17.

Rosinen und Wein

 

 

Nur der Squire und Master Jim saßen am nächsten Morgen beim Frühstück. Der Doktor war drüben im Gefängnis und besuchte seine „Patienten“, Ned Barker und dessen Gruppe. Lady Alice lag noch im Bett. Sie nahm ihr Frühstück ein, wenn die Sonne die Welt ein wenig erwärmt hatte.

Bei Tisch wurde kein Wort gesprochen. Der Squire hatte gestern nacht vielen Leuten zugeprostet, und die Versöhnung, die der Stadtrichter vorgeschlagen hatte, war bis in die frühen Morgenstunden gefeiert worden. Andererseits war Mr. Hawkins früh zu Bett gegangen. Aber er hatte nichts zu sagen, oder vielleicht traute er sich nicht zu sprechen.

Draußen spannte Daniel die Pferde an, und die anderen Diener bereiteten alles zum Verlassen des Hauses vor. Wir waren auf dem Weg nach Hause. Der Master der „Wagemutigen Kaufleute“ hatte dem Squire versichert, daß er beim nächsten Quartalstag durch ein zustimmendes Nicken der Mitglieder bei der Abstimmung akzeptiert werden würde.

„Verdammt, wenn ich das überhaupt erlebe“, brummte Mr. Trelawney halb zu sich selbst. „Diese ganze Angelegenheit hat der lange John oder Mr. Argent, wie er sich selbst nennt, begonnen, wenn er nicht…“ Er lachte so plötzlich, daß er die Hand an den schmerzenden Kopf preßte, „wenn es nicht alles ein Komplott war, um Lady Alice den Hof zu machen. He, Jim, vielleicht war es das. Ha, ha, ha, ha!“

Der arme Master Jim starrte aus dem Fenster. Der Doktor kam mit energischen Schritten herein, während der Squire noch lachte und vor Schmerz zusammenzuckte.

„Was ist geschehen, Sir?“

Der Squire wiederholte seinen kleinen Scherz, und der Doktor verbarg sein Lächeln mit einem Blick auf Jim und sagte dann ernsthaft:

„Ich habe gesagt, daß wir Argent mit Adleraugen beobachten müssen. Verdammt nochmal, warum soll ich ihn bei diesem gefälschten französischen Namen nennen. Ich wußte, daß unser alter Freund etwas im Schilde führte. Und ich beginne zu sehen, was es sein könnte.“

„Und was ist es?“

„Dies. Silver ist beim Bürgermeister und mit ihm zusammen im Gefängnis gewesen. Er hat eine Bürgschaft von tausend Pfund für die Bergleute gegeben. Sie werden aufgrund dieser Bürgschaft unter der Bedingung freigelassen, daß sie sich für sieben Jahre zu persönlichem Dienst bei ihm verpflichten.“

„Nun, das nenne ich großzügig. Besser, als deportiert zu werden, und sehr viel besser, als gehängt zu werden“, sagte der Squire. „Stimmt. Aber man erzählt sich am Hafen, daß er eine Seereise mit den Bergleuten als Teil seiner Besatzung plant. Da er ihnen das Geschenk einer Seebrise wohl nicht umsonst geben will, was heckt er aus?“

Der Squire dachte scharf nach und zog die Stirn in Falten. „Worauf wollt Ihr hinaus, Livesey?“

„Nun ja, Squire, die Silberbarren, die unter dem Schwarzen Felsen auf der Insel begraben liegen. Wer ist besser geeignet als Bergleute, sie auszugraben? Wer könnte diese Arbeit besser tun als Leute, die an ihn gebunden sind, weil sie für Leben und Freiheit fürchten? Keine Gefahr, daß sie seine Pläne durchkreuzen.“ Mr. Trelawney schüttelte den Kopf. „Doch was will er dann mit uns? Warum bricht er nicht auf? Ich kann mir’s nicht vorstellen, Doktor.“

„Wenn er nicht hinter der Karte her ist, Mr. Trelawney.“

„Die Karte — Unsinn. Er weiß, wo das Versteck liegt.“

„Ah!“ sagte der Doktor. „Aber kann er die Insel wiederfinden, Sir? Fünf Quadratmeilen Felsen und Sand in Tausenden von Quadratmeilen leerer See?“

„Oho“, der Squire sprang auf und griff sich mit beiden Händen an die Stirn. „Hinter der Karte ist er also her, das ist es? Die ganze Salbaderei, um die Karte zu kriegen? Nun ja, wir werden sehen. Doch komme, was wolle, dieser Schuft (jetzt wieder Schuft?) wird die Karte nicht in die Hände bekommen — und die Silberbarren auch nicht.“

Er ging vor dem Tisch auf und ab.

„Das also war das Spiel, he? Sagt, Jim, ist die Karte an einem sicheren Platz?“

Aber Master Jim schien nicht zuzuhören. Er starrte aus dem Fenster, und seine Miene verriet, daß er über etwas brütete.

„Ich könnte wetten, daß Jim die Karte an einem Platz verstaut hat, wo niemand sie so leicht finden kann“, warf der Doktor ein, der ebenso wie ich fühlte, daß sich ein kleiner Hurrikan im Raum zusammenbraute.

