter Befestigungsring aufgestellt: zwei lange Reihen großer Metallgitter, wie Carsten sie von Baustellen kannte. Fünf Schritte Wiese lagen zwischen den beiden übermannshohen Gitterzäunen, der äußere Zaun war mit dicken Knäueln Stacheldraht gekrönt.
Ein kräftiger Mann hatte seine Fäuste um die Stangen des äußeren Zauns gelegt und schüttelte daran, dass die Gitter gegeneinanderklapperten. Er trug die Reste einer verdreckten Militäruniform. Ein zweiter Mann schlurfte mit schwankendem Gang und herunterhängendem Unterkiefer an seine Seite. Unbeirrbar trottete er gegen das Gitter, als wäre der Zaun für ihn unsichtbar. Carsten sah für einen Augenblick die Frau im Drogeriemarkt vor sich und ihr verdrecktes Oberteil mit der Aufschrift »Beauty Queen«, wie sie sich gegen die Schaufensterscheibe presste.
»Siehst du«, Sabine deutete auf die beiden Männer. »Keine Chance. Da kommen sie nicht rüber. Wir würden es vielleicht schaffen, schwer genug mit dem Stacheldraht, aber die kriegen das auf keinen Fall mehr hin.«
Carsten ließ seinen Blick über das Leichenfeld vor dem äußeren Zaun gleiten. Sein Gesicht verzog sich angewidert. Sabine hatte in ihrer Beschreibung nicht übertrieben: Dutzende verwesender Körper waren vor dem äußeren Zaun verteilt, viele davon in Stücke gerissen, mit blutgetränkten Fetzen ihrer alten Kleidung bedeckt. Im Schatten der Bäume entdeckte er eine dritte lebendige Gestalt vor dem Zaun; eine Frau saß mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, in der Hand einen unförmigen fleischigen Stumpf. Ihr Gesicht war blutbeschmiert, eine Ohrmuschel war ihr bis auf einen Rest Knorpel vom Kopf gerissen. Sie vergrub ihre Zähne in dem verstümmelten Körperglied, das sie in den Händen hielt. Ihr Blick war leer. Sie fraß das fremde Fleisch ohne jedes Zeichen von Gier oder Genuss.
»Wenn wir schon hier sind«, sagte Sabine, dann zog sie ein Gitter des inneren Zauns aus seinem Zementfuß und öffnete damit den Weg in den Streifen zwischen den beiden Zaunreihen. Carsten sah, dass die Gittermatten des äußeren Zauns miteinander verschraubt waren. Den konnte man also nicht auf die gleiche einfache Art öffnen. Sabine ging zu einer blauen Plastiktonne, die nah am äußeren Zaun stand, und zog ein Paar Arbeitshandschuhe an, die darauf abgelegt waren. Dann ergriff sie eine rostbedeckte Eisenstange, die an der Tonne lehnte. Sie wandte sich ruhig den beiden Männern zu; der eine schüttelte weiter das Gitter, der andere lief unbeirrbar in immer neuen Anläufen gegen den Zaun.
Sabine stellte sich stabil vor dem Mann in Uniform auf und hob die Eisenstange in beiden Händen über den Kopf. Der Mann röchelte laut vor Aufregung und schüttelte das Gitter noch heftiger, die Augen auf Sabine geheftet. Sabines Lippen waren fest zusammengepresst, ihr Kiefer zeichnete sich durch ihre Wangen ab. Sie stieß zu, bohrte dem Mann die Stange wie einen Spieß direkt durch den Hals. Sein Röcheln wurde zu einem nassen Gurgeln, und er sank schwer am Zaun herunter, eine Faust immer noch um einen Gitterstab geklammert.
Sabine sah Carsten nicht an. Sie stellte sich vor den zweiten Mann, der weiter unablässig gegen den Zaun wankte, holte aus und stieß ihm ihre primitive Waffe in einer kräftigen Abwärtsbewegung in den Brustkorb. Carsten wandte die Augen ab. Er hörte, wie der Mann zu Boden fiel.
Die Frau im Schatten hob nur kurz den Kopf, dann wandte sie sich wieder ihrem blutigen Mahl zu.
Sabine sah nickend auf die beiden frischen Leichname hinab, auf dem Gesicht einen Ausdruck wie Zufriedenheit nach getaner Arbeit. Sie atmete schwer. Carsten hatte fast bewegungslos dagestanden, erst jetzt bewegte er seine Füße wieder.
»Ich hab’s dir gesagt«, meinte Sabine und sah ihn an. »Nicht schön.«
Sabine führte ihn über das Zoogelände zurück zum Verwaltungsgebäude. Eine Zeit lang gingen sie schweigend nebeneinander her. Schließlich fragte Carsten: »Du hast das nicht alles alleine aufgebaut, oder?«
Sabine schüttelte den Kopf. »Wir waren zu neunt«, erklärte sie. »Ohne die anderen hätte ich es nie im Leben geschafft, das Gelände abzusichern. Den Zaun zu bauen. Die Tiere zu versorgen. Am Anfang waren das ja noch viel mehr.«
»Was ist aus den anderen geworden?«
»Drei – Corinna, Frank und Benni – wollten in die Hauptstadt«, antwortete sie.
