GIFTMISCHERINNEN

In Beziehungen zwischen Menschen gibt es wohl nichts, was unvorstellbar ist. Die zwischen Kurt Merker aus Schwarzheide und den Schwestern Isolde und Gerda Brechner aus Lauchhammer sind bizarr.

Im November 1976 ist Merker 72 Jahre alt und einsam. Ehefrau Martha ist vor einigen Monaten verstorben. Seitdem führt ihn sein Weg öfter in die Gaststätte »Casino« nach Lauchhammer. Beide Städte liegen dicht beieinander und sind industriell geprägt. In Schwarzheide dominiert die Chemieproduktion, in Lauchhammer die Kohleveredlung. Merkers Zuhause in Schwarzheide ist alles andere als luxuriös. Von außen macht es einen verfallenen Eindruck, und drinnen sieht es auch nicht viel besser aus, seit seine Martha tot ist und keiner mehr den bescheidenen Haushalt führt.

Isolde und Gerda Brechner sind blutjung, als sie zu dieser Zeit in eben jenem »Casino« den Rentner kennenlernen. Isolde ist gerade 17 Jahre alt geworden, Schwester Gerda ist eineinhalb Jahre jünger. Merker kennt die Familie der Mädchen. Als seine Frau noch lebte, hat man hin und wieder miteinander ein Schwätzchen gepflegt.

Isolde und Gerda stammen aus einer kinderreichen Familie. Sie sind das zweite und dritte von neun Kindern. Vater Alfred arbeitet als Maschinist in der Brikettfabrik. Mutter Erna ist Hausfrau und versucht, die Großfamilie in Schwung zu halten. Weil das Geld trotz staatlicher Unterstützung stets knapp ist, geht Alfred bei Bedarf im zweiten Arbeitsverhältnis etwas dazuverdienen. Viel daheim ist er nicht, schließlich lässt er sich das Zechen mit Kollegen in der Kneipe nicht nehmen. Alkohol fließt dann reichlich. Ist Alfred Brechner mal daheim, geht es streng zu. Seine Erziehungsmethoden sind alles andere als feinfühlig. Schnell setzt es Prügel, wenn die Kinder etwas ausgefressen haben. Oder es gibt Fernsehverbot und Stubenarrest. Mit Ehefrau Erna herrscht ebenfalls nicht pure Harmonie. Die Eheleute streiten sich wegen der Erziehung ihrer Sprösslinge und werfen sich trotz der offensichtlich florierenden sexuellen Zweisamkeit gegenseitig Untreue in fremden Federn vor.

In diesem wenig gedeihlichen Umfeld fühlen sich die Schwestern nicht wohl. Isolde, die Ältere, sowieso nicht. Erst seit kurzer Zeit lebt sie wieder in der Großfamilie. Vom zweiten bis zum 15. Lebensjahr lebte sie bei der Großmutter. Oma war und ist ihre wichtigste Bezugsperson. In der Sonderschule für lernschwache Kinder, im Volksmund abschätzig Hilfsschule genannt, hat Isolde die achte Klasse geschafft. Als sie eine Teillehre als Facharbeiterin für Anlagen und Gerätebau beim Braunkohlenkombinat Lauchhammer aufnimmt, muss sich die junge Frau in die Familie eingliedern, die sie wenig kennt und zu der sie kaum emotionale Beziehungen hat.

Gerda hängt sehr an ihren jüngeren Geschwistern. Zur älteren Schwester fühlt sie sich hingezogen, weil die ihr regelmäßig Geschenke macht. Schließlich hat Isolde ihre Lehre abgeschlossen und verdient als Brikettpresserin mit 800 Mark netto für DDR-Verhältnisse kein schlechtes Geld. 100 Mark muss sie daheim als Kostgeld in die Familienkasse geben, den Rest hat sie für sich. Gerda, die in der normalen Oberschule nur die siebte Klasse geschafft hat, geht es als Lehrling für Wirtschaftspflege im Krankenhaus Lauchhammer finanziell viel schlechter.

Das ist der Nährboden für die Bindung, die sich im November 1976 im »Casino« in Lauchhammer anbahnt und die viele Monate mehr oder weniger intensiv von dem ungleichen Trio gepflegt wird.

