Keith

16. KAPITEL

Maxine und Lou saßen im Wartezimmer des Krankenhauses, wo sie auch schon die letzten vier Stunden verbracht hatten. Es war Tag geworden. Stormys Eltern waren verständigt und endlich in ein kleines Privatzimmer gebracht worden, wo sie jetzt auf Nachrichten warteten. Es waren bisher keine gekommen. Überhaupt keine. Es war die grausamste Folter, die Lou sich vorstellen konnte. Die bei der CIA sollten davon Gebrauch machen. Einfach den Eltern nicht sagen, wie es ihrem verwundeten Kind ging, bis sie jedes Geheimnis, an das sie sich erinnerten, ausgeplaudert hatten. Verdammt, das würde jedes Mal funktionieren.

„Ich muss Jay erreichen. Jason Beck.“ Maxine dachte laut nach. „Er muss es auch wissen.“

Lou gefiel es gar nicht, seine ansonsten so lebensfrohe Maxine so zu sehen. Sie war blass und aufgewühlt. Als hätte ihr jemand mit einer Keule zwischen die Augen geschlagen, und das war kein Wunder. Er erinnerte sich an den Jungen, von dem sie sprach. Er war der Dritte in ihrem unzertrennlichen Team gewesen, während der Highschool und später am College. „Weißt du, wo du ihn findest?“

Sie schüttelte langsam den Kopf und schwieg eine ganze Zeit. Dann endlich sprach sie erneut. „Wahrscheinlich ist es besser so“, sagte sie. Und es dauerte etwas, bis Lou klar wurde, dass sie immer noch über Jason Beck sprach. Er fragte sich, wie man den Kontakt zu jemandem verlieren konnte, dem man früher so nahegestanden hatte. Aber die Zeit verging. Alles Mögliche konnte passieren.

„Warum sagst du das?“

„Ach komm, Lou. Du weißt es genauso gut wie ich. Die haben herausgefunden, dass ich dir von der DPI erzählt habe.“

Er vermied es, sie anzuschauen.

„Nur so ergibt alles einen Sinn. Die bringen Stormy um und schieben es dir in die Schuhe. Es ist eine Nachricht für mich. Eine Lektion. Damit ich es nie wieder irgendwem erzähle. Die zerstören zwei Menschen, die ich lie… – die mir nahestehen. Genau wie dieser Stiles es mir angedroht hat. Die Frage ist nur, woher weiß er, dass ich es dir erzählt habe?“

Langsam hob Lou seinen Kopf, sein Mund war plötzlich trocken. „Ich habe gestern Nacht noch jemanden angerufen.“

Maxine wurde ganz ruhig. Sagte nichts, starrte ihn nur an und flehte mit ihren Augen, ihr nicht zu erzählen, was er ihr erzählen würde.

„Den Freund von mir, der bei der CIA arbeitet. Ich habe ihn gebeten, alles in seiner Macht Stehende über die DPI herauszufinden. Ich habe ihm gesagt, dass ich sie im Verdacht habe, irgendwelche verdeckten Operationen in White Plains durchgeführt zu haben, bis vor fünf Jahren das Hauptquartier abgebrannt ist. Ich habe weder dich noch den Mann, den du gesehen hast, erwähnt.“

„Das musstest du auch nicht.“ Sie schluckte krampfhaft. „Ich habe dich gebeten, mit niemandem darüber zu sprechen, Lou. Wie konntest du mir das antun?“

„Hey, Max, komm schon. Ich hatte doch keinen Grund anzunehmen, dass … so etwas passieren würde.“

„Keinen Grund? Doch, du hattest einen. Ich habe es dir gesagt. Ich habe dir gesagt, dass sie meine Freunde bedrohen und meine Mutter, und du hast trotzdem …“ Sie stockte. „Oh, Gott. Oh, Gott, meine Mutter.“

In Sekundenbruchteilen war sie aufgesprungen und zu einem Münztelefon gerannt, ehe Lou sie aufhalten konnte. Er lehnte sich in seinen Vinylstuhl zurück und fuhr mit der Hand durch sein Haar. Sie hatte recht; sie hatte so was von recht. Wenn ein anderer Cop ihn gebeten hätte, so eine Sache nicht weiterzuerzählen, hätte er ihn beim Wort genommen und den Mund gehalten. Maxine hatte er jedoch unterschätzt. Maxine, die Verschwörungstheoretikerin, die immer Ärger witterte, wo keiner war.

