EPILOG
Heute findet im Echo Canyon die Eröffnungsparty für die Anlage statt, fast zwei Jahre nach Beginn der Arbeiten. Justin hat seinen Subaru gegen einen F-10 Pick-up getauscht, und darin fährt er jetzt dorthin, über die kurvige Straße durch die Ochocos, die so vertraut ist bis auf die schwarzen Kreuze der Telefonmasten, die, aneinandergereiht an durchhängenden Drähten in den Canyon taumeln. Auf dem Beifahrersitz sitzt sein Vater.
Man hat den Bären nie gefunden, aber man hat ihn gefunden. Eine Meile flussabwärts. Triefnass, dehydriert, lang hingestreckt auf einer Schlammbank. Ein Schlaganfall. Er hat ihn zerstört, ihn zu etwas nur halb Lebendigem gemacht.
Ein Teil von Justin hält es nicht aus, seinen Vater so zu sehen, wie er jetzt ist, schlaff und teigig, mit Sabber im Mundwinkel und einem nicht mehr kontrollierbaren Auge, das sich immer ins Weiße verdreht, als würde er etwas in seinem Schädel betrachten.
Doch ein anderer Teil von ihm fühlt sich heiter und gelassen, erleichtert, sogar ein bisschen triumphierend.
Ein Eisentor – das Metall zu Silhouetten von Wachteln, Elchen und Bäumen ausgeschnitten – hängt an der Haupteinfahrt, und kaum ist er hindurch, fangen die Luxus-Chalets an, jedes zurückgesetzt auf einem Grundstück von einem knappen halben Hektar.
»Da sind wir«, sagt Justin, und als Antwort sagt sein Vater nichts, hat seit zwei Jahren nichts mehr gesagt außer zu stöhnen oder feucht zu schmatzen. Sein mit dem Sicherheitsgurt fixierter Körper kippt in jeder Kurve zur Seite. Sein Gesicht ist ausdruckslos, als wäre dahinter niemand mehr vorhanden.
Die frisch asphaltierte Straße senkt sich hinunter in den Canyon, dessen Boden von allen Bäumen gesäubert und stattdessen überzogen wurde mit einem Teppich aus Fairways und Putting-Greens, deren Grün unnatürlich wirkt, wie etwas aus einer Flasche. Nylonwimpel flattern im Wind, ihre Spitzen zeigen die Windrichtung an, weisen den Weg vorbei an Sandbunkern und von Rohrkolben gesäumten Wasserlöchern, bis er schließlich den ersten Baum erreicht, neben dem sich das Hotel erhebt.
Es ist vier Etagen hoch und lang wie ein Fußballfeld, ein richtiges Schloss aus Eisen und Holzbalken, dessen Fertigstellung Hunderte von Männern und Tagen erforderte. Seit dem Schlaganfall hat die Firma seines Vaters sich aufgelöst, wie auch sein Vertrag mit Bobby Fremont.
Justin fragt sich, wie das Hotel ausgesehen hätte, wenn sein Vater es gebaut hätte. Wahrscheinlich wilder, splittriger und gröber behauen.
Rauch quillt aus einem Kamin aus Flusssteinen und der Wind drückt ihn nieder und breitet ihn als dunstige graue Schicht aus. Er stellt seinen Ford auf einem Parkplatz voller Autos ab. Von der Ladefläche holt er einen Rollstuhl und arretiert seine Bremsen und öffnet die Beifahrertür und öffnet den Sicherheitsgurt seines Vaters und sagt: »Okay, Dad. Runter mit dir.«
Sein Vater atmet mit einem wunden Rasseln. Ein Auge ist geschlossen und sein Mund hängt offen, und Justin nimmt ihn sanft in die Arme, als hätte er Angst, ihn zu zerbrechen, und hebt ihn dann aus dem Auto. In seinen Armen fühlt sein Vater sich an wie ein Nichts, wie in weiches Pergament gewickelte Stöcke. Er setzt ihn in den Rollstuhl, schnallt ihn fest und streicht ihm über die Haare, um sie zu ordnen. Das gute Auge seines Vaters mustert ihn streng – ein Glutnest in einem verlöschenden Feuer. Justin lächelt ihn an. Es ist ein merkwürdiges Lächeln, zugleich tröstend und verächtlich.
Sie folgen einem Schieferpfad durch einen Wildblumengarten, der an einer Terrasse aus Lavagestein voller Adirondacks-Gartenstühle endet.
