DER TOTE IN DER WÄSCHETRUHE
Es ist einer jener Tage im September 1984, wie es sie im heranbrechenden Herbst öfter gibt in dieser Gegend. Ein Tag, der auf den Gemütern der Menschen in der Industriestadt Lauchhammer schwer lastet. Die Sonne hatte es schwer, den Vorhang aus aufsteigender Feuchtigkeit und rußgeschwängerten Rauchschwaden der Kohlefabriken zu durchdringen. Es bricht bereits die Dunkelheit heran, dabei ist es nie richtig hell geworden.
Im Polizeirevier in Lauchhammer Mitte - die Stadt teilt sich in Nord, Süd, Ost, West und eben in Mitte, was so viel wie Zentrum bedeuten soll - geht der Dienstalltag seinen gewohnten Gang. Den Streifenpolizisten ist ebenso wenig Aufregendes begegnet wie den Wachhabenden im Revier. Die Menschen hasten durch die Straßen. Die glücklichen Besitzer der heißbegehrten Kleingärten, von denen es auch in Lauchhammer viel zu wenige gibt, nehmen Kurs auf ihre Datschen an den Rändern des Städtchens. Mütter holen nach der Arbeit in der Kokerei, der Brikettfabrik oder dem Synthesewerk im benachbarten Schwarzheide ihren Nachwuchs aus Krippen und Kindergärten ab, reihen sich ein in die Schlangen in der Kaufhalle, schleppen das Erstandene in Stoff beuteln und Einkaufsnetzen nach Hause. Hausaufgaben kontrollieren, Abendbrot bereiten, nach dem Sandmann die Kinder ins Bett bringen, dann endlich Erholung vor dem Fernsehapparat. Die Wahl fällt leicht zwischen dem ersten und zweiten Programm des DDR-Fernsehens. Glücklich ist, wer der Flimmerkiste den einen oder anderen Westsender entlocken kann.
Dieser scheinbar belanglose 21. September 1984 ist dennoch einer, der später noch für viel Gesprächsstoff sorgen wird. Am frühen Abend, die »Aktuelle Kamera« bringt gerade das Interessanteste der halbstündigen Sendung, die Wetteraussichten, klingelt Beate Bauer die Polizisten in der Wache aus dem Diensteinerlei heraus. Die junge, schwarzhaarige Frau Anfangzwanzig wird von einem älteren Ehepaar begleitet. Es sind ihre Schwiegereltern. Die drei sind aufgeregt.
Frank, der Ehemann und Sohn, ist verschwunden, erzählt Beate Bauer. Gegen 4 Uhr morgens habe ihr neun Monate altes Baby nach dem Fläschchen verlangt. Verwundert habe sie bemerkt, dass der Platz neben ihr im Ehebett verlassen war. Frank sei schon die ganze Nacht unruhig gewesen. Sogar fantasiert habe er im Schlaf, erzählt sie aufgeregt. Gegen 2 Uhr sei sie von den Gesprächsfetzen ihres Mannes munter geworden, sagt sie dem Polizisten, der die Vermisstenanzeige aufnimmt. Niemand habe ihn seitdem gesehen.
