6.

Ben Gunns Streich

 

 

Der Pförtner war ein komischer alter Kauz, seine grüne Livree war fleckig und hier und da geflickt, und er war von einem leichten Dunst von Alkohol umgeben. Er war schrumpelig und braun wie eine Beere, mit wilden grauen Locken. Und er hatte die Angewohnheit herumzutanzen, einen festzuhalten und mit sich selbst zu reden. Ich war nicht sicher, ob ich ihm antworten sollte oder nicht, doch das schien ihm gleichgültig zu sein. Er hüpfte mit der Laterne wie ein Irrlicht vor mir her und wieder zurück und schwatzte die ganze Zeit dabei.

„Tom Carter, stimmt doch, ja? und was sagst du, is mein Name? und ich sag dir, ich heiß’ Ben Gunn. Und ich wette, du sagst, ‘n komischer alter Name für ‘nen komischen alten Kauz.“

Er hatte meine Gedanken gelesen, wahrhaftig. Ben Gunn war kein Narr, obwohl er nicht aufhören konnte zu quasseln.

„Ein ungewöhnlicher, freundlicher Mann, der Squire, sagst du, und ich sag dir, was das Geld anbelangt, und das is heute auch nicht viel wert, ein großes Haus und die Schwarzen und alles. Und der arme, alte, unwissende Ben Gunn, ein Christ und ein Weißer, der die Einfahrtstore zu bewachen hat und sich glücklich preisen muß.“

Er erschreckte mich, als er mir die Lampe vor die Augen schwang, packte mich beim Mantel und zog mich die Straße entlang, die sich jetzt in die Höhe schlängelte und enger wurde, als wir hinaufstiegen. Auf der rechten Seite konnte ich ständig die Wellen an die Felsen branden und zurücklaufen hören, während Ben Gunn weiterplapperte.

„Ich war reich, Tom, mein Junge, und sagst du auch ,Niemals, Ben Gunn, du alter Trunkenbold reich, niemals.’ Aber es is wahr, und es is noch mehr dort, wo es herkam. Und warum geht der alte Ben dann nich und holt die Silberbarren, wenn er weiß, wo sie sind?“

Schon wieder Silberbarren, ich spitzte die Ohren.

„Die Antwort is, Tom, um reicher zu werden, mußt du reich sein. Der alte Squire, wenn er ‘s Geld hätte, wär’ er hinter mehr her. Er würd’n Schiff ausrüsten und rüber wär’ er zur Schatzinsel wie ‘ne Kanonenkugel. Und warum, fragt Tom, und Ben sagt ihm…“ Der Pförtner hob die Laterne, so daß das Glas mir die Nase verbrannte und fuhr fort: „Damit er Lady Alice wieder aus dem Haus rauskriegt, und er und der Doktor friedlich am Feuer sitzen und über alte Zeiten reden können.“

„Was?“ rief ich, „seine eigene Tochter?“

„Tochter, sagst du, und Ben sagt, niemals. Squire is der Vormund von Lady Alice. Sein alter Freund starb und überließ es Squire, für sie zu sorgen. Ja, das is alles, was er ihm überließ. So mußte Squire ihr schon ‘ne Aussteuer aus der eigenen Tasche zahlen. Und das war auch nich grade billig. Aber Squire is ‘n Narr.“ Ben Gunn sah sich um: „Kein Wort davon zu einem Christenmenschen, he, Tom.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Und warum ist er ein Narr?“

„Weil Lady Alice ‘nen Mann wie ihren letzten heiraten wird, und was hat der mit ihrem Geld gemacht?“

Ich wartete, mir stockte der Atem.

„Nun, er hat damit gemacht, was Ben Gunn damit gemacht hat und jeder feine Herr damit gemacht hätte. ,Und was is das?’ fragt Tom, und Ben sagt, nun, er hat es an die Wand gepißt, vertrunken

hat er’s.“

„Ist er denn gestorben, weil er zuviel trank, Ben?“

Er hörte mich nicht.