Kurt Merker erzählt den Mädchen, die sich an die früheren losen Beziehungen der Familien Merker und Brechner nicht erinnern, vom Tod seiner Frau; der Einsamkeit bei sich daheim, dass ihm keiner das Mittagessen kocht, abwäscht und den Haushalt führt. Die drei trinken gemeinsam Bier. Kurt kippt ein paar Schnäpse, Isolde und Gerda nehmen Likör. Kurt bezahlt die

Zeche. Das gefällt den Mädchen. Trotz des gemütlichen Abends verlieren sich die neuen Bekannten zunächst aus den Augen.

Einen Monat später, im Dezember, treffen sie sich zufällig wieder im »Casino«. Wieder trinkt das ungleiche Trio gemeinsam Alkohol, und Kurt Merker bezahlt wie gehabt. Schnell kommt das Gespräch erneut auf die fehlende Frau im Haus und auf den verlotterten Haushalt. »Wir können dir ja helfen, für dich kochen und sauber machen«, bieten die Mädchen an. Zumindest für Isolde ist diese Hilfsbereitschaft ungewöhnlich. Daheim drückt sie sich vor solchen Handgriffen, wo sie kann, lässt lieber ein Mitbringsel springen, als selbst zuzupacken.

Merker nimmt das Angebot nur allzu gern an. Isolde und Gerda sind fortan, so oft es Schule und Arbeit unter der Woche gestatten und fast regelmäßig am Wochenende, beim »Alten«, wie sie ihn unter sich nennen. Gegen 12 Uhr tauchen sie in der Regel auf, kochen auf dem Herd das Mittagessen, das sie gemeinsam einnehmen, trinken zusammen Tee. Kurt Merker macht auf dem Sofa ein Nickerchen, während die Mädchen das Geschirr spülen, aufräumen, den Fußboden fegen, das Bett aufschütteln. Das Leben ist für den Rentner wieder bequem geworden. Isolde und Gerda können in Ruhe vor dem Fernseher hocken, ohne dass Eltern da sind, die nur nörgeln.

So geht die Zeit ins Land. Mal kommen die Mädchen im Doppelpack zu Merker, öfter taucht Isolde allein auf. Regelmäßig besuchen sie das »Casino«. Dort hat Kurt stets die Spendierhosen für seine jungen Haushaltshilfen an. Mit Isolde fährt er nach Senftenberg zum Schaufensterbummel. Er kauft ihr Pullover, Hosen, Strumpfhosen und schenkt ihr zum 18. Geburtstag eine Armbanduhr. Kurt Merker und Isolde Brechner geben sich als Liebespaar, und sie sind es zumindest in sexueller Hinsicht auch.

Es mag um die Weihnachtstage des Jahres 1976 gewesen sein, als Rentner Merker den Wunsch nach mehr Dienstleistungen als Kochen und Putzen verspürt. Schließlich ist Isolde eine gutaussehende junge Frau. Auch Gerda ist ansehnlich proportioniert. Beide Mädchen sind längst keine Jungfern mehr, hatten schon mehrere Sexualpartner.

Eines Tages, nach dem Mittagskaffee, lässt Kurt die Hose fallen. »Kannst du mir einen runterholen«, fragt er Isolde im Beisein ihrer Schwester Gerda. Die junge Frau ziert sich zunächst. »Komm, kriegst 100 Mark«, drängt der erregte 72-Jährige. Isolde kann angesichts des versprochenen Geldes nicht widerstehen und legt Hand an den alten Mann. Doch als die Erregung verfliegt, ist auch das versprochene Geld vergessen.

Die Beziehungen des Trios werden trotzdem immer enger, öfter übernachten die Geschwister bei ihrem Bekannten in Schwarzheide, wenn sie spät und angetrunken von Tanzveranstaltungen nach Hause kommen und gehen dadurch Auseinandersetzungen in der Familie aus dem Weg. Die folgen zwar dennoch, aber nie mit der entsprechenden Konsequenz. Vater Alfred Brechner untersagt vor allem seiner noch nicht volljährigen Tochter Gerda den Kontakt zu Kurt Merker und haut auch beim Rentner mit der Faust auf den Tisch, nachdem er sich das Techtelmechtel seiner Töchter allzu lange angeschaut hat. Doch mehr passiert nicht.

