12

DAVID MARR WAR IN DER BIBLIOTHEK und bereits um zehn Uhr morgens dabei, sich zu betrinken. Er stand neben einer Kommode aus Lack und Goldbronze, die aussah, als sollte sie eigentlich eher in einem Museum stehen, statt als Bartisch zu dienen.

Tatsächlich sah die ganze Winslow-Bibliothek danach aus, als hätte Marshall Trueblood hier selig seinen Geist aushauchen können. Wenn das Haus von außen auch bedrückend öde gewirkt hatte – unbehauener Granit überragte mit all seiner mittelalterlichen Schwere dichtes und verknäultes Gehölz –, so fand sich in der Bibliothek nichts mehr von dieser Schlichtheit. Ein italienischer Marmorkamin wurde von Wandverkleidungen in Basreliefs flankiert, die Polstermöbel waren mit italienischem Brokatsamt bezogen, die Tapeten und Vorhänge von William Morris entworfen. An den Wänden hingen Familienporträts, Ölgemälde, Aquarelle, belgische Wandteppiche. Melrose hätte gern mehrere Stunden mit diesen prächtigen Bänden in den Bogennischen verbracht und noch ein paar Stunden, um die Gemälde und Porträts zu studieren. Neben einer belgischen Tapisserie hing etwas, das nach einem Pissaro aussah und daneben ein Millet, die freundliche und friedliche Darstellung eines reetgedeckten Wirtshauses, recht ansprechend, dachte er, trotz seiner momentanen Zweifel, ob reetgedeckte Gasthäuser überhaupt etwas zum allgemeinen Glück auf der Welt beitrugen.

David Marr hielt eine Flasche Wodka hoch. «Haben Sie Lust auf ein Salzwasser?» sagte er, sobald man sie einander vorgestellt hatte.

Melrose lächelte. «Nie davon gehört.»

«Zwei Teile Wodka, genausoviel Ginger Ale und einen Schuß Grenadine.»

Er goß die doppelte Menge Wodka in sein Glas. «Hat was Romantisches an sich, erinnert mich ans Meer. Natürlich» – er stellte die Flasche wieder ab – «lasse ich die Grenadine weg. Eigentlich laß ich auch das Ginger Ale weg. Wollen Sie wirklich keinen? Ned? Lucinda?»

«Nein, danke», sagte Edward Winslow. «Wie ich sehe, trinkst du keinen Brandy mehr.»

David Marr sank auf eins von zwei Queen-Anne-Sofas und glitt auf dem Rücken lehneabwärts. Er war ein attraktiver Mann und sah seinem Neffen ähnlich, obwohl er von den Farben her ein anderer Typ war. Edward war blond, er dunkel, seine Augen glitzerten schwarz und intensiv, Splitter vom Nachthimmel. Zu intensiv, um das betrunkene Playboy-Gehabe glaubhaft zu machen, und das Herumlümmeln auf dem Sofa zeugte nicht gerade von Selbstbewußtsein.

Während er sich mit äußerster Konzentration einen Drink abmaß, meinte er: «Lucinda hat erzählt, Sie wohnen im Mortal Man. Und nun sind Sie hier und immer noch am Leben und können uns darüber berichten.» Er stellte die Flasche ab, wandte sich um und lächelte Melrose an.

«Ich lebe tatsächlich noch. Werden die Warboys eigentlich nicht laufend beschimpft oder verklagt oder sonst was? Bis jetzt bin ich dreimal knapp einer Katastrophe entgangen – mein Teppich hätte fast Feuer gefangen, mein Koffer ist auf mich gestürzt, und das Frühstück ist auf meinem Schoß gelandet. Dieses Haus ist ein Minenfeld. Aber die Warboys bewältigen das alles spielend und machen unerschrocken weiter.»

«Bis jetzt hat sie meines Wissens niemand verklagt», sagte Lucinda. «Aber ich glaube nicht, daß sie viele Übernachtungen haben. Wie wär’s denn jetzt mit einem Kaffee?»

«Ja, gern. Was die Gäste angeht: Sie haben sie ja vielleicht reingehen sehen. Aber haben Sie sie auch wieder rauskommen sehen?»