Den ganzen trüben Tag lang hat Beate versucht, eine Spur ihres Mannes zu finden. Zunächst ist sie nicht sonderlich beunruhigt. Frank arbeitet viel, um Geld zu verdienen; für die moderne Schrankwand, den Farbfernseher, die Stereoanlage, den Waschautomaten. All das ist knapp in der sozialistischen Planwirtschaft der DDR. Und es ist teuer. Ohne große Sorgen bringt die junge Frau früh um halb sieben die gemeinsame Tochter Sybille mit dem Bus in die Kinderkrippe nach Schwarzheide. Wieder zu Hause eingetroffen, räumt sie auf, meldet sich telefonisch in der Poliklinik zur Behandlung an. Auf dem Heimweg erledigt die junge Frau ein paar Einkäufe. Es ist 10 Uhr, als sie im Treppenhaus auf dem Weg zur Wohnung ihre Nachbarin, Christa Müller, trifft. »Hast du meinen Mann gesehen?«, fragt sie. Diese schüttelt den Kopf. Auch die Martins, ein älteres Ehepaar, das ebenfalls in dem Haus wohnt, und dem sie später begegnet, haben Frank nicht gesehen. Am späten Mittag schließlich ruft Beate im Betrieb ihres Mannes an. Der sonst so pünktliche Frank Bauer ist nicht zur Arbeit erschienen. Meister Kleemann fährt sofort zu den Bauers. Beate erzählt dem Chef ihres Mannes, dass Frank noch vor 4 Uhr morgens das Haus verlassen haben muss. Sie beschreibt ihm, später auch der Polizei und ihren Eltern in Schwarzbach, Franks Bekleidung: den kurzen, weiß-blau gestreiften Schlafanzug muss er angelassen, den blauen Rollkragenpullover und die gleichfarbene Arbeitslatzhose gleich drübergezogen haben. Auch die schwarzen Freizeitschuhe, die er immer zur Arbeit trägt, fehlen.
Die Suche beginnt. Streifenpolizisten haben Fotos von dem Vermissten in ihren Kartentaschen, die zu ihrer Ausrüstung gehört. In den Krankenhäusern der Umgebung wird nachgeforscht, ob ein Mann eingeliefert wurde, auf den die Beschreibung von Frank Bauer zutreffen könnte. Gaststätten werden aufgesucht, Verwandte, Bekannte, Freunde befragt. Niemand hat Frank Bauer gesehen. Er ist wie vom Erdboden verschluckt.
Sechs Tage später. Der September geht zu Ende. Die Kleingärtner und Datschenbesitzer beginnen, ihre Parzellen auf den Winter vorzubereiten. Die Beete sind weitgehend abgeerntet. Lauben und Geräteschuppen werden aufgeräumt, dabei fällt allerlei an, das für den Kompost ungeeignet ist. Auch Ewald Blumentritt hat aus seinem Gärtchen einiges zu entsorgen. Ganz in der Nähe, am Fuße des Butterbergs, ist ein Ort, an dem Blumentritt, wie andere auch, schon manches abgeladen hat. In einer ausgekohlten Grube des Tagebaus ist inmitten von Sträuchern eine wilde Müllkippe entstanden. Dort Unrat abzuladen ist nicht schön und eigentlich auch nicht erlaubt, doch niemand stört sich daran. Gerade will er seine Fuhre abkippen, da fällt ihm im Schummerlicht des hereinbrechenden Abends ein rechteckiger Behälter auf. Es ist eine beigefarbene Wäschetruhe. Um sie ist ein rosafarbenes Band geknüpft. Sie sieht noch wie neu aus, ist eigentlich zu schade für den Müll. Blumentritt geht näher heran. Unter der Truhe liegen eine braun gemusterte Decke, ein beigefarbenes Wachstuch mit braunem Kachelmuster und ein lilafarbenes Schleifenband. All das ist voller Blut. Er hebt den Deckel an und lässt ihn sofort wieder fallen. Zu grauenvoll ist das, was er gesehen hat. Ewald Blumentritt alarmiert die Polizei. Aus Cottbus rücken die Spezialisten der Morduntersuchungskommission an.
Die Wäschetruhe ist nicht sonderlich groß, 70 Zentimeter lang, 40 breit, 70 hoch. Als die Kriminalisten den Behälter öffnen, stockt selbst den erfahrenen Ermittlern der Atem. In der Truhe befindet sich ein menschlicher Torso. Er ist in Hockstellung zusammengeschnürt. Der Kopf fehlt. Der rechte Arm ist abgetrennt. Die Leiche ist mit einem weiß-blau gestreiften Schlafanzug bekleidet. Neben dem Torso steckt eine blutverschmierte Igelitdecke mit buntem Blumendekor und ein Malimostecklaken. Es ist rot, durchtränkt von Blut.