Als Anfang des Jahres 1977 wieder einmal die Luft zu Hause bei den Brechners brennt, zieht Isolde für mehrere Wochen in das Haus von Merker. Sie will sich dort sogar polizeilich anmelden, doch das geht Kurt zu weit. Nachdem Isolde ein paar Nächte auf dem Sofa in der Küche schläft, bietet er ihr den Platz im Ehebett unter der kuscheligen Zudecke mit echten Federn an. Isolde zögert nicht lange und spürt schon in der ersten Nacht Kurt an ihrem Körper. »Mir ist kalt«, säuselt der Alte und reibt sein Geschlecht an ihrem Nachhemd. Zunächst empfindet Isolde keine Lust, doch kurze Zeit später trennt kein dünner Stoff mehr die ungleichen Intimpartner. Gerda beobachtet Tage später bei ihren inzwischen seltener gewordenen Besuchen, dass sich ihre Schwester und der »Alte« benehmen wie ein Ehepaar. Wäscht sich Kurt nackt in der Küche in der Waschschüssel, schaut Isolde zu. Gleiches macht Kurt, wenn Isolde »ganz ohne« mit dem Waschlappen an ihrem Körper hantiert. »Du hast so wunderschöne Brüste«, hört Gerda den Alten zur Schwester sagen.

Die junge Frau Isolde allein reicht dem sexuell noch agilen Kurt allerdings nicht. An einem Tag im Mai 1977 ist Gerda Brechner allein bei dem Rentner. Nach dem Kaffeetrinken entblößt er sich vor dem Mädchen, verlangt eindringlich, dass sie an seinem Penis manipuliert, und gibt sogar Anleitung für die Handhabung. Gerda tut dem Mann zehn Minuten lang den Gefallen, ohne dass sie dabei selbst sexuell erregt wird. »Warum soll ich ihm nicht den Gefallen tun«, denkt sich Gerda. »Es kostet mich nichts, und er hat daran Spaß.« Geld oder anderes erhält sie dafür nicht, und sie verlangt es auch nicht. Bei diesem ersten Mal nicht und auch nicht bei den drei- oder vier Malen danach. Im März 1978 kommt es mit der zu diesem Zeitpunkt 16-jährigen Gerda zum Geschlechtsverkehr. Der Teenager geht freiwillig mit dem so viel Älteren ins Bett und empfindet den Akt sogar als angenehmer als mit ihrem aktuellen Intim-Freund. Trotzdem lässt sich Gerda danach nicht mehr bei Merker blicken. Sie fürchtet um ihren »guten Ruf«, an dem ihr viel gelegen ist.

Der aber hat in »Casino«-Kreisen bereits gelitten. Längst nämlich ist das Verhältnis von Kurt zu Isolde und Gerda nicht mehr ungetrübt. Isolde beobachtet mehrfach, wie der »Alte« aus einer Dose im Küchenschrank Geld entnimmt. Nach einem Einkauf im »Intershop« in Hoyerswerda vermutet sie, dass der Rentner noch mehr von den begehrten »Westpiepen« hat.

Isolde bedient sich mehrfach aus der »Kasse« im Küchenschrank, nicht zuletzt deshalb, weil sie für die Liebesdienste keine finanziellen Gegenleistungen erhält. Insgesamt mögen es um die 800 Mark sein, die sie im Laufe der Zeit entnimmt. Sie teilt es mit Schwester Gerda und mit Freundinnen. Doch Kurt weiß genau, wie viel Geld er aufbewahrt. Er verlangt von der Diebin die Rückgabe des Geldes und droht, dass er ansonsten zur Polizei geht und alles meldet. Was noch nicht verprasst ist, gibt Isolde zurück. Für den Rest von etwa 450 Mark schreibt Kurt Schuldscheine aus. Als sich Isolde nicht an die Zahlungsvereinbarung hält, beantragt Kurt Merker beim Kreisgericht Senftenberg eine richterliche Zahlungsaufforderung. Den Mädchen verspricht er, niemandem davon zu erzählen. Bekannten gegenüber schimpft