David lachte und fragte dann Edward: «Wo zum Teufel bleiben die Dienstboten?»

«Bunbury besuchen», sagte Ned Winslow lächelnd.

«Wen bitte?»

«Wer ist Bunbury?» fragte Lucinda.

«Bunbury war Swinburnes legendärer alter Freund. Erinnert ihr euch nicht? Jedesmal, wenn er aus London weg wollte, sagte er, der alte Bunbury sei krank. Ich sollte mich aber wohl nicht beklagen, ich mache es ja genauso. Hauptsache weg aus London. Vermutlich hat Lucinda Ihnen erzählt, was passiert ist.» Er sah Melrose an, stand wieder auf und steuerte auf den Wodka zu. «Ich bin der Polizei gern bei ihren Nachforschungen behilflich» – er lächelte –, «aber es wird allmählich lästig. Wenn nicht sogar gefährlich.»

«Es gibt keinerlei Beweise, David», sagte Lucinda. «Bis jetzt haben sie nichts gefunden.»

Davids Hand mit der Brandykaraffe verharrte mitten in der Bewegung: «Dieses ‹bis jetzt› klingt ja ganz nett. Aber der Gedanke, daß sie morgen vielleicht in ganz Hays Mews meine Fingerabdrücke finden, ist nicht gerade beruhigend.»

«Das passiert ja auch nicht», sagte Ned kurz und ging zum Kamin, um das Feuer zu schüren. Er wandte sich um, legte den Arm auf den grünen Marmor und nahm eine ähnliche Haltung ein wie auf dem darüberhängenden Porträt. Es war ein Porträt von allen drei – die Frau darauf ähnelte David Marr so stark, daß sie seine Zwillingsschwester hätte sein können. Melrose konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, was das Gemälde so überzeugend machte: Vielleicht das, was es über das Verhältnis der drei zueinander aussagte. Melrose fragte sich, wo der Ehemann abgeblieben war. Vielleicht hatte St. Clair recht. «Das passiert schon deshalb nicht, weil du nichts damit zu tun hast», sagte Ned.

«Wenn die Polizei das auch nur so sehen würde.»

«Wird sie schon.»

David rollte seinen Kopf an der Sofalehne abwechselnd nach links und rechts und seufzte. «Na ja, kein Grund zur Sorge. Es ist nur verdammt lästig, wenn sie dir verbieten, das Land zu verlassen. Warum will man auch immer dann gerade raus, wenn es verboten ist? Warum hat man gerade dann immer den Drang, nach Monte Carlo oder in den Himalaja zu reisen, wenn jemand darauf besteht, daß man zu Hause bleibt? Warum bloß?»

«Der Himalaja könnte dir ja vielleicht ganz guttun. Aber als du das letzte Mal in Monte Carlo warst, mußte Mutter dir Geld schicken.»

Ned Winslows Stimme klang äußerst gutmütig. Melrose hatte den Eindruck, als sähe jeder dem anderen sämtliche Schwächen nach.

David zuckte die Achseln. «Vielleicht sollte ich auch mal Bunbury besuchen. Übrigens hat Marion sich hingelegt. Sie fühlt sich nicht wohl. Hoffentlich nicht meinetwegen. Wo bleibt der Kaffee, Lucinda?»

Lucinda ging und tat, worum man sie gebeten hatte. Edward ging hinter ihr her, um ihr zu helfen. Melrose wunderte sich, wie sie sich einbilden konnte, bei diesem Mann, der ihren Rücken jetzt ohne ein Fünkchen von Interesse betrachtete, eine Chance zu haben. Es war wirklich ein Jammer. Edward und Lucinda schienen durchaus zusammenzupassen, wenn er sich auch fragte, was «Passen» damit zu tun hatte. Die Liebe war schließlich kein gutgeschnittener Anzug.

«Lucinda hat mir erzählt, Sie seien eine ziemliche Kapazität auf dem Gebiet der französischen Romantik.» Er lächelte. «Von der ich keine blasse Ahnung habe. Aber wußten Sie, daß Edward ein Dichter ist.» David erhob sich mit seinem Glas. Diesmal jedoch steuerte er die Bücherregale und nicht die Kommode an. Er zog einen Band heraus, den Melrose als ein Werk Edward Winslows wiedererkannte. «Sie sollten es lesen.»