Das Gelände um den Butterberg wird weiträumig abgesperrt. Eine gewissenhafte Suche beginnt. Etwa einen Kilometer entfernt vom Fundort der Wäschetruhe betreibt die städtische Müllabfuhr am anderen Ende des Grubenrestloches ihre Deponie. Stück für Stück wird der Müllberg abgetragen. Ein auffälliger Plastikbeutel kommt zum Vorschein. Darin ist der abgetrennte Kopf eines Menschen. Ganz in der Nähe liegt ein Kartoffelsack. Zunächst befördern die Kriminaltechniker ein Kopfkissen hervor. Es ist voller Blut und beginnt bereits zu faulen. Eine Jeansmütze, sechs Babyjäckchen, ein Babyhemdchen und drei Paar löchrige Herrensocken kommen zum Vorschein. Und dann ein Arm. Er ist angewinkelt, mit einem Gummi fixiert. Ohne Zweifel: Kopf und Arm gehören zum Toten in der Wäschetruhe. Und dieser Tote ist Frank Bauer.
Die Nachricht vom Fund der Leiche verbreitet sich wie ein Lauffeuer in der Stadt Lauchhammer. Einen Tag nach dem grausigen Fund am Butterberg wird Beate Bauer von der Polizei als Zeugin vernommen. Erstmals berichtet sie von Spannungen in der Ehe. Frank wollte nach der Arbeit seine Ruhe haben, sie liebte die Geselligkeit. Zwar spielte er gern mit seiner kleinen Tochter, doch Haushalt und andere familiäre Dinge interessierten ihn nicht. Darüber hätten sie am Abend und in der Nacht gestritten. Dann sei Frank verschwunden.
Während die junge Frau über ihre Entwicklung und das Zusammenleben mit ihrem Mann spricht, nehmen die Spezialisten der Cottbuser MUK Wohnung, Haus, Keller und Schuppen unter die Lupe.
Im Treppenhaus neben der Wohnung der Bauers fallen frische Putzschäden auf. Im Badezimmer finden die Kriminaltechniker im Abfluss der Badewanne und in der Wanne selbst Blutspuren. Im Kinderzimmer liegen auf einer Kommode vier Möbelfüße, die zur Wäschetruhe vom Butterberg passen könnten. Im Wohnzimmer dient ein Stück beigefarbenes Wachstuch mit braunem Kachelmuster als Untersatz für Grünpflanzen. In einem Schubfach in der Schrankwand entdecken die Fahnder Schleifenband, wie es um die Truhe gebunden war. Ein Matratzenaufleger wirkt frisch gewaschen, ist sogar noch feucht. Dennoch sind, wenn auch sehr schwach, Flecken erkennbar.
Am Kofferradio, das auf einem der beiden Nachttische steht, sowie an der Lampe daneben sichern die Kriminalisten ein Haarbüschel und Blutspuren. Die Wand im Kopfbereich des Ehebettes sieht aus wie neu tapeziert. Auf der überklebten Tapete und auf der Scheuerleiste in Bettnähe sind Spritzer erkennbar. Erste Proben erhärten den Verdacht, dass es Blutablagerungen sind. Im Schlafzimmerschrank liegen ein dunkelblauer, langärmliger Rollkragenpullover und eine blaue Herren-Latzhose. Im Wandschrank in der Küche findet sich ein angefangener Beutel Tapetenleim. In einem Körbchen liegt Dederonschnur. Sie gleicht dem Material, mit dem das Opfer und die Truhe verschnürt waren. Im Keller der Wohnung steht links neben der Tür ein Winkelstahl. Jeweils 57 Zentimeter lang sind beide Schenkel und fünf Zentimeter breit. Bei der gerichtsmedizinischen Sektion in Dresden wird später nachgewiesen, dass die ausgedehnten Knochenzerstörungen des Gesichtsschädels, des vorderen Schädeldaches und der Schädelbasis des Opfers mit einem Winkeleisen verursacht wurden. »Aus unserer Sicht waren es sehr kräftige (Kopfkissenabdeckung!) Schläge, mindestens 10, wahrscheinlich aber mehr, keinesfalls wesentlich weniger«, heißt es im Sektionsbericht. An einem Zweiradanhänger, der im Schuppen der Bauers steht, wird am Zinkkasten Blut entdeckt. Auch Spuren von frisch abgeschlagenem Putz werden gesichert. Zwei Putzlappen liegen herum. Der Geruch von Verwesung geht von ihnen aus. Für die MUK steht fest: Frank Bauer wurde in seiner eigenen Wohnung getötet.
