DIE
SCHWANGERSCHAFTSLÜGE
Seit dem 3. August 1975 scheint es, als habe das unstete Leben von Horst Napalke endlich seinen Ruhepunkt gefunden, an dem er Wärme und Geborgenheit empfängt, die ihm in seinen bisherigen 19 Jahren auf dieser Welt so sehr gefehlt haben. Horst Napalke, der im Mai 1956 in Leipzig geboren wurde, ist ein her-umgestoßenes Kind. An seine leibliche Mutter kann er sich kaum erinnern, denn die Ehe der Eltern geht früh in die Brüche. Nur für kurze Zeit bleibt er mit seinen beiden Geschwistern bei der Mutter. Der Vater ist inzwischen in den Armen einer anderen Frau gelandet, einer Ärztin, die er später zur Ehefrau Nummer zwei nimmt. Als die leibliche Mutter Horst in ein Heim abschieben will, nimmt der Vater den kleinen Jungen zu sich. Doch die »neue Mutti« hat nichts für das »Kuckuckskind« übrig, zumal es vom Unglück verfolgt wird. Beim Spielen auf der Straße gerät er unter ein Auto. Der Vierjährige wird am Kopf und am Unterleib schwer verletzt, liegt zwei Wochen in einem Leipziger Krankenhaus. Mit sechs Jahren wird er eingeschult, doch kaum ist die Zuckertüte nach Hause getragen, fesselt ihn eine schwere Scharlach-Erkrankung ans Bett. Den mehrwöchigen Lernrückstand kann der schmächtige Horst nicht aufholen. Er wird aus-und ein Jahr später wieder eingeschult. Die erste Klasse schafft er mit Mühe, die zweite muss er als Sitzenbleiber wiederholen. Schule ist für ihn zu dieser Zeit nur noch Last, ohne Erfolgserlebnisse und ohne Anerkennung. Die versucht sich das Kind auf andere Art und Weise zu erheischen. Es stört den Unterricht, neckt Klassenkameraden und hält sie vom Lernen ab.
Zu dieser Zeit ist Ehefrau Nummer zwei beim Vater bereits Geschichte. Auf der »Suche nach einer neuen Mutter«, wie es Horst empfindet, verschlägt es Vater und Sohn Napalke nach Kühlungsborn an die Ostsee. Dort kommt er in eine Sonderschule und wieder in eine neue Familie. Denn Vater Gerhard hat inzwischen Ehefrau Nummer drei an Land gezogen. Auch zu der ist das Verhältnis des umhergestoßenen Kindes gespannt. Es fühlt sich erneut unnütz wie ein »fünftes Rad am Wagen«. Auf Ehe Nummer drei folgen die Ehen Nummer vier, fünf und sechs des Vaters, verbunden mit Umzügen nach Berlin, Bernau, Vogelsang bei Neubrandenburg, Gerswalde bei Templin und schließlich nach Cottbus. Horst, das Anhängsel seines lebens-und liebeslustigen Erzeugers, wird von Ehe zu Ehe mit- und durchgeschleppt wie das ungeliebte Kuckuckskind. Denn alle Schwüre auf ewige Liebe und Treue zerbrechen dem Vater wieder und wieder. Horst, der nach zwischenzeitlichen Eskapaden im Internat seines Ausbildungsbetriebes eine Lehre zum Betonfacharbeiter im Wohnungsbaukombinat Cottbus ein halbes Jahr vorfristig mit guten Leistungen abgeschlossen hat, bekommt mal wieder eine weitere Frau vorgesetzt, die zu den Männern in die Wohnung zieht und sich anschickt, des Vaters Ehefrau Nummer sieben zu werden.