Kurt im »Casino« dennoch über die Brechner-Mädchen, die so undankbar sind und ihn sogar bestehlen. Aus dem Haus will er sie geschmissen haben, diese undankbaren Weiber, die immer betrunken sind und ihn nicht in Ruhe lassen. Das stimmt nicht ganz, denn die Tür steht den Mädchen auch weiterhin offen. Mehr noch: Er bettelt förmlich darum, dass sie ihn wieder besuchen. Es macht ihn eifersüchtig, dass sich Isolde von ihm löst, weil sie einen Mann ihres Alters kennengelernt hat, zu dem sie sich hingezogen fühlt. Merker droht, diese Liebe auf keinen Fall zuzulassen und sie zu zerstören. Er sucht Isolde sogar am Arbeitsplatz auf, um sie vor dem Rivalen abzufangen, der sich in ihre Beziehung drängt. Die Konflikte nehmen zu, Isolde beginnt, Kurt Merker wegen des »Rumerzählens« und der Einmischung in ihre Angelegenheiten zu hassen.

»Ich könnte den Alten umbringen«, empört sie sich eines Tages gegenüber ihrer Schwester Gerda angesichts des geizigen und tratschenden Mannes. Beide waren gerade in der Poliklinik, um sich krankschreiben zu lassen. Auf dem Heimweg und zu Hause beim zweiten Frühstück nimmt der Plan, der zunächst nur ein Hirngespinst ist, Gestalt an. »Wie wollen wir den Alten umbringen?«, fragt Isolde. »Man müsste ihn aufhängen oder erstechen oder irgendsowas«, fällt Gerda spontan ein. »Aufhängen oder erstechen können wir den nicht, da finden sie zu schnell Fingerabdrücke, wenn es rauskommen sollte«, gibt Isolde zu bedenken. »Dann müsste man den Alten eben vergiften, mit irgendetwas.«

So geht es noch eine Weile hin und her zwischen Isolde und Gerda, die kurz danach zu Merker aufbrechen. »Vielleicht finden wir bei ihm was zum Vergiften«, hofft Isolde. Die Hoffnung erfüllt sich nicht.

Der Rentner freut sich, dass die Mädchen nach längerer Zeit wieder einmal bei ihm auftauchen. »Wie geht's, wie steht's? Was macht die Kunst? Haben uns ja lange nicht mehr gesehen«, begrüßt Kurt die Gäste. Sie trinken Kaffee, unterhalten sich über Isolde und ihren Freund und über eine mögliche Schwangerschaft. Gegen 14.30 Uhr verlassen die Schwestern Rentner

Merker. Auf dem Heimweg dreht sich ihre Unterhaltung wieder um die Tötung des »Alten«. »Hat der wirklich Westgeld?«, will Gerda nochmals wissen. »Ja, ich habe gesehen, wie er es unter den Küchenschrank geschoben hat«, entgegnet Isolde. »Wann wollen wir ihn umbringen«, fragt die jüngere ihre ältere Schwester. »Das machen wir morgen«, legt diese fest.

Sie durchstöbern die elterliche Wohnung nach einem brauchbaren Mittel für die Verwirklichung ihres Vorhabens. Im Keller wird Isolde fündig. Im Regal steht eine Dose »Wofatox«, ein weit verbreitetes Schädlingsbekämpfungsmittel, das es in Drogerien und Bäuerlichen Handelsgenossenschaften zu kaufen gibt. Auf dem Etikett der Streubüchse warnt der Hersteller davor, dass schon durch das Einatmen des Pulvers gesundheitliche Schäden beim Menschen auftreten können und dass bei Gefahr das sofortige Aufsuchen eines Arztes geboten ist. »Das ist es«, denken die Schwestern. Gerda füllt etwas Wofatox in eine blecherne Zigarettenschachtel. Um sich nicht selbst zu gefährden, wickelt sie das Behältnis in Papier und in ein Tuch ein.

Am nächsten Tag, es ist Donnerstag, der 11. Mai 1978, machen sich die Schwestern auf den Weg zu Kurt Merker. Kurz vor 12 Uhr sind sie bei ihm. Isolde kocht »Grüne Bohnen«. In Merkers Suppe streut sie drei Prisen Wofatox. Die drei lassen es sich schmecken. Von einer Vergiftung ist bei dem Opfer jedoch nichts zu spüren.

