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Der rote Bell Jet Ranger kam mit einer solchen Geschwindigkeit aus dem Cañon geschossen, dass sich die Baumwipfel neigten und die Luft vom Geräusch der Rotorblätter erzitterte.

Dan sah durch das Fernglas den Hubschrauber, etwa siebzig Meter unterhalb der Stelle, an der er mit Luke stand, steil aufsteigen und über den Hang zu ihnen herauffliegen. Als sich die Maschine unter ihnen in eine Kurve legte, entdeckten sie Bill Rimmer, der mit herausbaumelnden Beinen in der offenen Hubschraubertür saß.

Er wurde von Nylongurten gehalten, die man von hier aus nicht sehen konnte. Mit seinem Helm und dem roten Anzug glich er einem Fallschirmspringer. Helen war oben bei ihm, aber Dan konnte sie nicht erkennen. Die Sonne spiegelte sich in der Windschutzscheibe des Helikopters und, als Rimmer nach seinem Gewehr griff, einen Moment lang auch in den Gläsern seiner Sonnenbrille.

Dan gab Luke das Fernglas.

»Hier, schauen Sie sich an, wie mein Etat verpulvert wird.«

Sie lehnten an der Motorhaube von Dans Wagen und blickten über einen Felsvorsprung auf den Wald, der sich bis ins Hope Valley hinunter erstreckte. Über Funk hatte Dan dem Hubschrauberpiloten gerade die Kartenkoordinaten der Stelle durchgegeben, an der sich der Wolf mit dem Halsband aufhielt. Sie hatten das Signal vor einer Weile mit Hilfe der Telemetrie herausgefunden.

Zum Glück befand sich das Weibchen auf dem Gebiet der Forest Services, irgendwo oberhalb der Ranch des Fernsehmoderators Jordan Townsend, so dass sie keine Abschusserlaubnis oder Landegenehmigung einholen mussten. Ungefähr in dieser Gegend, so vermuteten Luke und Helen, musste das Alpha-Weibchen seine Höhle haben. Seit zwei Tagen hatten sie nicht das geringste Signal empfangen. Wahrscheinlich gab es mittlerweile einen ganzen Wurf neuer Hope-Wölfe.

Das hatte Dan gerade noch gefehlt.

Der Helikopter kreiste über ihnen, senkte dann die Schnauze und flog nach Osten. Der Pilot hatte offenbar die Koordinaten in den Global Positioning System Scanner eingegeben und brauchte den Informationen nach, die er erhielt, jetzt nur dem Wolf und seinen eventuellen Gefährten zu folgen. Die Aktion wäre schon vorbei, wenn er und Luke den Aufenthaltsort der Tiere erreichten.

»Fahren wir?«, fragte Dan.

»Ja.«

 

»Wölfe auf zwei Uhr!«, rief der Pilot.

Helen schaute nach unten, sah aber nur die Baumwipfel in irrsinnigem Tempo vorbeihuschen, bis die Bäume plötzlich aufhörten und der Helikopter seinem eigenen Schatten auf eine weite Rodung nachjagte, die mit Geröll und einem Gewirr gefällter Baumstämme übersät war.

Dann entdeckte sie zwei Wölfe, die sich auf einem vorspringenden Felsen sonnten. Die Tiere sahen hinauf zu dem lärmenden roten Drachen, der vom Himmel auf sie herabzustürzen schien.

An dem helleren der beiden Tiere konnte Helen das Halsband ausmachen. Jetzt standen die Wölfe auf, trotteten zuerst und rannten dann schließlich zum Wald. Dabei schauten sie immer wieder zurück zum Hubschrauber. Bill Rimmer hatte den Lauf des Palmer-Gewehrs bereits auf sie gerichtet. Helen hörte, wie er den Sicherungshebel zurücklegte.

»Tiefer geht’s nicht, ihr Lieben«, sprach der Pilot in sein Mikro. Er war ein großer, bärtiger Typ mit Pferdeschwanz und jeder Menge Goldringen. Den ganzen Vormittag hatte er ihnen gute, aber politisch völlig inkorrekte Witze erzählt. Jetzt drehte er sich mit ernsterer Miene zu ihnen um.

»Schon gut«, sagte Rimmer. »Ich hab ihn.«

Helen sah nach vorn. Sie flogen über die Rodung, kaum fünf Meter über dem Boden, und rasten auf mindestens fünfzehn Meter hohe Bäume oben auf der Hügelkuppe zu.

