Keith

15. KAPITEL

Morgan ging vorsichtig die gewundene hölzerne Treppe hinab, die sie unter ihrem Parkett gefunden hatte. Sie setzte ihre Füße langsam, bedächtig und verlagerte ihr Gewicht nur vorsichtig Stück für Stück. Die Stufen stöhnten unter Protest auf, als könnten sie jeden Augenblick nachgeben. Aber das taten sie nicht, und es gelang ihr, bis ganz an den Fuß der Treppe vorzudringen. Sie fand sich in einem feuchten, dunklen Raum wieder. Ein Keller – einer, den es laut den Plänen gar nicht geben dürfte. Sie hatte weiß Gott genug Zeit damit verbracht, sich Blaupausen und Baupläne und uralte Aufzeichnungen anzusehen, während sie beim Umbau ihr Bestes getan hatte, um das Haus wieder so aussehen zu lassen, wie es ursprünglich gewesen war. Sie hatte die Farbe der Einrichtung von mehreren Räumen herausgefunden. Sie hatte eine Zeichnung des großen Kristalllüsters gefunden und ein vergilbtes Foto der hinteren Gärten.

Aber nirgendwo war von einem Keller die Rede gewesen. Tatsächlich wurde sogar mehr als einmal in diesen Dokumenten erwähnt, dass es keinen gab. Fast entschuldigend, als handele es sich um ein unverzeihliches Übersehen des Erbauers. Der Erbauer – Daniel Taylor.

Daniel Taylor ist einer der vielen Decknamen, die der Vampir Dante benutzt hat

Oh, verdammt.

Morgan atmete einmal tief die abgestandene Luft ein, die noch nie das Sonnenlicht berührt hatte, schaltete die Taschenlampe ein und leuchtete umher. Die niedrige Decke wurde von hölzernen Balken gestützt. Die Wände waren aus flachen Steinen gebaut, die man einfach aufeinandergeschichtet hatte. Es war kaum zu glauben, dass sie immer noch standhielten. Am Ende des kleinen Raumes befand sich eine halbrunde Öffnung, auf die sie zuging, ihr Licht immer auf den Weg gerichtet. Keine Spinnweben. Sie fand es merkwürdig, dass ihr keine Spinnweben im Gesicht kleben blieben, während sie auf Zehenspitzen und fast ohne zu atmen über den Sandboden schlich.

Sie trat näher und schließlich durch den Torbogen in einen kleineren, noch dunkleren Raum, der aus Zement gegossen war. Der Strahl ihrer Lampe schwang zur Linken und auf einen kleinen Tisch, eine Kerosinlaterne, ein Streichholzbriefchen. Sie konnte den Brennstoff riechen. Das Glas der Laterne war sauber.

Morgan ging zu der Laterne und klemmte sich ihre Taschenlampe unter einen Arm, damit der Lichtstrahl blieb, wo sie ihn brauchte. Sie fand den Hebel, mit dem sie das Glas der Laterne heben konnte, zündete ein Streichholz an und hielt es an den Docht. Nachdem sie das Glas wieder gesenkt und die Flamme eingestellt hatte, füllte ein weiches gelbes Licht den Raum. Es war so eine unglaubliche Erleichterung, eine hilfreichere Lichtquelle gefunden zu haben, dass sie seufzte, als sie sich umsah, um herauszufinden, wie es – jetzt, wo sie besser sehen konnte – dort unten aussah.

Am anderen Ende des Raumes, auf einer Plattform, die sie vom Boden hob, stand eine Kiste aus Holz, mit der Zeit stumpf geworden, so dunkel, dass es schwarz wirkte, und mit angelaufenen silbernen Griffen an den Seiten.

Sie stand da und starrte, und für die lange Zeit zwischen zwei Herzschlägen weigerte ihr Gehirn sich, die Informationen zu verarbeiten, die ihre Augen ihr sendeten.

Dann erst flüsterte ihr Verstand ihr die Wahrheit zu. Ein Sarg. Ein Schreckensschrei löste sich so laut aus ihren Lungen, dass er von den Wänden abprallte und wieder in ihre Ohren hineintauchte, um sich dort zu verstecken.

