BRIAN

Über ihm blinkt ein rotes Auge. Die Glastüren gehen auf. Er schnappt sich einen Wagen und schiebt ihn durch die Obst- und Gemüseabteilung zur Bäckerei, wo er sie entdeckt. Sie trägt ein schwarzes Fleeceshirt und Jeans, die Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, der beim Gehen wippt. In einer Hand trägt sie einen Korb, der schwer mit Orangen und Bananen beladen ist. Sie bleibt stehen, um sich die Baguettes anzuschauen, bevor sie eins nimmt und sich unter den Arm klemmt, wie ein Kind, das so tut, als wäre es eben von einem Schwert erstochen worden.

Sie geht weiter und er schiebt seinen Wagen so hastig hinter ihr her, dass er beinahe mit einem Jungen zusammenstößt, der um einen hoch mit Donut-Kartons beladenen Tisch herumkommt. Er hat einen Topfschnitt als Frisur und traurige braune Augen. Vielleicht ist er acht, vielleicht elf – Brian kann das Alter von Kindern nicht gut schätzen. »tschuldigung«, sagen sie beide. Und dann setzt der Junge sich wieder in Bewegung, doch nicht bevor er, als Geste der Entschuldigung und des Abschieds, die Hand gehoben hat.

Sein Arm ist bedeckt von einem roh aussehenden Muttermal. Es ist schwer, nicht hinzustarren. Die Haut sieht aus wie mit Himbeermarmelade beschmiert. Brian zwingt sich, woanders hinzusehen. Er nimmt einen Karton mit Löffelbiskuits zur Hand und tut so, als würde er das Etikett lesen. Doch seine Augen wandern wieder zu dem verfärbten Fleisch. Er fragt sich, ob die Kinder in der Schule den Jungen verspotten, ihn einen Freak nennen, ihn in der Pause jagen und mit Stöcken nach ihm werfen. Plötzlich spürt er den Drang, zu ihm zu eilen und zu sagen, was er tun soll, wie er sich wehren und wo er sie treffen soll, damit sie bluten und ihn nicht mehr belästigen.

Aber Karen ist schon fast außer Sicht, und deshalb wünscht er dem Jungen still viel Glück und wirft den Karton mit den Löffelbiskuits in den Wagen. In den Gängen drängen sich die Menschen. Er hat Schwierigkeiten, zwischen ihnen hindurchzumanövrieren, da sein Wagen ein wackelndes Rad hat, das ihn immer nach rechts zieht. Er stellt ihn neben der Fleischtheke ab und bleibt dann selbst stehen, nur zehn Meter von ihr entfernt. Sie kauert und betrachtet die Stapel mit den Hühnerbrüsten.

Der Fleischer – kurz, mit runden Schultern und Augenbrauen, die so dicht und gekrümmt sind wie Brechstangen – kommt auf Brian zu. Er wischt sich die Hände an seiner Schürze ab, wo sie rote Flecken auf dem weißen Gewebe hinterlassen. Brian schaut zu ihr, dann zu dem Fleischer. »Ich nehme – ich nehme ein bisschen Fleisch.«

Der Fleischer zieht sich ein paar weiße Gummihandschuhe so schwungvoll über, dass es schnappt. »Ich fürchte, da müssen Sie schon ein bisschen genauer werden.«

»Entschuldigung. Steaks.«

»Lende? Ribeye? Filet? Oder was?«

»Ja.«

»Was ja?«

»Entschuldigung. Einen Augenblick.« Er macht sich die Mühe, die glänzenden Reihen Fleisch zu studieren. »Ich denke, ich nehme ein bisschen was von der kurzen Lende. Zwei Scheiben.«

Der Fleischer fragt ihn erst gar nicht, ob er sich die Stücke aussuchen will, sondern nimmt einfach zwei, wickelt sie ein, schiebt sie über die Theke und ruft: »Der Nächste!«

Inzwischen hat sie ihn bemerkt. Als sie sich aufrichtet und mit dem Baguette auf ihn zeigt, nimmt er die Steaks und tut so, als würde er sie untersuchen, während er sie aus dem Augenwinkel heraus beobachtet. »Ich kenne Sie.« Sie lächelt. Angelächelt zu werden fühlt sich gut an.