Die Doppeltür am Haupteingang des Hotels ist über drei Meter hoch und mit eingeschnitzten Wäldern und Bergen und einem Adler vor der Sonne verziert. Sie öffnet sich in den Empfangsbereich, der die gesamte Höhe des Gebäudes einnimmt. Eine Wand aus Sprossenfenstern ermöglicht den Blick über den nahen Fluss South Fork, dessen Wasser kalt und schwarz und von der untergehenden Sonne gelb gestreift dahinrauscht. Eine hölzerne Fußgängerbrücke spannt einen Bogen darüber. Den Ausblick kann man von einem der vielen Sofas mit Navajo-Muster genießen, die zwischen Topfpflanzen stehen. Alles hier ist teuer, die vielen kleinen Details, die zur Perfektion beitragen, von den geschwungenen hölzernen Treppen, die wie Honig glänzen, über die schmiedeeisernen Geländer bis zu der geschnitzten Vitrine in der Ecke, die Keramik von einheimischen Künstlern präsentiert. Man könnte die Liste ewig fortsetzen. Auf der linken Seite gibt es ein Geschäft für Golfbedarf und rechts einen riesigen, offenen Kamin, der glüht und knistert, als er seinen Vater daran vorbei und in den Ballsaal schiebt.
Zwei Dutzend lange Tische aus Walnussholz sind über die gesamte Länge verteilt. Die Tische sind für ein festliches Diner gedeckt, und die Teller sind aus dünn getriebenem Silber, die bald Steaks und gebratenen Spargel und Kartoffelpüree in weißer Soße tragen werden. Lüster aus Wapitigeweihen hängen über jedem Tisch und beleuchten die vielen Dutzend festlich gekleideter Männer und Frauen, die mit Weinkelchen und Bierkürgen in der Hand herumschlendern. Auf einer provisorischen Bühne am anderen Ende des Saals spielt eine Jazzband.
Bobby Fremont zu entdecken ist nicht schwer. Ein Wuseln umringt ihn, wohin er auch geht, um Hände zu schütteln und Leuten auf den Rücken zu klopfen und über ihre und seine Witze zu lachen. Justin sieht ihn auf einen großen, kräftigen Mann mit einem Gesicht wie ein ausgetrocknetes Bachbett zugehen, Tom Bear Claws.
Er trägt auf Hochglanz polierte Cowboystiefel, Bluejeans mit Bügelfalte und einen Blazer über einem weißen Hemd. Sein geflochtener Pferdeschwanz reicht ihm fast bis zur Taille. Seine Ringe und Goldzähne funkeln im Licht. Er und Fremont schütteln sich die Hände. Er grinst breit. Wie er sollte. Seit Jahren kämpft er um die Errichtung und Finanzierung eines Kasinos außerhalb des Reservats. Vor einigen Monaten berichtete der Bend Bulletin, die Bauarbeiten für Cascade Locks hätten endlich begonnen, die Eröffnung sei für das neue Jahr geplant. Fremont war einer der größten Geldgeber, und seine Investition wird ihm pro Jahr einen geschätzten Gewinn von vierzig Prozent einbringen. Zum ersten Mal in der Geschichte Oregons wird es dann mit der Genehmigung des Gouverneurs ein solches Kasino geben. Justin erinnert sich noch gut an die Grotte voller Felskunst; jetzt wird klar, warum die Indianer den Echo Canyon nach einem nur vorgeschützten Kampf aufgaben.
Kurz darauf geht Fremont weiter, um mit einer weiteren Gruppe von Geldgebern zu reden, Bear Claws steht nun allein da, und sein Blick wandert quer durch den Saal zu Justin, senkt sich dann zu seinem Vater, und sein Lächeln verschwindet. Er nickt kurz, und Justin erwidert die Geste. Sie haben seit einiger Zeit nicht mehr miteinander gesprochen. Soweit Justin sich erinnern kann, waren sie nicht mehr zusammen in einem Raum seit dieser Versammlung im Rathaus, bei der Justins Vater Bear Claws in den Arm gefallen war. Ein Kellner kommt mit einem Tablett voller Champagnergläser vorbei. Justin nimmt sich eins und trinkt einen Schluck wie ein Gegenmittel gegen die hereinbrechende Dämmerung draußen.