Die anfängliche Selbstsicherheit von Beate schwindet. Am
Abend, während einer Vernehmung, bricht es aus ihr heraus. Was sie erzählt, klingt unglaublich.
»Es war gegen 2 Uhr morgens. Plötzlich hat Frank neben mir aufgeschrien: >Lasst mich in Ruhe!< Ich bin aufgewacht. Ein fremder Mann stand neben mir, hat mich erst festgehalten, dann aus dem Bett gezerrt, ins Kinderzimmer geführt und gedroht: >Wenn du nicht still bist, geschieht dir das Gleiche«, beginnt sie die Schilderung des nächtlichen Geschehens. Sie habe aus dem Schlafzimmer Wimmern und dumpfe Schläge gehört. »Ich wollte meinem Mann zur Hilfe eilen, bin aber brutal zurückgestoßen worden. Voller Angst habe ich mich dann zu meiner Tochter auf die Liege gelegt und abgewartet, was passiert«, sagt sie weiter.
Etwa eine Stunde lang habe das Geschehen im anderen Zimmer gedauert, gibt Beate Bauer zu Protokoll. Dann sei einer der Fremden zu ihr gekommen und habe befohlen: »Wir verziehen uns jetzt. Den Rest machst du. Wenn du etwas sagst, bist du als Nächste dran.«
Im Schlafzimmer sei das Ehebett durchwühlt gewesen, Bettlaken und Kopfkissen hätten gefehlt. »Alles war voller Blut«, berichtet sie. Sie habe in die Truhe geschaut, die mit etwas Unförmigem bis zum Rande gefüllt war. Am Morgen habe sie wie immer ihre Tochter in die Krippe gebracht, wollte später mit dem Fahrrad zur Volkspolizei fahren. »Im Fahrradkeller ist wieder einer von denen aufgetaucht. Er hat mich aufgefordert, alle Spuren in der Wohnung zu beseitigen«, setzt die 22-Jährige ihre Aussage fort. »Lass das mit der Polizei. Wir beobachten alles«, sei ihr unmissverständlich deutlich gemacht worden.
Wie sind die Täter in die Wohnung gekommen? Spuren eines Einbruches haben die Kriminaltechniker nirgendwo gefunden. Warum haben sie keine Tatwaffen mitgebracht, wenn sie Frank Bauer schlagen oder töten wollten? Woher wussten sie von dem Winkeleisen, das nach Angaben der Ehefrau in einem Schrank im Korridor gelegen hat? Warum haben die Täter die Zeugin verschont, die sie identifizieren könnte? Die Ermittler der Cottbuser Morduntersuchungskommission zweifeln an dem
Bericht. Sie glauben der jungen Frau kein Wort. Zu viele Fragen bleiben offen.
Die Kriminalisten konfrontieren Beate Bauer mit den Ungereimtheiten. Sie bricht zusammen, ist aber zur Wahrheit noch immer nicht bereit. Die junge Frau reagiert hysterisch und äußert Selbstmordgedanken. Ärzte müssen gerufen werden. Beate wird in einem »akuten psychischen Schockzustand« ins Bergmannkrankenhaus Klettwitz eingeliefert. Dort beruhigt sie sich.
Am Morgen frühstückt sie mit einer Wärterin und sagt: »Heute packe ich aus.«
Beate Bauer gesteht das Unfassbare: Sie hat am 21. September 1984 zwischen 2 und 4 Uhr morgens ihren Mann getötet. Am 29. September 1984 wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft Cottbus Haftbefehl gegen Beate Bauer erlassen. Fünf Tage später schreibt sie auf 13 Seiten auf, was sich ereignet und warum sie ihren Ehemann getötet hat.
