KAPITEL 25
In der Hieroglyphenkammer
„Ich möchte dir etwas zeigen.“
Sebastian führte Lex zu einer Steinplatte zwischen zwei stilisierten Ehrenmälern, die etwa fünf Meter aus dem gefliesten Steinboden ragten. Er zeigte auf einen bestimmten Abschnitt der Hieroglyphen, die in Stein gekerbt waren.
„Das hier beschreibt eine Art Männlichkeitsritual…“, begann er. Sebastian deutete auf ein Piktogramm, das stark an die Sichtbar/Unsichtbar-Wesen erinnerte, von denen sie zuerst angegriffen worden waren. „Diese Kreaturen. Diese Jäger wurden hierher geschickt, um zu beweisen, dass sie würdig sind, Erwachsene zu werden…“
„Weißt du, was du damit sagst? Dass es Teenager sind!“
Sebastian zuckte mit den Achseln. „Wer weiß, wie lange diese Kreaturen leben? Vielleicht Jahrtausende lang. Aber wie alt sie auch sein mögen, das ist ihr Initiationsritual.“
Seine Hand folgte dem Piktogramm – einem stilisierten Sternenfeld mit etwas, das aussah wie ein Raubvogel, der über dem Nichts kreist.
„Deswegen haben sie am Anfang auch diese Waffen nicht bei sich gehabt…“
„Teil des Rituals“, vermutete Lex.
„Richtig. Die mussten sie sich erst verdienen wie ein Ritter, der sich seine Sporen verdienen muss.“
Sebastian schlug mit der flachen Hand gegen den harten Stein. „Die ganze Geschichte ist hier aufgeschrieben. Die Glyphen selbst sind schwer zu deuten – nicht wirklich aztekisch, aber auch nicht wirklich ägyptisch. Dafür sind sie perfekt erhalten. Und mit einer fundierten Theorie müsste ich die Lücken füllen können…“
Er fuhr mit der Hand über das stilisierte Piktogramm. Trotz der bizarren, primitiven Ikonografie erkannte Lex das Bild sehr leicht. Es war die Erde, wie man sie aus dem Weltall sieht. Und über dem Planeten schwebte eine kreisrunde Feuerscheibe, die zweifellos ein Raumschiff darstellte, das aus den Tiefen des Alls auf den Planeten zuflog.
„Wie ich schon sagte“, begann Sebastian, „die Azteken verwendeten Zehnerpotenzen. Diese Symbole hier ähneln ungefähr dem aztekischen Symbol für die Zehn… Zeit für etwas Mathematik…“
Sebastian machte eine kurze Pause und rechnete.
„Vor fünftausend Jahren fanden sie einen rückständigen Planeten… unsere Erde. Sie lehrten den primitiven Menschen die Architektur und wurden als Götter verehrt…“
Sein Finger glitt das Piktogramm entlang, bis zu einem vertrauten dreieckigen Zeichen, über dem eine feurige Scheibe hing. Die Wellenlinien, die die Scheibe umgaben, stellten eindeutig eine geheimnisvolle Kraft dar, die das Raumschiff ausstrahlte.
Vielleicht Wissen?
„Zu ihren Ehren arbeiteten die Primitiven Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrtausende lang, um diese Pyramide und andere zu bauen.“
Über einem weiteren Symbol, das in die Wand graviert war, hielt Sebastian inne. Es war eine verdrehte Schlaufe, in sich selbst geschlossen wie eine Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt.
„Wie der große Wurm Ouroboros aus der gnostischen Mythologie. Im weitesten Sinne steht dieses Symbol für Äonen vergangener Zeit und den Kreislauf des Lebens. Aber in der Symbolik der Ahnen, die diesen Ort errichtet haben, soll es wohl zwei Dinge bedeuten: ein sich wiederholender Zyklus oder eine Tradition. Etwas, das wieder und wieder geschieht. Es steht aber auch für eine reale Gestalt, die hier als ,die Große Schlange’ beschrieben wird. Dieser Text, und wahrscheinlich viele andere mehr, lehrte die Ahnen, dass ihre Götter alle hundert Jahre zurückkehren würden, und wenn sie dies taten, würden sie ein Opfer erwarten. Es sieht so aus, als wären Menschen als Wirte für die Großen Schlangen benutzt worden.“
„Schlangen?“, fragte Lex.