«Hab ich schon. Lucinda hat mir das Exemplar gegeben, das, wie ich fürchte, für Pearl St. Clair gedacht war.»

David lachte. «Ich bin überzeugt, Pearl hatte nichts dagegen. Da muß sie wenigstens mal nicht so tun, als ob sie lesen könne.» Er blätterte im Buch und sagte: «Sie sind so einfach, diese Gedichte von Ned. Wahrscheinlich bedeutet das, daß sie altmodisch sind oder so was. ‹Wohin bist du gegangen, Elizabeth Vere …›» David klappte das Buch zu, stellte es wieder zurück ins Regal und ging zur Lackkommode. «Ned ist nicht besonders glücklich. Er sollte wieder heiraten.»

«Ich bin etwas überrascht, daß Sie das als eine Art Mittel zum Glücklichsein betrachten.» Melrose lächelte. «Wenn die St. Clairs auch nicht tratschen wollten, so haben sie mich doch beiläufig wissen lassen, daß Ihr Neffe einmal verheiratet war … mit einer Frau, die …»

«Nicht besonders verläßlich war. Nein, auf Rose war überhaupt kein Verlaß.» Sein Lächeln war jetzt entschieden frostig, ein Riß im Eis. «Ned ist ein tiefes Wasser. Ganz anders als ich. Ich bin ungefähr nur so tief.» Er hielt die Flasche mit dem verbliebenen Schluck Wodka hoch.

«Oh, ich würde sagen, Sie haben ziemlich viel Ähnlichkeit miteinander.» Melrose blickte hinauf zum Porträt über dem Kaminsims. «Der Künstler, der das gemalt hat, scheint das auch so empfunden zu haben.»

«Paul Swann. Er kennt uns schon ziemlich lange, aber eigentlich sehe ich das nicht auf diesem Bild.»

«Ist er ein Freund von Ihnen?»

«Ja. Er wohnt in Shepherd Market in meiner Nähe. Paul war in dieser Nacht im Running Footman. Bloß war er, glaub ich, schon weg. Wenn meine Erinnerung nur nicht so getrübt wäre von dem da» – er hielt sein Glas hoch –, «dann wäre alles leichter. Glücklicherweise ist da noch dieses Telefongespräch mit meiner Schwester.»

Glücklicherweise, dachte sich Melrose.

 

Nach dem Kaffee standen sie in der Eingangshalle, inmitten von riesigen, mit Walnußholz vertäfelten Wandflächen und vor einer weitausschwingenden Treppe. Ned Winslow sollte Melrose zum Mortal Man zurückbringen. Lucinda sollte bleiben und David Gesellschaft leisten. Die einzige Gesellschaft, auf die David jedoch Wert zu legen schien, war die neue Wodkaflasche, die er entdeckt hatte.

Die Treppe herunter kam die Frau aus dem Porträt. Sie war groß und dunkel wie ihr Bruder und trug ihr mahagonifarbenes Haar lose zu einem Knoten verschlungen. Ihr Morgenmantel war aus tiefdunkelbraunem Samt.

Wenn das die arme Marion war, sprach ihre Erscheinung vor allem für die adelnde Wirkung des Unglücks.

 

Sie deutete eine Verneigung in Melroses Richtung an und entschuldigte sich dafür, daß sie nicht früher heruntergekommen sei. «Ich hatte fürchterliche Kopfschmerzen, Mr. Plant. Ich hoffe, Sie verzeihen mir.» Die Art, wie sie auf der Treppe stehenblieb, bestätigte ihre Absicht, so schnell wie möglich wieder hinaufzugehen. Dennoch erschien sie Melrose eher reserviert und zurückhaltend als kalt. Und sehr gut erzogen. Schließlich hätte sie ja überhaupt nicht herunterzukommen brauchen. Es hätte gereicht, wenn sie nur ihr Bedauern oder auch gar nichts hätte verlauten lassen. Er glaubte, daß sie Lucinda einen frostigen Blick zugeworfen hatte, wahrscheinlich weil sie ihren Sohn überhaupt erst dazu gebracht hatte, diesen Fremden einzuladen.

