Keith
8. KAPITEL
In dieser Nacht kam er wieder zu ihr. Und wieder wusste sie, es war nur ein Traum.
Sie war nach ihrem Bad zu Bett gegangen. Und sie hatte die Balkontüren offen gelassen, fast wie eine Einladung. Fast als hielte sich ein lächerlicher Teil ihres Verstandes an der irrsinnigen Idee fest, er könne tatsächlich eine reale Gestalt sein.
Ausgedachte Figuren wurden nicht einfach so lebendig und besuchten ihre Autoren, redete sie sich selbst ein. Und warum bürstete sie sich dann so lange die Haare, bis die immer gleiche Armbewegung sie erschöpfte? Warum trug sie den kurzen, durchsichtigen schwarzen Morgenmantel auch noch beim Zubettgehen?
Sie war so dumm. Sie war wie besessen. Verliebt in einen Mann, der nicht existierte. Wahrscheinlich war sie verliebt in einen Mann, den es nie gegeben hatte, der nur die Ausgeburt eines wahnsinnigen Autors war. Der dunkle Einzelgänger, Dante, die unsterbliche erotische Kreatur der Nacht, war nie echt gewesen. Er war nur das Hirngespinst eines Tagebuchschreibers.
Und doch war sie vollkommen und unabdingbar besessen.
Sie lag lange Zeit wach und flehte ihn stumm an, in ihren Träumen zu erscheinen, während sie schlief. Endlich übermannte sie doch der Schlaf.
Und dann spürte sie eine kühle Brise, die durch die offenen Balkontüren wehte, und wusste, er war gekommen. In ihrem Traum öffnete sie die Augen und sah ihn, wie er am Fuß ihres Bettes stand und sie mit einem Blick wie brennender Onyx anstarrte. Und wieder war es anders als alle vorherigen Träume. Wenn sie nicht gewusst hätte, dass es unmöglich war, sie hätte alles für real gehalten.
„Dante“, flüsterte sie.
Er hob seine Augenbrauen, als wäre er überrascht. „Die meisten Frauen würden anders reagieren, wenn sie beim Aufwachen einen Fremden vorfinden, der sie im Schlaf beobachtet hat.“
„Du bist kein Fremder“, flüsterte sie. „Ich kenne dich.“
„Das habe ich schon gemerkt.“ Seine Stimme war genau so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Tief und sehr weich. Erotisch. Aber auch klar und voll. „Was ich gerne wissen würde ist … wie?“
Die Morgan, die sie im Traum war, setzte sich im Bett auf. Sie ließ ihre Decke hinabfallen. Ließ zu, dass er sie sah. Sie wollte gesehen werden. „Wie?“
Er antwortete so, wie sie es sich gewünscht hatte. Natürlich tat er das. Es war ihr Traum. Sein Blick wanderte langsam ihren Körper hinab und blieb an ihren Brüsten hängen, die durch den dünnen schwarzen Stoff deutlich hervortraten. „Woher kennst du mich?“
Sie schloss ihre Augen und spürte, wie ihr Körper auf seinen Blick reagierte wie auf eine Berührung. „Ich bin mir selbst nicht sicher. Es ist, als wäre ich vollkommen besessen von dir.“ Sie öffnete die Augen und starrte ihn an. „Oder vielleicht will ich es einfach sein.“
„Willst du?“
„Es ist merkwürdig, weißt du. Ich habe noch nie für einen Mann empfunden, wie ich für dich empfinde. Und du – du bist nur eine Fantasie. Ein Traum.“ Sie wandte ihren Blick von ihm ab. „Wahrscheinlich ist es gut so. Besser sogar. So wird niemandem wehgetan.“
Er legte seinen Kopf zur Seite. „Ein Traum soll ich sein?“
Morgan nickte.
Lächelnd blickte er sie an. „Willst du, dass ich das für dich bin? Ein Traum? Wie der, den du heute Abend hattest?“
Eine Welle des Begehrens und der Angst breitete sich in ihrem Körper aus. Eine berauschende Mischung. Sie antwortete nicht, aber er bewegte sich weiter auf sie zu, bis er neben ihrem Bett stand. Dann streckte er eine Hand aus, nahm ihr Laken und zog es langsam an ihrem Körper hinab, bis ihre Hüften, Beine und Füße bloß lagen.