»Achtung«, sagte der Pilot, »gleich zieh ich die Kiste hoch.«

Der Rückschlag stieß Bill Rimmer zurück. Helen sah, wie der Wolf ohne Halsband sich überschlug, verlor ihn dann aber aus den Augen, da der Pilot den Hubschrauber steil nach oben riss. Er verfehlte die Baumwipfel nur um Zentimeter.

Der Pilot jubelte: »Mann! Toller Schuss!«

Rimmer grinste. »Da gebe ich Ihnen recht. Sind aber auch toll geflogen! He, komm schon, Helen! Jetzt schau nicht so traurig, ist doch bloß ein Pfeil.«

Dan hatte den Wölfen erst in letzter Sekunde eine Gnadenfrist gewährt. Denn selbst nachdem Luke ihm die Flasche mit Wolfsurin und die Fußangel gezeigt hatte, war er nicht davon abzubringen, die verbleibenden Wölfe mit Ausnahme des Alpha-Weibchens, das zusammen mit den neuen Welpen in den Yellowstone Park umgesiedelt werden sollte, zu töten.

Helen hatte sich mit ihm gestritten, ihn angeschrien, ihn angefleht und ihm erklärt, dass das Alpha-Weibchen in seiner Höhle mitsamt den Welpen verhungern müsse, wenn die anderen Tiere ihm nichts zu fressen brachten. Doch Dan wollte nichts davon hören. Erst als er ins Büro zurückkam und von Schumacher hörte, was oben bei den Hicks vorgefallen war, änderte er seine Ansicht.

Als er von Buck Calders offenem Widerstand gegen die Leute von den Fish & Wildlife Services hörte, platzte ihm der Kragen. Schumacher sagte, sie hätten sich Lovelaces Haus in Big Timber angesehen, doch sei dort offenbar seit einer ganzen Weile niemand mehr gewesen. Und nachdem sie noch einmal mit dem Bezirkssheriff gesprochen hatten, seien sie am Morgen erneut zu den Hicks’ gefahren, hätten hinter der Scheune aber plötzlich nur noch einen Pferch mit Kühen vorgefunden. Der Boden sei so zertrampelt gewesen, dass sich nicht mehr feststellen ließ, was vorher mal darauf gestanden hatte.

Dan sagte, es sei an der Zeit, Stellung zu beziehen. Statt die letzten verbliebenen Wölfe zu töten, sollten sie betäubt und mit Halsbändern versehen werden, und dann würden sie alle ihre Bewegungen über Monitor verfolgen. Und wenn dann einer dieser Rancher in seiner Gegenwart auch nur nieste, würde er das Schwein persönlich an den Eiern in den Knast schleifen. Helen widerstand der Versuchung, eine schnippische Bemerkung darüber zu machen, dass Dan seinen Mumm so plötzlich wiedergefunden hatte.

Der Pilot beschrieb jetzt einen weiteren Kreis, so dass sie den Wolf im Auge behalten und sich die Stelle merken konnten, an der die Wirkung des Beruhigungsmittels einsetzte.

»Sie glauben also, dass es nur noch zwei sind?«, rief Rimmer.

»Ich fürchte, ja. Und das Alpha-Weibchen. Was meinen Sie, ist die Höhle irgendwo bei diesem Felsen da, auf dem die Wölfe gelegen haben?«

»Könnte gut sein.«

Falls sie sich dort befand, war ihre Lage alles andere als ideal. Das Gelände fiel unter der Höhle zwar steil ab und war dicht bewaldet, doch lag die vom Holzfällerweg aus leicht einzusehende Höhle selbst offen da. Helen sah jetzt Dans Wagen dort an der Rodung halten.

Der Wolf hatte den Rand dieser Rodung fast erreicht, doch noch ehe er unter den Bäumen verschwinden konnte, stolperte er und stürzte. Der Wolf mit dem Halsband war längst in den Wald geflohen.

»Okay, ihr Lieben. Es geht abwärts. Erster Stock: Damenunterwäsche und Wölfe.«

Helen und Rimmer brauchten ungefähr eine halbe Stunde, um alles Nötige zu erledigen. Unterdessen kamen Dan und Luke zu ihnen herüber und schauten zu. Der Jährling war abgemagert und in miserabler Verfassung. Zusätzlich zur Wurmkur und einer Spritze Penicillin mussten sie ihn noch gründlich gegen Läuse behandeln.

»Sieht aus, als hätte er harte Zeiten hinter sich«, sagte Rimmer.