Als er am besagten Abend im August, einem Sonntag, Marika beim Tanz in der Gaststätte »Mentana« in Cottbus trifft, ist das ein großes Glück. Er versteht sich mit ihr von der ersten Aufforderung an. Es stört ihn überhaupt nicht, dass sie fünf Jahre älter ist und bereits eine drei Jahre alte Tochter hat. Der Mann jünger als die Freundin, das ist ungewöhnlich. Doch was ist an Horst schon gewöhnlich? Bei guter Musik, Bier, Wein und Mixgetränken lassen sie an diesem Abend keine Minute voneinander. Sie tanzen eng umschlungen nach immer schmusiger werdenden Klängen. Als die »Mentana« schließt, bringt Horst seine erste richtige Liebe bis vor die Haustür. Lange stehen sie dort zusammen in der lauen Augustnacht, und Horst fühlt sich erstmals wie ein Sonntagskind.
Ganz klar, dass sie sich für den nächsten Tag verabreden. Sie treffen sich am Ufer der Spree, dem traditionellen Ort für Verliebte. »Es begann eine tolle Woche. Wir machten die Nacht zum Tage, besuchten Tanzveranstaltungen und liebten uns«, erinnert sich Horst. Sie leben wie Mann und Frau zusammen. Marika macht ihm das Essen, kümmert sich um die Wohnung und viele andere Dinge des täglichen Miteinanders. Mandy, die kleine Tochter seiner Freundin, wächst ihm ans Herz, und schon bald ist er für die Dreijährige der »Vati«, der sie auf den Schoß nimmt, mit ihr spielt, sie tröstet bei kindlichem Kummer. Stolz ist er über die Zuneigung.
Sechs Wochen nach dem ersten Kuss vor der Haustür läuten die Hochzeitsglocken. Horst liebt und ist zufrieden mit sich und seinen Gefühlen.
Als der Vater mit seiner Ehefrau Nummer sieben in spe in Cottbus seine Zelte abbricht und wieder einmal die Republik durchquert, hat das junge Ehepaar die komfortable Wohnung für sich allein. Nicht alle jungen Ehepaare starten von einer solch günstigen Position aus in ihr gemeinsames Leben. Doch just ab diesem Zeitpunkt bekommt das so schnell geschlossene Ehebündnis die ersten Risse. Haushalt und Kind werden für Marika von einem Tag auf den anderen zur Nebensache. Gern schlendert sie durch die Stadt, geht lieber zum Tanz - vorzugsweise auch allein - als nach Hause an den heimischen Herd. Kein Wunder, dass das Geld selten bis zur nächsten Lohnzahlung reicht. Es ist öfter Ebbe in der Haushaltskasse. Wenn die frisch Vermählten darüber streiten, fliegen die Fetzen. »Dann gehe ich eben auf den Strich«, giftet ihn die Ehefrau an, wenn Horst wieder ihren ausschweifenden Lebenswandel und ihre Unfähigkeit zum Wirtschaften kritisiert. Das treibt ihm die Wut in den Kopf, in dem sich schon seit längerer Zeit die Vermutung eingenistet hat, dass es Marika nicht so genau nimmt mit der ehelichen Treue. Er schreibt ihr anonyme Briefe mit eindeutigen Angeboten, um das zu überprüfen. Obwohl er keine handfesten Beweise für ihr Fremdgehen hat, treibt ihn seine Eifersucht fast in den Wahnsinn. Er will sie auf Schritt und Tritt überwachen, taucht daheim auf, wenn er eigentlich auf Arbeit sein müsste, und kontrolliert, mit wem sie sich in der Stadt trifft. In seinem Jähzorn schlägt und misshandelt Horst das widerspenstige Eheweib, ritzt ihr sogar mit Rasierklingen die Arme auf. Hausbewohnern und Kolleginnen bleiben derartige Verletzungen und Hämatome nicht verborgen. In mehreren Fällen ist der
Abschnittsbevollmächtigte bei Horst und Marika zu Gast. Einmal bittet die Frau um Hilfe, weil Horst ein neues Türschloss eingebaut und sie aus der gemeinsamen Wohnung ausgesperrt hat. Ein anderes Mal kommt der Mann - leicht angetrunken -ins ABV-Dienstzimmer und fordert die Staatsmacht zum Eingreifen gegen die Untreue seiner Ehefrau auf. Sogar von Morddrohungen ist einmal in einem nächtlichen Anruf die Rede. Die herbeigeeilten Polizisten eines Funkstreifenwagens stellen jedoch nichts Ernsthaftes fest, registrieren nur, dass beide Ehepartner sichtlich zu viel Alkohol getrunken haben. Aussprachen finden statt: beim ABV, mit dem Vater von Horst und mit den Eltern von Marika. Von Trennung und Scheidung ist die Rede, doch die Eltern ermahnen die jungen Leute zu Vernunft, Toleranz, Nachsicht und Durchhaltevermögen in der Krise. Die Appelle scheinen zu fruchten. Hausbewohner beschweren sich nicht mehr über lautstarken Zwist in der Wohnung der Napal-kes, Polizeistreifen beobachten, dass die Eheleute nachts Arm in Arm aus der »Mentana«, ihrer Lieblingsgaststätte, nach Hause wanken.
