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VOM WOHNZIMMER IN STELLA BROOMES Reihenhaus sah man auf die gegenüberliegende Straßenseite, auf einen Waschsalon und ein chinesisches Restaurant mit Straßenverkauf namens Mr. Wong and Son.
Jury saß in einem der zwei Sessel auf einem Schonbezug mit verblichenem Chrysanthemenmuster. Der Vorleger war in der Mitte und an den Ecken mit Rosengirlanden verziert. Die Tapete bestand aus einer endlosen Wiederholung von Pagoden, römischen Säulen und hängenden Gärten, über deren Mauern sich Rosen und Glyzinien rankten. Stella Broomes Schürze war mit Kamelien bedruckt, und der Aschenbecher in ihrem Schoß roch nach Holz. Aus der Art, wie sie beim Inhalieren trocken hüstelte, schloß er auf ein beginnendes Emphysem. Er war froh, daß Wiggins jetzt nicht dabei war und sah, wie sie sich die nächste Zigarette am Stummel der gerade gerauchten anzündete. Sie war zwischen fünfzig und sechzig, übergewichtig, und ihr Aussehen war ihr gleichgültig. Ihr Gesicht war rund, die Haut straff und ein wenig fettig, so daß sich das Kamelienmuster der Schürze darin spiegelte.
Es war schon deprimierend – dieser tote Garten von einem Zimmer, und wie um zu betonen, daß nichts atmete oder sich rührte, stand hier und dort, auf Tischen und Kaminsims, eine Vase mit Plastik-, Papier- oder Trockenblumen.
Stella Broome sprach über den Tod ihrer Tochter: «Ich hab’s ihr ja immer wieder gesagt. Hab ihr gesagt, daß sie noch mal Ärger kriegt durch dieses Per-Anhalter-Fahren. Aber sie wollte ja nicht auf mich hören, die doch nicht.» Sie schüttelte den Kopf und griff wieder nach ihrem Sherryglas.
Daß sie über den Tod sprach, als habe die Tochter damit gegen ein elterliches Verbot verstoßen, erschien Jury wie der Versuch, die Tatsache zu verdrängen und die Tochter wieder zurückzuholen – etwas spät vielleicht, vielleicht auch besoffen, aber immerhin.
«Nein, ich kann Ihnen nicht helfen. Ich weiß nur, daß Sheila am Morgen zur Arbeit gegangen ist und gesagt hat, daß sie ’ne Mitfahrgelegenheit nach Bristol hat.»
«Nach unseren Ermittlungen sieht es nicht so aus, als hätte sie dort jemanden gekannt», sagte Jury.
«Oh, das hätte Sheila nicht gestört. Sie wollte einfach nur weg. Sie wollte schon immer weg.» Stella Broome goß sich ein weiteres Glas ein und zog ein Papiertuch aus der Schachtel, die neben einem silbergerahmten Foto von Sheila stand.
«Was wissen Sie über ihre Freunde, Mrs. Broome? Über den Burschen, mit dem sie ging, zum Beispiel.»
«Ich hab der Polizei das alles schon mal erzählt. Dieser Commander oder wie immer er sich auch nennt …»
«Divisional Commander.» Jury mußte lächeln. So wie sie redete, klang es, als hätte Macalvie einen Dienstgrad nach dem anderen aus dem Hut gezaubert.
«Wie auch immer. Belästigung nenn ich so was.» Sie zündete sich wieder eine Zigarette an.
«Divisional Commander Macalvie ist sehr gründlich. Und manchmal sieht das vielleicht nach Belästigung aus …» Und manchmal ist es das auch, dachte er. «… aber bekanntlich vergessen Zeugen manchmal Details, die ihnen möglicherweise wieder einfallen, wenn man ihnen die Fragen noch einmal stellt.» Vor allem, wenn sie beim erstenmal gelogen haben. Wenn Jury auch nicht unbedingt glaubte, daß die Mutter log.