Sie biss sich auf die Lippe, um sich selbst zum Schweigen zu bringen, und rang nach Atem. Ihr Herz galoppierte. Der Deckel des Sarges war geschlossen. Er sah alt aus. Wie lange stand dieses Ding schon dort? Lieber Gott, was befand sich darin? Ihr Verstand wollte es wissen. Er befahl ihrem Körper, näher heranzugehen, das Holz zu berühren, den Deckel zu heben und dann …

Er. Dante.

Jede Zelle, jeder Muskel ihres Körpers kribbelte und zuckte mit dem Drang, sich umzudrehen und diesem Ort zu entfliehen. Aber ihr Körper verweigerte beides. Ihre Beine zitterten so sehr, dass sie kaum stehen konnte. Stress verausgabte sie normalerweise genau so schnell wie körperliche Anstrengung, und heute hatte sie beides in Maßen durchgemacht, die sie eigentlich seit einem Jahr nicht mehr aushielt.

Es ist alles nicht wahr. Alles nur wieder einer dieser lebendigen Träume. Das ist alles.

Aber nein. In ihren Träumen war sie immer vital, kräftig und platzte fast vor Energie. Und sie hatte nie Angst. In den Träumen liebte er sie.

Hatte der entstellte Mann recht gehabt? Konnten die Tagebücher echt sein? Konnte ihr Dante genau hier in diesem Sarg liegen? Perfekt erhalten, unsterblich? Untot?

„Vielleicht nicht“, murmelte sie. „Vielleicht hat er sich hier nur heimlich begraben lassen. Vielleicht ist das alles. Der hundert Jahre alte verrottete Leichnam eines reichen exzentrischen Wahnsinnigen ist wahrscheinlich alles, was in dem Kasten ist. Mittlerweile nur noch Knochen. Das ist alles.“ Und wenn sie dann endlich sah, dass Dante nur ein normaler Mann gewesen war, mit einer lebhaften Vorstellungskraft und einer Gabe für das Schreiben, wäre das vielleicht genug, um den Bann zu brechen, der auf ihr lag. Vielleicht konnte sie sich dann aus dem klebrigen Netz befreien, das ihre eigene Besessenheit immer dichter um sie wob.

Sie rang nach Atem und zwang ihre Füße, sich dem Sarg weiter zu nähern. Einen Schritt, dann noch einen. Hätte sie wirklich den Mut, den Deckel zu öffnen, fragte sie sich immer wieder. Vielleicht war er auch versiegelt. Er sollte versiegelt sein, oder nicht? Man warf doch Leichen nicht einfach in Kisten und ließ die dann offen.

Normalerweise versteckte man sie aber auch nicht unter Häusern.

Jetzt war sie am Sarg angelangt und schaffte es mit äußerster Willensanstrengung, ihre Hände behutsam auf den Sarg zu legen. Er fühlte sich kalt an, und zwischen dem Holz und ihrer Handfläche befand sich eine Lage Schmutz. Sie atmete tief durch und befahl sich, den Deckel zu öffnen.

„Nicht“, erklang eine tiefe, volle, gespenstisch vertraute Stimme hinter ihr.

Morgan erstarrte und schloss die Augen. Er war geräuschlos eingetreten. Sie hatte keinen Ton gehört, keinen Schritt. Nichts.

„Finger weg, Morgan. Dort drinnen befindet sich nichts, was Sie sehen müssen.“

„Dante?“, flüsterte sie, immer noch mit geschlossenen Augen.

„Ich …“ Die Stimme zögerte, und Morgan öffnete die Augen in der Gewissheit, die nächsten Worte würden Lügen sein. Sie wusste es so sicher, als wollte sie sich selbst den nächsten Teil spontan überlegen und aussprechen. Sie spürte, wie er nach Worten suchte, wie er seinen Verstand nach einer überzeugenden Lüge durchforschte. „Ja, ich bin Dante, aber nicht der, für den Sie mich halten. Er war mein Ur-Ur-Großvater.“

„Und er ist hier begraben“, sprach sie seinen nächsten Satz für ihn.