Gerade dort, in der »Mentana«, bekommen der Ehekonflikt und die Eifersucht von Horst neue Nahrung. Bei den Tanzrunden ist er längst nicht mehr der uneingeschränkte Favorit bei Marika. Die dreht sich viel lieber mit anderen Männern im Kreis, frischt alte Herrenbekanntschaften auf und knüpft neue. Seit einiger Zeit gibt es Kurtchen an der Seite der unternehmungslustigen Marika. Heimlich noch, aber schon intim.
Die beide Turtelnden beschließen eine List, um ihre Beziehung ungestört pflegen zu können. Im Mai 1976 betritt bei einem der »Mentana«-Besuche Kurtchen mit seiner Ehefrau die Bühne. Die Familien freunden sich an und besuchen sich, wobei es stets feucht-fröhlich zugeht bei den »kleinen Saufabenden«, wie sie Horst bezeichnet. Schnell aber wird dem eifersüchtigen Ehegatten die zunehmende Vertrautheit zwischen Kurtchen und Marika unheimlich. Die besteht plötzlich auf einen »familienfreien Tag«, um sich mit Freundinnen zu treffen. Zähneknirschend stimmt er dem Verlangen zu, innerlich aber ist er überzeugt, dass die »Freundinnen« alle nur einen Namen tragen: Kurtchen! Selbst dessen Hund ist für ihn der Beweis der Untreue seiner Angetrauten. Während der Vierbeiner Marika bei den Besuchen schwanzwedelnd und freudig begrüßt wie eine alte Bekannte, nimmt er von ihm kaum Notiz oder knurrt Ihn böse an. Kurtchen geht bei den Napalkes mittlerweile ein und aus, macht es sich auf der Couch neben Marika bequem, während Horst auf dem Sessel sitzen muss. Um Bier für Kurtchen zu kaufen, ist immer genug Geld in der Haushaltskasse, verlangt der Hausherr hingegen nach einem Cottbuser Hell, Ist die Schatulle leer. Kurtchen will Marika seinen Trabi überlassen für einen Preis, für den man auf den florierenden AutoSchwarzmarkt nicht mal die Hupe bekommen würde. Als Horst mit dem Verweis auf die gähnende Leere auf dem Konto das großzügige Angebot ablehnt, droht Marika damit, sich das Geld mit Männern zu erschlafen. Im Übrigen jage er nur seinen eifersüchtigen Hirngespinsten nach, wenn er ihr ein intimes Verhältnis mit dem Freund der Familie unterstelle. »Du willst mich gleich mit jedem verkuppeln, mit dem ich mich unterhalte«, pariert sie die Eifersuchtsszenen ihres Gatten. »Fass dich lieber an die eigene Nase. Was ist denn zwischen dir und meiner Schwester«, dreht sie den Spieß um.
