Warum?

Die kleine Propellermaschine zog eine lange Fahne aus Pulverschnee hinter sich her, während sie schneller und schneller über die weite, glitzernde Fläche des zugefrorenen Sees jagte. Einen winzigen Augenblick lang schwankte sie bedrohlich, als eine unter dem Schnee verborgenen Unebenheit die Leistungsfähigkeit des Fahrgestells auf eine harte Probe stellte. Dann hatten die robusten Kurzski wieder sicheren Bodenkontakt, und das dröhnende Brummen des Motors schien sich noch einmal zu steigern. Schließlich hob sie ab, stieg steil in die Höhe und drehte sich in sanfter Schräglage einem weit entfernten Ziel entgegen.

Er sah ihr noch einen Moment nach, während er innerlich ihren Piloten verwünschte. Er fühlte sich immer noch etwas wacklig auf den Beinen; von dem unbehaglichen Gefühl in der Magengegend gar nicht zu reden. Dieser Kerl musste lebensmüde sein. Schlimmer noch – es schien ihm Spaß zu machen, seine Kunden daran teilhaben zu lassen. Immer wieder hatte er ihn kurz angegrinst, während er fortwährend die Manövrierfähigkeit seiner Maschine auf engem und engstem Raum unter Beweis stellte. Er verdrängte den Gedanken, sich ihm nochmals anvertrauen zu müssen. Wer weiß, vielleicht würde er dann auch vergebens hier warten, weil der Kerl in der Zwischenzeit weitergehende Bekanntschaft mit einem der vielen Felsgrate gemacht hatte, die er so gerne dicht an den Tragflächenenden vorbeihuschen ließ.

Doch eines musste man ihm lassen: Er hatte sie gefunden. Die anderen beiden Piloten hatten ihm nicht den Schweiß auf die Stirn getrieben, doch sie hatten sich als unfähig erwiesen, die Wölfe aufzuspüren, von denen ihm berichtet worden war. Er hatte sein letztes Geld in diesen Flug gesteckt, und wie es schien, war das Glück diesmal auf seiner Seite.

Langsam kehrte die nahezu perfekte Stille zurück, die diesen Ort prägte. Er empfand es als Wohltat nach der knappen Stunde, in denen er das Dröhnen des Motors über sich ergehen lassen musste. Trotz der Sonne war es empfindlich kalt, viel kälter, als es der Jahreszeit entsprach. Nun, er war Kälte gewöhnt und würde es überleben. Er schloss seine Kleidung, die er in dem warmluftbeheizten Cockpit gelockert hatte, zog die Handschuhe an und schulterte sein Gewehr. Dann begann er, die wenigen Stücke seiner Ausrüstung zusammenzuschnüren, die er zuvor aus der Maschine geworfen hatte.

Nach seiner Schätzung mussten es ungefähr zehn Meilen sein, lächerliche zehn Meilen, die ihn jetzt noch von den Wölfen trennten. Natürlich würden sie nicht mehr da sein, wenn er die Stelle erreichte, wo der Pilot sie entdeckt hatte. Doch für die nächsten Tage bestand laut Wetterbericht keine Gefahr, dass ihre Fährten von Neuschnee bedeckt würden, und auch der Wind hatte sich fast völlig gelegt. Er braucht nur ihre Spuren zu finden, der Rest war Routine.

Ein kurzer Rundblick reichte ihm zur Orientierung, dann stapfte er los.

Als er die kleine Lichtung schließlich erreicht hatte, brauchte er nicht lange zu suchen. Es waren zwei, den Spuren nach offensichtlich ein Paar. Sie schienen ziemlich entkräftet oder krank zu sein. Die Wölfin war auf der panischen Flucht vor dem Flugzeug sogar mehrmals gestürzt.

Je länger er ihren Fährten folgte, desto klarer wurde, dass hier jemand verzweifelt nach Nahrung suchte. Umso besser, denn sie waren dadurch weitaus langsamer, als er befürchtet hatte. In dieser Gegend würden sie kaum etwas finden, das ihren Hunger wirklich stillen konnte. Die bevorzugten Jagdgebiete hatten sich längst weiter nach Westen verschoben, und nur noch Unerfahrene oder Gefoppte kamen hierher, um nach einem Elch oder dergleichen zu suchen. Einigen Leuten schien es großen Spaß zu bereiten, Sonntagsjäger in diese Gegend zu schicken.