Carsten zog die Brauen hoch. »Die auch?«, meinte er. Dann fügte er hinzu: »Obwohl – vielleicht waren das ja die gleichen.«
»Was?«
»Ich hab vor ein paar Tagen von einer Gruppe Überlebender gehört, die da hinwollte. Vielleicht waren deine Freunde ja dabei.«
»Von wem hast du das gehört?«
Carsten dachte zurück an Jens, den Gewehrschützen. »Von einem extrem unangenehmen, schießwütigen Typen«, antwortete er. »Ich bin direkt an seinem Hauptquartier vorbeigekommen«, erklärte Carsten.
»Beim Krankenhaus?«, fragte Sabine.
Carsten nickte. »Kennst du den?«
»Wir haben uns mal getroffen«, nickte Sabine. »Jens hieß er, glaub ich.«
»Ja«, Carsten nickte. Er spürte ein Echo der Angst in seinem Magen, die er im Visier und im Kerker dieses Mannes erlebt hatte. »Der hat mich mit einer sterbenden Frau in ein Verlies gesperrt. Für zwei Tage. Und dann … wollte er auf einmal mein Kumpel sein.«
»Wieso?«
»›Quarantäne‹«, zitierte Carsten. »Als ob das in irgendeiner Form …«
»Nein, warum wollte er dein Kumpel werden?«, unterbrach ihn Sabine.
»Keine Ahnung. Er wollte mit mir essen, Filme gucken und so.«
Sabine nickte. »Er ist einsam«, meinte sie.
»Er ist ein brutaler Drecksack. Ich glaube kaum, dass er Wert auf Gesellschaft legt. Im Gegenteil, ich glaube, er hat Menschen am liebsten, wenn er auf sie schießen kann«, meinte Carsten bitter.
Sabine sah ihn ernst an. »Jeder geht auf seine Art mit dem um, was hier passiert«, meinte sie.
»Glaub mir, er hat es genossen, die …«, wieder fehlte Carsten das richtige Wort. »Er genießt es, sie zu erschießen.«
Sabine schüttelte den Kopf. »Ich glaube, er hat es genossen, was zu tun zu haben«, meinte sie.
Carsten blieb stehen. Sabine ging noch zwei Schritte weiter, dann drehte sie sich zu ihm um. »Er tötet so viele, wie er kann. Das ist seine Aufgabe. So wie Schulkinder suchen oder Zootiere versorgen.«
Carsten runzelte die Stirn. Er fühlte sich an ihr erstes Treffen erinnert.
»Wir haben nichts mehr zu tun, Carsten«, erklärte Sabine eindringlich. »Unser altes Leben ist vorbei. Wir müssen nicht mehr arbeiten gehen. Wir müssen überhaupt nichts mehr tun. Das gibt’s alles nicht mehr. Ab jetzt müssen wir selber gucken, was wir mit unserer Zeit anstellen.«
»Überleben«, antwortete Carsten.
Sabine schmunzelte. »Das nimmt gar nicht so viel Zeit in Anspruch, wie man zuerst denkt. Wir sind hier sicher. Und wir werden noch für lange Zeit genug Lebensmittel finden, glaub mir. Dafür brauchen wir nur ein paar Stunden am Tag.
Den Rest der Zeit«, sie breitete die Handflächen vor sich aus, »haben wir frei. So gesehen paradiesisch.«
Carsten blickte sie wortlos an.
»Was wolltest du schon immer mit deinem Leben anfangen?«, fragte sie ihn. »Ich meine, ohne Job, ohne Arbeit – was wolltest du mit deiner Zeit anfangen?« Sie sah ihn ermutigend an.
Carsten antwortete nicht. Ihm fiel keine Antwort ein.
»Meinetwegen kannst du – was weiß ich? – dich den ganzen Tag nackt in die Sonne legen. Oder den ganzen Tag Cocktails trinken. Ich besorg dir alle Zutaten, wenn du willst.«
»Das ist doch …«, wehrte Carsten ab, ohne wirklich zu wissen, was er sagen wollte. Er sah sie unschlüssig an.
»Du kannst uns natürlich auch gerne mit den Tieren helfen«, meinte Sabine. »Da freu ich mich. Ist mehr als genug zu tun. Musst du aber nicht.«
Carsten schwieg.
»Komm«, meinte Sabine und bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung weiterzugehen. Carsten blieb stehen. »Ich hab die Kinder nicht gesucht, um eine Aufgabe zu haben«, sagte er nach einer weiteren Pause.
»Wie auch immer«, entgegnete Sabine und ging weiter. Carsten blieb stehen und überlegte, ob er gerade gelogen hatte.