Zur Hölle damit. Vielleicht hatte sie dieses eine Mal gar nicht so weit danebengelegen.

Ein dumpfes Läuten ertönte, und die Türen des Fahrstuhls öffneten sich. Lydia kam mit großen Augen auf sie zugeeilt. „Was ist passiert? Lou, geht es dir gut? Wo ist Max? Lieber Gott, ist es Max?“

„Nein, nein, es geht ihr gut. Mir geht es auch gut.“ Er war aufgestanden und Lydia entgegengegangen, und jetzt umarmte er sie fest.

„Ich bin heute Morgen aufgewacht, und Max war nicht da. Also habe ich bei dir angerufen, und ein Cop hat mir gesagt, dass ich euch beide im Krankenhaus finde. Jesus, Lou, ich habe fast den Verstand verloren vor Angst.“

Ihr Äußeres sah allerdings ganz danach aus, dachte Lou, als er sie jetzt betrachtete. Ihr Haar war durcheinander, kein Make-up. Zur Abwechslung sah sie mal so alt aus, wie sie war, was ihm irgendwie gefiel. Es sah ihr nur nicht ähnlich.

Doch Lou wurde völlig uninteressant, als sie Max vom Telefon zurückkommen sah. Lydia ging auf die junge Frau zu und umarmte sie, als wären sie schon lange Zeit Freundinnen, und nicht erst seit ein paar Tagen. „Liebes, du siehst zum Fürchten aus.“

„So fühle ich mich auch.“

„Wie geht es deiner Mutter, Max?“, fragte Lou.

„Gut. Vielleicht ist sie da unten in Sicherheit. Vielleicht wissen die nicht, wo sie ist. Oder vielleicht haben die nicht genug Leute, um gleichzeitig hier und da unten zu sein. Oder vielleicht ist es nur ein Mann, der, den ich gesehen habe. Vielleicht arbeitet er allein.“ Sie fuhr sich mit der Hand durch ihr Haar. „Gott, ich weiß nicht einmal, mit was wir es hier zu tun haben. Ich weiß nicht, vor wem ich mehr Angst haben soll. Den Vampiren oder den Vampirjägern.“

Lydia ließ sie los, trat einen Schritt zurück und starrte sie an.

Lou sah den Korridor hinauf und hinab, um sicherzugehen, dass niemand diese Bemerkung gehört hatte. „Sprich leiser, hörst du? Wenn du so weitermachst, kommen bald Leute mit einem Einmalfahrschein ins Irrenhaus vorbei.“

Sie starrte ihn wütend an.

„Sagt mir bitte irgendwer, was passiert ist?“

„Meine Freundin Stormy. Meine Geschäftspartnerin. Sie wurde in Lous Wohnung gefunden, mit einer Kugel im Kopf. Die haben geglaubt, sie sei tot, aber sie war es noch nicht ganz. Die haben Lous Wohnung durchwühlt und seine Pistole benutzt. Haben versucht, es so aussehen zu lassen, als hätte er es getan.“

„Mein Gott.“ Ihr Blick schoss auf Lou, doch dann fiel ihr etwas ein. „Moment mal, Stormy? Auf deinem AB war eine Nachricht von jemandem, der so heißt, heute Morgen, als ich aufgestanden bin. Ich habe das Licht gesehen, dachte, es wäre vielleicht eine Nachricht von dir, um mir zu sagen, wo du bist, also habe ich sie abgespielt.“

„Ich habe mir den AB nicht angesehen, als wir gestern nach Hause gekommen sind.“ Max fasste nach Lydias Hand. „Was hat sie gesagt?“

Lydia sah sich um und senkte ihre Stimme. „Sie hat gesagt, sie hat einen merkwürdigen Anruf von Lou bekommen, der sie gebeten hat, zu ihm zu kommen. Das wollte sie dir mitteilen, falls er in Schwierigkeiten steckt. Sie hat gesagt, er klang merkwürdig.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich glaube, das war alles, aber es ist immer noch auf dem Band in deinem Gerät.“

„Mein Gerät zeichnet auf, wann der Anruf eingegangen ist. Erinnerst du dich daran?“

„Ungefähr um neun Uhr abends“, sagte Lydia.