Vielleicht war das der Grund dafür, dass die Wölfe hierher gekommen waren. Weiter westlich dürfte es jetzt vor Gewehren nur so wimmeln. Doch nun, nachdem der Pilot auf dem Rückweg war, würde sich die Anwesenheit der Wölfe nicht länger geheim halten lassen. Er musste sich beeilen, wenn ihm nicht ein anderer zuvorkommen sollte. Das rhythmische Knirschen seiner Schritte beschleunigte sich, während sein Blick zwischen den Abdrücken der Umgebung ständig hin und her wechselte.

Einige Stunden später hatte er das Gefühl, als würden die Spuren immer frischer. Die Wölfe waren weit umhergestreift und hatten alle möglichen Nahrungsquellen erkundet. Wie es schien, hatten sie dabei erwartungsgemäß nur ein paar kleinere Tiere aufspüren können. Seltsamerweise beschrieben ihre Fährten einen weiten Bogen und schienen nun einem unbekannten Ziel entgegenzustreben. Als er einen kleinen See erreichte, der nun unter einer dicken Schneeschicht verborgen lag, konnte er ihre Anwesenheit förmlich spüren. So vorsichtig und lautlos wie er konnte schlich er sich näher an das mit dichtem Gestrüpp gesäumte Ufer und blickte auf das Rund des Sees.

Da waren sie!

Seine Hand zitterte leicht vor Erregung, als er nach dem Fernglas griff. Es waren die beiden herrlichsten Wölfe, die er je gesehen hatte. Der große Aufwand hatte sich wirklich gelohnt. Sie standen nahe dem anderen Ufer, dicht beieinander. Anscheinend hatten sie gerade ein kärgliches Mahl beendet, denn der Schnee dort zeigte einige rote Flecken. Während der Wolf immer noch auf etwas herum kaute, sah die Wölfin plötzlich auf und blickte sich um.

Besorgt, sie könne ihn vielleicht entdecken, prüfte er den Wind. Doch der leichte Hauch, den man kaum als Wind bezeichnen konnte, stand ausgesprochen günstig. Auch war die Entfernung zu groß, als dass sie ihn hätte hören können, solange er sich nur einigermaßen ruhig verhielt. Die Bedingungen waren geradezu ideal.

Entsprechend der großen Distanz wählte er die neue Hochgeschwindigkeitsmunition und korrigierte das Zielfernrohr. Während er das Gewehr lud, sah er zu den Wölfen auf, ängstlich darauf hoffend, dass sie noch da waren. Doch seine Sorge war unnötig, sie standen nach wie vor an derselben Stelle. Er brachte das Gewehr in Anschlag. Die Wölfin stand halb verdeckt hinter dem Rüden, so entschied er sich für diesen als erstes Ziel. Sorgfältig visierte er ihn an, suchte den Druckpunkt und zog durch.

Das Projektil überwand die weite Distanz ohne viel an Geschwindigkeit zu verlieren. Es schlug mit einer solchen Wucht in den Brustkorb des Wolfes ein, dass es die Rippe, auf die es traf, völlig zerschmetterte, dann leicht deformiert, aber kaum abgelenkt, das Herz durchbohrte und erst im zweiten Lungenflügel zum Stehen kam. Der Wolf wurde förmlich von den Beinen gerissen und gegen seine Gefährtin geschleudert, um dann leblos in den Schnee zu sinken. Er starb, bevor der Knall des Schusses ihn erreichte.

Innerlich jubelnd lud er durch und visierte die Wölfin an. Wohl aufgrund des völlig unerwarteten Anpralls ihres toten Gefährten und des peitschenden Knalls kurz darauf war sie erschreckt zur Seite gesprungen und hatte sich nur kurz umgesehen, bevor sie in wilder Hast auf das nahe Ufergestrüpp zurannte. Er konnte nicht exakt mitziehen, da ein kleiner Zweig seiner lange geübten Präzision Widerstand entgegensetzte. Als die Kugel schließlich den Lauf verließ, wusste er schon, dass er wohl noch einmal würde nachladen müssen.