„Sag mir, was ich wissen will, und ich komme deiner … Bitte vielleicht nach.“ Er setzte sich auf ihre Bettkante. Sie hatte sich halb ausgestreckt und gegen das Kopfteil gelehnt. Er streckte seine Hand wieder aus und fuhr mit dem Handrücken über ihre Brüste. Seine Fingerknöchel streiften die Brustwarzen gerade so. „Fangen wir mit deinem Namen an.“
„Morgan. Morgan De Silva.“
„Sehr gut.“ Er drehte seine Hand um und kniff leicht in ihre Brustwarze, ihre Belohnung, die sie vor Wonne aufkeuchen ließ.
„Ich frage mich, Morgan, wärest du auch so willig, wenn du mich für real hieltest?“, fragte er und streichelte dabei sanft immer wieder über ihre wohlgeformten runden Brüste.
„Wärest du echt, würdest du mich zu dem machen, was du bist.“
Die Worte erstaunten ihn. Er hörte auf mit seinen verführerischen Liebkosungen und sah ihr fest in die Augen. „Warum sollte ich das tun?“
„Weil wir füreinander bestimmt sind, Dante. Du bist ein Teil von mir, und ich bin ein Teil von dir.“ Sie senkte ihren Blick. „Es ist eine Fantasie, ja. Aber in der Realität hätte ich genau dieselben Gefühle. Und du könntest ihnen genauso wenig widerstehen wie ich.“
Nur einen Augenblick lang hatte sie das Gefühl, in seinen Augen einen Funken Angst aufglimmen zu sehen.
Seine Hand ruhte noch immer auf ihrer Brust, die sie nun mit ihrer eigenen bedeckte. „Aber du bist nicht real. Selbst wenn meine Fantasie auf einmal viel wirklicher geworden ist, als sie es je vorher war.“ Sie sah hinab auf die Hand an ihrer Brust. „Ich kann dich spüren.“
Seine Finger nahmen ihre gleichmäßigen Liebkosungen wieder auf.
„Ich möchte alles mit dir spüren, Dante. Alles, was ich mir vorgestellt habe.“
Er zog seine Hand fort. „Unmöglich.“
„Natürlich ist es möglich. Im Traum ist alles möglich.“
„Ich muss gehen.“ Er stand auf, doch noch ehe er nur einen Schritt in Richtung der Tür getan hatte, war sie ebenfalls aufgestanden, hatte ihn an der Schulter gepackt und zu sich gedreht.
Zögerlich wandte er sich ihr zu, als hätte er es lieber nicht getan, und als sie seiner Aufmerksamkeit gewiss war, ließ sie die Träger ihres Nachthemds von ihren Schultern gleiten und den Stoff zu Boden fallen. Sie stand nackt vor ihm. Seine Augen betrachteten ihren ganzen Körper und verschlangen jeden kleinsten Teil von ihr. Sie nahm seine Hand und zog ihn zurück zu ihrem Bett. Dort legte sie sich auf den Rücken.
„Nimm mich, Dante.“ Sie schob ihr Haar von ihrem Hals. „Trink von mir. Ich will es wieder spüren, so wie vorhin. Ich will von dir besessen sein, mit Blut, Seele und Körper.“
Sie sah, wie er bebte, aber sie hielt immer noch seine Hand und zog ihn sanft näher zu sich. Wieder setzte er sich auf ihre Bettkante, und diesmal richtete sie sich auf, presste ihre Lippen auf seine und schlang ihre Arme um seinen Hals.
Seine Küsse waren fordernd, er labte sich an ihrem Mund und kostete ihre Zunge, kratzte mit seinen scharfen Zähnen daran, bis einige Tropfen Blut austraten. Als er sich endlich auf sie legte, schob er ein Knie zwischen ihre Knie und drängte sie auseinander, und jetzt konnte sie auch seine Härte spüren, die sich durch den trennenden Stoff seiner Jeans hindurch gegen ihre nackte Mitte presste.
Sie griff nach seinem Reißverschluss.
Mit einer Hand gebot er ihr Einhalt und zog die ihre dann vorsichtig zurück, ehe er den Kuss abbrach.
„Ich werde dir wehtun“, flüsterte er.
