BRIAN

Auf zwei hölzerne Bügel hat er das Haarkostüm gehängt, eine verklumpte Masse aus Schlamm, Trespenhalmen und Kiefernnadeln. Jetzt am Morgen erfüllt der Geruch das Zimmer, eine stechende Mischung aus Farbverdünner und feuchtem Hund, die in den Schwamm seiner Haut eingedrungen ist, so dass auch nach dem Duschen, nachdem er die Haare gewaschen und die Achselhöhlen eingeseift hat, der Geruch noch an ihm hängt, ihn an sie erinnert und ihm hilft, sich zu konzentrieren, als gleich am Morgen drei Kunden anrufen. »Tut mir leid«, sagt er jedes Mal. »Im Augenblick geht’s hier wahnsinnig zu. Zu viele Schlösser zu öffnen.« Er nennt ihnen den Namen eines Konkurrenten und wünscht ihnen Glück.

Er löffelt sich durch eine Schüssel Haferschleim und trinkt eine halbe Kanne Kaffee, bevor er ins Zimmer seines Vaters geht. Das Bett ist ordentlich gemacht, obenauf liegt die Steppdecke mit Enten-und-Rohrkolbenmuster. Der grüne Teppichboden ist gesaugt. Seine Kleidung – Jeans, Flanellhemden und widerstandsfähige Goldtoe-Socken – liegt ordentlich zusammengefaltet in den Schubladen der Eichenkommode, die sein Vater in der Garage geschreinert hatte. Der Spiegel darüber zeigt Brian, wie er zum Nachtkästchen geht und den Uhrenwecker zur Hand nimmt. Vorgestern, während des Sturms, gab es einen kurzen Stromausfall, und die Anzeige blinkt rot eine sinnlose Ziffernfolge. Er schaut auf seine Uhr, stellt den Wecker auf 7:36 ein und bläst den Staub von dem Gerät – ein gelber Hauch, wie ein Zauberpulver, das man in die Luft bläst, um die Toten heraufzubeschwören. »Ich habe jemanden kennengelernt«, sagt er zum Wecker. Irgendwo im Inneren des Gehäuses summt elektrisch das Drahtgewirr seines Hirns.

Um acht fährt er über die OB Riley. Die Straße durchschneidet einen großen Buckel aus Erde und Basaltgestein und legt die verschiedenen Schichten frei, die dickste davon der graue Kuchen aus Mazama-Asche, beinahe achttausend Jahre alt, ausgespuckt aus dem Bauch dessen, was jetzt der Crater Lake ist. Er stellt sich vor, wie die Luft schwirrt vor glühender Asche und der rote Porridge des Magmas aus dem Boden quillt –, eine Welt, so ganz anders als diese, der Beweis ihrer Existenz verzeichnet unter der ruhigen Oberfläche und nur zu sehen, wenn die Erde aufgerissen und die roten Muskeln und weißen Knochen ihres Inneren entblößt werden.

Fünfzig Meter von ihrem Haus entfernt beginnt ein Kiesweg des Forest Service. Dort parkt er unter den Kiefern und wartet. In seinem Handschuhfach hat er ein Gewehrvisier, das zieht er jetzt heraus, um die Fenster zu beobachten, in denen zwar Lichter brennen, aber keine Menschen sich bewegen. Der Kürbis ist von der Veranda verschwunden. Es gibt eine Garage mit zwei Toren, eins davon steht offen. Darin steht ein weißer Subaru Kombi. Die Heckklappe ist offen, auf der Ladefläche stapelt sich Campingausrüstung, wie es aussieht – leuchtend bunte Rucksäcke, die blauen Puppen zusammengerollter Schlafsäcke. Eine Minute vergeht, bevor die Tür aufgeht und der Ehemann – der Idiot – im trüben Licht der Garage auftaucht, eine offensichtlich schwere Plastik-Kühlbox in beiden Händen. Er stemmt sie auf die Ladefläche des Subaru und schiebt die restliche Ausrüstung beiseite, um für sie Platz zu schaffen. Er trägt Jeans und ein rotes Thermo-Unterhemd mit langen Ärmeln unter einem grauen T-Shirt. Er wirft die Ladeklappe zu – das gedämpfte Knallen ist bis zu Brian zu hören – und schreit dann etwas ins Haus, bevor er selber wieder hineingeht. Nach wenigen Sekunden taucht er mit einem Jungen wieder auf. Er sieht aus wie ungefähr zehn, blass und schmächtig. Brian sieht ihn nur kurz, denn er steigt sofort ins Auto, gefolgt von seinem Vater. Der Motor springt an, und Augenblicke später sind sie nur noch ein Sonnenblitz in der Entfernung, verreisend.

Sein Handy klingelt, er weist noch einen Kunden ab und dankt ihm für sein Verständnis. Eben als er auf den roten Abschaltknopf drückt, geht die Haustür auf und Karen erscheint. Halb drinnen, halb draußen bleibt sie stehen, kontrolliert die Tür, versichert sich, dass sie unverriegelt ist, bevor sie sie zuzieht. Sie trägt den Sichtschirm, das ärmellose T-Shirt und die rosa Laufshorts von vorgestern. Brian hebt das Visier wieder ans Auge und sieht, wie sie erst den einen Fuß packt und nach hinten zieht, um den Oberschenkel zu dehnen, dann den anderen. Sie macht ein paar Sprünge. Sie dreht den Kopf und lässt die Arme kreisen. Sie benutzt eine Verandastufe, um die Waden zu dehnen. Dann setzt sie sich mit einem kleinen Sprung in Bewegung, ihre Fäuste boxen die Luft, ihre Füße rollen über den Boden, während sie zum Ende der Einfahrt läuft. Brian spürt plötzlich ein Sehnen wie ein junges Mädchen, das Blütenblätter aus einem Gänseblümchen zupft und dabei murmelt: Liebt mich, liebt mich nicht. Karen wird gleich eine Entscheidung treffen – nach links oder nach rechts, in die Richtung ihres Mannes oder auf Brian zu. Er wünscht sich, dass sie nach rechts abbiegt, so intensiv, dass er das Gesicht verkneift, versucht, ihre Muskeln, ihre Knochen zu beeinflussen, und als sie offensichtlich auf ihn hören, sie den Hügel hochschicken, merkt er, dass seine Miene eine erstaunliche Veränderung durchmacht. Seine Augen weiten sich. Sein Gesicht entspannt sich, wird schlaff vor Verwirrung. Dann öffnen sich seine Lippen, und ein Lächeln kriecht die Wangen hoch. Er lächelt. Er berührt es, wie um seine Seltenheit zu bestaunen.

Karen wird im Visier immer größer. Er sieht einen schiefen unteren Zahn, die Poren auf ihrer Nase, dann verschwindet sie kurz hinter einem Baum und taucht wieder auf. Sie kommt immer näher. Bald wird sie an der Straße vorbeikommen, an der er wartet. Aber er sorgt sich nicht, dass sie ihn entdecken könnte. Er freut sich fast darauf, stellt sich vor, dass sie langsamer wird und den Arm zu einem Winken hebt, während in ihrem Gesicht ein Lächeln aufblitzt, das zu seinem passen würde.