«Vielleicht», sagte sie. Es klang zweifelnd. «Da wäre der Gerald, Gerald Fox. Das war sozusagen ihr Freund.» Sie schniefte. «Obwohl ich sagen muß, er war ihretwegen fix und fertig …» Stella Broome preßte sich das zerknüllte Papiertuch an den Mund, um einen Tränenerguß zuvorzukommen.
Vielleicht lag es an dem vielen Sherry, dachte er, aber vielleicht trug der auch nur dazu bei, aufgestaute Gefühle freizusetzen. Er fragte sich, ob sie durch die vielen Blumen in der Wohnung nicht unbewußt Gefühle ausdrücken wollte, die sie ansonsten unterdrückte. Stella Broome hielt sich wahrscheinlich etwas auf ihre Härte zugute. Bestimmt war sie ihr Leben lang einsam gewesen. Vielleicht benötigte sie all ihre Kräfte, um sich gegen diesen neuen Anschlag zu verteidigen. Deshalb auch ihre bissige Kritik.
«Ob ich wohl ein bißchen von dem Sherry haben könnte?» fragte Jury. Auf diese Weise konnte er ihr ein wenig Gesellschaft leisten. Er schenkte ihr ein und ging in die Küche, um sich ein zweites Glas zu holen. So blieben ihr ein paar Minuten zum Heulen, ohne von Scotland Yard angestarrt zu werden.
«Danke.» Sie schneuzte sich die Nase. «Weiß gar nicht, was über mich gekommen ist.»
«Tun Sie sich keinen Zwang an, Mrs. Broome.» Innerlich mußte er lächeln. Er redete schon wie Wiggins. Er fragte noch einmal nach Gerald Fox und spürte, daß er sich nur wiederholte. Macalvie hätte sie viel gründlicher bearbeitet.
«Ja, nun ja, er war Sheila völlig ergeben, und sie hat ihn behandelt, als wär er Luft. Tat mir manchmal leid, wirklich. Nur deswegen ist sie immer nach London gefahren – um ihn eifersüchtig zu machen. Oh, ich weiß, daß das wahrscheinlich alles gelogen war, die Männer, mit denen sie angeblich ausgegangen ist. Ein alter Kerl mit ’nem Haufen Geld, den sie immer ihren Sugar Daddy nannte – das war der eine. Sie sagte, er würde in seinem Superschlitten hier vorbeikommen und sie abholen. Wer’s glaubt. Dann war da noch ein Tänzer aus irgendeinem West End-Musical, sicherlich schwul und …»
Jury unterbrach sie. «Hat sie je einen Namen erwähnt?»
«Guy Soundso. Das war der Tänzer. Er hatte ein tolles Auto, irgendeine ausländische Marke. Alle von denen hatten tolle Autos, von denen Sheila ganz hin war. Tolle Autos und tolle Männer, das war ihr Stil. Na schön, sie hatte keinen Führerschein. Das heißt, sie haben ihn ihr wegen Trunkenheit am Steuer weggenommen. Wenn Sie mich fragen: Die hatten schon recht. Wird sowieso zuviel getrunken heutzutage.» Traurig blickte sie auf ihr Glas. Vielleicht dachte sie, daß sie selber nicht das beste Vorbild gewesen war, daß sie Sheila vielleicht selber vom geraden und schmalen Pfad der Tugend abgebracht hatte. «Hätt ich wieder geheiratet, war sie vielleicht nicht so wild geworden. Es braucht schon einen Mann, um so einem Mädchen den Kopf zurechtzusetzen. Alle diese Männer hätten sie umworben, sagte sie …»
Stella Broome drückte sich die Fingerspitzen an die Stirn, als bekäme sie von den Erinnerungen Kopfschmerzen. Schließlich schüttelte sie den Kopf. «Ich weiß nur, daß Sheila ständig von diesen Kerlen geredet hat, wahrscheinlich auch vor Gerald, um ihn eifersüchtig zu machen. Ich weiß nicht mal, ob sie die Wahrheit gesagt hat. Warum sollte denn irgend so ein reicher Mann um Sheila rumscharwenzeln?»