Er versucht, sich seinen Vater außerhalb des Rollstuhls vorzustellen, wie er inmitten all dieser Leute steht und Hände schüttelt und Konversation macht, doch er schafft es nicht. Er würde nicht hier sein wollen, und Justin will ihn nicht weiter hier als Geisel halten. Er schiebt seinen Vater aus dem Saal ins Foyer, wo Justin mit der Hand über das polierte Holz der Empfangstheke streicht. Darauf steht eine Kristallglasvase, aus der blasse Lilien ragen. Und an der Wand dahinter hängt ein Ölgemälde mit Bären. Mindestens ein halbes Dutzend tummeln sich auf einem Berghang. Die Luft über ihnen ist oktobergrau, ein Grau wie in einer Tiefgarage, sie verkündet das Nahen des Winters. Auf den ersten Blick wirkt die Szene heiter. Dann schaut er genauer hin. Eine Espe im Vordergrund scheint entsetzt die Arme hochzuwerfen. Die Unterseiten ihrer Blätter glimmen in einem milchigen Licht und rascheln, wenn der Wind in sie fährt. Und die Bären, ihr Pelz scheint sich zu bewegen, zu schimmern wie Weizen im Wind. Ihre Augen sind wild, und sie sehen aus, als würden sie gleich aus dem Rahmen in das Foyer steigen und Justin fressen, um sich für die bevorstehenden, kalten Monate zu stärken.
Er verlässt das Hotel und schiebt seinen Vater über einen Kiesweg, auf dem sein Körper und sein Rollstuhl zittern, zum ersten Baum. Die Räder des Rollstuhls flüstern durchs Gras, als er seinen Vater bis zu dem Stamm schiebt und dort stehen bleibt. Der Wind streicht ihm übers Gesicht und bringt einen anderen Geruch mit sich, wie von frisch umgepflügter Erde. Der Himmel über ihm verdunkelt sich und Sterne schimmern wie Perlen am purpurnen Horizont.
Er tut so, als würde er mit einem Golfschläger ausholen, und sein Blick folgt dem unsichtbaren Ball die blaugrüne Weichheit des Fairways entlang, bis er nach etwa fünfzig Metern hängen bleibt. Hier muss der Baum gestanden haben, denkt er. Mit der Schuhspitze zeichnet er ein X ins Gras, entsprechend dem aufgesprühten X auf dem Baum, in dessen Nähe er zum letzten Mal mit seinem Vater zusammen war, bevor der stumm und lahm wurde. Ein Ort, der einmal so dunkel und fremd und wild für ihn gewesen war, ist jetzt ein Ort freundlicher Sonnenuntergänge und frisch gemähten Grases und Jazzbands und goldener Uhren.
Hinter sich hört er eine Stimme. »In diesen Wäldern haust ein Monster«, sagt sie.
Als Justin sich umdreht, sieht er Bobby auf sich zukommen. Er lächelt und zeigt mit der Champagnerflöte in seiner Hand auf ihn. »Ist nur ein Bär, da bin ich mir sicher. Die Leute reden darüber. Das Monster versteckt sich zwischen den Bäumen, gleich neben dem neunten Loch. Haarig. Einige sagen Sasquatch.« Er lacht darüber. »Wenn die Leute ihre Golfkarren abstellen, wenn sie ihre Putter herausziehen, um einzulochen, dann schleicht er sich manchmal heran und stiehlt, was sie an Essen oder Bier dabeihaben. Kannst du diesen Unsinn glauben?« Unter seinem strahlend weißen Lächeln und den durchtrainierten Schultern lauert eine furchtbare, hundeähnliche Präsenz, die sich ölig und stinkend an einen drückt, immer gierig darauf, einem entweder das Bein kopulierend zu umklammern oder das Genick durchzubeißen.
»Ich hasse Bären«, sagt Justin.
»Ja. Kann ich mir vorstellen.« Er stößt ein Seufzen aus, das nach Mundwasser und Alkohol riecht. Und dann senkt er den Blick zu Paul, der schwer durch die Nase atmet und Bobby mit seinem guten Auge beobachtet.