»Ja. Seine Schwester sieht vermutlich nicht besser aus. Vielleicht hätten wir sie auch betäuben sollen.«

Luke wandte sich an Dan. »Haben sie deshalb w-w-wieder damit angefangen, Vieh zu reißen?«

Dan zuckte die Achseln. »Möglich.«

Sobald sie den Clip an seinem Ohr befestigt sowie das Halsband aktiviert und getestet hatten, verabschiedete sich Rimmer und ging zurück zum Hubschrauber. Sie wollten weg sein, um den Wolf beim Aufwachen nicht erneut zu erschrecken. Helen packte ihre Sachen zusammen und ging mit Luke und Dan den Hang hinauf. Ihr Verhältnis zu Dan war immer noch recht gespannt. Deshalb schwiegen sie auf dem Weg zum Wagen.

Während sie darauf warteten, dass der Wolf sich bewegte, zeigte Helen ihnen durch Dans Fernglas die Felsen, zwischen denen sie die Höhle des Alpha-Weibchens vermutete. Sie lag nur knapp zweihundert Meter weiter unten am Hang.

»Vielleicht sollten wir den Forest Service veranlassen, diesen Weg zu sperren«, sagte Helen. Dan wäre ihr fast an die Kehle gesprungen.

»Was zum Teufel redest du da? Das ist öffentliches Eigentum, Helen! Öffentlich. Kapiert? Wenn sie so blöd ist, sich ihre Höhle direkt neben einem öffentlichen Weg zu graben, dann ist das ihr Problem.«

»Okay, okay.«

»Wir können doch nicht einfach einen öffentlichen Weg sperren.«

»Ich habe verstanden, Dan. Tut mir leid.«

»Ich mein ja nur, verdammt noch mal.«

Luke starrte durch das Fernglas und tat so, als sei er gar nicht anwesend.

»Er st-st-steht auf.«

Der Wolf taumelte, schüttelte sich und nieste. Wahrscheinlich war ihm ein wenig vom Läusepulver in die Nase geraten. Einen Augenblick blieb er verwirrt stehen. Wahrscheinlich überlegte er, was mit ihm passiert und ob dieser rote Drache nur ein Traum gewesen war. Dann hob er die Schnauze schnuppernd in die Luft, warf ihnen einen langen, verächtlichen Blick zu und drehte sich schließlich um, trottete in den Wald und folgte dem Weg, den seine Schwester genommen hatte.

Dan fuhr sie zur Hütte zurück. Unterwegs sprachen sie kein Wort. Ein Schwarm Schneegänse hatte sich auf dem See niedergelassen, um sich auf der langen Reise nach Norden ein wenig auszuruhen. Dan stellte den Motor ab. Vom Wagen aus schauten sie eine Weile den Vögeln zu.

Dann sagte Luke, er müsse in die Stadt zu seiner Mutter und einige Dinge besorgen, doch Helen wusste, dass er ihr nur Gelegenheit geben wollte, einige Worte allein mit Dan zu wechseln. Sie sahen ihm nach, wie er zu seinem Wagen ging und wegfuhr.

»Ich mach mich jetzt auch lieber auf den Weg«, sagte Dan, ohne sie anzuschauen.

»Okay.« Sie öffnete die Tür und stieg aus.

»Dan?«

Er drehte sich mit versteinerter Miene zu ihr.

»Ja?«

»Es tut mir leid.«

»Was tut dir leid?«

Helen zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Alles vermutlich. Ich hab nur das Gefühl, dass wir keine Freunde mehr sind.«

»Das ist doch lächerlich.«

»Ich weiß, dass es dir nicht passt – das mit Luke und mir.«

»He, Helen. Ist schließlich dein Leben.«

»Ja, stimmt.«

Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Ach, Scheiße. Es ist bloß … Na ja, du weißt schon.«

Sie nickte. Er wandte den Blick ab, schaute wieder auf den See. Helen folgte seinem Blick. Die Schneegänse flogen auf. Sie konnte das Schlagen ihrer Flügel hören.

»Ginny hat neulich abends was im Internet entdeckt«, sagte er. »Über den Südpol. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass er gar nicht da ist, wo alle Welt ihn vermutet, sondern ein paar Meter weiter. In all den Jahren haben sich die Leute also übers Eis geschleppt, sind gestorben und haben ihr Leben riskiert, bloß um ihre Flagge an der falschen Stelle aufzupflanzen. Selbst der gute alte Amundsen hat nie hingefunden.«

Er sah sie mit traurigem Lächeln an. »Tja, so ist das nun mal.«

Er ließ erneut den Motor an. Sie streckte die Hand durchs Fenster. Er hielt sie einen Augenblick fest.