„Du kannst mir nicht wehtun. Wir sind in meinem Traum.“
Schwer atmend setzte er sich wieder auf. „Schließ deine Augen, Morgan“, flüsterte er, „und ich gebe dir, was du willst.“
Erwartungsvoll tat sie, wie ihr geheißen. Sie schloss die Augen.
Er beugte sich wieder dicht zu ihr hinab, und seine Lippen waren jetzt ganz nah an ihrem Ohr. „Ergib dich mir“, flüsterte er, langsam, und wiederholte seine Worte immer wieder. „Öffne dich mir. Lass mich in dich eindringen. In deinen Geist.“
„Ja“, flüsterte sie ergeben. Sie öffnete die Beine für ihn, aber er berührte sie nicht. Und doch spürte sie ihn. Ohne sie zu berühren, streichelte er sie. Wie Geister glitten seine Finger über ihre Haut, streichelten und liebkosten sie überall und doch nirgendwo. Ihre Gedanken nahmen das alles auf, sie konnte es spüren, als wäre es real, aber sie wusste, er hatte sich nicht bewegt, keinen Muskel. Er saß da wie vorher und starrte sie an.
„Genau so“, flüsterte er. „Lass dich gehen. Spür mich, Morgan. Ich bin in dir und um dich. Spürst du mich?“
„Ja!“
„Um dich, in dir, ich besitze dich, du gehörst mir. Dein Körper ist unter meinem Bann: Ist es nicht so, Morgan?“
Nur ein Nicken war ihre Antwort, während sie sich auf dem Bett wand und drehte und sich nach mehr sehnte, nach so viel mehr.
Nah an ihrem Ohr befahlen seine Lippen ihr das Ersehnte. „Komm, Morgan.“
Der Orgasmus erschütterte sie wie eine Explosion. Sie schrie seinen Namen, schlang ihre Arme um seinen Hals und zog ihn fest an sich. Und dann spürte sie es. Sein Mund öffnete sich und schloss sich über ihrem Hals. Seine Zähne drangen durch ihre Haut, und dann das köstliche Saugen.
„Ja, ja, ja“, stieß sie hervor, als der Höhepunkt in Wellen immer wieder kam, tausendfach verstärkt durch sein Trinken.
Und dann wurde sie ruhiger, verlor sich ganz in ihm.
Dante leckte sich das Blut von den Lippen und hob seinen Kopf. Er hätte nicht von ihr kosten dürfen. Verdammt, er hatte es nicht vorgehabt. Ihre Arme fielen von seinem Hals. Behutsam legte er Morgan zurück auf die Kissen. Dann richtete er sich auf, deckte sie zu, drehte sich ab und schloss die Augen.
Schon jetzt sehnte er sich nach mehr. Nur mit der Kraft seines Geistes war es ihm gelungen, sie zu befriedigen. Aber auch auf ihn hatte es eine genauso starke Wirkung gehabt. Und als sie ihn an sich gezogen hatte, als sie sein Gesicht an ihren Hals gedrückt hatte und unter ihm erbebt war und sich aufbäumte, hatte er sich in ihrem Duft verloren. Das Blut, das so dicht unter ihrer Haut raste, ihre Hände, die ihn immer näher zogen, ihr Hals, der sich ihm entgegenbog.
Also hatte er sie genommen. Ohne nachzudenken hatte er seine Zähne in ihr sinnliches Fleisch gesenkt und von ihr getrunken.
Nur ein wenig. Dennoch hatte es eine Macht auf ihn ausgeübt, die er sich nicht erklären konnte. Sie erschütterte ihn. Ihre Lebenskraft in seinem Körper. Sie brachte ihn zum Erbeben. Sie brachte ihn dazu, mehr zu wollen.
Dante stand vom Bett auf und machte fast strauchelnd zwei Schritte auf das Fenster zu, ehe er sich wieder in der Gewalt hatte. Nein. Er konnte sie nicht verlassen, nicht jetzt. Sie schlief, und auch wenn er nur wenig in ihr Denken eingedrungen war, hatte er dort Blätter gesehen, die mit seiner eigenen Handschrift beschrieben zu sein schienen, und einen Raum – der ihm bekannt vorkam. Sein Arbeitszimmer.