Maxine nickte. „Es war nicht Lou. Lou war bei mir, hat sich einen Film angesehen und dann vor meinem Haus im Auto gesessen und mich beobachtet. Irgendwer hat sie angerufen, sie zu Lous Wohnung gelockt und an der Tür mit einer Zweiundzwanziger empfangen.“

„Gott sei Dank nur eine Zweiundzwanziger“, mischte Lou sich ein, „jede größere hätte sie umgebracht.“

„Aber warum? Warum sollte jemand das tun wollen?“ Lydia war fassungslos.

„Das hat damit zu tun, dass …“ Maxine stockte, als endlich der Arzt aus dem Zimmer kam, in dem Stormy behandelt wurde. Im gleichen Augenblick kam eine Schwester aus dem privaten Wartezimmer, in dem Stormys Eltern waren. Sie alle sammelten sich in der Mitte des Wartebereichs.

„Sie lebt“, teilte der Arzt ihnen mit, „aber sie liegt im Koma.“

Stormys Vater, ein blonder Mann, dessen normalerweise gesunde Hautfarbe jetzt grau und fahl wirkte, hob seinen Kopf und sah den Arzt an. „Ist sie hirntot, Doktor? Sagen Sie uns einfach die Wahrheit.“

„Nein. Wir konnten noch Hirnströme feststellen. Minimal, aber vorhanden.“

„Wie lange wird sie im Koma bleiben?“, fragte Maxine, trat vor und nahm Mrs. Jones an der Hand. „Ich meine, einen Tag? Eine Woche?“

„Wir können unmöglich wissen, wann oder … oder sogar ob sie aus dem Koma erwacht“, erklärte der Arzt zögernd, „aber solange wir noch Hirnströme messen können, besteht Hoffnung.“ Jeder von ihnen wartete darauf, dass er noch mehr sagte. Lou wusste, was sie alle hören wollten. Wie viel Hoffnung genau? Wie hoch genau waren ihre Chancen, und wann konnten sie Genaueres erfahren? Er konnte im müden Gesicht des Arztes ablesen, dass er ihnen nicht mehr zu sagen hatte.

Mit einem Seufzen führte der Arzt sie zu den Stühlen, drängte sie dazu, sich zu setzen, und setzte sich selbst ihnen gegenüber. „Sie müssen verstehen, es hat bereits Fälle gegeben, in denen ein Koma Monate angedauert hat, sogar Jahre. Manchmal wachen die Patienten auf, manchmal auch nicht. Je länger sie in ihrem komatösen Zustand verbleibt, desto niedriger werden ihre Chancen auf eine vollständige Genesung. Aber es hat auch Fälle gegeben, in denen Menschen nach einem langen Koma erwacht und fast vollkommen wieder genesen sind. Man kann es einfach vorher nicht wissen.“

„Und wenn sie dann aufwacht“, fragte Mrs. Jones, „bleibt ein Hirnschaden zurück?“

„Auch das können wir nicht einmal vermuten, bis sie aufwacht, Ma’am. Aber wieder gilt, je schneller sie wieder zu Bewusstsein kommt, desto besser.“

„Sie wird aufwachen.“ Maxine sagte das zu dem Arzt und dann noch einmal zu Stormys Eltern. „Sie wird aufwachen, und es wird ihr gut gehen. Man sagt, dass Menschen im Koma einen trotzdem hören können. Stimmt das, Doktor?“

Er nickte. „In einigen Fällen. Ich habe schon erlebt, dass das EEG ausschlägt, wenn Angehörige mit Komapatienten sprechen.“