Kurt Merker legt sich wie immer nach dem Essen auf die Couch, um ein wenig auszuruhen. »Kommt, wir trinken noch eine Tasse Tee«, schlägt Isolde vor. Sie brüht ihn in einer Kanne auf. Gerda schüttet etwa die Hälfte des Giftpulvers in das Getränk. »Das ist viel zu wenig«, flüstert Isolde und kippt den restlichen Inhalt der Zigarettendose in die Kanne. Dadurch bekommt der Tee ein trübes Aussehen. Mit Kakao wird die merkwürdige Farbe übertüncht und das Gebräu kräftig mit Zucker gesüßt. »Das ist eine Spezialmischung. Die ist gut für den Kreislauf«, motivieren die Giftmischerinnen den Rentner, der mit sichtbarem Widerwillen aus der Tasse trinkt. Die Täterinnen täuschen vor, dass ihnen die Rezeptur durchaus schmeckt. Als Kurt Mer-ker die Steinguttasse zu drei Viertel geleert hat, schenkt Isolde ihm noch einmal nach. »Trink schnell aus, ich will das Geschirr abwaschen«, fordert sie. Merker würgt sich das Zeug zu einem großen Teil hinunter, steht dann auf und schüttet den Rest in den Ausguss.

Die Wirkung des Tee-Wofatox-Gemisches lässt nicht lange auf sich warten. Kurt Merker wird übel. »Mir wird auf einmal so dämlich. Was ist denn los mit mir«, stöhnt er und streckt sich auf dem Sofa aus. Isolde und Gerda Brechner bleiben noch etwa zwei Stunden da und beobachten die Wirkung ihrer Giftmischung. Gegen 15 Uhr verlassen sie das Haus. Isolde sucht ihren Freund auf, Gerda begibt sich ins »Casino«. Kurt schleppt sich nach draußen und erbricht sich zwei Mal. Die Schwestern haben vereinbart, am Abend noch einmal in Merkers Wohnung zu gehen. Dann, sind sie sich sicher, ist Kurt tot, und sie können das Westgeld an sich nehmen. Doch als sie wieder in seinem Haus sind, ist Kurt nirgendwo zu finden.

Auch nachdem sich Kurt Merker übergeben hat, geht es ihm nicht besser. Übelkeit und Mattheit nehmen sogar noch zu. Er entschließt sich, in die Poliklinik zum dortigen Bereitschaftsarzt zu gehen. Merker zieht sich an und stellt dabei wie gewohnt den rechten Fuß auf den Kohlenkasten, um sich den Schuh zuzubinden. Dabei entdeckt er eine in Papier eingewickelte Aluminiumdose, die ihm nicht gehört. Er öffnet sie und riecht an den Resten von dem gelblichen Pulver. Der Geruch ähnelt dem Tee-Gebräu, dass er Stunden zuvor getrunken hat. »Die Mädchen wollen mich vergiften«, schießt es ihm durch den Kopf. Er schleppt sich zur Poliklinik. Mehrmals muss er stehenbleiben, so geschwächt ist sein Körper. Der Arzt weist ihn ins Krankenhaus Lauchhammer ein, wo ihm sofort der Magen ausgepumpt wird. Schon am nächsten Tag wird der Patient auf eigenen Wunsch entlassen. Rentner Merker erstattet gegen die Schwestern Isolde und Gerda Brechner Anzeige bei der Polizei in Schwarzheide. Im Revier schildert er dem Diensthabenden, wie übel ihm von ihnen mitgespielt wurde. Auf die Frage, ob die Beschuldigten sexuelle Handlungen an ihm vornehmen mussten, erklärt er: »Nein, dies mussten sie nicht. Des weiteren habe ich mit diesen Mädchen auch keinen Geschlechtsverkehr durchgeführt ... Ich werde 74 Jahre alt und bin leider nicht mehr in der Lage, Geschlechtsverkehr durchzuführen. Ich bestreite, dass diese beiden Mädchen an mir sexuelle Handlungen vornehmen mussten. Mein Geschlechtsteil haben diese Mädchen noch nie angefasst bzw. gesehen.«

