Spirituosenmesse
»Im Eintritt zur Finest Spirits sind ein Nosing-Glas und vier Verkostungsgutscheine à 1 cl enthalten.«
Viele meiner Bekannten behaupten, dass sie das eigene Älterwerden daran spüren, dass sie länger brauchen, um sich von einer durchsoffenen Nacht zu erholen. Ich hingegen habe schon mit siebzehn den einem Vollrausch folgenden Tag komplett knicken können. Das ist so geblieben, und ich weiß trotzdem, dass ich ein alter Mann bin. Ich bin kurz vor der großen Vierzig, dem schlimmsten Jahrzehnt, das man durchleben muss. Man ist noch zu jung, um schon etwas zu bedeuten, aber zu alt, um noch was zu reißen. Man ist einfach nur ein bedeutungsloses Rad in der Maschinerie, das seinen Beitrag leisten und die Schnauze halten soll.
Leider war mein bisheriger Beitrag äußerst gering, und mit dem Schädel, den ich heute habe, werde ich auch nicht unbedingt auf die zündende Idee kommen, wie ich das ändern kann. Schuld sind diese verdammten Long Drinks im Atomic. Man hat ja in jedem Club einen Platz, der wie für einen geschaffen ist. In der Bongo Bar war’s die kleine runde Tanzfläche vorne rechts, im K41 die Ecke der Cocktailbar vor dem Damenklo und in der Babalu Bar das Plüschsofa bei der großen Lavalampe. Im Atomic ist es die kleinere Bar im Halbseparee, wo es unschicklich ist, Bier zu bestellen. Das bilde ich mir jedenfalls seit meinem ersten Besuch dort ein, der nun auch schon gut zwanzig Jahre zurückliegen dürfte.
Der einzige Unterschied zu damals besteht darin, dass die anderen Gäste gemeinsam mit den Türstehern vor ein paar Jahren über Nacht eine Generation jünger geworden sind und ich mich entsprechend fehl im Nachtleben fühle. Ihre Blicke verraten mir, dass ich nicht mehr zu ihnen gehöre, einer hat mich sogar mal gefragt, ob ich ein Zivilbulle sei, worauf ich einfach gegangen bin. So beschissen ziehe ich mich auch wieder nicht an. Jedenfalls jetzt noch nicht.
»Eine Flasche Bombay Sapphire und eine Ladung Tonics«, ordert Sven, und ich habe dem nichts entgegenzusetzen, obwohl ich gerne mal wüsste, ob es der Gin oder das Tonic ist, wovon ich beim ersten Schluck immer Sodbrennen bekomme. Die andere unerwünschte Nebenwirkung beim Konsum von Gin Tonic ist bei mir eine leichte Aggressivität, die ich sonst gar nicht von mir kenne.
»Deine Tochter entwickelt sich übrigens gut«, erzähle ich Sven, um nicht nur schweigend neben ihm an meinem Drink zu nuckeln. Für einen Moment ist er irritiert.
»Ach, stimmt, die ist ja eigentlich von mir«, erinnert er sich dann. »Hey, nicht dass die noch bei mir antanzt wegen Unterhalt oder so, krieg das mal bitte schnell wieder geregelt, ja?«
»Nee, mach dir mal keine Sorgen. Jessis Vater ist so oder so ganz gut betucht, und weil ich ja offiziell der Papa bin, würde ich auch für alles aufkommen.«
»Das sagst du jetzt.«
»Wird schon alles. Jessi ist einfach nur hormonell bedingt überempfindlich.«
Mehr will Sven offenbar nicht wissen, denn er lässt mich einfach an der Bar stehen, um eine äußerst unattraktive Frau anzusprechen. Wenn man’s bisschen weich und griffig mag und beim Sex die Augen schließt, sind das, laut seiner Philosophie, die dankbarsten One-Night-Stands überhaupt. Ich bin verklemmt genug, um zu behaupten, dass ich den Begriff der Dankbarkeit bis heute nicht mit Sex in Verbindung gebracht habe. Und das, obwohl ich auch etwas griffig bin und hoffe, dass mich meine Partnerin beim Sex nicht ansieht.
Da Sven kurze Zeit später mit der unattraktiven Dame und ihrer hässlichen, schwerst brünftigen Freudin wieder auf mich zusteuert, ziehe ich nach einem weiteren Gin Tonic mit einem frisch gefüllten, fair gemischten Glas auf die Tanzfläche um, was rückblickend auf einen recht deftigen Rauschzustand schließen lässt. Ich meide Tanzvolk normalerweise, aber Svens aufdringlicher Aufrissanhang hat mich diese Abneigung vergessen lassen.