„Dann sollten wir das auch tun.“ Das war die typische Maxine-Stuart-übernimmt-das-Kommando-Art, mit der sie alle aufforderte, an die Arbeit zu gehen. „Es sollte zu jeder Tageszeit jemand bei ihr sein und mit ihr reden. Und wenn niemand kann, dann sollten wir unsere Stimmen aufnehmen oder Musik und sie in ihrem Zimmer abspielen. Ich weiß, was sie am liebsten hört. Nichts Langsames allerdings. Ich finde, es sollte etwas Lautes sein, wie Godsmack, die einfach abrocken. Wir lassen sie nicht entkommen. Wir lassen sie einfach nicht.“

„Das sind einige gute Ideen“, wendete der Arzt sich jetzt an Maxine. „Denken Sie aber auch daran, dass sie zwischendurch zur Ruhe kommen muss.“

„Wenn sie Ruhe will, soll sie verdammt noch mal aufwachen.“ In Maxines Augen standen Tränen.

Mrs. Jones legte eine Hand an Maxines Gesicht. „Du bist ein gutes Mädchen, Maxine. Eine gute Freundin.“ Dann sah die Frau an ihr vorbei zu Lou und senkte ihren Blick.

„Sie müssen wissen, Mrs. Jones, dass Lou gestern Nacht die ganze Zeit bei mir war. Ich habe nicht gelogen, als ich ihnen das erzählt habe. Sie wissen, wie sehr ich Stormy liebe. Ich würde Sie deswegen nie belügen. Irgendwer will Lou reinlegen.“

Mrs. Jones nickte.

„Wir kennen Officer Malone schon sehr lange“, schaltete Stormys Vater sich ein. „Es braucht schon einiges mehr als das, was wir bisher erfahren haben, um uns glauben zu machen, dass er zu so etwas in der Lage wäre.“

„Das weiß ich zu schätzen“, sagte Lou zu dem Mann, „und ich schwöre Ihnen, ich tue alles, was ich kann, um diesen Verbrecher zu finden, der ihrer Tochter das angetan hat. Und dann bringe ich ihn für eine lange, lange Zeit hinter Gitter.“

„Ja. Und ich auch.“ Während sie das sagte, warf sie Lou einen Blick zu. Und er wusste, was er zu bedeuten hatte. Sie würden ab jetzt auf ihre Art arbeiten. Ob mit seiner Hilfe oder ohne, Maxine würde diese Drehbuchautorin finden und sie über alles ausfragen, was sie zum Thema – meine Güte, er konnte kaum daran denken, ohne spöttisch das Gesicht zu verziehen – Vampire wusste.

Und als er zu Lydia blickte, erkannte er sofort, dass sie Maxine nicht von der Seite weichen würde, bis sie die Antworten gefunden hatten, die sie suchten. Das alles hatte er sich allerdings ganz anders vorgestellt, als er die zwei Frauen zusammenbrachte. Eigentlich hatte er damit sogar das Gegenteil erreicht. Maxine sollte Lydia versichern, es gäbe so etwas wie Vampire nicht, und das wäre dann schon das Ende ihrer Zusammenarbeit gewesen. Danach sollten sie Freunde werden und vielleicht ein paar Dinge herausfinden. Dieselben Dinge, die er selbst durch Zufall herausgefunden hatte.

Damit war es jetzt ein für alle Mal vorbei.

„Sie braucht vielleicht noch eine Bluttransfusion, Mrs. Jones“, sagte der Arzt, doch sobald sie aufstand, hob er eine Hand. „Nein, Ma’am. Sie sollten heute nichts mehr spenden. Wir haben Vorräte, keine Sorge.“

„Ich würde die Quelle lieber kennen.“ Mrs. Jones klang besorgt. „Ich weiß, ich weiß, Bluttransfusionen sind heutzutage sicherer als je zuvor, aber trotzdem …“

„Ich bin A-positiv“, sagte Maxine.

„Ich auch“, fügte Lydia hinzu.

Der Arzt schüttelte den Kopf. „Nicht das Richtige, auch wenn Sie natürlich gerne trotzdem spenden können. Hat jemand A-negativ?“

Lou hob seine Hand wie in der Schule.

„Dann sind Sie dran.“ Der Arzt schickte Lou mit einer Krankenschwester fort, und er fand es ziemlich ironisch, dass er gerade dabei war, an die Existenz von Vampiren zu glauben, während irgendein junges Ding ihm eine Portion Blut aus den Adern zapfte.