Die Tatverdächtigen werden festgenommen. Das Kreisgericht Senftenberg erlässt Haftbefehl gegen sie und ordnet Untersuchungshaft an. Im Zuge der weiteren Ermittlungen werden die Beschuldigten in der Psychiatrischen-Neurologischen Abteilung des Haftkrankenhauses Leipzig eingehend untersucht. Bei Isolde Brechner stellen die Ärzte fest, dass sich unter den ungünstigen familiären Bedingungen bei ihr über Jahre ein Lebensstil entwickelt hat, der zwar noch nicht ausgesprochen asozial ist, aber schon Züge von Verwahrlosung in ethisch-moralischer und sittlicher Hinsicht in sich birgt. Wenn irgendwie persönlicher Vorteil zu erreichen ist, entwickelte sie kaum Skrupel und setzte sich egoistisch über unangenehme Folgen für andere hinweg. Als die materiellen Vorteile nicht mehr die »Unannehmlichkeiten« aufwogen, musste Merker beseitigt werden, legen die Ärzte die Gedanken von Isolde Brechner dar. Dass nebenher wieder materieller Gewinn in Form von Westgeld abfallen könnte, war Teil des Motivs, auch wenn sie das gegenüber den Ärzten in den Hintergrund rückt. Es erscheint ihr weniger ehrenrührig, einen »tratschenden Alten« zu beseitigen, um den »guten Ruf zu retten«, als diesen umzubringen, um in Besitz von Geld zu gelangen.

Für Gerda Brechners Entwicklung war der Einfluss ihrer älteren Schwester Isolde nicht förderlich, heißt es in dem nervenärztlichen Bericht. Diese habe es verstanden, Gerda die Möglichkeiten eines leichten und bequemen Lustgewinns im weitesten Sinne des Wortes vor Augen zu führen. Dennoch habe kein direktes Abhängigkeitsverhältnis bestanden.

Beide Beschuldigte, stellen die Ärzte fest, waren bei Ausführung der Tat voll schuldfähig.

Im Januar 1979 erhebt die Staatsanwaltschaft beim Bezirksgericht in Cottbus gegen die Schwestern Isolde und Gerda Brechner Anklage wegen versuchten Mordes. In der Anklageschrift heißt es:

»In der Absicht, den ihnen lästig gewordenen Geschädigten durch Vernichtung seines Lebens zu beseitigen und sich darüber hinaus dadurch materielle Vorteile zu verschaffen, handelten sie überlegt und gezielt und unternahmen sie alles, um dieses verbrecherische Ziel zu erreichen.«

»Im Namen des Volkes« verurteilt das Bezirksgericht im März 1979 Isolde Brechner zu fünf Jahren Freiheitsentzug. Die zum Tatzeitpunkt noch jugendliche Gerda Brechner wird für vier Jahre ins Gefängnis geschickt.

Wofatox, so stellt das Gericht fest, ist durchaus geeignet, einen Menschen zu töten. Die Gerichtsmedizin kennt es jedoch mehr als Suizid- und weniger als Mordmittel. In einer Dosis zwischen 30 bis 150 Gramm kann es tödlich wirken. Isolde und Gerda Brechner hatten 34 Gramm von dem Schädlingsbekämpfungsmittel in die Zigarettenbüchse abgefüllt, wie Kriminaltechniker nach Angaben der Angeklagten nachwogen. Merker hat davon höchstens ein Drittel zu sich genommen, weil die größere Menge des Tees letztlich im Ausguss landete. Das Opfer war mit kurzzeitig erhöhtem Herzschlag und abgesacktem Blutdruck, aber ohne gesundheitliche Folgeschäden davongekommen. Letztlich war die dem Rentner verabreichte Menge Wofatox zu gering, um seinen Tod zu bewirken.

Strafmildernd bewertet das Gericht diese Tatsache nicht. Die Angeklagten seien nicht in der Lage gewesen, solche Überlegungen zu treffen. Sie hielten bereits geringe Mengen für so giftig, dass dadurch Merker vom Leben zum Tode befördert werden konnte. Zum Glück irrten die Giftmischerinnen.