»Bist du verheiratet?«, plärrt mir ein Mädchen zu, das sich offensichtlich ebenso alleine wie ich auf der Tanzfläche bewegt. Sie ist klein, also körperlich, vielleicht ein Meter sechzig, und hat was Niedlich-Schlumpfiges.
»Verlobt!«, rufe ich zurück, und sie lacht.
»Junggesellenabschied?«
Ich nicke, auch wenn ich sicherlich keinen Junggesellenabschied feiern werde, eine mir vollkommen unverständliche Tradition. Denn wenn ich eins niemals vermissen werde, ist es meine Zeit als Single.
»Dann darfst du heute machen, was du willst, oder?«, fragt Schlumpfine mit einem frivolen Lächeln. Da mich lange niemand mehr derart offensiv angemacht hat, grinse ich angetrunken zurück. Einfach nur so, ohne Hintergedanken. Genauer gesagt, ohne weiterführende Hintergedanken. Natürlich stelle ich mir für einen Moment vor, dass mich dieses Wesen begehren könnte, dass sie mich kennenlernen, küssen, verführen möchte. Gleichzeitig ist es mir völlig egal, lässt mich kalt und nervt mich eigentlich schon jetzt. Die Frau meines Lebens habe ich schließlich bereits getroffen. Gut, es ist gerade kompliziert, aber kompliziert sind so viele Beziehungen, dass es dafür einen eigenen Facebookstatus gibt. Mit einer Fremden zu tanzen, macht es zwar nicht gerade unkomplizierter, doch da ich mir nichts vorzuwerfen habe, steigert es eigentlich nur die Sehnsucht nach Jessi und baut zur selben Zeit mein verletztes Ego ein wenig auf.
Ich versuche, cool dreinzuschauen und ihre Schritte, so gut es geht, nachzuahmen, gleichzeitig aber eigene Moves und Steps in meine Bewegungen einfließen zu lassen. Außerdem überlege ich schon, in welche Richtung in mich in voraussichtlich zehn, fünfzehn Minuten von ihr wegbewegen werde, um einem anschließenden gemeinsamen Drink vorzubeugen. Zur Not kann ich ja immer überhastet in Richtung Toilette rennen, Übelkeit und Vollsuff vortäuschen, schneller und einfacher kann man sich bei einer Frau nicht unattraktiv machen.
Doch momentan ist noch alles im grünen Bereich. Sie lacht mich an, ich lächle vor mich hin – da kommt auf einmal dieser andere Typ daher und drängt sich offensiv zwischen uns. Er wirkt viel zu selbstsicher, so wie die Typen in Leo’s Sports Club und all den anderen Fitnesscentern der Stadt, denen ich meinen laschen Körper und meine marode Fitness verdanke, weil sie mich mit ihrer Präsenz am Trainieren hindern. Mit ihrem makellosen Aussehen, ihren trendigen Trainingshosen und modischen Shirts, in denen sie lässig an der Saft- und Proteinshaketheke stehen und mit den Trainern wie mit alten Freunden quatschen. Sie sind über jeden Selbstzweifel erhaben, und es hilft nicht mal, mir vorzustellen, wie sie später wieder alleine und verloren in ihrer schnieken Wohnung hocken. Weinend, weil sie am Ende des Tages niemanden haben, der in einem ollen Outfit neben ihnen auf der Couch sitzt und unfassbare Lust auf Chips hat. Niemanden wie Jessi, um genau zu sein, die sich mit mir in den vergangenen Wochen wahre Fress-Flash-Schlachten geliefert hat. Nein, sicher kommen diese fitten, selbstherrlichen Adonisse gar nicht erst in diese Situation, denn sie haben ständig Programm und Freunde um sich rum.
Während ich mich gedanklich in Rage versetze, hat sich der anwesende Vertreter dieser verachtenswerten Gattung Mann schon auf einen knappen halben Meter an mein Schlumpfinchen rangetanzt. Er wird sie in Kürze ansprechen, abfüllen, abschleppen und dann vergessen wollen. Ein Schicksal, das die Kleine nicht verdient hat. Behauptet jedenfalls mein angesoffenes Hirn, und ich Idiot glaube ihm. Ich wende mich also mit einem lauten »Hey!« an seinen Rücken, doch das interessiert den Aufreißer wenig. Zu meinem Entsetzen muss ich auch noch über seine Schulter mit ansehen, wie mein kleiner Schlumpf diesen Tanz-Gargamel anstrahlt. Sie wird in seine Falle tappen, und ich bin der Einzige, der das noch verhindern kann. Das ist zumindest die Überzeugung des Gin Tonic in mir.