Jury sah auf das Foto, das neben der Sherryflasche stand. «Sie war sehr hübsch.» Auf eine nuttige Art, fand er. Zuviel Make-up, gebleichtes Haar. Wie hatte Macalvie gesagt – «wasserstoffblond»? Jury runzelte die Stirn. «Sie haben von einem älteren Mann gesprochen. Was hat sie von ihm erzählt?»
«Von ihm? Ich weiß nicht mehr genau. Wenn sie damit anfing, hab ich manchmal einfach abgeschaltet. All diese Männer, die sie angeblich am Gängelband hatte.» Ihre Stirn furchte sich vor lauter Anstrengung, und sie hörte abrupt auf zu schaukeln. «Dieser Lkw-Fahrer, der sie mitgenommen hat. Den haben sie gehen lassen.» Stella Broome drückte das Taschentuch wieder unter die Nase und zitterte.
«Eine Kellnerin vom Little Chef hat sie aus dem Führerhaus aussteigen und den Sattelschlepper wegfahren sehen. Divisional Commander Macalvie war froh, daß der nichts damit zu tun hatte.»
«Nun ja, es ist vorbei. Ich weiß nicht, warum die Polizei das jetzt alles wieder aufrührt. Irgendein Wahnsinniger hat sie mitgenommen. Irgend so ein Wahnsinniger.»
«Ja, das ist durchaus möglich. Aber ich will Ihnen sagen, warum wir nicht lockerlassen, Mrs. Broome. In London wurde eine Frau getötet, und zwar auf die gleiche Weise wie Ihre Tochter, mit ihrem eigenen Schal.»
Abrupt hörte sie auf zu schaukeln. «Meine Güte, das ist ja schrecklich. Glauben Sie, daß es der gleiche war?»
«Wegen der Methode wäre das schon denkbar.»
«Aber dann muß es ja so sein, wie ich gesagt habe. Ein Verrückter.»
«Hat Ihre Tochter je einen gewissen David erwähnt?»
«Nicht daß ich wüßte.» Sie hatte noch ein- oder zweimal zu tief in die Sherryflasche geguckt. Inzwischen war sie bei ihrem vierten oder fünften. Die Worte klangen undeutlich, als sie sagte: «Glaube nicht, daß sie den Namen jemals erwähnt hat.» Stella schien die Tapete über Jurys Schulter zu studieren, machte vielleicht gerade einen imaginären Spaziergang durch ihren botanischen Garten.
Er wartete einen Augenblick, um zu sehen, ob ihr noch etwas einfiel. Doch sie schien sich trinkend in den Schlaf zu schaukeln. Ihr Kopf nickte wie eine Blume auf dem Stengel. Er stand auf und sagte: «Ich werde jetzt wohl besser gehen, Mrs. Broome. Wenn Sie sich noch an was erinnern sollten, was es auch ist, melden Sie sich bitte.»
Ihr Kopf fuhr in die Höhe, und sie schüttelte sich. «Ja.» Sie stand mit großer Mühe auf und hielt sich an der Sofalehne fest. «Aber diesen Commander oder wie er auch heißt, den ruf ich nicht an.» Auf dem Weg zur Tür riß sie die Trockenblumen vom Tisch und wischte mit den Fingern darüber, um sie abzustauben. «Wo kann ich Sie erreichen?»
Jury reichte ihr seine Karte. «New Scotland Yard. Rufen Sie einfach diese Nummer an, Mrs. Broome.»
Sie schien ihn jetzt mit dem gleichen Widerwillen gehen zu lassen, mit dem sie ihn empfangen hatte. Immer wieder starrte sie auf seine Karte, als wäre sie möglicherweise ein Glücksbringer.
Er ließ sie nicht gerne allein, aber er konnte schließlich nicht den ganzen Tag hierbleiben. Und dann gäbe es ja auch immer noch einen nächsten Tag, dem man ins Auge blicken mußte. Jury sah sich im Zimmer um, sah die getrockneten Sträuße, die ummauerten Gärten. Bruchstücke aus einem Gedicht fielen ihm ein … Schweig still, die hängenden Gärten sind ein Traum … weht über persischen Rosen, weht und küßt … Auf was hätte «küßt» sich gereimt? Er konnte sich nicht erinnern, aus welchem Gedicht die Zeilen stammten oder wem dieser Kuß galt. Einer Königin, dachte er. Die Sheila Broome gerne gewesen wäre, vielleicht.