Sebastian nickte. „Die, die nicht so aussehen wie wir.“
Sebastian fuhr damit fort, ein Wandbild zu analysieren, das eine Parade zeigte, in der die Auserwählten für das Opfer von einem Hohepriester mit Federschmuck gesalbt und dann auf die Opferblöcke gelegt wurden. Darunter waren das Piktogramm, das ein Ei darstellte, und rituelle Anweisungen, wie jedes Ei in der Aushöhlung des Blocks platziert werden sollte.
„Dieses… Ei wurde also in die Schüssel gelegt, nicht das Herz des Opfers“, stellte Lex fest.
„Sieht ganz so aus. Und irgendwie befruchteten diese Eier die Auserwählten, die dann die Großen Schlangen zur Welt brachten. Dann kämpften die Götter gegen sie.“
Sebastian zeigte Lex ein groß angelegtes Wandgemälde, das die Große Schlange und die Götter zeigte, wie sie im tödlichen Zweikampf aufeinander trafen. „Wie Gladiatoren im Kolosseum kämpften diese beiden fremdartigen Rassen gegeneinander,“ erklärte er. „Nur die Stärksten überlebten. Und nur die Überlebenden waren würdig, zu den Sternen zurückzukehren, zurück nach Hause.“
„Was, wenn sie verloren?“
Sebastian zeigte Lex drei Bilder, die eine Reihenfolge bildeten, ein grausiges Triptychon des Untergangs. Das erste war ein Bild der Großen Pyramide. Drei stilisierte Predatoren standen auf ihrer Spitze und eine Horde der Großen Schlangen wand sich an den Seiten empor. Das nächste Bild zeigte die Predatoren und Wellenlinien, die von den Handgelenken ihrer erhobenen Arme ausgingen.
Das dritte Bild war ihnen erschreckend vertraut. Es zeigte eine Explosion – einen grün gefärbten Donnerschlag, über dem eine Pilzwolke hing, eine Detonation, die alles und jeden um sie herum vernichtete.
„Wenn die Götter besiegt wurden, brach eine schreckliche Katastrophe über das Land herein und die Zivilisation verschwand über Nacht… der totale Genozid… eine ganze Zivilisation mit einem Schlag ausgelöscht.“
Lex erstarrte. „Dann waren diese Kreaturen schon einmal hier?“
„Unbestreitbar“, antwortete Sebastian. „Vor tausenden von Jahren und viele Male seither – vielleicht sogar erst vor Kurzem.“
Lex sah Sebastian an. „1979 gab es genau hier auf Bouvetoya eine geheimnisvolle nukleare Explosion. Keine Nation hat sich dazu bekannt oder gar die Verantwortung für die Explosion übernommen. Und die Wissenschaftler der Air Force konnten nicht herausfinden, woher die radioaktiven Isotope stammten, obwohl man alles Uran, das irgendwo auf der Erde geschürft wurde, aufgrund seiner Molekularstruktur zurückverfolgen kann.“
„Woher wissen Sie das?“
Lex verschränkte die Arme. „Mein Vater war als Forscher bei der Air Force. Obwohl er zwanzig Jahre über diesem Ereignis gebrütet hat, konnte er die Uran-Isotope, die bei der Detonation auftraten, nie einer Quelle auf der Erde zuordnen.“
Sebastian kratzte sich am Kinn. „Also waren sie schon einmal hier.“
„Diese… Predatoren“, sagte Lex. „Sie haben diese Kreaturen also hierher gebracht, um auf sie Jagd zu machen?“
„Ja“, antwortete er.