Je präsenter der Nebenbuhler wird, desto heftiger nagen Zweifel und Verzweiflung an Horst, zumal der eheliche Sex immer seltener wird. Sein Misstrauen gewinnt weitere Nahrung, als er wieder einmal von seiner Arbeit im Betonwerk davonrennt, um daheim zu einer überraschenden Kontrolle aufzutauchen. Dort angekommen, steht er vor der verschlossenen Wohnungstür, der Schlüssel steckt von innen. Er brüllt das ganze Haus zusammen: »Macht die Tür auf, sonst schlage ich sie ein«, droht er, hämmert gegen die Tür und klingelt Sturm. Kurtchen ist es schließlich, der von innen öffnet. Der Hosenstall steht noch offen, nahezu provokativ zieht er den Reißverschluss hoch. »Denk dir bloß nichts Falsches dabei«, versucht er den wütenden Horst zu beruhigen. Im Wohnzimmer sitzt Marika mit roten Wangen und völlig aufgelösten, zersausten Haaren.
»Mir hat der Kopf gejuckt, ich bin davon fast verrückt geworden«, begründet sie ihr durchwühltes Aussehen.
Der Gehörnte hat nun zahlreiche Anhaltspunkte für die außerehelichen Beziehungen seiner Gattin aber keine handfesten Beweise. Er weiß inzwischen nicht mehr, wen er mehr hassen soll: Marika, die er immer noch liebt, und die Ehe, die er erhalten will, oder Kurtchen, der ihn verdrängt hat aus dem Herzen seiner Frau.
Die Konflikte eskalieren. Am 4. Juli, es ist wieder ein Sonntag, erklärt Marika: »Ich lasse mich scheiden. Du kannst alles haben, ich nehme nur den Fernseher, den Kühlschrank und meine persönlichen Sachen mit.« Horst ist wie vor den Kopf geschlagen. Nach noch nicht einmal einem Jahr droht die Ehe mit Marika zu zerbrechen, und damit stirbt seine Hoffnung, doch noch als Sonntagskind auf der Sonnenseite des Lebens einen Platz zu erheischen.
Am nächsten Montag gehen die Eheleute mit Töchterchen Mandy am Spreeufer entlang und essen Eis. Während das Kind spielt, unternehmen die Eltern den Versuch eines Gesprächs. Das misslingt und mündet wie so oft in der zurückliegenden Zeit im Streit, der an der Wohnungstür nicht endet. Am Abend geht das Paar wieder einmal getrennte Wege. Während Marika eine Freundin besuchen will, die wahrscheinlich Kurtchen heißt, verschlägt es Horst in eine Kneipe. Eigentlich will er nur Zigaretten kaufen, bleibt dann doch auf ein Bier, trinkt noch eines, am Ende sind es vier.
Der Montag neigt sich dem Ende entgegen, als im Volkspolizei-Kreisamt in Cottbus der Notruf 110 eingeht. Von einer Telefonzelle aus meldet sich Horst Napalke. »Meine Frau ist tot«, spricht er aufgeregt in den Hörer. »Ich habe sie im Schlafzimmer vorgefunden, als ich nach Hause gekommen bin. Sie wurde vermutlich erstochen.« Fünf Minuten vor Mitternacht trifft der K-Dienst ein und findet Marika Napalke tatsächlich erstochen auf ihrem Bett. Der Ehemann, der die Kriminalisten eingelassen hat, steht an der Schlafzimmertür und blickt entsetzt auf seine blutverschmierte Frau. Sie ist nur mit Slip und
BH bekleidet, der über ihre Brüste gerutscht ist. Die linke Brust sieht aus, als sollte sie abgeschnitten werden. In der Herzgegend und im Bauchbereich sind mehrere Wunden sichtbar, die offensichtlich von einem Messer stammen. Der Hals ist voller Würgemale. Neben dem Frisierschränkchen liegen ein Parfüm-fläschchen, unweit des Nachttisches ein Wecker auf dem Fußboden. Die Ehebetten sind zerwühlt. Die Frau hat sich gewehrt, als der Täter über sie herfiel. Schon nach kurzer Zeit besteht kein Zweifel, dass Marika ihren Mörder gekannt haben muss. Weder an der Haustür, die nachts verschlossen ist, noch an der Fingangstür zur Wohnung gibt es Spuren eines Einbruchs. War Kurtchen, den der Ehemann in einer ersten Befragung durch die Polizei ins Spiel bringt, bei seiner Geliebten? Hat sie ihm in freudiger Erwartung geöffnet? Hat es Streit zwischen dem Liebespaar gegeben mit dem furchtbaren Ergebnis auf dem Bett? Nein, dessen Alibi ist wasserdicht, er wird bei der Überprüfung friedlich schlummernd im heimischen Schlafgemach angetroffen und hat den ganzen Abend mit seiner Frau verbracht. Horst dagegen gerät in Erklärungsnot und unter dringenden Tatverdacht, als er der Polizei von dem heftigen Streit berichtet. Er wird festgenommen und gesteht wenig später, dass er Marika aus Wut umgebracht hat.