«Ihre Tapete gefällt mir. Sie ist sehr … hübsch», fügte er lahm hinzu, weil ihm einfach kein besseres Wort einfiel. «Auf Wiedersehen, Mrs. Broome. Und vergessen Sie nicht anzurufen. Sie haben mir sehr geholfen.»
Auf dem Bürgersteig blickte er zurück. Immer noch stand sie da und umklammerte ihren unechten Strauß. Ob die junge Stella damals ihren Brautstrauß wohl so umklammert hatte? Wahrscheinlich hatte sie das Glück eines solchen Tages vergessen. Und Sheila würde dieses Glück nie mehr erleben.
SERGEANT WIGGINS SASS IN Macalvies Büro und trank eine Tasse Tee, als Jury hereinkam.
«Wo ist er?» Jury wies mit einem Kopfnicken auf den Schreibtisch, der groß wie ein See war und auf dem Stöße von Papier, Schreibzeug und Akten schwammen.
«Im gerichtsmedizinischen Labor», sagte Wiggins. «Um sich mit einer Person namens Thwaite zu unterhalten.» Er schniefte und zerrte ein Bettlaken von einem Taschentuch hervor. «Bin nur froh, daß ich nicht Thwaite heiße.»
«Da sind wir schon zu zweit.» Jury lächelte und nickte in Richtung Tür. «Kommen Sie, sehen wir mal nach ihm.»
Ein uniformierter Polizist führte sie zum Labor, das am Ende eines Korridorlabyrinths lag.
Sobald sie durch die Schwingtüren des letzten Korridors getreten waren, wurde die Führung überflüssig. Jury folgte einfach einer Stimme, die sich beim Näherkommen allmählich in eine wüste Schimpfkanonade hineinsteigerte.
Thwaite war gar kein er, erkannte Jury, als er durch das verglaste Viereck in der Tür blickte. Die Frau reichte Macalvie kaum bis zu den Schultern, aber offensichtlich zielte sie nach seiner Schläfengegend, so wie sie ihm das Mikroskop hinhielt.
Obwohl er nicht besonders groß war, gelang es Macalvie, fünfzehn Zentimeter an Höhe und Umfang zuzulegen, als er sich wie ein Felsblock vor dem Objekt seiner Mißbilligung – vermutlich Sergeant Thwaite – aufbaute. Bei der Spannung, die im Zimmer herrschte, wäre die Tür beim Anklopfen wahrscheinlich aus den Angeln gesprungen, also machte Jury sie einfach auf und hörte, wie sich der Divisional Commander über irgendeinen Ex ausließ.
Oder vielmehr Exe, wie Jury jetzt begriff.
«… sich hier hinstellen und es mir den ganzen Tag wiederholen, Gilly. Wir haben ihn aus dem Exe gezogen, aber er lag nicht in dem Scheiß-Exe, als er starb …» Macalvie drehte sich ein wenig zur Seite, entdeckte Jury, nickte ihm gleichgültig zu und setzte den Streit wieder fort.
«Könnte ich das wohl jetzt wieder zurückhaben», sagte Gilly Thwaite und griff nach dem Mikroskop, das Macalvie ihr entrissen hatte. «Glauben Sie, der steht noch mal auf und salutiert?»
«Sie gehören nicht zur Spurensicherung, Gilly.»
«Sie ebensowenig», schnauzte sie.
Jury verlieh Thwaite einen goldenen Orden für ihre Courage. Sie hatte braune Korkenzieherlocken und rauchgraue Augen, wobei der Rauch zweifellos von dem Feuer in ihrem Innern stammte. Einen Arm hatte sie auf den schwarzen Marmor des Labortisches gelegt und die Hand zur Faust geballt, als könne sie es kaum erwarten, ihm einen Schlag zu versetzen. Als sie den Mund öffnete, starrte Macalvie darauf wie ein Zahnarzt, der seinen Bohrer ansetzen will.