Was das alles zu bedeuten hatte, war ihm noch unklar, aber er war hergekommen, um genau das herauszufinden.
Dante warf noch einen Blick zurück auf das Bett, in dem sie tief schlief, und traf seine Entscheidung. Er würde sich von seiner hitzigen Zuneigung zu irgendeiner Sterblichen bestimmt nicht von seiner Aufgabe abbringen lassen. Und doch hatte er Schwierigkeiten dabei, seinen Blick von den zwei kleinen Löchern in ihrem Hals und den roten Spuren, die daraus hervordrangen, zu lösen. Fast hätte er sich hinabgebeugt, um die entkommenen Tropfen aufzulecken, doch er entsagte. Gott allein wusste, er konnte genauso leicht ihre Kehle herausreißen.
Er bewegte sich leise, ohne jedes Geräusch, am Fußende des Bettes vorbei auf die Tür zu. Dann öffnete er sie und schlüpfte hinaus auf den dunklen Flur. Die Schlafzimmertür zog er hinter sich zu.
Plötzlich rissen die Nebel der Zeit vor ihm auf, und er war ganz still, als er ein Jahrhundert in die Vergangenheit zu blicken schien. Der Parkettfußboden glänzte wie neu versiegelt, er konnte den Lack riechen. Und die breite Treppe, die am Fuß noch breiter war als an ihrem Absatz, führte hinab in einen großen Raum, der genauso aussah, wie er es in Erinnerung hatte. Die gewölbte Kuppeldecke mit dem Kristalllüster. Die makellosen Holzarbeiten mit dem aufwendig geschnitzten Rand. Erst jetzt merkte er, wie ihm dieses Haus gefehlt hatte.
Während er die Treppe langsam hinunterging und seine Handfläche über das auf Hochglanz polierte Geländer gleiten ließ, bemerkte er einige Unterschiede. Es hingen andere Bilder an den Wänden. Der Kronleuchter war elektrisch und nicht mit Gas betrieben wie damals, zu seiner Zeit. Die Möbel waren anders. Oh, die Epoche hatte sie dennoch gut getroffen. Wie sie erraten hatte, dass er das ganze Haus mit abgewetzt aussehenden Repliken aus der Zeit der nordischen Invasion eingerichtet hatte, konnte er sich kaum vorstellen. Aber ihre Auswahl war fast identisch. Die Stühle sahen aus wie die Throne von Barbarenkönigen. Solide, viereckige Beine und Lehnen, die an den Enden mit Köpfen von Bären oder Löwen verziert waren. Dazu passend viereckige Tische und in den Ecken Granitsockel, auf denen Skulpturen von legendären Kriegern standen. Erik, der Rote, mit seinem gehörnten Helm. Eine muskelbepackte Walküre auf einem geflügelten Pferd.
Er hatte nicht genau die Gleichen ausgewählt. Aber dass sie sich für die gleiche Kultur, die Wikinger, entschieden hatte, konnte kein Zufall sein. Diese Frau kannte ihn. Das Zeitalter war damals sein Hobby gewesen. Ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er blickte auf die Flügeltüren aus dunklem Holz, die zu seinem Arbeitszimmer führten. Oder vielmehr, die es einst getan hatten. Es war sein Zufluchtsort gewesen. Sein Schutz vor der Welt.
Dante spürte Angst und musste sich überwinden, den Raum zu betreten. Er ging auf die Türen zu, packte die Messingknäufe, drehte sie und zog dann die Türen auf.
Vor ihm breitete sich sein Arbeitszimmer aus, als würde er wieder einen Blick in die Vergangenheit werfen. Der Kamin an der gegenüberliegenden Wand war in seinen Urzustand zurückversetzt worden. Der riesige antike Schreibtisch in der Ecke war nicht genau wie seiner, aber die Größe stimmte. Der Stuhl davor war modern, verständlich, und mit Rollen versehen, und der Computer, der auf dem Schreibtisch stand, schien überhaupt nicht in den Raum zu passen.
Vor einigen Stunden, als er in ihren Geist eingedrungen war, musste sie genau hier gesessen haben. Als er gespürt hatte, wie sie ihre Fantasien über ihn spann. Er hatte alles gespürt, was sie sich vorstellte, als wäre es echt gewesen.
