Pferdemesse
»Von den über 250 Ausstellern der Pferd-International München werden auch ausgefallene Wünsche erfüllt.«
Am ersten April stehe ich im Standesamt Mandlstraße und warte auf die Braut. Ein besseres Hochzeitsdatum gibt es nicht, allein schon, um später immer eine Möglichkeit zu haben, das Vergessen des Jahrestages mit einem »April, April« vertuschen zu können. Um dann möglichst fix Blumen zu kaufen und einen Tisch im Blauen Bock zu reservieren. Neben mir hibbelt Hondo, der in seinem Armanianzug wirklich was hermacht. Trotzdem – so nervös wie heute habe ich ihn noch nie erlebt. Was eine äußerst dämliche Aussage ist, denn ich war bis heute überzeugt, dass Hondo alle Eigenschaften eines guten Betablockers in sich vereint und so etwas wie Nervosität nicht mal in seinem Wortschatz hat.
Endlich erscheint auch Jessi, die aussieht, als würde sie bald platzen, begleitet von ihren Eltern. Es sind nur noch knapp zwei Wochen bis zu unserem Geburtstermin, und ich begreife langsam, was für seine Strafe es sein muss, als Frau in ihrem Stadium vor den Standesbeamten treten zu müssen. Eine alkoholfreie Feier im kleinen familiären Rahmen, die Aussicht auf eine große Party in einem halben, vermutlich aber eher ein oder zwei Jahren, nein, das wäre nichts gewesen. Und die Hürden, die einem der Staat in den Weg legt, wenn man nach der Geburt doch plötzlich fühlt, dass man seinen Partner ehelichen will, sind auch nicht so hoch wie angenommen.
Wir haben das alles in den verbleibenden Tagen vor dem heutigen Termin ausführlich diskutiert und sind nun extrem glücklich mit dem Ergebnis. Es war die richtige Entscheidung, unseren Standesamtstermin Hondo und Aylin zu schenken. Und sehr nett von den Beamten, bei dem Tausch mitzuspielen. Dafür bin ich nun Trauzeuge.
»Ein bisschen schade ist es ja schon«, begrüßt mich die Frau, die in circa dreißig Minuten um ein Haar meine erste und hoffentlich letzte Schwiegermutter geworden wäre.
»Aber ihr schafft das auch ohne Trauschein«, fügt ihr Mann hinzu und reicht mir die Hand.
»Davon bin ich überzeugt«, erwidere ich und nehme ihre Tochter in den Arm.
»Endlich«, sagt Jessi. »Aber rechnet bitte nicht damit, dass wir das irgendwann nachholen. Jens ist nicht der Typ für eine Ehe.«
Davon ist Jessi seit meiner zögerlichen Antwort auf die Frage, warum ich sie heiraten will, überzeugt. Ich habe ihr zwar gesagt, dass ich sie liebe und dies gerne vor der Welt und meinen Freunden einen Tag lang zelebrieren möchte, allen reinreiben, wie verdammt glücklich ich bin, und dabei unantastbar zu sein. Dazu kämen die ganzen Sachen mit der Vaterschaft, die Steuerersparnis und natürlich der Name. Jessi hätte meinen Familiennamen angenommen, und Matilda hätte niemals erklären müssen, warum ihr Vater anders als ihre Mutter heißt, wobei man bei der heutigen Scheidungsrate auf dem Spielplatz eher dann der Außenseiter sein wird, wenn die Eltern denselben Nachnamen haben. »Sind das Geschwister?«, dürfte dabei eine oft gestellte Frage sein.
Letztlich konnte ich meinen Hochzeitswunsch aber nicht gut genug begründen, um Jessi davon zu überzeugen, geschweige denn mich. Ich hatte mir vorher nicht den Kopf darüber zerbrochen, warum wir heiraten wollten; zunächst ging es ja wirklich vor allem um die Vaterschaft und das Kind. Und sie hatte schließlich mit dem ganzen Scheiß angefangen!
»Und warum hast du nicht gleich gesagt, dass du dich mit der Institution Ehe noch nicht beschäftigt hast und es im Grunde gleichgültig ist, ob wir es tun oder nicht?«, hatte Jessi dagegengehalten.