„Können wir sie sehen?“, fragte Stormys Mutter.

Der Arzt nickte. „Selbstverständlich.“ Er führte die beiden Eltern fort, und Max bemerkte mit einem stechenden Schmerz im Bauch, wie Mr. Jones seine Frau fest an seiner Seite, fast aufrecht hielt, als würde er ihr etwas von seiner Stärke abgeben wollen.

Sie seufzte und wendete sich Lydia zu. „Wir müssen uns unterhalten.“

„Du Arme“, sagte Lydia und umarmte sie wieder. „Ich weiß, was du durchmachst. Als Kimbra gestorben ist, wollte ich einfach …“

„Sie war aber mehr als nur deine beste Freundin, nicht?“

Lydia sah sie einen Augenblick lang an und lächelte dann milde und traurig. „Ist das so offensichtlich?“

„Ich habe das Foto gesehen, das du in deiner Brieftasche hast, als du sie neulich geöffnet hast. Ihr zwei, Arm in Arm. Und wie du sie angesehen hast.“

„Ich habe sie geliebt“, gestand Lydia leise, „sie war mein ganzes Leben. Und auch wenn es nicht das Gleiche ist, kann ich sehen, du liebst Stormy auch. Ich kann den Schmerz in deinen Augen sehen. Es ist, als würde ich in den Spiegel sehen.“

Maxine trocknete sich die Augen. „Wir haben keine Zeit für eine Mitleidsorgie. Wir müssen abgleichen, was wir wegen letzter Nacht erzählen. Und wir müssen die Kassette im Anrufbeantworter loswerden.“

Lydia runzelte die Stirn. „Abgleichen?“

„Lou saß die ganze Zeit draußen vor meinem Haus in seinem Wagen“, begann Maxine.

Lydia nickte zustimmend. „Richtig. Ich weiß noch, wie du ihn draußen bemerkt hast, ich fand das so lieb von ihm.“

„Genau. Also können schon zwei von uns beschwören, dass wir Lou nie aus den Augen gelassen haben.“

„Aber das haben wir“, sagte Lydia leise. „Weißt du nicht mehr? Nachdem er dich abgesetzt hat, ist er für eine Weile verschwunden? Er war sofort wieder da, aber …“

„Ja, und das hat dieser Trottel denen auch erzählt. Ich musste mir schnell etwas überlegen, also habe ich gesagt, dass ich Lou gefolgt bin. Hab mir irgendwas ausgedacht von wegen, dass ich ihn bei einer anderen Frau vermutete und eifersüchtig war. Ich habe bestätigt, was er ihnen erzählt hat, nämlich dass er zur Wache gefahren ist und dann direkt zurück zu mir.“

Lydia nickte langsam. „Ich wusste nicht, dass du und Lou …“

„Sind wir nicht.“

„Also hast du die Polizei angelogen.“

„Ich weiß, dass er es nicht getan hat. Du weißt es auch.“

Lydia drehte sich zur Seite, atmete tief ein und schließlich mit einem Seufzen aus. „Natürlich weiß ich das.“ Sie drehte sich wieder zu Maxine. „Schließlich war ich dabei, als du weggefahren bist, um ihm zu folgen. Ich habe versucht, dich zu überzeugen, dass er nur eine Frau braucht, aber du musstest es einfach genau wissen.“

Maxine biss sich auf die Lippe. „Du könntest oben geschlafen haben. Du musst von der ganzen Sache nichts mitbekommen haben.“

„Zwei Zeugen sind besser als einer. Besonders, wenn sie glauben, dass eine die Freundin des Verdächtigen ist, Maxine.“

Das stimmte natürlich. „Danke.“

„Dafür nicht. Ich mag Lou. Wir sind schon lange befreundet.“

„Er weiß nicht, dass ich es mir ausgedacht habe. Er würde mich so etwas nie tun lassen.“

„Verstanden“, sagte Lydia. „Und was ist mit dem Anrufbeantworter?“

„Ach ja, wir müssen die Nachricht löschen.“ Dann schüttelte sie den Kopf. „Aber vielleicht ist ein Hinweis darin. Ich sollte einen Weg finden, eine Kopie zu behalten.“

„Wir könnten einfach eine neue Kassette einlegen“, schlug Lydia vor.