Das schlanke Geschoss fetzte knapp unterhalb der Wirbelsäule in ihren Rücken und streifte eine Niere, bevor es auf der anderen Seite wieder austrat, um sich in einen kleinen Hügel dahinter zu bohren. Er sah den Schnee aufspritzen, während er zu einer hastigen Bewegung ansetzte, um die dritte Patrone in Position zu bringen. Die Wölfin hatte vor Schmerz kurz aufgeheult, als die Kugel sie niederriss, war aber dann schnell wieder aufgesprungen und hielt – kaum langsamer – weiter auf das rettende Gebüsch zu. Als er das Gewehr wieder im Anschlag hatte, war sie bereits verschwunden, sodass ihm nichts anderes übrig blieb, als blind auf die Stelle zu halten, an der sie verschwunden war. Er stieß einige heftige Verwünschungen aus, lud noch einmal durch und rannte hinüber.

Die Spuren führten durch das Gebüsch hindurch und verloren sich in dem waldigen Gelände dahinter. Sie war entkommen. Der letzte Schuss hatte lediglich einen kleinen Trichter in den Boden gerissen, aber die kleinen, roten Punkte, die ihre Abdrücke im Schnee begleiteten, zeigten ihm, dass er sie leicht würde einholen können.

Er blickte noch einmal forschend in die Richtung der Fährte, dann kehrte er zu dem erlegten Wolf zurück. Wirklich ein Prachtexemplar: groß, im besten Alter und mit einem wahrhaft exzellenten Fell. Die neue Munition hatte – wie es die Werbeanzeige versprochen hatte – nur ein winziges Loch hinterlassen, das man leicht ausbessern konnte.

Es dauerte nicht lange, das Fell abzuziehen, vorzubehandeln und fachmännisch zu verstauen. Den Kadaver warf er ins Gebüsch, um die Spuren zu verwischen. Der blutgetränkte Schnee erwies sich als hartnäckiger, aber die Kälte und eine entsprechende Menge frischen Schnees taten ihre Wirkung. Zumindest aus dem Flugzeug würde man kaum mehr etwas sehen könne. Das alles geschah rasch und routiniert, denn er brannte darauf, die Wölfin zu verfolgen. Er hasste es, wenn ihm etwas entkam, auf das er bereits geschossen hatte.

Die Blutspur wurde dünner und dünner, bis sie schließlich ganz abbrach. Anscheinend hatte sich eine Kruste auf den Wunden gebildet. Trotzdem wirkten sich die Verletzungen und der Blutverlust merklich auf ihr Tempo aus. Seltsam war nur, dass die Wölfin, ohne innezuhalten und scheinbar so schnell, wie sie noch zu laufen vermochte, weiterhin auf die kleine Bergkette zuhielt, die bereits seit einer ganzen Weile ihr Ziel zu sein schien. Er hatte erwartet, dass sie – wie fast alle anderen Tiere in dieser Situation – nach einer Weile, in der sie sich in Sicherheit glaubte, stehen bleiben und sich niederlegen würde, um sich auszuruhen und ihre Wunden zu lecken. Er hatte mehrere Stellen gefunden, an denen die Wölfin kurz gelegen haben musste, aber nur, weil sie im Laufen eingeknickt und gestürzt war. Dieses Verhalten war ihm neu.

Seine Bewunderung für ihre Ausdauer stieg mit jeder Minute, die er – das Gewehr im Anschlag und sorgfältig spähend – der immer unregelmäßigeren und torkelnderen Fährte folgte. Die Wunden schienen ob der Bewegung immer wieder aufzubrechen, denn Abdrücke mit Blut wechselten sich mit solchen ohne ab.

Der Schnee lag hier tiefer, und es kostete ihn erhebliche Anstrengungen, sein Tempo beizubehalten. Als er schließlich erschöpft innehielt und sich umsah, bemerkte er, dass er praktisch unmittelbar vor der kleinen Bergkette stand. Das hieß, sie hatten etwa fünfzehn Meilen zurückgelegt, ohne dass ihm dies bewusst geworden war. Diese Tatsache versetzte ihn in schieres Erstaunen. Er hatte eigentlich erwartet, bereits nach kurzer Zeit den Revolver für den Gnadenschuss ziehen zu können. Anscheinend hatte er sie doch nicht so schwer verletzt, wie er angenommen hatte. Oder es gab etwas, das er nicht kannte, das aber dieses entkräftete und verletzte Tier mit unbändigem Willen immer weiter vorantrieb.

Die Tatsache, dass die Spur mehr und mehr in ein Kriechen überging, gab ihm mehr Kraft. Sie musste bereits viel Blut verloren haben. Es konnte nicht mehr allzu weit sein.