»Ja?«

»Sie sind der Schlüsselmann.«

»Genau. Brian.«

»Brian, der Schlüsselmann.«

»Der die Herzen der Frauen in ganz Central Oregon aufschließt.« Er weiß nicht so recht, woher das kommt, aber er sagt es mit alberner Stimme und hofft, dass sie es nicht ernst nimmt. Er stellt sich vor, ein schelmisches Funkeln in den Augen zu haben, und hofft, dass ihre Augen es erwidern.

Zum Glück lacht sie. »Guter Spruch.«

»Danke.«

So, denkt er. Genau so will ich, dass das Leben ist. Und dann bemerkt er ihren Blick, wie er zwischen seinem Gesicht und seiner Stirn hin und her hüpft, als wisse sie nicht so recht, worauf sie sich konzentrieren soll, was ihn repräsentiert, so wie man mit jemandem spricht, der ein schielendes Auge hat, und nicht entscheiden kann, welches Auge einen eigentlich ansieht. Im Licht der Neonröhren muss der narbige Krater seiner Verletzungen unübersehbar sein, wie eine Tasse mit einem Schatten. »Sie fragen sich wahrscheinlich, wie das passiert ist.«

»Was? O nein. Tut mir leid.«

»Ich habe gesehen, dass Sie da hingeschaut haben.«

»Tut mir leid.«

»Braucht es nicht. Es ist schwer, nicht hinzuschauen. Sie müssen gar nicht erst versuchen, nicht hinzuschauen.«

»Nein. Ich wollte nicht –«

»Ja.« Er bringt die Füße zusammen, als würde allein die Erinnerung an den Krieg ihn zum Strammstehen zwingen. »Sie haben sicher schon Berichte über Sprengfallen gesehen oder Artikel gelesen, obwohl die inzwischen schwerer zu finden sind, irgendwo versteckt auf Seite sieben.« Er zwingt sich zu einem Lächeln. »Wie auch immer. Das bin ich. Das ist meine Geschichte.«

Und wie muss er jetzt wirken? Ein halb wilder Mann mit einer Stirn wie mit einem Eislöffel ausgehöhlt, ohne Gesichtsausdruck und mit wer weiß welchen Gedanken? Er hätte eine Kappe aufsetzen sollen.

Dann tut sie etwas Unerwartetes. Sie streckt schnell die Hand zu seiner aus und drückt sie, nicht wie ein Handschlag, sonder eher wie eine sehr flüchtige Umarmung, und ihre Wärme steigt seinen Arm hoch und erfasst sein Herz wie eine Droge. »Tut mir leid.«

Er erinnert sich an Portland – an den irischen Pub, als die Kellnerin vor seiner Berührung zurückwich, die Zähne vor Angst gebleckt. Aber Karen hat keine Angst vor ihm. Sie hat etwas an sich, wie der Junge mit dem Muttermal, etwas Verwundetes, das sie zu jemand Besonderem macht.

»Ich glaube, Sie sind –«, sagt sie, und er schließt die Augen und hält den Atem an, wartet auf irgendeine der wunderbaren Arten, wie dieser Satz enden könnte. »Ich glaube, da stimmt irgendwas nicht.« Sie lässt seine Hand los, und als er die Augen wieder öffnet, sieht er, dass sie einen Schritt zurücktritt. Sie schaut auf den Boden, und er folgt ihrem Blick, sieht auf dem Linoleum einen glänzenden Fleck, eine dunkle Pfütze aus Blut. Seine Hand ist feucht davon. Seine schlecht eingewickelten Steaks tropfen.

Er hält sie ihr wie zur Erklärung hoch. »Keine Angst. Ich bin nicht verletzt.« Er sieht sich um, als würde er ein Papiertuch oder ein Waschbecken suchen. Das Blut tropft weiter in die Pfütze, macht sie größer, eine rote Zunge löst sich aus ihr und leckt an seinem Stiefel. Sein essigsaurer Geruch steigt ihm in die Nase. Sie entfernt sich weiter von ihm, und er ruft ihr nach: »Ich bin völlig in Ordnung.«