„Es gibt keine Kassette. Die Nachrichten werden elektronisch gespeichert.“

„Kauf ein neues Gerät“, sagte Lydia. „Und dann verstau das alte irgendwo, an einem sicheren Ort.“

Maxine nickte langsam. „Das ist ein guter Plan. Ich kann später noch die Nachricht auf Kassette überspielen und das Gerät zerstören, einfach um sicherzugehen. Aber fürs Erste ist das die schnellste Lösung. Und wir müssen es schaffen, ehe die sich entschließen, mein Haus zu durchsuchen.“

„Ich kümmere mich darum. Bleib hier und geh zu deiner Freundin.“

Dann fiel Maxine noch etwas ein. „Nimm Bargeld. Und kauf es irgendwo, wo viel los ist, bei Walmart zum Beispiel, wo sie sich nicht an dich erinnern. Und mach deinen Einkauf nicht zu einprägsam.“

Mit einem strengen Blick fixierte Lydia sie. „Mit was genau haben wir es hier zu tun, Liebes?“

„Der Regierung. Eine Abteilung der CIA, glaube ich. Eine geheime Abteilung, die es vielleicht gar nicht mehr gibt, aber der Mann, der auf Stormy geschossen hat, gehörte dazu.“

Lydia nickte langsam. „Du hast sie … Vampirjäger genannt.“

„Weil sie das waren. Vielleicht noch sind.“ Sie seufzte. „Hör zu, ich erzähle dir alles, was ich weiß. Aber du darfst es keiner Menschenseele verraten. Deswegen ist auf Stormy geschossen worden.“

„Okay. Verstanden. Aber nicht jetzt. Es ist weder die richtige Zeit noch der richtige Ort. Ich kümmere mich um deinen Anrufbeantworter, und später unterhalten wir uns.“

„Wir können uns genauso gut auf der Polizeiwache treffen“, überlegte Maxine. „Sie wollen von uns allen Aussagen aufnehmen.“

„Mittag?“, fragte Lydia.

„Mittag ist gut.“

„Dann bis später.“

Nachdem Lydia gegangen war, wartete Maxine, bis Lou endlich vom Blutspenden zurückkam. Er betrachtete sie, als wolle er eine Bestandsaufnahme machen, als suchte er nach Zeichen für ihren momentanen Gemütszustand, und während ihre unabhängige Seite das furchtbar altmodisch von ihm fand, liebte der Rest von ihr, wie er sich um sie sorgte.

„Es geht mir gut“, antwortete sie schließlich, ehe er fragen konnte.

„Nein, geht es dir nicht, aber das ist ja auch nicht verwunderlich.“ Dann sah er sich um. „Wo ist Lydia?“

„Hatte zu tun. Sie kommt gegen Mittag zur Polizeiwache, da treffen wir uns mit ihr und geben unsere Aussagen zu Protokoll.“

„Und was dann?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich fahre nach Hause, nehme meine Stimme für Stormy auf Band auf, damit ihre Mom sie ihr vorspielen kann, suche ein paar CDs zusammen und meinen programmierbaren Player, und schließe alles in ihrem Zimmer an. Dann packe ich.“

„Packen?“

„Ich hasse es, Stormy allein zu lassen, Lou. Aber nach dem, was ich online herausfinden konnte, lebt diese Drehbuchautorin in Maine. Und wir müssen wirklich mit ihr sprechen. Sie ist bis jetzt unsere einzige Spur, bis auf Stiles, und den können wir nicht finden.“

„Wenn er von den Filmen weiß, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir ihn in Maine finden, groß.“

Sie blinzelte zweimal und starrte ihn an. „Wir? Soll das heißen, du kommst mit mir?“

„Jepp.“

„Lassen die dich weg, bevor dieser Fall gelöst ist?“

„Nein. Ich muss mich einfach wegschleichen. Gut, dass ich eine Expertin kenne, die mir dabei helfen kann.“ Sein Lächeln war verschmitzt und ein bisschen traurig, aber echt.