Wer ist diese Frau, die so kaltblütig ihren Mann tötet und ihn wie Abfall auf den Müll schmeißt?
Beate Bauer wird im Juli 1962 geboren. Sie ist das dritte von vier Kindern des Lehrerehepaars Reinhard und Marie Müller. Die Familie lebt in einem kleinen Dorf in der Nähe von Senf-tenberg. Beate nimmt zunächst eine typische Entwicklung: Sie besucht den Kindergarten, kommt mit sechs Jahren in die Schule, wird Pionier, tritt dann in die Jugendorganisation FDJ ein. Die Schule fällt dem fleißigen, aufgeweckten und ehrgeizigen Mädchen leicht. Es gehört stets zu den Klassenbesten. Mit Beginn der neunten Klasse wird Beate auf die Erweiterte Oberschule delegiert. Das Abitur schafft sie mit guten Noten.
Schon sehr früh engagiert sie sich für die gesellschaftliche Arbeit, wird in die FDJ-Leitung der Schule gewählt. Es fällt ihr aber zunehmend schwerer, schulische Anforderungen und das ehrenamtliche Engagement unter einen Hut zu bringen. Gesundheitliche Probleme treten auf. Im Sommer 1977 ist sie Helferin in einem Ferienlager. Bei einer Wanderung rutscht sie aus, stürzt von einem Felsen und muss zwei Wochen lang mit Gehirnerschütterung in einem Krankenhaus behandelt werden. Mehrfach fällt sie aus heiterem Himmel in Ohnmacht. Es kommt vor, dass sie danach einige Zeit nicht laufen und sprechen kann. Die Ärzte stellen Blutunterdruck als Ursache fest, der im Zusammenhang mit Anspannung und Erregung zu den Zusammenbrüchen führt. 1980 wird sie im Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Lübben behandelt. Ernste Erkrankungen werden nicht festgestellt. Die Ärzte empfehlen autogenes Training, um innerlich Ruhe zu finden.
Sie begeistert sich für Musik und will die Musikschule besuchen, aber ihre Begabung reicht nicht aus. Ihre Berufswünsche als Gesangspädagogin oder Bühnenbildnerin bleiben Träume. Die Ablehnungen für beide Studienrichtungen schmerzen. Beate Bauer vollzieht einen Schwenk von den musischen Künsten hin zu einem Beruf, der als Männerdomäne gilt. Sie lässt sich für ein Studium an der Ingenieurhochschule für Bauwesen in Cottbus immatrikulieren, absolviert dafür ein Praktikum in einem Baubetrieb in Senftenberg, qualifiziert sich zum Teilbaufacharbeiter. Das Studium überfordert sie, intellektuell wie gesundheitlich. Sie bricht es ab, jobt als Sekretärin, Verkäuferin und in der Datenverarbeitung.
Die junge Frau wird mit 18 Jahren als Mitglied in die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands aufgenommen. Ihre durch Überzeugung ausgeprägte Vorliebe für die gesellschaftliche Arbeit, aber auch Geltungsbedürfnis und Streben nach Anerkennung bringen sie in Konflikte mit sich selbst und mit anderen. Sie streut während der Schulzeit und des Studiums Gerüchte, denkt sich Geschichten über Studenten aus und schwört ein ums andere Mal auf deren Wahrheitsgehalt. Das isoliert die junge Frau. Sie sucht früh intimen Kontakt zu Männern, wird mit 17 Jahren schwanger, lässt das Kind abtreiben, verlobt sich mit 18 Jahren und löst ein Jahr später diese Bindung. Gegenüber dem Gutachter der Medizinischen Akademie Dresden beschreibt sich Beate Bauer als einen Menschen, der innerlich sehr intensiv lebt, fantasiereich und in bestimmten Positionen widersprüchlich ist. Es sei ihr einerseits schwer gefallen, sich Grenzen zu setzen, um etwa ein vernünftiges Verhalten in der Gruppe zu gewährleisten. Andererseits habe sie sich ganz anders gegeben, als sie leben wollte. Als Beispiel dafür nennt sie den lebhaften Umgang mit männlichen Partnern.