»Du weißt, wo du mich finden kannst«, sagte er.

»Ja, ich weiß.«

 

Vielleicht lag es an der Angst vor dem roten Drachen. Oder einfach am gesunden Wolfsverstand. Wie auch immer, die beiden halsbandtragenden Jährlinge benahmen sich jedenfalls vorbildlich. Vermutlich hatte es etwas mit dem Wetter zu tun. Denn obwohl die Nächte noch Frost brachten, wurde es tagsüber schon warm, und die beiden Wölfe fanden leichte Beute unter den vielen kleineren Waldtieren, die nun aus ihrem Winterschlaf erwachten.

Selbst unter Aufbietung all ihrer Kräfte waren die Wölfe keine Gegner für die Elche, die langsam wieder hinauf auf die höher gelegenen sonnigen Weiden und in die Cañons zogen. Obwohl die Bullen ihre Geweihe verloren hatten, betrachteten sie diese beiden Neulinge unter den Raubtieren mit majestätischer Verachtung. Einige Male gelang es den beiden jedoch, ein junges oder geschwächtes Reh zu reißen, von dem sie dann stolz einige Brocken zur Höhle schleppten.

Erst als Helen und Luke dies mit eigenen Augen sahen, wussten sie, dass das Muttertier mit seinem neuen Wurf tatsächlich da drinnen lag. Sie beobachteten die Höhle vom oberen Rand der Rodung, manchmal gemeinsam, manchmal allein, und auch nur dann, wenn der Wind richtig stand. Nachts benutzten sie ein Infrarotglas, das Dan ihnen geliehen hatte. Und wann immer sie kamen, achteten sie darauf, ihren Wagen mindestens eine Meile weiter südlich stehen zu lassen und den Rest des Wegs so leise wie möglich zu Fuß zurückzulegen.

Von ihrem Wachposten in den Bäumen aus konnten sie den Weg überblicken, der entlang der Rodung verlief, und sie waren froh, als sie herausfanden, wie selten er benutzt wurde. Einmal sahen sie mittags einen Laster mit Holz vorbeifahren, während ein Jährling sich gleichsam vor den Augen des Fahrers auf dem Felsen über der Höhle rekelte. Sie hielten den Atem an, aber der Laster wurde nicht langsamer. Offenbar hatte der Fahrer nichts bemerkt.

Dem Blick aller entzogen, saugten unten in der kühlen dunklen Erde die Welpen an den Zitzen der weißen Wölfin.

Die Fleischbrocken, die ihr die Jährlinge brachten, reichten kaum, um die Milch nicht versiegen zu lassen. Doch noch lebten alle sechs Welpen, auch wenn sie kleiner und schwächer als der Wurf des letzten Jahres waren.

Ihre rauchblauen Augen waren nun geöffnet, die weichen Ohren nahmen allmählich Form an und stellten sich auf. Die wagemutigeren unter den Welpen erkundeten bereits die Höhle, doch sobald sie in den Tunnel krochen, packte sie ihre Mutter sanft und trug sie in der Schnauze zurück. In ein oder zwei Tagen würden ihre Milchzähne durchbrechen, und sie würden Fleisch brauchen. Erst dann würde sie die Kleinen nach draußen lassen.

 

Es war nach acht, und Kathy spürte, wie sich ihr Ärger allmählich zu regelrechter Wut steigerte. Sie hatte ihr bestes Kleid angezogen, Buck junior lag im Bett, das Abendessen wartete im Ofen; aber wo zum Teufel blieb Clyde?

Die Zeit des Kalbens war vorbei, und heute wollten sie eigentlich ihren ersten gemeinsamen Abend seit über einem Monat daheim verbringen. Seit ihre Mutter ausgezogen war, hatte Kathy unten im Haupthaus für die gesamte Mannschaft das Essen gekocht. Doch heute Abend fuhren die Rancharbeiter in die Stadt zu Nelly’s Diner, so dass sie und Clyde endlich einmal wieder gemütlich zusammen essen und sich ein wenig näherkommen konnten. Wahrscheinlich war er auf ein Bier mitgefahren.