„Es war sein Letzter Wille.“

Sie nickte. „Und warum sind Sie hier?“

„Um Sie zu sehen.“ Er hielt inne, atmete tief ein, und sie spürte, wie er Antworten suchte und erfand. „Ihr Film ist den Wahnvorstellungen des alten Mannes so ähnlich, und als ich herausgefunden habe, dass Sie in seinem Haus leben, das er gebaut hat, wusste ich, dass Sie irgendwie von seinen Fantasien erfahren haben mussten und sie für Ihre Drehbücher benutzen.“

Immer noch stand sie mit dem Rücken zu ihm. Sie drehte sich nicht zu ihm um. Noch nicht. „Sie meinen, das alles ist nicht wahr?“

Er zwang sich zu einem Lachen, eigentlich nur zu einem Atemzug. Es war so falsch; alles in ihr sträubte sich. „Natürlich ist es nicht wahr.“

„Und Sie haben mein Haus betreten, ohne zu klopfen?“

„Ich … wollte gerade klopfen, als ich Ihren Schrei hörte.“

„Von draußen.“

„Natürlich.“

„Und doch haben Sie keinen Alarm ausgelöst, als Sie hereingekommen sind?“

Er sagte nichts. Morgan musste schlucken, nahm all ihren Willen zusammen und drückte den Deckel nach oben. Der Sarg war leer, das weiße Satinfutter mit den Jahren vergilbt. Der Deckel blieb offen stehen, als sie ihn losließ und sich langsam umdrehte, um dem Liebhaber aus ihren Fantasien zum ersten Mal ins Gesicht zu sehen.

Er stand in schwarzen Hosen und einem schwarzen Seidenhemd, das bis zum Kragen geknöpft war, vor ihr, keine Jacke, keine Krawatte. Er war dunkel. Alles an ihm war … dunkel. Leer. Hohl. Sein Gesicht genau so gemeißelt, wie sie es sich vorgestellt hatte, seine Wangen hohl, seine ebenholzschwarzen Augen endlos tiefe Schächte.

Er raubte ihr den Atem. Weil sie ihn liebte. Weil sie auf eine Art an ihn gebunden war, die sie nicht einmal verstehen konnte. Weil er genau so war, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Vertraut. Geliebt. Er gehörte zu ihr.

„Du bist echt“, flüsterte sie.

Schweigend starrte er sie an. Dann spürte sie, wie er sich in ihren Geist stahl. Fühlte, wie er sie glauben machen wollte, dass alles nur wieder ein Traum war, fühlte, wie sehr er wollte, dass sie es glaubte. Sie öffnete die Augen weit und schüttelte energisch mit dem Kopf. „Du bist kein Traum. Das glaube ich einfach nicht.“

„Wie kannst du dir da sicher sein?“

„Es hat keinen Zweck, Dante. Selbst wenn du tun könntest, was auch immer du mit meinem Verstand versuchst – die kaputten Bodenbretter, dieser Raum … Das alles wird immer noch da sein, wenn ich wieder aufwache. Selbst du würdest es nicht schaffen, alle Beweise zu beseitigen, ehe die Sonne aufgeht.“

Er betrachtete sie mit forschenden zusammengekniffenen Augen. „Du bist entweder sehr mutig oder sehr dumm, Morgan. Weißt du nicht, wie wütend du mich gemacht hast? Ich sollte dich umbringen für das, was du mir angetan hast.“

„Dann tu es.“

Der Schock, den ihre Worte in ihm auslösten, entging ihr nicht. Sie ließ sich davon nicht aufhalten. Stattdessen legte sie die Hand an den hohen Kragen ihres Nachthemds und riss es einfach auf. Bis zu ihrer Taille sprangen die Knöpfe ab. Sie legte den Kopf zurück und schloss die Augen. „Tu es, Dante.“

Ihr Puls beschleunigte sich, als sie seine Blicke auf ihrer Kehle spürte. Sie konnte fühlen, wie er zitterte, spürte die Hitze in ihm aufsteigen. Sie wollte etwas, was sie selbst nicht benennen konnte, so wenig Sinn das auch ergab. Sie musste sterben, und zwar bald, wenn man von ihren Krankheitssymptomen ausging. Wenn sie sterben musste, warum dann nicht so, wie er es so erotisch in seinen Tagebüchern beschrieben hatte? Warum konnte sie nicht im Zustand höchster Ekstase sterben, während ihre Lebensgeister sich in ihn ergossen?