Er wandte sich an Jury. «Verschwinden wir von hier. Ich brauche einen Drink», sagte er und zog Wiggins mit sich fort, nicht so sehr mit der Hand, die er ihm auf die Schulter gelegt hatte, als durch die Luft, die in das Vakuum nachströmte, das der Divisional Commander hinter sich zurückließ. Er drehte sich noch einmal zu Sergeant Thwaite um. «Würden Sie vielleicht Waliman einfach seinen Job machen lassen? Wie er es immer getan hat», fügte Macalvie sotto voce hinzu.
Gilly Thwaite, die sich wieder über ihr Mikroskop gebeugt hatte, blickte auf. «Dann müssen Sie eben ohne mich auskommen.»
«Was für eine Klappe! Wenn sie ihre Zunge mal irgendwo parken würde, dann garantiert im Halteverbot», sagte Macalvie.
DAS PUB BEFAND SICH in der Altstadt von Exeter in einem der Tudor-Gebäude, die den Rasen und die Kathedrale umgeben. Die kurze Fahrt im Polizei-Cortina verkürzte ihnen Macalvie – während er von Bordkante zu Bordkante prallend das alte Exeter umrundete – mit diversen Klagen und Verwünschungen. Seit zwei Tagen habe er nichts mehr gegessen (Jury glaubte es ihm). Er würde kündigen und nach Amerika auswandern (das nahm er ihm nicht ab) und sich eine Detektivlizenz besorgen (dito). «Sie haben zu oft den ‹Malteser Falken› gesehen, Macalvie», sagte Jury, als sie die Tür zum Black Swan aufstießen.
MACALVIE SPÄHTE DURCHS GLAS der Vitrine mit den warmen Mahlzeiten und bat das Mädchen, ihm einen Teller mit Kartoffelauflauf, Würstchen, Erbsen und Brot zu geben. Er inspizierte den Teller, um zu sehen, ob noch etwas mehr draufpaßte, und sagte dann: «Wollt ihr auch was? Die kochen hier ganz gut.»
Jury schüttelte den Kopf. Wiggins bestellte einen Käsetoast. Als er danach auf Macalvies gehäuften Teller sah, schüttelte er den Kopf. «Sie brauchen Ballaststoffe. Grünen Salat. Wahrscheinlich sind Sie auch so wie er.» Wiggins nickte zu Jury hinüber. «Tagelang nichts Gescheites im Magen und dann alles auf einmal wieder gutmachen wollen und sich mit den falschen Sachen vollstopfen.»
«Nennen Sie einen Käsetoast was Gescheites?» Dennoch blickte er zweifelnd auf seinen Teller und reichte ihn noch einmal zurück, um sich etwas Salat geben zu lassen. Jury ging ans andere Ende der Theke, um Getränke zu holen, und dachte sich, daß sie einen gemeinsamen Vorfahren haben mußten. Macalvie, der von niemandem außer dem Erzengel Gabriel einen Rat akzeptierte, nahm Wiggins’ Gesundheitsappelle in der Regel nur mit großem Vorbehalt hin.
Als Jury sich an den Tisch setzte, stritten sie gerade über Salz. «Bluthochdruck, pfeife ich drauf.» Macalvie schneite seinen Kartoffelauflauf mit einem halben Dutzend heftiger Schüttelbewegungen ein. «Also, was hat Stella Broome gesagt?» Er grub eine kleine Vertiefung in seinen Auflauf.
«Nichts, was Sie nicht schon wissen, nehm ich an. Sie erzählte von Sheilas Freunden, einem gewissen Gerald Fox, Guy Soundso und weiteren anonymen Typen. Leider setzte es bei Stella öfter aus, wenn sie erzählte. Was ist mit diesem älteren Mann, den Sheila ihren Sugar Daddy nannte?»