Ihr Verhältnis hatte sich seit dem Ärger mit den Leuten von den Fish & Wildlife Services ein wenig abgekühlt. Genauer gesagt: Sie war distanziert, und er war vorsichtig gewesen, denn wenn sie sich nicht beherrschte, konnte sich Kathy immer noch ziemlich über die Sache aufregen. Warum bei Männern immer alles in Machtkämpfe ausarten musste, würde sie nie verstehen. Jedenfalls hatte sie ihn zappeln lassen, doch jetzt war es an der Zeit, sich wieder zu versöhnen.

Zu diesem Zweck hatte sie den ganzen Nachmittag damit zugebracht, ein ausgefallenes französisches Mahl zuzubereiten. Sie hatte sogar am Computer eine kleine Speisekarte zusammengestellt und dann ausgedruckt: Vichyssoise-Suppe, danach Bœuf en Croûte Napoléon und schließlich Pic Pécan – zugegeben, das war keine französische Spezialität, aber Clydes Leibgericht. Nicht mehr lange, und das ganze Essen war ruiniert.

Um nicht vor Zorn etwas an die Wand zu werfen, packte sie Lucy Millwards Geschenk ein. Die Hochzeit war morgen Nachmittag, und die ganze Stadt würde kommen.

Kathy hatte ihr im Paragon ein Bild gekauft. Es stammte von einem jungen Künstler oben aus der Gegend um Augusta, der, so Ruth, ein wenig wie Mel Gibson aussah. Das Gemälde zeigte einen Sonnenuntergang in den Bergen. Wenn sie jetzt so darüber nachdachte, war das vielleicht als Hochzeitsgeschenk nicht ganz so passend, doch Lucy würde das wohl nichts ausmachen. Sie heiratete einen gewissen Dimitri aus Great Falls. Er war im Ölgeschäft und offenbar ziemlich reich.

Kathy hatte gerade die Glückwunschkarte geschrieben, da erhellten die Scheinwerfer von Clydes Wagen das Küchenfenster. Als er hereinkam, schaute er so betreten drein, dass sie ihm sein Zuspätkommen am liebsten auf der Stelle verziehen hätte. Doch sie ließ sich nichts anmerken. Sie hielt ihm die Wange zum Kuss hin. Er roch nach Alkohol.

»Tut mir leid, Honey.«

»Soll ich dich jetzt oder später ermorden?«

»Ganz wie du willst.«

»Okay, dann später. Zünde die Kerzen an und setz dich.«

Das Essen schien noch nicht völlig verdorben. Clyde war jedenfalls nüchtern – oder betrunken – genug, um ihr zu sagen, dass er noch nie etwas Besseres gegessen habe. Und als sie nach ein paar Gläsern zum Pie Pécan kamen, war Kathy bereits ein wenig besänftigt. Clyde probierte, schaute stirnrunzelnd auf die Karte und sagte dann, die Nachspeise schmecke fast wie Pecan-Pie. Kathy erklärte ihm daraufhin, dass sie zwar ähnlich zubereitet werde, aber mit französischen Nüssen.

Dann musste er natürlich alles verderben und wieder von diesen verfluchten Wölfen anfangen. Vorhin, sagte er, habe er sich im Last Resort mit den zwei Holzfällern unterhalten, die ihm erzählt hatten, wo die Wolfshöhle zu finden sei.

»Wenn also niemand was dagegen unternimmt, gibt’s bald wieder ein ganzes Rudel von diesen Biestern. Es ist einfach unglaublich. Völlig verrückt, alles.«

Kathy stand auf und räumte das Geschirr ab. Sie wollte kein Wort mehr von diesen Wölfen hören. Das erinnerte sie bloß an den armen, alten Lovelace und an diesen schrecklichen Nachmittag, an dem die Bundesbeamten aufgetaucht waren. Clyde erhob sich und ging ins Wohnzimmer. Sie hörte, wie er etwas im Schrank suchte.

»Bist du schon fertig, Clyde?«

»Bin gleich wieder da.«

Als er zurückkam, hielt er etwas in der Hand. Kathy brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, was es war: die Wolfsschlinge.

»Wo zum Teufel hast du die denn her?«

»Er hat sie dir doch gezeigt, oder?«

»Hast du die aus seinem Trailer gestohlen?«

»Ich hab sie mir nur ausgeliehen.«

»Um Himmels willen, Clyde!«

»Ich will ja nur, dass du mir zeigst, wie sie funktioniert.«

Er legte die Wolfsschlinge auf den Tisch und nahm Kathy in den Arm.

»Komm schon, Schatz. Hilf mir, ich tu’s doch für deinen Daddy.«