»Kannst du mich verstehen, Paul?«, fragt Bobby und fährt sich mit der Zunge von einer Seite zur anderen über den Gaumen. »Paul, Junge?« Seine Stimme wird lauter, er schreit fast. »Gefällt dir, was wir aus dem Fleck gemacht haben, Paul?« Er deutet mit der Hand durch den Canyon, als würde er über ein renoviertes Badezimmer sprechen. »Aber deine Hilfe hätten wir schon gebrauchen können.« Wie immer umspielt sein Lächeln seine Lippen ein wenig zu lang. Zu Justin gewandt, fragt er: »Kann er mich überhaupt hören?«
»Ja.«
»Kann er mich verstehen?«
»Ich glaube schon. Andere Leute sind sich da nicht so sicher, aber ich glaube es.«
»Aha.« Er legt den Kopf schief und betrachtet Paul noch einen Augenblick. »Was für eine Schande.« Dann leert er sein Glas und fragt: »Wie auch immer. Wie geht’s Karen?«
»Karen?« Justin überrascht es, dass er ihren Namen überhaupt kennt. »Ziemlich gut. Uns beiden geht es ziemlich gut.«
»Ach, wirklich?«
»Ja. Richtig gut geht es uns.« Und das stimmt tatsächlich. Es gibt immer noch schlechte Tage. Aber es gibt mehr gute Tage, wenn sie einander auf den Kissen anschauen und sich gegenseitig übers Gesicht streichen, die Kontur der Nase und den Schwung des Kinns nachfahren, als hätten sie die Gestalt der Liebe vergessen und versuchten nun aufrichtig, sich daran zu erinnern.
»Das ist gut.«
»Ist es.«
»Gut«, sagt Bobby ohne erkennbaren Ausdruck in der Stimme, keinen Enthusiasmus, keinen Zweifel, nur Lautstärke, um seine Sätze zu transportieren. Er klopft Justin auf die Schulter und lässt die Hand dort liegen. »Nun denn. Wollte nur mal Hallo sagen. Jetzt ist es Zeit, dass ich verschwinde.« Er massiert Justin die Schultern. »Immer schön, dich zu sehen. Komm mit rein und feiere mit uns.«
»Ein bisschen später.«
Ein Schwarm Krähen fliegt schreiend über Justins Kopf und lässt sich in den hohen Ästen eines entfernten Baums nieder. Bevor sie landen, huschen ihre Schatten über die weite Fläche grünen Rasens, und er denkt an die zahllosen Hände und Nägel und Bäume, die dieses menschliche Riff gebaut haben, und an den Wald, der abgetragen wurde, um Platz dafür zu schaffen. Er denkt daran, dass der Canyon einmal lebendig und mächtig war, jetzt nicht mehr. Dass ein Teil von ihm gefällt und umgegraben und besät und gedüngt wurde, dass alle Wildheit besiegt wurde und nun verschwunden ist, nur damit der Mensch, das größte Tier, leben und spielen kann.
Er hat gemischte Gefühle deswegen. Er weiß, dass die Schönheit der Anlage aus den Ruinen der Wildnis entstanden ist, aber in diesen Ruinen findet er, wie auch in der Ruine seines Vaters, eine eigentümliche Befriedigung. Noch immer wacht er manchmal auf und glaubt, er ist wieder im Wald: Sein Wäschehaufen ist ein Felsbrocken, seine Zederntruhe ist ein Baumstumpf, sein Schrank eine Höhle, in der sich eine Kreatur versteckt, die nach ihm giert. Er beruhigt sein rasendes Herz – er fühlt sich ein wenig größer, stärker –, indem er sich vorstellt, dass die Bäume zu Stümpfen umgesägt wurden, um Platz für Sonnenlicht und grünes Gras zu schaffen.
Mit dem Ärmel wischt er Sabber aus dem Mundwinkel seines Vaters. »Was hältst du davon, Dad?«, fragt er und betrachtet die Basaltwände, wie der Fels sich erhebt und um ihn wölbt. Sein Vater versteift sich und stöhnt und schwingt unbeholfen den Arm, dann erschlafft er wieder und richtet das gute Auge zum Himmel, in dem das Licht verlöscht. Justin sagt: »Zeit, nach Hause zu fahren«, doch bevor er die Griffe des Rollstuhls umklammert, bevor er ihn umdreht, um zum Hotel zurückzukehren, schaut er noch ein letztes Mal zu dem Wald hinüber, der den Fairway begrenzt, als suche er etwas zwischen den Bäumen, die wilden Überreste seines Vaters, vielleicht von ihnen dreien, die irgendwo da draußen um ein Lagerfeuer kauern oder über einen dunklen Pfad laufen.
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