Der Gutachter stellt fest: »Dieses Widersprüchlich-Bewegende, fantasievolle Ausleben, das stark gefühlsmäßig Besetzte dürften wesentliche Züge ihrer Persönlichkeit sein.« Leidenschaftliches starkes Entflammen oder Aufbegehren lassen nach Ansicht des Psychiaters in starker Gemütsbewegung der Vernunft wenig Raum. Positive Aspekte wie Zuwendung und Liebe können schnell in Ablehnung und Hass umschlagen. Im Gutachten ist von »narzisstischen« oder »hysterischen« Charakterzügen die Rede. Wörtlich heißt es:
»Egozentrische Geltungsbetonung, Selbstüberschätzung und Bedürfiiis nach Effekt, Tendenz zur Dramatisierung, starke auch fantasievolle Darstellungstendenzen und zum Teil kindhafte Bedürfiiisse nach Zuwendung und Anerkennung, Labilität und Gemütsbewegung und leicht in Kränkung geratend bei subjektivem Versagen sind für solche Menschen typisch.«
Trotz dieser von der Norm abweichenden Persönlichkeitsnachteile trägt Beate Bauer nach Einschätzung der Gutachter die volle Schuld für ihre Tat.
Am 26. April 1985 klagt die Staatsanwaltschaft Beate Bauer beim Bezirksgericht Cottbus wegen Mordes an. Aus Wut und Hass habe sie ihren Mann mit mindestens zehn kräftigen Kopfschlägen mit einem etwa 60 Zentimeter langen Winkeleisen getötet, heißt es in der Anklageschrift.
Nach Aussage der Beschuldigten hat sich Folgendes zugetragen: Am 20. September besucht Beate Bauer mit ihrer kleinen Tochter ihre Eltern in einem kleinen Dorf in der Nähe von Senf-tenberg. Gegen 18 Uhr kommt sie nach Hause. Frank ist bereits zu Hause. Er sitzt im Wohnzimmer im Sessel und trinkt Bier. Der Fernsehapparat läuft. Seine Laune ist wieder einmal mies. »Wo hast du dich rumgetrieben?«, herrscht er sie an. »Du hättest früher da sein können.« Er nimmt seine kleine Tochter auf den Schoß und spielt liebevoll mit ihr. Seine Frau Beate ist für ihn nicht mehr da.
Schon kurz nach der Hochzeit hatte sich Frank verändert. Zunehmend werden sich die jungen Leute fremd. Lebensgestaltung und weltanschauliche Haltungen driften auseinander. Beate Bauer belastet die Situation. Sie will, dass ihr Mann mehr auf ihre Interessen eingeht, auf ihre Bedürfnisse und Vorstellungen Rücksicht nimmt. Sie bringt die Kleine ins Bett und setzt sich zu Frank ins Wohnzimmer. Beate will mit ihrem Mann über die Probleme sprechen. Der aber reagiert nicht, wehrt ab, schweigt. Gegen 21.30 Uhr geht er ins Bett und schläft sofort ein. Sie ist enttäuscht, ärgert sich maßlos. Gegen Mitternacht legt auch sie sich im Schlafzimmer hin.
Zwei Stunden später wird sie wach. Frank hat offensichtlich schlimme Träume, er wälzt sich im Bett und spricht im Schlaf. Sie rüttelt ihn, will wissen, welche Probleme ihn plagen. Aber ihr Mann reagiert ungehalten. »Lass mich in Ruhe«, faucht er. »Das geht dich einen Scheißdreck an. Das muss ich allein ausbaden.« Es kommt zu einer heftigen Auseinandersetzung. »Wenn das alles vorbei ist, haue ich ab«, sagt er noch, dreht er sich auf die Seite und schläft wieder ein.