In der Tat endete die Fährte schon kurze Zeit später – im Eingang einer kleinen Felshöhle, in die die Wölfin gelaufen war. Er stieß seine schlimmsten Verwünschungen aus, während er die Höhle vorsichtig umschritt. Wenn sie sich dort hinein zum Sterben zurückgezogen hatte, war die ganze Mühe umsonst, das kostbare Fell verloren. Wenn es doch wenigstens eine Erdhöhle gewesen wäre, da hätte er sie vielleicht noch ausgraben können. Aber der harte Granit ließ solche Gedanken erst gar nicht aufkommen, und zum Hineinkriechen würde sich die Höhle aufgrund des bereits sehr engen Eingangs sicherlich auch nur sehr bedingt eignen. Ganz zu schweigen davon, dass er keine Lust hatte, Kopf voran in die Reichweite ihrer Zähne zu kriechen ...

Er wartete fast drei Stunden, ehe seine Geduld endgültig aufgebraucht war. Dann lehnte er das Gewehr an einen Baum, wühlte die starke Stablampe aus seinem Rucksack, zog seinen Revolver und näherte sich vorsichtig dem Eingang der Höhle. Zur Sicherheit feuerte er aus einiger Entfernung drei Schüsse in verschiedene Richtungen hinein. Damit – so war er sich sicher – hatte er einem eventuellen Überraschungsangriff einer vielleicht knapp hinter dem Eingang lauernden Wölfin ein rasches Ende bereitet. Doch kein Laut war zu hören, noch nicht einmal ein Querschläger oder ein wenig Gesteinsstaub drangen aus der dunklen Öffnung. Vermutlich lag sie bereits verendet irgendwo im engeren Teil der Höhle. Hoffentlich nicht allzu tief ...

Er schaltete die Lampe ein und wagte sich langsam näher an den Eingang. Als er seltsame Geräusche hörte, verdoppelte er seine Vorsicht. Millimeter um Millimeter schob er sich – Lampe in der linken, Revolver in der rechten Hand – weiter hinein, stets darauf gefasst, plötzlich angegriffen zu werden. Angeschossen waren diese Bestien noch weitaus bösartiger, und er war hier alles andere als in seinem Element. Es war weitaus gefährlicher als ihm lieb war, aber er musste dieses Fell einfach haben. Als Paar waren sie noch einmal so viel wert.

Die Höhle machte einen scharfen Knick und zog sich dabei so weit zu, dass er sich gerade noch würde hindurchzwängen können – wenn er sich geschickt bewegte. Er hörte die merkwürdigen Geräusche jetzt ganz deutlich, und sie kamen eindeutig aus dem hinter dem Knick verborgenen Teil des Ganges. Es klang wie ein mehrstimmiges, leises Winseln und heftiges Atmen. Am liebsten hätte er zuerst geschossen und dann nachgesehen, aber es war äußerst unklug, in dieser Situation abzudrücken, ohne die Gewissheit zu haben, dass die umherfliegende Kugel auch ihr Ziel finden würde.

Es kostete ihn etliche Zeit und eine Menge Überwindung, bis er es wagte. Aufs Äußerste gespannt, lenkte er Revolverlauf, Lichtkegel und Blick langsam um die Biegung.

Der befürchtete Angriff blieb aus, stattdessen bot sich ihm ein Anblick, der ihn in eine Mischung aus Verblüffung, Erleichterung, Freude und Bewunderung versetzte.

Zurückgezogen in die hinterste Ecke einer kleinen Ausstülpung, die gleichzeitig das Ende der Höhle bildete, stand die Wölfin mit gesträubten Nackenhaaren und knurrte ihn drohend an. Besser gesagt: Sie versuchte zu stehen und zu knurren. Denn ihr mit Blut bedeckter, zitternder und schwankender Körper, den sie offenbar mit letzter Kraft in diese Position zwang, ließ dies eher verzweifelt denn bedrohlich aussehen. Sie sah nicht so aus, als ob sie noch in der Lage wäre, die kurze Entfernung zu ihm zurückzulegen – was ihn sehr erleichterte. Wahrscheinlich war sie auch so geblendet, dass sie noch nicht einmal wusste, wo er genau war.