Wie gerne hätte sie ihn jetzt umarmt, aber im selben Augenblick kamen Stormys Eltern auf sie zu. Ihre Mutter weinte leise, und ihr Mann hielt sie fest. „Geh ruhig, Maxine“, sagte Mr. Jones. „Wir haben es mit dem Arzt abgesprochen, und wir glauben beide, dass deine Stimme ihr mächtig guttun wird.“ Er deutete den Gang hinunter. „Zwei-Null-Sieben.“

„Okay. Sie beide sollten etwas essen, und sich vielleicht etwas ausruhen. Ich weiß, Sie wollen hier sein, aber auch Sie brauchen eine Auszeit. Wenn Sie krank werden, helfen Sie Stormy schließlich auch nicht.“

„Wir kommen schon zurecht. Los, geh jetzt zu ihr.“

Lou blickte sie aufmunternd an. „Geh schon, Max. Und lass dir Zeit. Ich warte hier.“

Sie nickte ihm dankbar zu, ging den Gang hinunter, bis zur Tür mit der Nummer 207. Einen Augenblick lang allerdings konnte sie fast nicht hineingehen. Sie stand mit der Hand an der Tür da, drückte sie nicht auf und fragte sich, ob ein wahnwitziger Teil ihres Verstandes glaubte, alles wurde erst wahr, wenn sie es mit eigenen Augen sah. Oder ob sie nur Angst hatte, Stormy würde sterben, während sie im Zimmer war.

Auch egal. Nur Stormy zählte. Das war alles. Sie schluckte ihre Angst hinunter, drückte gegen die Tür und spähte hinein.

Die Person, die da auf dem Bett lag, sah nicht wie Stormy aus, und für einen Moment glaubte Maxine, im falschen Zimmer zu sein. Aber dann schaute sie näher hin. Ja, Stormy war blasser und stiller, als Maxine ihre Freundin je gesehen hatte, und ihr Augenbrauenpiercing war entfernt worden. Ihr kurzes, gebleichtes Haar war verschwunden. Entweder war es unter den dicken Verbänden, die sie trug, verborgen, oder man hatte es abrasiert. Maxine wusste es nicht.

Aber das elfengleiche Gesicht und die feinknochigen Züge gehörten zu ihr. Von ihrem Kopf führten Schläuche zu einem Monitor, von ihrer Brust zu einem weiteren, von ihren Nasenlöchern zu einer Sauerstoffflasche, von ihrem Handgelenk zu einem Tropf, und von irgendwo unter den Laken zu einem Beutel am Fuß des Bettes, über den sie nicht nachdenken wollte.

Die Krankenschwester lächelte Max an. „Tempest, du hast Besuch. Ist das nicht nett?“

„Nennen Sie sie Stormy“, sagte Max fest. „Und sagen Sie das auch den anderen Schwestern. Sie hört nicht einmal auf Tempest, wenn sie bei vollem Bewusstsein ist.“

Die Schwester nickte und stemmte ihre Hände in die Hüften. „Und ich dachte die ganze Zeit, du hast so einen schönen Namen. Ich liebe Tempest!“ Dann zuckte sie mit den Schultern. „Aber Stormy ist ja auch ganz schön.“ Sie beugte sich vor, zog das Bettzeug zurecht und sprach mit Stormy, als wäre sie hellwach und könnte jedes Wort hören.

Maxine mochte die Schwester. Sie mochte ihre Einstellung. Sie mochte den mitfühlenden Ausdruck in ihren Augen. „Ich bin Maxine“, stellte sie sich vor.

„Und, haben Sie auch einen Spitznamen?“

„Mad Max, aber sagen Sie das nicht weiter.“

Die Schwester lachte und klopfte Stormy auf die Schulter. „Hast du das gehört? Mad Max. Mädchen, deine Freunde gefallen mir. Na dann, setzen Sie sich, Mad Max, und ich lasse Ihnen beiden etwas Zeit für sich.“

Während Maxine sich setzte, verließ die Schwester das Zimmer. Das ständige Piepen der Monitore war einschläfernd. Gleichmäßig und fast hypnotisch. „Mann, bei ein paar von den Apparaten sollten wir dringend den Ton abstellen, Stormy. Was meinst du?“ Sie beugte sich vor und nahm Stormys Hand. „Ich bin es, Max. Ich bin hier, und ich weiß, was passiert ist, okay? Ich weiß, Lou war es nicht. Ich will nicht, dass du dir Sorgen deswegen machst.“

Keine Antwort. Sie lag ganz still und leise da.