Beate Bauer ist aufgebracht, findet keine Ruhe mehr. Sie steht auf, geht durch die Wohnung, gießt die Blumen, setzt sich in die Küche, will sich abreagieren. Doch das Gegenteil ist der Fall. Wirre Gedanken schießen ihr durch den Kopf. Sie erinnert sich an den Polterabend und die Hochzeitsnacht. Nicht mehr ganz nüchtern, hatte Frank ihr damals gesagt: »Ich habe dich nur geheiratet, weil die Hochzeitsfeier bereits vorbereitet war.«
Die junge Frau steigert sich in einen Zustand, der für sie nur noch einen Ausweg erkennen lässt: »Frank muss weg, verschwinden, beseitigt werden. Er ist für mich und andere eine Gefahr«, redet sie sich ein. Sie greift nach einer Vase, überlegt, stellt sie wieder weg.
Das Glasstück ist ungeeignet für ihr Vorhaben. Im Korridorschrank steht ein Winkeleisen, weiß sie. Die zum Äußersten entschlossene Frau nimmt es fest in die Hand und öffnet leise die Schlafzimmertür. Ihr Mann atmet ruhig. Für sie ist es unfassbar, dass ihn der hitzige Streit so unberührt gelassen hat. Sie kniet sich auf ihn, schlägt, das Eisen in beiden Händen, auf ihn ein. Wieder und immer wieder. Das Kopfkissen hat sie ihm vorher extra über das Gesicht gelegt. Beate Bauer will die Wirkung ihrer Schläge nicht sehen und verhindern, dass Blut herumspritzt.
Im psychiatrischen Gutachten der Medizinischen Akademie »Carl Gustav Carus« Dresden werden »Affektstau und Affektentladung« vor und während der Tat nicht ausgeschlossen. Ihre Zurechnungsfähigkeit sei aber zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt gewesen, stellt der Gutachter fest.
Dafür spricht auch das planmäßige Vorgehen in den folgenden Tagen.
Beate fährt am Morgen nach der Tat wie immer mit dem Bus nach Schwarzheide und bringt ihre Tochter Sybille in die Kinderkrippe. Wieder zu Hause angekommen, zieht sie in den nächsten zwei Stunden die Bettwäsche ab, säubert diese in der Badewanne oberflächlich vom Blut und trägt sie in den Keller, wo der Waschautomat steht. Während die Maschine ihre Arbeit verrichtet, reinigt sie das Schlafzimmer. Sie putzt Bettgestell, Nachtschrank, Nachttischlampe, Radio, wischt den Fußboden. Aus mehreren Stücken Dederonstoff knüpft sie einen Strick. Damit verschnürt sie Hände und Füße des Toten. Handgelenke und Unterarme werden so mit den Beinen vor der Brust zusammengebunden, dass ein kompaktes Bündel Mensch entsteht. Dennoch geht der Deckel der Wäschetruhe, in die sie das Opfer gesteckt hat, nicht ganz zu. Sie türmt mehrere Kleidungsstücke darüber. Das blutdurchtränkte Kopfkissen, die benutzten Reinigungstücher und den Matratzenbezug ihres Mannes stopft Beate Bauer in einen Plastikbeutel, der zunächst auf dem Kleiderschrank verstaut wird. Später verpackt sie die Sachen einzeln und verteilt sie auf Müllcontainer in der Stadt. Gegen 9 Uhr geht sie einkaufen, nimmt einen Arzttermin in der Poliklinik Lauchhammer-Mitte wahr, schwatzt mit Nachbarn im Haus, erkundigt sich beim Meister ihres Mannes nach dessen Verbleib. Später reibt sie das Winkeleisen ab und stellt es in den Keller.
Beim Betrachten der Tapete im Schlafzimmer bemerkt sie Blutflecke. »Das muss ich neu tapezieren«, beschließt sie. Sie holt Sybille aus der Krippe ab und kauft auf dem Rückweg Tapetenleim. Am Abend gibt sie in Begleitung der Schwiegereltern die Vermisstenanzeige auf. Wieder daheim, klebt sie an der Wand am Kopfende des Bettes drei Bahnen Tapete des gleichen Musters über das alte, beschmutzte Papier. Es ist inzwischen 23 Uhr. Beate Bauer legt sich im Wohnzimmer auf die Couch und schläft ein.