Und plötzlich war er ihr ganz nah, hatte die Arme fest um sie geschlungen, ihren Körper an seinen gezogen und sich über sie gebeugt. Sein Mund schloss sich um ihren Hals, und sie flüsterte: „Ja …“ Er biss zu, ohne die Haut zu durchbrechen, und saugte an ihr. Sie presste ihre Hüften an seine und spürte seine Erregung. Noch nie hatte ein solches Feuer in ihrem Körper gelodert wie in diesem Augenblick. Ihre Hände gruben sich in sein Haar, und sie wand und krümmte sich in seinen starken Armen, presste ihren Körper näher an ihn und beugte ihren Hals seinem hungrigen Mund entgegen. Sie spürte seine Lippen warm und feucht auf ihrer Haut. Seine Zunge, die sie streichelte und schmeckte. Das köstliche Stechen seiner Zähne, die sie nur vorsichtig bissen.

Doch dann, plötzlich, entwand er sich ihr und trat mit einem solchen Ruck zurück, dass sie stolperte und auf den Boden fiel. Atemlos blieb sie dort liegen, die Knie unbequem verrenkt, die Arme auf den Boden gestützt, und starrte ihn an. Seine Augen, in denen jetzt ein seltsames Glühen lag, das nicht von der Kerosinlampe zu rühren schien. Sein Gesicht, das den verzerrten Ausdruck einer ungenannten Qual widerspiegelte.

„Du hast ja keine Ahnung, mit was du da spielst, Morgan“, beschwor er sie, die Stimme heiser und brüchig.

„Ich weiß es.“ Ihre Worte waren weniger fest, als sie es sich gewünscht hätte. Ihre Brust hob und senkte sich schnell, weil sie zwischen den Worten nach Atem rang. „Ich kenne dich … besser als jeder andere es je getan hat, Dante … oder es je tun wird.“

Langsam wurde er ruhig. In seinem Blick lagen unzählige Fragen. „Wie kann das sein?“

Sie schloss die Augen und ließ ihren Kopf in den Nacken fallen. Dann beugte sie die Arme und legte sich flach auf den Boden. Mit einem Mal fühlte sie sich so schwach. Es war alles zu viel.

Leise fluchend beugte er sich zu ihr hinab, um sie in seine Arme zu nehmen. Er trug sie fort von diesem Ort, die verfallene Treppe hinauf, und es gelang ihm auch, durch das aufgerissene Loch im Boden zu steigen. „Tut dir etwas weh?“ Er fragte zögerlich, während er sie durch das Haus trug, in dem er sich so gut auskannte.

„Nein.“

„Aber du bist krank“, sagte er überflüssigerweise.

Sie nickte und legte ihren Kopf gegen seine Brust. „Du wechselst das Thema.“

„Tue ich das?“

Sie befanden sich jetzt im Korridor, wo er ohne zu zögern den richtigen Weg in ihr Schlafzimmer fand. Dort legte er sie auf ihr Bett. Noch bevor er sich wieder aufrichten konnte, lagen Morgans Arme schon um seinen Hals und hielten ihn fest. „Willst du wissen, woher ich so viel über dich weiß?“

Über sie gebeugt, ein Knie auf dem Bett, das Gesicht nur eine Handbreit von ihrem entfernt, nickte er. „Ich muss es wissen.“

„Dann liebe mich, Dante, und ich werde dir alles erzählen.“

Ihre Blicke begegneten sich, und sie sah die qualvolle Begierde in seinen Augen. „Das kann ich nicht, Morgan. Du bist zu schwach.“

„Dafür nicht. Niemals.“ Sie hob ihren Kopf von den Kissen, zog sich an ihm hoch und drückte ihre Lippen auf seine. „Bitte.“

Leise stöhnend erwiderte er den Kuss, schob seine Arme unter sie und drückte sie an sich. Seine Zunge fuhr ihre Lippen nach, und als sie den Mund öffnete, drang er in sie ein, um sie zu schmecken. Sein Atem wurde schwerer, schneller, und er gab ihre Lippen frei, um eine Spur hinab zu ihrem Hals zu beschreiben und sie dort zu küssen, wo er es vorher getan hatte.