Ehe er darüber noch länger nachdenken konnte, ergriff ihn eine Art Vorahnung, etwas, das ihn den Kopf herumschnellen ließ und seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchte.
Zeichnungen an den Wänden. Einige gerahmt, einige nur wahllos angepinnt. Lieber Gott, es waren Dutzende. Und sie waren alle … von ihm.
Dante starrte wie gebannt und ging gegen seinen Willen näher. Er betrachtete jede Linie, jede Schattierung und jeden Schatten, der die Konturen seines Gesichts bildete. Gedankenlos fuhr er dabei mit den Fingern über sein Kinn, seine Wangen und seinen Kiefer. Es war unnatürlich, sich selbst auf diese Weise betrachten zu können, wo er doch sein Spiegelbild schon so lange nicht mehr gesehen hatte. Seit Jahrhunderten. War sein Gesicht so kantig? Waren seine Augen so tief liegend, so umschattet? Er sah regelrecht heimgesucht aus.
Woher kannte diese Frau ihn? Wie war das möglich?
Der Raum erschien ihm plötzlich zu klein und stickig. Er atmete einmal tief durch, dann noch einmal, doch er schien nicht genug Luft bekommen zu können. Wahrscheinlich der Schock, sich selbst so deutlich dargestellt zu sehen. Er öffnete jede Schublade, aber er fand keine Hinweise, und er betrachtete auch die Bücherregale, ohne etwas zu finden. Der Computer schien ihn zu verspotten. Er wusste nur sehr wenig über diese Maschinen. Seinen Inhalt zu durchsuchen würde eine Herausforderung sein. Und dennoch würde er es wahrscheinlich wenigstens versuchen.
Zuerst aber brauchte er Luft. Es war schwer, das alles zu verdauen.
Besonders, als er eine Zeichnung von sich als Kind entdeckte, neben dem Lagerfeuer seiner Familie, wo Sarafina tanzte. Sein Atem stockte.
Dante schleppte sich zum nächsten Fenster, entriegelte es und schob es mit Leichtigkeit nach oben. Endlich füllten sich seine Lungen mit der kühlen frischen Nachtluft.
Ein schrilles, durchdringendes Geräusch zerriss die Stille der Nacht und damit auch seine neu gewonnene Fassung. Zum Teufel, das musste eine Alarmanlage sein. Er presste seine Hände auf seine empfindlichen Ohren, sprang durch das geöffnete Fenster und floh aus dem Haus in die tröstenden Arme der Nacht.
Als er stehen blieb und sich hinter einige Büsche kniete, um zu beschließen, was zum Henker er als Nächstes tun sollte, kam sie. Morgan. Der Alarm hatte sie geweckt, und sie war sofort in ihr Arbeitszimmer gegangen, wo er bis eben gewesen war. Als hätte sie es gewusst. Die Verbindung zwischen ihnen machte ihm Angst.
Sie stand am offenen Fenster und blickte hinaus in die Dunkelheit. Ihr Gesicht verriet die Verwirrung und war vollkommen verwundbar. Sie würde sich an ihre Begegnung nur als einen Traum erinnern. Und doch wusste sie, dass jemand in ihrem Haus gewesen war. Ihr suchender Blick, ihre hoffnungsvollen Augen verrieten den sehnlichen Wunsch, ihn tatsächlich zu erblicken, anstatt sich davor zu fürchten.
Morgan hatte keine Ahnung, auf welche Macht sie sich da einlassen wollte. Nicht die geringste Ahnung.
Und sie sollte lieber darauf hoffen, es auch nie herauszufinden.
Gerade wollte er gehen, als er eine Bewegung an ihr registrierte, und etwas an der Art, wie ihre Augen sich veränderten, erweckte seine Aufmerksamkeit. Sie drehte sich zur Seite und starrte in die Fensterscheibe. Dann legte sie eine Hand an ihren Hals.
Oh, Gott, das Spiegelbild. Jetzt, in der Nacht, sah sie die Wunden, die eigentlich mit der ersten Berührung des Sonnenlichts auf ihrer Haut verschwunden wären. Sie sah die zwei Einstiche, die dünnen Bänder aus Blut auf ihrem weißen Fleisch. Sie sah sie – und sie wusste es.