»Weil’s nur ein Zettel ist, der ein paar Dinge im Leben einfacher macht.«
»Wenn du das so siehst, sollten wir es lassen. Es schadet dir bestimmt nicht, wenn ein paar Dinge in deinem Leben nicht einfacher werden. Und auf einen weiteren Zettel in deinem Chaos kann ich gut verzichten.«
Nach dieser Ansage war ich kurz unsicher, ob Jessi wegen meines Totalversagens in Sachen Ehegrundlagen sauer auf mich sein würde, doch das stellte sich zum Glück sehr schnell als unbegründet heraus. Denn sie gab zu, dass sie dieselbe Meinung wie ich zu der ganzen Thematik hatte und deswegen, wenn ich damit einverstanden sei, die Sache lieber abblasen würde. Damit war der Weg für Aylin und Hondo frei.
Jetzt betritt Aylin in einem Kleid die Mandlstraße, für dessen Gegenwert man das gesamte Standesamt renovieren könnte. Um es dazu auch noch mit einer Solaranlage auszustatten, müsste man nur Maleas Schmuck und Kostüm ins Pfandhaus bringen. Sie sehen bezaubernd aus, und Aylin wirkt mindestens ebenso aufgeregt wie Hondo.
»Eine klasse Frau, echt scharf«, raunt mir mein Vater zu, der den ganzen Tag mit seiner Videokamera festzuhalten versucht.
»Vergiss nicht, die Tonspur von dieser Szene stumm zu schalten, sonst hört man dich die Braut scharf finden«, raune ich zurück. Kurz darauf strömt eine kleine Hochzeitsgesellschaft aus dem Trausaal und wir wie eine Kuhherde in ihren Stall hinein. Hinter uns trudeln schon die ersten Gäste der folgenden Eheschließung ein, hier geht es zu wie im Taubenschlag zur Vogelhochzeit.
Während der Zeremonie greift Jessi meine Hand, drückt sie fest, und eine Träne läuft ihr über die Wange, als Hondo und Aylin ihre Eheurkunde unterzeichnen und die Ringe tauschen. Das hätten wir sein können, nur wären wir dabei nicht wir selbst gewesen.
Fehlt eigentlich nur noch Sven, ohne dem ich Hondo nie begegnet wäre und der auch für sonst alles zwischen uns allen irgendwie verantwortlich ist. Selbst Hondos Bewerbung als Türsteher bei Armani hat er geschrieben, ohne die Hondo, streng genommen, Aylin gar nicht begegnet wäre. Sein letztes Lebenszeichen war eine SMS aus Wien: »Kaffeehäuser bauen, aber keinen Kaffee kochen können! Vierzig Variationen, keine schmeckt! Was geht eigentlich mit den Österreichern ab? Komme zur Hochzeit!!«
Aber vielleicht hat diese staatsfeindliche Message der österreichische Geheimdienst abgefangen und foltert ihn nun mit Melanges, Einspännern, Kleinen Braunen, Fiakern, Kapuzinern und Mokkas in all ihren Variationen, um seinen Kaffeegeschmack zu brechen.
Malea und ich unterzeichnen ebenfalls schnell, Braut und Bräutigam küssen sich, ein von den beiden für den Anlass als angemessen eingestuftes Musikstück beginnt, ein fröhlicher Klezmer, zu dem sofort alle mitwippen. Ich beeile mich, um als Erster aus dem Saal zu kommen, nur mein Vater drängt sich an mir vorbei, damit er mit seiner Kamera eine gute Position vor dem Standesamt findet. Und dort steht Sven mit einer Kutsche.
»I hoab ma dochd, doss a Fiaka nöhd schodn köhnt«, wienert er mir sehr, sehr schlecht entgegen. Falls er mit seinem Kaffeehaushass noch nicht alle Wiener gegen sich aufgebracht hat, sollte seine miserable Sprachperformance auch den letzten Österreicher dazu bewegen, ihn des Landes zu verweisen. Dass er aber den legendären Kutscher Hans hierher bestellt hat, der nun mit einem seiner schönen Wägen auf das Hochzeitspaar wartet, sichert Sven in München definitiv eine lebenslange Zufluchtsstätte, ganz egal, in welchem Land der Welt er gerade gelyncht werden soll.
Ich habe am Eingang eine Tüte mit Luftschlagen und Reis deponiert, obwohl extra darum gebeten wird, auf das Reisgeschmeiße zu verzichten, und verteile den Inhalt an die aus dem Standesamt quellenden Gäste. Mit Sven kann ich mich nur ganz kurz austauschen, kriege jedoch immerhin mit, dass er schon nach vierzehn Tagen sicher ist, eine sehr große Fehlentscheidung getroffen zu haben. Radfahren ist nicht sein Ding, der Hintern tut ihm weh, und er ist kurz davor, sich ein altes Auto zu kaufen, um damit die Tour fortzusetzen.