Er ließ sie los, ließ sie fallen. „Ich kann nicht …“

„Du hast es schon einmal getan. Hast du, ich weiß, es war real. Es war kein Traum. Verdammt, Dante, du hast bei mir gelegen, Nacht für Nacht.“

„Es war nicht echt. Es war in deinem Kopf und in meinem. Es war nicht echt.“

„Dann sorg dafür, dass es echt wird!“

Seine Muskeln waren so angespannt, dass er zitterte, und sein Kiefer war hart wie Stein. Dann blickte er zum Fenster, und sie folgte seinem Blick und merkte, dass der Sonnenaufgang kurz bevorstand. „Erzähl niemandem, was du heute Nacht gesehen hast. Ich schwöre dir, Morgan, wenn du auch nur ein Wort sagst, musst du sterben. Verstehst du? Mir bleibt dann keine andere Wahl.“

„Glaubst du wirklich, ich würde dich hintergehen? Mein Gott, Dante, ich würde nie …“

„Du hast es bereits getan.“

Sie blinzelte verwirrt, bis ihr klar wurde, dass er den Film meinte. „Das ist nicht so, wie du denkst.“

„Du hast der ganzen Welt meine Geheimnisse verraten, Morgan. Einige meiner engsten Freunde sind gestorben, weil du in deinem Film Dinge über mich und meine Art aufgedeckt hast. Deinetwegen werde ich gejagt, jeder meiner Schritte wird von dem Mann verfolgt, der heute Nacht zu dir gekommen ist.“

Sie spürte, wie ihre Augen größer wurden. „Das wusste ich nicht. Ich hätte deine Geschichten nie erzählt, Dante, wenn ich gewusst hätte, dass sie wahr sind. Du musst mir glauben!“

Er stand auf und trat ans Fenster. „Ich muss jetzt gehen.“

Mit letzter Kraft sprang sie aus dem Bett, schwach, fast völlig erschöpft, und klammerte sich an den Rücken seines Hemdes. „Dann komm zurück, Dante, versprich mir, dass du heute Nacht zu mir kommst. Ich werde dir alles erzählen, ich schwöre.“

„Aber vielleicht wartet der entstellte Mann auf mich, wenn ich wiederkomme?“

„Zuerst müsste er mich umbringen …“

Sie fiel auf die Knie, zu schwach, um zu stehen. Ihr Kopf fiel nach vorn, und sie atmete flach. „Ich würde lieber sterben, Dante, als dich zu hintergehen.“ Ihre Worte waren hastig aneinandergereiht und kamen in einem Atemzug, nur ein Ausatmen, nicht einmal ein Flüstern.

„Diese Worte habe ich schon einmal gehört, Morgan.“ Dante kniete sich neben sie, packte sie an den Schultern und hob ihr Kinn, um ihr ins Gesicht zu sehen. Dann zog er sie an seine Brust, hielt sie mit einer Hand dort fest und nahm mit der anderen etwas aus seiner Tasche. Sie sah es aufleuchten, als er es öffnete. Ein kleines, spitzes Messer, wie ein Lederdorn. Er führte es an seinen eigenen Hals, stach zu und stöhnte vor Schmerz auf.

Morgan keuchte. Ihre Blicke hafteten auf seinem sehnigen Hals, als er das Messer fortzog und ein scharlachroter Blutfaden aus der Stichwunde hervorquoll und seine Haut hinabfloss. Sie leckte sich die Lippen. Der Duft stieg ihr in die Nasenlöcher, und in ihren Eingeweiden rumorte eine animalische Lust. Seine Hand war in ihrem Haar, an ihrem Hinterkopf, und zog sie näher an sich, aber sie brauchte seine Hilfe nicht. Sie wusste, was sie brauchte.

Sie vergrub ihr Gesicht in der Kuhle seines Halses, schloss ihren Mund über der Wunde und saugte das Blut aus seinem Körper. Sie zog an der Öffnung, und ihre Zunge schoss hervor, um die Tropfen aufzufangen, die ihren hungrigen Lippen entgingen. Sie labte sich an ihm, bis er sie von sich schob und eine Hand an die Wunde an seinem Hals drückte. Einen wahnsinnigen Augenblick lang kämpfte sie gegen ihn an, drückte sich an ihn, kratzte an seiner Hand und versuchte, mehr von dieser Droge zu bekommen, nach der sie sich so verzehrte. Sie hätte in diesem Augenblick seinen Hals mit ihren eigenen Zähnen aufreißen können, wie ein Wolf. Sie hätte ihn umbringen können.

Es war nicht schwer, sie abzuwehren. Aber als sie ihm ins Gesicht sah, sah sie dieselben gebleckten Zähne, den gleichen unstillbaren Hunger, das gleiche wilde Leuchten in seinen Augen. Oh Gott, er wollte sie auf genau die gleiche Art verschlingen. Wie ein Tier. Ein Raubtier.