Was ist passiert zwischen dem Besuch in der Bierkneipe und dem Notruf bei der Polizei?
Horst Napalke sieht von der Straße, dass in der Wohnung Licht brennt. Alle möglichen Gedanken schießen ihm durch den Kopf. Er sieht Marika nackt und eng umschlungen in Kurtchens Armen. Er hat noch keine Lust, nach oben in die Wohnung zu gehen. Er weiß, dass er viel zu aufgewühlt ist von den Auseinandersetzungen dieses Tages, und dass er im Jähzorn die Kontrolle über sich verlieren könnte. Er beschließt, noch etwas frische Luft zu schnappen und vielleicht bei Kurtchen vorbeizugehen, um ihn zur Rede zu stellen. Von dem Vorhaben lässt er ab und geht nach einem längeren Spaziergang gegen 23 Uhr doch nach Hause. Inzwischen hat sich seine Nervenanspannung gelegt. Er ist friedlicher gestimmt als noch vor wenigen Stunden und zur Versöhnung bereit. Marika steht leicht bekleidet in der Küche und hat das Brotmesser in der Hand. Es ist ein Sägemesser. Die Klinge misst knapp 20 Zentimeter und ist sehr spitz. Der ausgeformte, etwa zehn Zentimeter lange Holzgriff liegt gut in der Hand. Beide mögen dieses Messer zum Stullenschneiden. Horst begrüßt seine Frau freundlich. Die aber reagiert nicht. Er geht zur ihr, legt seinen Arm um ihre Schulter und will sie an sich drücken. »Komm, lass uns ins Wohnzimmer gehen und miteinander reden«, schlägt er vor. Das Versöhnungsvorhaben misslingt gründlich. »Geh weg«, zischt sie und windet sich aus dem Arm ihres Ehemannes. »Du bist schmierig! Du ekelst mich an! Und ewig dein Getatsche!«
Das ist zu viel für Horst. »Dein Haushalt ist schmierig. Sieh dich doch um, wie das alles hier aussieht«, poltert er verärgert und enttäuscht zurück. Ein Wort gibt das andere, gut eine Viertelstunde geht es hin und her mit gegenseitigen Schuldzuweisungen. »Du bist nicht nur schlampig, sondern bringst das ganze Geld mit Kurtchen und deinen anderen Kerlen durch«, kocht es in Horst. Marika aber lacht nur, streckt ihm ihren Bauch entgegen und triumphiert: »Guck mal, wie der wächst. Ich bin schwanger. Bilde dir aber nicht ein, dass du der Vater bist. Das Kind ist von einem anderen Mann.« Außer sich vor Wut, Enttäuschung, Kränkung und Entsetzen packt er seine Frau mit beiden Händen an den Schultern und schüttelt sie durch. »Von wem ist es? Sag, dass es nicht stimmt«, fleht er sie an. Marika lacht nur noch lauter, streckt wieder den Bauch vor und entgegnet: »Was geht es dich an. Ich lass mich doch sowieso scheiden. Denk dran, Kühlschrank und Fernseher nehme ich mit, den anderen Krempel kannst du behalten.«
Es ist der Moment gekommen, in dem Horst Napalke jede Beherrschung verliert. Seine Hände umfassen den Hals, die Daumen drücken fest auf den Kehlkopf. Marika lässt das Messer fallen. Verzweifelt, voller Entsetzen und panischer Angst fuchtelt sie mit den Armen herum und es gelingt ihr, sich aus der Umklammerung zu befreien. Sie flüchtet ins Schlafzimmer, doch noch ehe sie den Schlüssel von innen im Schloss umdrehen kann, ist der wütende Mann bei ihr. Er schmeißt sie auf ihr Bett und würgt sie erneut. Plötzlich erlahmt ihre Gegenwehr. Seine Frau bleibt regungslos liegen. Getrieben von Eifersucht und Vergeltungswillen für die ihm zugefügte Schmach und seine verletzte Männlichkeit rammt ihr Horst Napalke wie von Sinnen das Brotmesser in den Leib.