Melrose wünschte sich, sie bliebe länger. Er hätte sich gerne einen genaueren Eindruck von ihr verschafft, was vermutlich auch genau der Grund war, warum sie bald wieder verschwand. Unter den gegebenen Umständen dachte sie wohl, je kürzer die Bekanntschaft, um so besser.

«Meine Güte, Marion», sagte David, «warum gibst du den beiden Faulenzern frei, wenn dir nicht gut ist?»

Sie lächelte, doch auch das Lächeln konnte nicht bewirken, daß sich ihre hohe, kalte Stirn erwärmte. «Schon zu müde, David, um dir selber nachzuschenken?» In ihrem Ton lag kein echter Tadel. «Mach dir keine Sorgen, sie haben gesagt, sie wären heute oder morgen wieder zurück.»

«Ich finde ja nur, du solltest nicht hier allein sein und dich selber versorgen, das ist alles.»

«Na ja, jetzt bist du ja da und kümmerst dich um mich.» In ihren belustigten Ton mischte sich Besorgnis.

Als David jetzt die Treppe hinaufsah, lag ein seltsamer Ausdruck in seinem Gesicht. Ein angestrengter, fast entrückter Ausdruck, als sehe er zwar alles, höre aber nichts. Melrose fand, daß in diesem Augenblick der Stille und höchsten Konzentration es wahrhaftig so war, als hätte man sie gerade gruppiert, um für das Porträt in der Bibliothek Modell zu stehen.

In der Ferne läutete ein Telefon, und Edward ging zu der Tür auf der gegenüberliegenden Seite der großen Halle.

«Oh, verdammt», sagte David. «Das ist die Polizei. Darauf wette ich meinen letzten Drink.» Als Edward durch die Tür verschwand, rief David ihm nach: «Nimm nicht ab, Ned, laß den verdammten Anrufbeantworter laufen. Dazu ist er …»

Er merkte wohl erst in dem Moment, als die Worte heraus waren, was er gesagt hatte; denn er verstummte abrupt und kippte den Rest seines Wodkas hinunter.

Da geht’s zum Teufel, sein Alibi, dachte sich Melrose.

 

 

«IST DAS DER GARTEN, den Mr. St. Clair für den glücklichsten in ganz Sussex hält?» fragte Melrose. Sie waren ans Ende eines Pfades gelangt, der von Buchen umsäumt zu einem verwilderten Park führte. Der Park war auf einer Seite von einer langen, sich windenden, moosüberwachsenen und glyzinienbedeckten Mauer begrenzt, über der ein Baldachin aus Goldregen hing, von dessen Zweigen der Regen tropfte.

Edward Winslow lachte. «Ja, das ist er. Vielleicht ist er ja größer als seiner, aber besonders beeindruckend ist er sicher nicht. Aber versuchen sie das mal Sinjin zu erzählen. Sobald ihm etwas gehört, wird es furchtbar. Eine geradezu blindwütige Bescheidenheit. Aber er ist ein netter Mann. Eigentlich bin ich selber überrascht, daß John es schafft, alles so gut in Schuß zu halten.» Ned deutete mit der Hand auf den Gärtner in der Ferne, der unermüdlich an einer Araukarie herumzuhacken schien. «Der alte Griesgram hält sich zwar für Gertrude Jekyll, aber er macht gute Arbeit. Sehen Sie die Gartenmauer da drüben?» Ned wies mit einem Kopfnicken zum Goldregenhain. «Das ist unser Privatfriedhof. Mehrere Großtanten und meine Großeltern sind dort begraben. Und Phoebe.»

«Das muß ja ganz furchtbar gewesen sein.»

Ned schwieg einen Moment und starrte auf den kleinen Friedhof. «Wir hatten Phoebe alle so gern.»

«Das glaube ich Ihnen. Obwohl ich selber keine Kinder habe.»

«Ich auch nicht. Meine Frau wollte keine. Rose machte sich nicht viel aus dem Leben hier auf dem Land. Eigentlich machte sie sich wohl auch nicht viel aus mir und der Anwesenheit meiner Mutter. Mutter kann manchmal, wie Sie sich vielleicht denken können, etwas Furchteinflößendes an sich haben. Aber sie hat sich nie eingemischt, nie. Es ist allein ihre Gegenwart. Wir sind Wachs in ihren Händen, wissen Sie.»