Er schleuderte sie fast auf ihr Bett, sprang auf den Balkon und verschwand über die Brüstung. Morgan blieb liegen, halb auf dem Bett, halb auf dem Boden, und atmete schwer. Ihr ganzer Körper war lebendig, kribbelte, ihr Herz schlug lauter und stärker. Sie fühlte sich nicht mehr schwach. Sie fühlte sich lebendig, wie schon viele Jahre nicht mehr.

Das, wurde ihr klar, musste ein Hauch davon sein, wie es sich anfühlte, zu sein wie … wie Dante. Wie ein Vampir.

Ja, sie wollte es. Plötzlich wollte sie es mit aller Macht. Und sie fragte sich, ob sie bereits verwandelt war? Ob es ausreichte, sein Blut zu trinken, um zu dem zu werden, was er war.

Dante eilte so schnell er konnte zu dem Haus, von dem Sarafina gesprochen hatte. Er fand sie dort, unruhig, wie sie auf ihn wartete, doch er rang sich nur einen knappen Gruß ab, ehe er an ihr vorbei in den Keller ging.

Sie folgte ihm natürlich auf dem Fuße. „Wo bist du gewesen? Was hat dich aufgehalten, Dante? Jesus, ist das dein Blut, was ich da rieche?“

„Ein kleiner Unfall.“

„So etwas gibt es nicht!“ Sie packte ihn an der Schulter, um ihn aufzuhalten, aber er bewegte sich einfach weiter, stieg in die Kiste, die sie für ihn vorbereitet hatte, und zog den Deckel über sich zu. Sie hielt den Deckel mit beiden Händen fest, damit er sich nicht vollkommen bedecken konnte, und schimpfte weiter. „Du weißt, wie leicht wir ausbluten, Dante. Was zum Teufel ist passiert, dass du so nachlässig warst?“

„Ich bin unserem vernarbten Vampirjäger begegnet“, erzählte er ihr. Denn wenn sie je die Wahrheit herausfand, würde sie explodieren. Und nichts, nicht einmal die Verbindung zu ihrer Art, würde Morgan dann vor Sarafinas Zorn beschützen. Sie war unheimlich besitzergreifend. Nicht nur, was ihre Sklaven anging, auch bei ihm. Er war ihre einzige Familie. Das bedeutete Sarafina sehr viel.

„Der vernarbte Mann? Er ist in der Stadt?“

„Ja. Sei also vorsichtig.“ Dante zerrte noch einmal an seinem Deckel. „Je eher ich schlafe, desto eher kann der Verjüngungsprozess meine Wunde heilen, Fina.“

Mit einem Seufzen – und offensichtlich immer noch voller Fragen – sicherte Sarafina den Deckel über ihm. Er fand die Riegel, die er von innen vorschieben konnte, und schloss sie. Dann hörte er zu, wie Sarafina sich bettfertig machte und in ihre eigene Kiste stieg.

Er lag ganz ruhig da, schloss seine Augen. Wartete. Länger als sonst dauerte es, bis der Schlaf ihn übermannte. Und selbst dann erschienen immer dieselben Bilder vor seinen Augen. Bilder von ihm – und Morgan. Nackt, umeinandergeschlungen. Sein Körper bis zum Anschlag in ihrem vergraben. Seine Zähne, die in ihr Fleisch sanken. Ihr Blut, das in seinen Körper floss. Gott, wie er sie wollte. Er wollte jeden Teil von ihr besitzen. Ihre Seele. Ihr Fleisch. Ihr Blut.

Und er wusste, es würde jetzt noch schlimmer sein. Sie hatte nicht nur einmal, sondern zweimal von ihm getrunken. Er hatte von ihr gekostet, und er wusste genau, er würde es wieder tun, wenn er nicht unglaublich vorsichtig war. Wenn er sich mit ihr vereinigte, würde er auch von ihr trinken. Sie vielleicht aussaugen. Er würde sich selbst nicht aufhalten können. Und in ihrem geschwächten Zustand würde er sie umbringen. Er würde sie umbringen.

Um alles in der Welt, er wollte Morgan De Silva nicht umbringen. Er wollte … er wollte sie lieben.

Schade nur, dass er nicht dazu in der Lage war, irgendwen zu lieben.