»Wenn du mich fragst, wie er gestorben is, werd’ ich’s dir erzählen, wenn du dem alten Ben auch nich glauben wirst. Er kletterte auf den Gipfel von Clifton und tauchte in die Felsenschlucht hinab. Er rief, daß er ‘ne Möwe war’ und auf all seine Gläubiger scheißen würde, die unten in Hotwell ‘ne Kur machten.“

Mensch, dachte ich. Lady Alices Mann war nicht ganz der, als den sie ihn ausgab, aber er war kein gewöhnlicher Sterblicher.

Ben nahm mich beim Arm. Vor uns, am Rand einer Anhöhe, stand ein einzelnes Gebäude, dessen Lichter einsam leuchteten. „Da is es, Tom, mein Junge. Das Gasthaus ,Zum Admiral Benbow’. Gehört Jim Hawkins und gehörte vor ihm seinem Vater. Dies Haus hat ungewöhnliche Dinge gesehen, Seeräuber, die einander mit ihren Entermessern zu Karbonade zerhackten, und Fluchen, ein Greuel für christliche Ohren... hier is es, wo Jim die Landkarte hat...“

„Was für eine Landkarte?“

„Du fragst mich, was für ‘ne Landkarte, und ich sag, nun die Karte, die sie alle in die Hände bekommen wollen, die dir Position und Lage der Insel angibt, mit roten Kreuzen für die Silberbarren, wo sie unter dem Schwarzen Felsen liegen.“

„Und wenn er die Karte hat, warum bricht er dann nicht schleunigst auf und macht sich selbst zu einem reichen Mann?“

Ich hatte die Frage schnell zwischen sein Gerede gekriegt.

Ben Gunn hob die Laterne, und ich stieß seine Hand fort, damit er mir nicht die Augenbrauen versengte.

„Weil zwei Frauen Jim hier festhalten. Zum einen seine alte Mutter. Sie hätte ihn beinah verloren, als er in deinem Alter war, fünfzehn Jahre is es her, und jetzt läßt sie ihn nich aus ‘n Augen.“

„Und die andere?“

„Na, Lady Alice natürlich, das Mündel des Squires. Unser Jim betet den Boden an, den sie betritt.“

„Und warum macht er sich dann nicht selber reich und heiratet sie?“

„Darum weil... na, das is doch das Geheimnis. Tom Carter wird Jim Hawkins Junge sein, nich wahr, und er kann ‘ne Menge Dinge rausfinden, wenn er die Augen offenhält.“

Alle wollten sie, daß ich die Augen offenhielte.

„Aber wenn du mich fragst, dann sag ich dir, Jim Hawkins is zu gut für dieses Leben und seine Gemeinheiten. Er nimmt einfach alles zu schwer.“

Plötzlich lachte er in sich hinein.

„Also, du und ich, Tom, wir spielen Jim ‘nen Streich, he?“

Ich war nicht so sicher, ob ein neuer Junge als erstes seinen Meister auf den Arm nehmen sollte. Aber Ben fragte mich sowieso nicht um meine Meinung. Er gab mir die Laterne, bückte sich und hob einen Stein vom Pfad vor dem Gasthaus auf. Dann trat er dicht an das Haus heran und begann, an einen größeren Stein auf dem Boden zu klopfen — klopf, klopf, klopf.

Während er klopfte, sang er mit brüchiger alter Stimme: „Fünfzehn Mann auf des toten Mannes Kist’,

Johoho, und ‘ne Buddel mit Rum.

Sauft, bis euch..

Den Rest des Liedes bekam ich nicht zu hören. Ein Fensterladen neben der Gasthaustür wurde aufgestoßen. Ein Pistolenschuß blitzte auf und krachte, und eine Kugel summte wie eine Biene so dicht an meinem Ohr vorbei, daß ich ihren Hauch spürte.

Ich wartete nicht auf die nächste Kugel. Ich warf mich auf die Erde und stieß im Fallen das Licht um.

Die zweite Fahrt zur Schatzinsel
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