„Ich weiß, du bist da drinnen, Stormy. Ich weiß, du kannst mich hören.“ Sie sprach lauter und mit festerer Stimme. „Alles ist in Ordnung. Deinen Eltern geht es gut. Mir geht es gut. Und der Mann, der dir das angetan hat, wird dafür bezahlen. Verstehst du?“

Immer noch nichts. Nur das monotone Piepen.

„Du musst dich konzentrieren, Schatz. Deine ganze Energie musst du darauf verwenden, aufzuwachen. Hörst du? Ich will, dass du nur daran denkst. Und du kannst genauso gut wissen, dass ich dich nicht einen Augenblick in Ruhe lasse, bis es so weit ist. Ich bringe dir deine Lieblings-CDs, und es wird immer jemand hier sein und dir deine mehrfach durchstochenen Ohren abkauen, bis du endlich aufwachst. Wir lassen dich nicht alleine. Verstanden?

Das Piepen veränderte sich. Es wurde schneller.

Maxine sah sich nach den Maschinen um, als würde sie davon irgendetwas verstehen. Doch Stormy war von etwas aufgebracht. Was hatte sie gerade gesagt? Wir lassen dich nicht alleine. Sie leckte sich die Lippen. „Alleine sein macht dir Sorgen, was?“

Wieder wurden die Geräusche schneller.

„Niemand lässt dich allein. Ich werde jemanden an deiner Tür abstellen, und jemand anders wird immer hier drinnen bei dir sein, rund um die Uhr. Ich verspreche, hier bist du in Sicherheit. Okay?“

Sie konnte nicht sagen, ob sie Stormy beruhigt hatte oder nicht. Aber das Piepen nahm langsam wieder seine alten Formen an.

„Versuch weiter, aufzuwachen, Schatz.“

Die Schwester kam zurück und sagte Maxine, es wäre Zeit zu gehen. Sie nickte. „Ich muss kurz weg, Kleines, aber ich verspreche dir, wir lassen dich nicht allein. Ich verspreche es.“ Sie wendete sich an die Schwester. „Können Sie bei ihr bleiben, bis ihre Mom zurückkommt?“

„Natürlich bleibe ich. Es ist fast Zeit für meine Serie!“ Sie griff nach der Fernbedienung, stellte den Fernseher ein und zog sich einen Stuhl heran. „Ich hoffe, du magst Passions, Mädchen, ich verpasse nämlich keine Folge“, erklärte sie Stormy.

„Sie liebt die Serie. Bis später. Keine Angst, Kleines. Ich halte dir den Rücken frei, okay?“

Die Schwester nickte anerkennend, und Maxine verließ das Zimmer. Zurück im Wartezimmer ging sie zu Lou, lehnte sich gegen seine Brust und hoffte, er würde nichts dagegen einwenden. Tat er nicht. Er zog sie stattdessen an sich. „Wir brauchen Wachen für ihr Zimmer, Lou. Wenn er herausfindet, dass sie noch lebt, kommt er vielleicht zurück.“

„Er hätte keinen Grund dazu.“

„Was, wenn sie ihn gesehen hat?“

„Kleines, du hast ihn gesehen. Du weißt, wie er aussieht, und du kennst seinen Namen. Identifiziert zu werden bereitet ihm aus irgendeinem Grund keine großen Sorgen.“

„Trotzdem …“

Er seufzte und nickte. „Ich kümmere mich gleich darum.“

Seine Worte beruhigten sie. „Haben wir vorher Zeit für ein Frühstück?“

„Ja, Ich habe angerufen und denen auf der Wache gesagt, wir kommen gegen Mittag vorbei, um mit der Inneren zu sprechen und unsere Aussagen zu Protokoll zu geben. Wir haben noch ein paar Stunden Zeit.“ Er nahm ihren Arm, und sie gingen gemeinsam zum Fahrstuhl.