»Hey, Fotze, geh scheißen!«, schreie ich Gargamel ins Ohr und wundere mich gleichzeitig über mich. Ich benutze »Fotze« gerne, um Männer im Stillen zu beschimpfen; dass ich jemanden direkt so nenne, ist bislang jedoch nicht vorgekommen. Danke, Gin. Während er sich zu mir umdreht, nehme ich meine verklärte Interpretation einer stabilen, aufrechten Haltung ein sowie einen Schluck aus meinem flüssigen Aggressionsaggregat. Augenblicke später wird mir das Glas aus der Hand geschlagen, dann trifft mich etwas am Knie, und schon liegen wir beide auf dem Boden. Der Arsch muss mich angegriffen haben. Ich versuche, ihn von mir runterzustrampeln, doch er robbt sich auf mich zurück und schlägt mir mit der Faust ins Gesicht. Ins Gesicht!
»Hör auf, du Fo…«, ist alles, was ich dann noch herausbringe, doch sicherlich zu leise, um gehört zu werden. Irgendwer kickt mir gegen die Beine, und als ich über meinen Angreifer hinwegschiele, erkenne ich, dass es das Mädchen ist, das mich vor wenigen Minuten angelächelt hat. Jeder ihrer Tritte schickt eine weitere kleine Packung Schmerz in mein Gehirn, das eigentlich bereits mit der Verarbeitung des unangenehmen Gefühlserlebnisses »Faustschlag« ausgelastet ist. Um mich vom so zusammenkommenden Gesamtschmerz abzulenken, versuche ich eine Botschaft in ihrer Trittfolge zu erkennen. Lang, kurz, kurz, kurz, lang. Vergebens. Und dämlich, denn ich beherrsche das Morsealphabet nicht.
Plötzlich schiebt sich Sven zwischen mich und meine Angreifer. Er ruft den anderen zu, dass ich eine geile Sau bin, an der sich alle mal ein Beispiel nehmen sollten, und dann tritt er dem Schläger in die Seite. Er tritt! Das ist alles nicht meine Welt, ich will, dass alle aufhören, werde im nächsten Moment aber schon vom Türsteher am Arm gepackt und durch die gaffenden Teenies zur Tür geschleift. »Ich geh schon! Lass los! Ich geh schon!«, plärre ich, in panischer Angst davor, ein Gelenk ausgekugelt zu bekommen, egal welches; die kugeln sich mit knapp vierzig nämlich nicht so einfach wieder ein. Gerade denke ich noch: »Ich kann mich hier nie wieder blicken lassen«, obwohl ich das eh nicht vorhatte, dann kotze ich auch schon zwischen zwei Fahrräder und entschuldige mich beim Sattel.
Sven kommt nicht heraus, was mich beruhigt, weil das bedeutet, dass ich nicht weitersaufen muss. Auf einmal rauscht aber ein Polizeiwagen mit Blaulicht in die Neuturmstraße, zwei hektische Polizisten steigen aus, knallen die Türen und verschwinden im Atomic. Absolut lässig wäre es nun von mir, das verdammte Polizeiauto anzupinkeln, aber meine coolen Zeiten sind Geschichte. Das wird mir klar, weil mein Unterbewusstsein mich prompt wissen lässt, dass die Bullen nun wirklich nichts verkehrt gemacht haben und bestimmt Stress kriegen, wenn sie mit einem angepissten Auto zurück auf die Wache kommen. Entweder bin ich so besoffen, dass nicht nur meine Birne, sondern auch mein Verstand weich wird, oder ich bin nun offiziell alt.
Gegen vierzehn Uhr habe ich meinen Geist mit zwei Ibuprofen, einer Packung Zwieback und viel Kaffee wieder einigermaßen unter Kontrolle gebracht, die Schwummrigkeit und den flauen Magen auf ein erträgliches Maß reduziert, und wenn ich meinen Kopf nicht bewege, kann ich sogar auf dem Monitor Text lesen und eingeben. Ich darf dabei nur nicht auf die Tasten schauen, weil beim Blick zurück auf den Screen alles verschwimmt und mein Hirn von einer deutlich spürbaren Fehlermeldung kurzzeitig lahmgelegt wird. Wer saufen kann, muss auch arbeiten können, heißt es immer, ich kann ganz offensichtlich weder noch.