Sein Ton verriet keinerlei Ressentiment. Melrose konnte sich sehr gut vorstellen, wie sie in Marion Winslows Händen zu Wachs wurden.

«Eines Tages wachte ich auf», fuhr Ned fort, «und sie war verschwunden. Ich weiß nicht, wohin. Sie hatte mal von den Vereinigten Staaten und Kanada gesprochen. Aber sie machte sich nicht die Mühe, mir eine Nachricht zu hinterlassen. Ich habe also keine Ahnung, wo sie ist.»

«Wohin bist du gegangen …?» Melrose mußte unwillkürlich an das Gedicht denken.

Ned löste seinen Blick von den Gräbern und blickte zur Mauer und zum Himmel hinauf. «Sie hatte einen anderen, da bin ich mir sicher. Ich wußte nicht einmal, daß sie ihn trifft. Kannte ihn nicht einmal. So blind kann ein Dichter sein.»

«Oder eine Ehefrau.» Ned Winslow vermittelte ihm den Eindruck eines Mannes, der die Vergangenheit akzeptiert hatte, wie man einen verpaßten Zug auf einer überflüssigen Reise akzeptiert. Immer würde er auf einem Bahnsteig stehen oder mit leeren Koffern durchs Leben reisen.

Melrose hatte den schmalen Gedichtband mit sich herumgetragen und zog ihn jetzt aus der Tasche. Er blätterte rasch darin herum, bis er auf das von David erwähnte Gedicht stieß.

«Es ist sehr altmodisch, wie David ja immer sagt. Hat Reim, Metrum, Quartette.»

«Es läßt sich durchaus manches sagen zu dem, was Sie da als ‹altmodisch› bezeichnen. Hören Sie.» Melrose las:

 

«Wohin bist du gegangen, Elizabeth Vere,

Sofern von Garten und Blüte und Baum?

Im Regen glänzt unser Bach …»

 

Melrose blickte auf einen kleinen, teilweise vereisten Bach, der in der Nähe der Parkmauer dahinmäanderte. «Das klingt, als wäre dieser Garten damit gemeint. War es für eine bestimmte Person gedacht?» Er steckte das Buch wieder ein.

Ned stand da und blickte stirnrunzelnd zum Buchenhain hinüber. «Ein Schriftsteller weiß doch nie genau, was er meint, oder? Vielleicht ist das ja die wirkliche Blindheit – etwas nicht zu wissen.» Er wechselte das Thema. «Wenn Sie David kennen würden, wüßten Sie, daß er dieses Mädchen nicht erdrosselt haben kann. Es gibt sowieso keinen Grund und kein Motiv. Ivy muß von einem Dieb oder dergleichen umgebracht worden sein. Halten Sie das nicht auch für das Naheliegendste?»

Ned Winslow sah Melrose an, als sei er ein Zauberer, der schon das richtige Kaninchen aus dem Hut ziehen würde. «Wenn das stimmt, hat der Mörder wirklich nicht viel gesucht. Anscheinend fehlt da jedes Motiv.»

«Aber bei David fehlt es doch auch. Er hatte kein Motiv.»

Melrose dachte an das, was Jury ihm von den Frauen Sheila Broome und Ivy Childess erzählt hatte. «‹Da glitt herein Porphyria› …»

Ned streckte die Hand aus, um Unkraut aus einer Mauerfuge zu zupfen. «Eine seltsame Anspielung, falls Sie David für den Typ ‹Porphyrias Liebhaber› halten …» Ned lachte. «Glauben Sie mir, seine Beziehung zu Ivy Childess hatte nichts mit Leidenschaft zu tun.» Er wandte Melrose diese feuchten, umbrafarbenen Augen zu. «Und wie steht’s mit Porphyria?»

«Porphyria? Sie erschien mir immer ziemlich bemitleidenswert.»

«Und mir kam es immer so vor, als hätte sie ein bißchen was von einem Flittchen», sagte Ned mit einem Lächeln.