«Fehlanzeige, Jury. Offenbar gab’s da einen älteren Blonden – alt heißt doppelt so alt wie sie selber. Ich habe Vera, das ist die, die sie immer besucht hat, darauf angesprochen. Leider hat Vera sich nicht viel aus Sheila gemacht, meinte, sie wäre eine Schnorrerin und sie habe Sheila auch nicht immer zugehört, wenn die was erzählt habe. Aber sie hat ihn mal neben seinem Wagen stehen sehen. Eins von diesen Jaguar XJ6-Modellen. Sie wissen, die mit den vierzehn austauschbaren Dächern, die sie uns Polypen anbieten. Aber wir konnten den Burschen nicht ausfindig machen.»
Macalvie schüttelte den Kopf und schüttete noch mehr Salz auf sein Essen. «Steht alles in den Akten. Wir haben uns mit zwei-, dreihundert Leuten unterhalten. Verwandten, Verwandten von Verwandten. Freunden, Freunden von Freunden. Nichts.»
Wiggins träufelte zwei, drei Tropfen einer neongelben Flüssigkeit in sein Bier. «Könnte dieser Lkw-Fahrer, dieser Riley, sie später nicht doch noch mitgenommen haben …?»
Macalvie beobachtete fasziniert die herunterfallenden Tropfen und sagte: «Der Fahrer war es nicht. Es gab keinerlei Anzeichen, daß in diesem Gehölz ein Lkw gestanden hat … Wiggins, was ist das eigentlich für ein Zeug?»
Das Bier hatte eine seltsame Farbe angenommen. «Ich hab es auf der Brust.» Er hustete und schlug sich mit der geballten Faust auf die Brust.
«Wahrscheinlich ein Marsmännchen», sagte Macalvie und wandte sich wieder seinen Würstchen zu. «Die Kellnerin sagte, daß er Sheila, gleich nachdem sie aus dem Little Chef kamen, am Straßenrand abgesetzt hat. Diese Higgins hat bestimmt nicht gelogen und ist offensichtlich sehr aufmerksam. Auch wenn sie das Foto von David Marr, das wir ihr gezeigt haben, nicht identifizieren konnte. Jedenfalls nicht mit letzter Sicherheit ja oder nein sagen konnte. Bloß, daß er ihr ‹irgendwie bekannt› vorkam. Das ist schon mal ein Ausgangspunkt. Nur, daß ihr dann der Constable, den ich zum Kaffeeholen reinschickte – er ist ebenfalls groß und dunkel wie Marr – auch irgendwie bekannt) vorkam. Ich glaube, sie war zu sehr darauf erpicht, uns zu helfen.»
Wiggins ließ den gelben Tropfen rosa Kristalle folgen, die er vorsichtig aus einer kleinen, weißen Tüte ins Bier klopfte. «Offensichtlich sind Sie überzeugt, daß es jemand war, der Sheila gekannt hat. Dieses Schweigen im Café könnte bedeuten, daß sie sich gestritten hatten und der Streit in dem Moment, als sie ins Führerhaus stieg, wiederaufgeflammt ist.» Er trank sein Bier, das einen kitschigen, ins Gelbliche spielenden Rosaton angenommen hatte.
«Was haben Sie eigentlich, Wiggins, die Pest? Ja, sie haben sich gekannt. Ich behaupte weiterhin, daß sie sich gekannt haben.»
«Der Schal sieht mir nicht nach einem vorbedachten Plan aus, Macalvie. Es klingt eher nach spontaner Eingebung.»
Macalvie zuckte die Achseln. «Nicht, wenn er wußte, daß sie immer einen trägt. Das tun ja die meisten Frauen. Aber egal, glauben Sie, daß er vielleicht noch was anderes dabei hatte? Ein Messer oder eine Schußwaffe?»
Jury schüttelte den Kopf. «Wie ich schon sagte, es könnte sein, daß Sheila einfach zur falschen Zeit am falschen Ort war.»
«Das klingt so, als sei es eben Schicksal, Jury. Ich glaube nicht daran, daß unser Schicksal in den Sternen steht.»
«Soll aber vorkommen.»
«Nicht in Devon.» Macalvie lächelte.