Dass ich an einem Mittwoch einen derartigen Rausch ohne schlechtes Gewissen auskurieren kann, beschäftigt mich schon den gesamten Vormittag. Pro: Ich habe später genauso viel Zeit, um Jessi mit dem Baby und im Haushalt zu helfen. Contra: Ich würde mich sehr oft nur deshalb um das Kind kümmern, damit ich nicht am Computer sitzen muss.
Das hilft schon mal die Prämissen meiner beruflichen Bestimmung abzustecken, denn das lädierte Lungern am Vormittag hat mir wenigstens die Erkenntnis beschert, dass mein derzeitiges Einkommenspotenzial in den kommenden Jahren rapide sinken könnte. Ein Potenzial, das ich in der Vergangenheit leider auch nicht voll ausgeschöpft habe, weshalb ich auch auf keinerlei Ersparnisse oder Anlagen zurückgreifen kann. Mir schwant, dass Jessi sich dessen ebenso bewusst ist und ihre durch die Schwangerschaft gewachsene Zukunftsangst vermutlich stark damit zusammen hängt. Um bei unserem nächsten Gespräch die alte Sicherheit und das Vertrauen in mich wiederherzustellen, muss ich also nur einen beruflichen Fünf-Jahres-Plan entwerfen. Vielleicht ist es ganz gut, dass ich das in aller Ruhe und ohne sie machen kann.
Ein Job, für den ich jeden Tag ein paar Stunden lang das Haus verlassen muss, ist Pflicht. Aber bloß nichts mit Medien, diesen Schwur habe ich nach meiner Zeit beim Radio geleistet, wobei Radio selbst das einzige Medium wäre, bei dem ich eine Ausnahme machen würde. Allerdings natürlich keine Werbung, kein Fernsehen, kein Film. Die Menschen, die sich das antun, sind noch gestörter als Betriebswirte, Berater und Businesskasperl. Ich habe mich 1998 mal bei einer Werbeagentur beworben und sollte dann einen Testbogen mit Deppenaufgaben ausfüllen: »Zur diesjährigen Loveparade werden bis zu eine Million Besucher in Berlin erwartet. Entwirf ein Schild, das die Menschen davon abhält, in den Tiergarten zu pinkeln!«
Mein Ergebnis war weder originell noch hilfreich, hieß es in dem Antwortschreiben der Agentur, ja vielmehr unverständlich, verwirrend, die Idee nicht klar, nicht punchy, was auch immer das bedeuten sollte. Dennoch hieß es, ich könne als Junior-Praktikant anfangen und ein halbes Jahr für kein Gehalt in der Agentur arbeiten, mindestens vierzehn Stunden am Tag, Wochenenden inklusive. Das fand ich eher unrentabel und habe die Finger davon gelassen.
Kurz darauf habe ich bei einer Fernsehproduktionsfirma für zwei Wochen Kaffee gekocht, was ich immer als Metapher für zu erledigende Depperljobs verstanden hatte. Erwartet hatte ich zunächst simple Kopierarbeiten, aber auch eine Einführung in die Grundlagen der Filmproduktion, vielleicht etwas über Kameras, Setbau, Drehplanung, den ganzen Schmarrn halt. Gemacht habe ich Cappuccino, Latte macchiato, Milchkaffee und für die Isa aus der Buchhaltung immer nur Tee, meine Güte, so schwer kann das ja nicht sein. Möglicherweise war die Firma einfach Schrott, da man aber ständig am Produzieren war, schloss ich, dass es in allen anderen Filmproduktionen ähnlich zuging, und verließ diese Spielwiese, um die erworbenen Kenntnisse sinnvoller einzusetzen: hinter dem Tresen eines kleinen Cafés.
Nur beim Radio war es cool. Alle wussten, dass sie zu hässlich für einen Job vor der Kamera waren, und redeten gar nicht erst darüber. Ab und an kam ein Volontär oder Praktikant, der sofort weiter zu ProSieben oder eigentlich zum Bayerischen Rundfunk wollte, was stets belächelt, im Erfolgsfall aber totgeschwiegen wurde. Als Moderator konnte man sich damals mit einer selbst gemachten Kassette bewerben. Wenn man nicht komplett neben der Spur lag, wurde einem gestattet, im freien der zwei Sendestudios am Abend Testsendungen zu produzieren, bis man reif für »on air« war.
Ich hatte dabei nur ein Problem: Ich war fünfundzwanzig und hatte nichts zu erzählen.