Wochen sind seit der Tat vergangen. Horst Napalke hat zeitlichen Abstand.
In einer der folgenden Vernehmungen schildert er seine Gemütsverfassung an jenem verhängnisvollen Abend so:
»Für mich war irgendwie eine Welt zusammengebrochen, dass meine Frau doch fremdgegangen ist, mich so lange belogen und betrogen hat, von ihren Eltern unterstützt worden ist und sogar noch ein Kind von (...) kriegt. Da habe ich mir gedacht: >Bringst beide um.< Diesen Gedanken hatte ich während meiner Handlung. Vorher habe ich so etwas nicht gedacht und auch nicht geplant. Die Stiche in den Bauch habe ich deswegen gegeben, weil ich das Kind töten wollte. Die Brust abschneiden wollte ich deswegen, damit das Kind keine Nahrung hat. Weil die Brust nicht abging und ich sie richtig zerstören und vernichten wollte, habe ich auch in sie hineingestochen. Ich war so in Wut, so dass Kind und Frau sterben sollten ...«
Im psychiatrischen Gutachten der Medizinischen Akademie Dresden werden Horst Napalke Gesundheit und Leistungsfähigkeit bescheinigt. Anfängliche Entwicklungsverzögerungen, die zum Besuch der Sonderschule führten, hat er später aufgeholt. Er ist im medizinischen wie auch sozialen Sinne weit weg von einer Schwachsinnigkeit, die Zurechnungsfähigkeit und Schuld mindern würde. Doch als Persönlichkeit mit festen Strukturen konnte er sich durch das ungewöhnliche Mitschleppen durch sechs Ehen nicht entwickeln. Er war leicht zu animieren und ebenso leicht zu verstimmen. Er brachte nicht genügend Stabilität mit, um eine dauerhafte Ehe zu führen, zumal er an eine labile Partnerin geraten war, mit der er sich zwar lustvoll ausleben, aber mit der er keine wirkliche Beziehung aufbauen konnte. Gepaart mit spontaner abnormer Eifersucht war so der
Nährboden gegeben, in dem sich die Tat im Affekt bis zu ihrem grausigen Abschluss entwickelte, stellt der Gutachter fest.
Die Staatsanwaltschaft klagt Horst Napalke Ende Dezember 1976 wegen Totschlags in einem Zustand starker Erregung an. Überraschend kommt das Bezirksgericht Cottbus einen Monat später in seinem Urteil zu einem anderen Ergebnis. Nach Ansicht der Richter hat der Angeklagte seinen starken Erregungszustand zur Tatzeit durch eigenes Verschulden mit hervorgerufen. Dadurch war die Tat nicht »nur« ein Totschlag, sondern Mord. Das Gericht verurteilt Horst Napalke zu zwölf Jahren Freiheitsentzug.
Das Urteil hat vor dem Obersten Gericht keinen Bestand. Der fünfte Strafsenat hebt es Anfang März im Schuld- und Strafausspruch auf. Horst Napalke wird wegen Totschlags zu neun Jahren Haft verurteilt.
Bleibt noch anzumerken: Gerichtsmediziner haben bei der Obduktion zweifelsfrei festgestellt, dass Marika Napalke nicht schwanger war.