Der Grund für seine Verblüffung und seine Freude war aber ein anderer: Um die zittrigen Läufe der Wölfin, unter ihrem Bauch und hinter ihr drängten sich drei magere Junge. Er vermochte ihr Alter nicht zu schätzen, denn er war noch nie zuvor auf eine Wölfin mit Jungen gestoßen, geschweige denn, dass er schon einmal einen so jungen Wolf erlegt hatte. Aus dem Zustand der Zitzen ihrer Mutter schloss er aber, dass sie zumindest bereits entwöhnt sein mussten. Alle hatten ein Fell derselben einmaligen Färbung und Qualität wie das, was er bereits im Rucksack verstaut hatte, und alle waren zumindest schon groß genug, um diese beiden Trophäen hervorragend zu ergänzen.

Er hatte zwar noch nie einen Jungwolf abgezogen, aber dies schien eine einmalige Gelegenheit dazu zu sein. Außerdem würde sich seine Prämie damit mehr als verdoppeln; von der drohenden Gefahr, die von diesem Raubzeug ausgehen würde, wenn sie einmal groß wären, ganz zu schweigen. Ohne ihre Mutter würden sie ohnehin nicht überleben; da war es besser, sie gleich zu töten.

Aber zuerst galt es, die Wölfin auszuschalten. Da sie ihm ihr Gesicht zugewandt hatte, visierte er den Punkt zwischen ihren Augen an. Diesmal würde sie ihm nicht mehr entkommen, diesmal nicht. Ihm war zwar nicht ganz wohl dabei, in dieser engen Höhle zu schießen, aber es musste einfach gut gehen, nur dieses eine Mal, die Jungen würde er vielleicht auch so greifen können. Er suchte den Druckpunkt und ...

Nichts geschah.

Der Finger, der sonst ruhig durchzog, ohne den Lauf auch nur geringfügig aus seiner Richtung abzulenken, rührte sich keinen einzigen Millimeter. Während er über die Zielvorrichtung des Revolvers in die bereits getrübten Augen der Wölfin sah, verharrte sein Zeigefinger dort eine volle Minute ... zwei Minuten ... drei ... kein Schuss. Nur das schwache, erstickte Knurren der Wölfin und das leise Winseln der Jungen waren zu hören, die sich eng bei ihren Beinen hielten.

Endlich löste er sich aus seiner Erstarrung, wandte sich ab von diesem Blick, den er nicht länger ertragen konnte, und atmete tief durch. Fassungslos betrachtete er seinen Zeigefinger, dann wanderte sein Blick zwischen der Wölfin, den Jungen und dem Revolver hin und her.

Er ... er konnte es einfach nicht! Es ging einfach nicht ...

Er wusste nicht, weshalb er nicht abgedrückt hatte. Er wusste nur, dass er nicht hätte abdrücken können. Irgendetwas hatte ihn daran gehindert, etwas, das sich seinem Willen scheinbar entzog, sich aber gleichzeitig mit unbändiger Vehemenz gegen seine Entscheidung auflehnte, den rechten Zeigefinger zu krümmen. Seine Fassungslosigkeit steigerte sich in Entsetzen. Aber nicht Entsetzen darüber, dass er – ER – nicht hatte abdrücken können und – wie einige dieser idiotischen Anfänger – beim ersten richtigen Schuss zu einer Salzsäure erstarrt war. Nein, es war vielmehr Entsetzen angesichts einer Frage, die sich nun, einer Kugel gleich, in sein Gehirn bohrte:

Hatte er das wirklich tun wollen?

Der Blick der Wölfin lastete schwerer und schwerer auf ihm, während er sich behutsam aus der Höhle zurückzog und den Rucksack ergriff. Der Revolver rutschte aus seiner Hand und fiel in den Schnee, doch er bemerkte es nicht einmal. Wie in Trance stapfte er durch den Schnee dem fernen Treffpunkt entgegen.

Er reagierte noch nicht einmal auf das waghalsige Manöver, mit dem der Pilot den holprigen Start bereicherte.

„Hey, Sie sehen ja so geknickt aus! Keinen Erfolg gehabt? Wo haben Sie eigentlich ihr Gewehr gelassen?“

Er antwortete nicht.