In den seither vergangenen dreizehn Jahren habe ich ein bisschen was von der Welt gesehen, mir zum Teil relativ feste Meinungen gebildet und auch das ein oder andere verstanden. All meine Probleme habe ich aus eigenen Stücken gelöst, vermutlich habe ich tatsächlich so etwas wie Lebenserfahrung gesammelt. Wenn man mich nicht sieht, kann man mich auch noch für nah genug an der aktuell coolen Generation halten, sodass ich mir zutrauen würde, endlich über den Äther zu ihr zu sprechen.
In der folgenden halben Stunde vor meinem Computer scanne ich die Münchner Radiostationen und komme zu dem festen Entschluss, morgen bei Hip FM anzurufen, vielleicht kann ich da ja mal vorsprechen. Ein top Plan, stelle ich selbstzufrieden fest, als ich eine mir sehr gut bekannte Stimme aus der Küche höre: »Hey, Pisser, hast du kein Kaffee im Haus? Ich werd noch meschugge hier!«
Hondo. Mit seiner Hilfe gelingt es mir, den Rest des gestrigen Abends zu rekapitulieren. Er hat mich im Parkhaus beim Hofbräuhaus entdeckt, wo ich unnötigerweise vor der Polizei Zuflucht gesucht haben muss. Gemeinsam mit seinem jüdischen Freund Ivo hat er mich dann nach Hause gebracht und aufgepasst, dass ich keinen Blödsinn mehr anstelle. Als er mich schließlich fragt, ob die Salami in meinem Kühlschrank koscher ist, muss ich dann doch nachhaken: »Bist du jetzt Jude?«
»Naa, aber ich werd’s. Wenn der Rabbi mich akzeptiert.«
»Welcher Rabbi?«
»Ich weiß nicht, ob ich dir sein Namen sagen darf. Aber halt der eine von denen im Jüdischen Zentrum. Ist nix Persönliches, aber ich bin da lieber vorsichtig.«
»Und warum willst du bitte Jude werden?«
»Mann, weil ich verliebt bin. Nur, die ist halt Jüdin, und dann muss ich das auch sein. Weißt du, ich war schon Moslem und Christ, ja, das sind beides die Todfeinde von denen. Aber in mein Herz bin ich, glaub ich, schon voll Jude und muss jetzt halt nur lernen, wie ich das nach außen bringe.«
»Cool.«
»Ja, hey, bete mal für mich, dass ich nicht wieder der Schlemiehl bin, wo sich dafür den Arsch aufreißt und dann abgelehnt wird. So ein Schlamassel brauch ich nullstens.«
»Okay, mach ich. Aber das Jiddische klingt schon mal gut. Masel tov.«
»Ey, ich hab dir gestern auf der Straße beim Pissen geholfen, ich weiß, dass du kein Jude bist. Also sprich nicht unsere Sprache, okay?«
»Oh, Verzeihung …«
»Ich sag ja nur. Also, wo ist Kaffee?«
Mit der jüdischen Streitkultur wird Hondo auf jeden Fall kein Problem haben. Er fährt seine Wut hoch und runter wie andere ihre PCs, wenn wieder eine halbe Stunde vorbei ist und Microsoft ein neues Update in die Welt schickt, um eine schwerwiegende Sicherheitslücke zu schließen. Eigentlich schade, dass ich mit ihm kaum noch Kontakt habe, gerade jetzt, wo er einen wirklich interessanten Wandel durchmacht.
Eine halbe Stunde später – ich hatte tatsächlich keinen Kaffee mehr im Haus und musste schnell zu Vits Kaffeerösterei – sitzen wir in der Küche, und ich erfahre, dass Kuhmilch per se koscher ist. Hurra. Irgendein sarkastischer Frontalbereich in meinem Hirn verurteilt Hondo schon jetzt für sein Vorhaben, was unfair ist, denn er macht mir gerade Mut, mich bei Hip FM zu bewerben. Zumindest versucht er, mich positiv zu unterstützen, »auch wenn du halt mehr so nicht gut im Reden bist. Nicht falsch verstehen, ja, aber ich find’s halt schwer, das interessant zu finden, was und wie du reden tust.« Dann duscht er, zieht sich seinen Armani-Türsteher-Anzug an und verabschiedet sich mit dem Hinweis, dass er sich auf jeden Fall auch mal jobmäßig für mich umhören wird, er kennt schließlich Leute, und ich checke schließlich, wie man mit Computern umgeht, da glaubt er eh schon was zu wissen. Aber das mit dem Radio soll ich unbedingt versuchen, so was härtet einen derb ab!
Ich verkneife mir ein Schalom.