„Das mag wohl sein“, sagte Squire. „Doch wie konnte dieser Kerl Jims Papiere in die Hände kriegen? Die waren doch auch gut verstaut, nicht wahr?“ Er wandte sich erneut an Master Jim, diesmal mit größerer Liebenswürdigkeit.

„Könnte es vielleicht nicht besser sein, sie an einen sicheren Platz zu legen, he, Jim? Sagen wir, Ihr bringt sie hinauf ins Herrenhaus? Was immer sonst geschieht, er darf die Silberbarren nicht in die Hand bekommen.“

Master Jim stieß seinen Stuhl abrupt zurück und wischte sich mit einer Serviette übers Kinn. Ich konnte sehen, daß seine Augen blitzten.

„Ihr, Sir, seid sehr besorgt, daß er das Silber nicht zu fassen kriegt. Aber es scheint Euch nichts auszumachen, daß er sich mit Lady Alices Namen vor der Bristoler Gesellschaft zuviel herausnimmt. Das Geld ist das Einzige, Sir, was Euch wichtig ist. Bei mir ist das nicht der Fall.“

Und damit ging er hinaus und ließ den Squire sprachlos zurück.

Der Doktor entdeckte etwas Hochinteressantes, das sich auf dem Fluß bewegte, und starrte aus dem Fenster, dabei pfiff er eine kleine Melodie durch die geschlossenen Zähne.

An jenem Tag fuhren wir von Bristol zurück. Ich saß Wange an Wange und Hüfte an Hüfte mit Betsy oben, während mein Herr unten in korrektem Abstand neben Lady Alice saß. Ich weiß, wer die angenehmere Reise hatte. Daniel sang ein komisches Lied mit dieser tiefen ausländischen Stimme, während er mit den Zügeln in seinen großen, schwarzen Händen spielte.

„Was singt er?“ fragte ich Betsy, doch sie antwortete nur: „Kümmere dich um deinen eigenen Kram.“

Beim Herrenhaus stieg der Squire ab und gebot mir, eine Weile zu bleiben, während er die Kutsche weiterschickte, um den Doktor und Master Jim nach Hause zu bringen. Unter dem Vorwand, mich wegen einiger Weine um Rat zu fragen, führte er mich in die Bibliothek und forderte mich mit einer theatralischen Geste auf, mich zu setzen. Dann schenkte er jedem ein Glas Portwein ein. „Rosinen, Tom? Magst du Rosinen?“

Ich schüttelte den Kopf. Portwein zu dieser Tageszeit war durchaus genug.

„Komisch. Master Jim waren Rosinen immer höchst willkommen.“

„Über Geschmack läßt sich nicht streiten, Sir.“

„Tom, mein Junge. Laß uns von Mann zu Mann reden. Wir beide mögen deinen Herrn. Einen ehrbareren Mann gibt es nicht.“ Darauf nahm ich einen Schluck.

„Ein wenig empfindlich, wo es um Prinzipien geht.“

Amen auch dazu.

„Schau, Tom. Ich bin beunruhigt. Master Hawkins gibt keinen roten Heller dafür, ob dieser habgierige Schuft, Silver oder Argent, die Silberbarren in die Hände kriegt. Doch ich tu’s.“ Er sah mich listig an. „Und ich wette mein bestes Paar Pistolen, du auch.“

„Sir!“

„Du und ich müssen achtgeben, daß die Karte nicht in die falschen Hände fällt. Und wir müssen es tun, ohne Master Jim zu verletzen.“

Ich nickte. „Wollt Ihr, daß ich sie wegnehme und ins Herrenhaus bringe?“

Er sah schockiert aus. „Nein, nein, nein, Tom. Überstürze nichts. Was ich möchte, ist, daß du wie ein Schießhund aufpaßt. Es soll sich auch für dich lohnen.“

„Sir, Ihr bezahlt mich bereits gut genug.“

„He, wie? Dich bezahlen? Versteh nicht, was du meinst, Junge.“ Oho, dachte ich. Dieser monatliche Shilling, den ich von Betsy bekam, war nicht vom Squire. Aber von wem dann? Argent? Die Welt drehte sich ein wenig schnell für mich.

„Ich wollte nur sagen, Sir, Ihr seid die Freundlichkeit selbst. Habt mich immer gut behandelt.“

„Ich werde mehr für dich tun, Tom.“ Er beugte sich vor und knuffte mich in die Rippen. „Wie findest du Betsy, he?“

Ich muß rot geworden sein, denn er brüllte vor Lachen.

„Nun ja. Wenn alles gutgeht, kannst du sie vielleicht zur Frau nehmen, wenn ein solches Mädchen etwas von der Ehe hält.“

„Wenn ich wüßte, daß sie das tut, Sir..

„Was, Tom? Wir werden sie nicht fragen. Wir wissen schon Bescheid, nicht wahr?“

Er knuffte mich wieder in die Rippen und forderte mich auf, ihm noch ein Glas einzuschenken.

Die zweite Fahrt zur Schatzinsel
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