Zwei Tage sind seit der Tat vergangen. In der Wohnung macht sich übler Geruch breit. Ihr wird klar: »Frank muss aus dem Haus. Das ist die letzte Spur.«
Doch wie? Ihr Mann war kein Leichtgewicht. Sie beschließt, die Leiche zu zerstückeln und die Teile in Müllcontainern zu verstreuen. »Ich wollte mir den Transport erleichtern«, sagt sie in einer der Vernehmungen bei der Polizei. Außerdem habe sie gehofft, dass dadurch nichts gefunden werde.
Beate Bauer geht an die Verwirklichung ihres Planes. Vom Set in der Küche nimmt sie ein großes Sägemesser, aus dem Kleiderschrank einen Kartoffelsack. Der Kopf ragt ein Stück aus der Truhe. Sie durchtrennt Haut und Fleisch im Halsbereich bis auf die Knochen, bricht den Halswirbel und dreht den Kopf so lange, bis er vom Rumpf ab ist. Den Schädel wickelt sie in alte Babywäsche und stülpt eine Plastiktüte darüber. Dann legt sie den rechten Arm auf den Rand der Truhe, sägt ihn mit dem gezähnten Küchenmesser ab und fixiert Ober- und Unterarm mit einem Gummiband. Die Körperteile und das blutige Kopfkissen wandern in den Kartoffelsack »Ich stellte den Sack auf den Balkon. Vor Brechreiz, Ekel und Ermattung war ich am Ende«, schildert sie. Eineinhalb Stunden hat das Abtrennen der beiden Körperteile gedauert. Beate Bauer säubert die Wohnung und geht schlafen. Am übernächsten Tag wirft sie den Sack in die Mülltonne hinter dem Haus.
Noch aber ist die Wäschetruhe mit dem Torso in der Wohnung. Sie lässt davon ab, den Körper weiter zu zerstückeln. Der Gestank in der Wohnung verstärkt sich. Die Gefahr, dass die Eltern oder Nachbarn aufmerksam werden, nimmt zu. In den Vormittagsstunden des 26. September transportiert sie das
Behältnis aus der Wohnung. Bewusst wählt sie den helllichten Tag. Nachts, so ihre Sorge, könnten Geräusche sie verraten. Außerdem fürchtet sie Streifen der Polizei.
Beate Bauer holt den Mopedanhänger aus dem Schuppen. Die Truhe stellt sie auf eine beigefarbene Wachstuchdecke und zieht sie aus dem Schlafzimmer in den Korridor. Dort wuchtet sie das Möbelstück auf das Gefährt. Weil Blut aus der Wäschebox läuft, dichtet sie den Ladekasten mit Lappen ab. Nun schiebt die junge Frau den Anhänger die Treppen herunter. Sie stößt mit ihm gegen eine Wand. Putz bröckelt ab. Auf der illegalen Müllkippe am Butterberg kippt sie die Ladung aus dem Hänger. Ihre Kräfte reichen nicht aus, die Leiche zu vergraben. In der Stadt kauft Beate Bauer eine neue Truhe, die so aussieht wie die alte. Schließlich dürfen die Schwiegereltern das Stück, das sie dem jungen Paar zur Hochzeit geschenkt hatten, nicht vermissen.
An drei Tagen im Mai 1985 findet vor dem Bezirksgericht Cottbus der Prozess gegen Beate Bauer statt. Der erste Strafsenat verurteilt die Angeklagte zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Die staatsbürgerlichen Rechte werden ihr für immer aberkannt. In der Urteilsbegründung heißt es:
»Sie handelte aus nichtigem Anlass, und ihr Handeln war von Egoismus und Selbstwertüberschätzung geprägt ... Die besonders negative Grundeinstellung zum Leben anderer ... kommt auch in der Tatsache zum Ausdruck, dass sie daran ging, die Leiche zu zerstückeln. Das offenbart zweifellos eine nicht zu überbietende Kaltblütigkeit.«
Beate Bauer legt gegen das Urteil Berufung ein. Diese wird vom Obersten Gericht der DDR zurückgewiesen. Im Januar 1996 wird sie auf Bewährung aus der Haft entlassen.