„Na, Sie hat's ja schwer erwischt. Nun lassen Sie sich mal nicht so hängen, wir können ja morgen wieder raus fliegen und noch mal suchen. Ich bin sicher, Sie kriegen sie bestimmt. Ich habe zwar in der Zwischenzeit noch vier andere hier abgesetzt, die ebenso verrückt nach den Wölfen sind wie Sie, aber ich bin mir sicher, die sind nicht mal halb so gute Jäger. Und wenn es doch nicht klappt: Ich habe heute Morgen gehört, dass siebzig Meilen nordwestlich von hier ebenfalls ein paar Wölfe aufgetaucht sein sollen, obwohl es hier doch weniger zu fressen gibt. Wenn Sie wollen, können wir morgen auch gleich dorthin fliegen. Das ist nicht viel teurer als ...“

Er saß schweigend da und nahm den Redeschwall des Piloten gar nicht wahr. Ein Teil von ihm war noch immer wie betäubt. Doch tief in seinem Inneren erwachte etwas anderes zu neuem Leben, befreite sich langsam aus Unterdrückung und Verbannung, um sich mit bohrenden Fragen wieder in Erinnerung zu bringen. Erst als die Maschine die kleine Bergkette überflog, löste sich sein schweigendes Starren ins Leere für kurze Zeit. Sich plötzlich über etwas bewusst werdend, griff er in den Rucksack zu seinen Füßen und zerrte das Wolfsfell hervor.

„Mann, Sie haben ja doch Erfolg gehabt! Nur eins? Meine Güte, was für ein Fell!!! Warum haben Sie nichts gesagt und machen stattdessen so ein Gesicht? An Ihrer Stelle ... – hey, hey, was tun Sie denn da?!“

Noch ehe der Pilot eingreifen konnte, hatte er auch schon das Seitenfenster geöffnet und das Fell hinaus geworfen. Der Schub des Propellers erfasste es sofort und ließ es scharf am Leitwerk vorbei in die Tiefe segeln, während er die Scheibe wieder schloss. Einen Moment lang ruhte sein Blick noch auf der Stelle, an der sich die Höhle befand. Dann verschwand die Bergkette aus dem Sichtfeld der Cockpitverglasung.

„Mann, sind Sie wahnsinnig?! Das Ding hätte glatt am Höhenruder hängen bleiben können! Und überhaupt: Haben Sie was am Kopf?! So ein Spitzenfell rauszuwerfen! Das finden wir niemals wie...“

Der Blick, den er dem Piloten zuwarf, ließ diesen mitten im Satz abbrechen. Er sah ihn noch einen Augenblick an, schüttelte dann den Kopf und konzentrierte sich wieder auf die Instrumente vor ihm. Seine Gedanken waren nicht schwer zu erraten, und er würde sie wohl kaum für sich behalten.

Doch das war ihm gleich, ebenso gleich wie sein Gewehr, das noch immer an dem Stamm vor der Höhle lehnte. Er würde nie wieder eine Waffe anfassen, das hatte er sich geschworen.

Vielleicht würde dort in ein paar Jahren jemand einen Fünfundvierziger und ein rostiges Präzisionsgewehr finden. Später dann, wenn er mit anderen zusammensaß und trank, würde er davon berichten. Man würde sich kurz anschauen und noch einmal die Geschichte von dem völlig durchgedrehten Kerl zum Besten geben, der stumm vor sich hinstarrend von einer erfolgreichen Jagd zurückkam, um dann das beste Wolfsfell der letzten Jahre aus dem Flugzeug zu werfen. Vielleicht würde der „furchtlose Eddy“ zufällig am Tisch sitzen und lachend einwerfen, dass er ihm damals einen Blick zugeworfen hatte, der ihm fast das Blut in den Adern gefrieren ließ – ausgerechnet ihm, dem ein plötzlicher Fallwind ebenso wenig ausmacht, wie eine Landung in einer engen Schlucht voller Geröll. Sie würden sich sicherlich prächtig amüsieren an diesem Abend und den Kerl für verrückt erklären. Wie sollten sie ihn auch verstehen? Keiner von ihnen war mit ihm in dieser Höhle gewesen ...

Sollten sie doch über ihn lachen, es kümmerte ihn nicht, jetzt nicht mehr.

Sein ganzes Denken konzentrierte sich darauf, Antworten zu finden – Antworten auf Fragen, die er sich vorher nie gestellt hatte und die nun anklagend in seinem Kopf herumwirbelten: Warum hatte er das tun wollen? Warum hatte er den Wolf erschossen? Warum den Luchs zuvor?

Warum?
(Frank Simon; Wolf Magazin, Weihnachten 1992)