»Aber eins mit Stauraum, einen alten VW Bulli oder so, weil das Rad muss mit, sonst kann ich ja nicht bei den Weltumradlern schlafen.«
»Super Plan. Oder schau einfach, ob es nicht auch ein Forum für Leute gibt, die mit dem Auto die Tour machen, und ändere den Zahlencode an deiner Haustür.«
Sven schafft es nicht mehr, darauf zu antworten, denn Jessi gesellt sich zu uns.
»Sie kommen!«
Unter dem Applaus der Anwesenden treten Aylin und Hondo auf die Mandlstraße, es fliegen Konfetti und Luftschlangen, irgendwer öffnet eine Flasche Champagner, und ich werfe den beiden auch eine Hand Reis entgegen. Scheiß auf die Tauben, die müssen langsam wissen, dass man hier in der Gegend nichts essen sollte.
»Au!«, brüllt Aylin und hält sich ihr rechtes Auge.
»Welcher Mongo schmeißt mit Reis, ey? Geht’s noch? Da kann man blind von werden!«
Ich stecke unauffällig den Rest in meine Jacketttasche und nehme Jessi in den Arm, um noch unauffälliger zu wirken. Aylin scheint in Ordnung zu sein, sie blinzelt nur noch, und da ihr Gesicht sowieso tränenüberströmt ist, machen die paar zusätzlichen Tropfen auch nichts mehr aus.
Unter »Mazel tov!«-Rufen wird Champagner in Pappbechern herumgereicht, ich sehe zu Jessi, um zu fragen, ob sie auch einmal nippen will, und erkenne sofort, dass es ihr nicht gut geht. Sie ist vollkommen verspannt und hält sich den Bauch. Dann weiten sich plötzlich ihre Augen, der Atem stockt ihr, und sie kneift die Beine zusammen.
»Mein Wasser!«, flüstert sie mir zu, doch ich verstehe sie nicht richtig durch den Lärm um uns.
»Was?«
»Meine Fruchtblase!«
»???«
»Das Baby kommt, verdammt noch mal!«, schreit sie schließlich und killt damit ein wenig den Moment. Sie ist mit einem Mal das Zentrum der Aufmerksamkeit, alle halten inne.
»Keine Sorge, so eine Geburt kann Stunden dauern«, versuche ich alle zu beruhigen. »Ich ruf ein Taxi und dann fahren wir –«
»Ahhhh!«, brüllt Jessi und krampft sich zusammen. Das dürften die ersten Wehen sein. War klar, dass es bei uns wieder schnell und chaotisch gehen muss, nicht langsam und geregelt.
»Springt’s auf«, ruft uns Hans zu, »da ist eine Geburtsklinik auf der anderen Seite vom Park!«
Er meint sicher die Frauenklinik Dr. Geisenhofer am Englischen Garten, die wir auch auf unserem Zettel hatten. Sie ist nur fünfhundert Meter von der Praxis meines Ex-Samenarztes Dr. Parisius entfernt, aber das tut gerade nichts zur Sache. Ich stütze Jessi auf der einen Seite, Hondo auf der anderen.
»Hey, geh zurück zu deiner Frau, ich packe das schon.«
»Null, du bist zu schwach.«
Tatsächlich hebt er meine schwangere Freundin einfach an und steigt mit ihr souverän in die Kutsche. Dann springt er wieder raus, ich klettere rein, Hans schwingt seine Peitsche, und Sandro trabt los. Wir biegen rechts in den Englischen Garten ein, passieren die Stelle, an der wir uns vor einem halben Jahr getrennt haben, überqueren eine kleine Brücke. Jessi hält sich an mir fest und muss plötzlich lachen.
»Gemein wäre es, wenn ich das nur vorgetäuscht hätte.«
»Na ja, sie haben unsere Trauung bekommen, da ist es nur fair, dass wir ihre Kutsche nehmen.«
Dann erstickt eine weitere Wehe Jessis Lachen. Hans lenkt die Kutsche auf einen breiteren Weg und lässt Sandro einen Gang zulegen. Mit einem Peitschenknall steuern wir auf eine Zukunft zu dritt zu. Matilda will kommen.
Willkommen, Matilda!
AUS