„Dann haben wir sie gar nicht entdeckt?“
Sebastian schüttelte den Kopf. „Ich denke, die Erwärmung wurde erzeugt, um uns hierher zu locken. Diese ganze Pyramide ist eine Falle. Ohne uns gäbe es keine Jagd.“
Im Labyrinth
Zwei flackernde, durchsichtige Gestalten erschienen im Säulengang. Mit dem Krachen ungezügelter Energie platzten die Predatoren ins Jetzt. Einer der Krieger begab sich sofort in Kampfpose und scannte mit gezücktem Speer die Umgebung.
Der zweite Predator untersuchte die Leichen von Bass und Stone und suchte nach den gestohlenen Waffen. Dann erblickte er das verätzte Metallnetz. Von Max Staffords Leiche nahm die Kreatur keinerlei Notiz. Sie untersuchte den Schaden, den das Säureblut des Aliens an den Maschen verursacht hatte.
Ohne dass die beiden Krieger es merkten, schlängelte sich eine Horde glänzend schwarzer Gestalten lautlos an der gewölbten Decke entlang. Die Aliens jagten jetzt im Rudel und krabbelten über die Wände, lauerten in der Dunkelheit hoch oben oder wanden sich um die Säulen.
Urplötzlich wurde einer der Predatoren von einem wendigen Schwanz, der sich um seine Kehle geschlungen hatte, zum Schweigen gebracht, nach ober gezogen und verschwand um sich tretend in den Schatten an der Decke. Ein Regen leuchtenden Blutes und das Geklapper der zerborstenen Rüstung, als sie auf die Steinfliesen fiel, warnte den zweiten Predator, dass der Tod auch ihm drohte.
Der Predator wirbelte gerade rechtzeitig herum, um zu sehen, wie sein Kamerad in Form von großen, blutigen Fleischklumpen auf den Steinboden klatschte. Zuerst ein Bein, dann ein Arm, dann der verschmierte Oberkörper.
Der Predator brüllte und zückte zwei Disken – einen in jeder Hand.
Plötzlich sprang ein Face-Hugger aus einer dunklen Ecke auf die Maske des Predators zu. In einer geschmeidigen Bewegung duckte sich der Krieger und schleuderte eine der Wurfscheiben. Die Klinge schlitzte den zuschnappenden rosa-weißen Face-Hugger sauber in zwei Hälften. Die Kreatur zerplatzte in einer Wolke ätzenden Blutes, das auf die Maske des Predators und auf seinen Brustpanzer spritzte.
Der Predator ließ die zweite Scheibe fallen und mühte sich verzweifelt ab, die Maske abzunehmen, bevor sich das Säureblut in sein Gesicht fressen konnte. Mit einem Zischen öffnete sich die Dichtung und die rauchende Maske schepperte auf den kalten Boden.
Fieberhaft zerrte der Predator an seiner Brustplatte, die von dem ätzenden Blut bereits durchlöchert und zerschmolzen war. Der Geruch versengten Fleisches erfüllte die Luft und der Predator heulte auf, als sich die Säure tief in die Muskeln auf seinen Rippen, am Hals und an der Brust brannte.
Schließlich warf er die Rüstung zur Seite und gab Flecken chemisch versengter Haut frei, die immer noch am Oberkörper und im krebsartigen Gesicht des Predators schwelten.
Nackt und demaskiert brüllte die Kreatur ihre Angreifer trotzig an. Zwei ausgewachsene Alienkrieger, die über den Boden krabbelten und ihn einkreisten. Der Predator schleuderte seinen gezackten Speer und traf das Alien, das ihm am nächsten war, an der Schulter. Das Monster kreischte auf und zog sich zurück, obwohl sein Bruder den Speer zur Seite warf, um sich auf seinen Gegner zu stürzen.
Ein drittes Alien ließ sich von der Decke fallen. Sein Exoskelett war mit leuchtendem grünen Blut bespritzt. Der knochige Schwanz des Monsters schlang sich um das Bein des Predators und zog daran. Die Muskeln wurden geradewegs vom Knochen gerissen und der Predator heulte vor Schmerzen auf. Verstümmelt taumelte der wuchtige Krieger zu Boden, während schwarze Klauen an seinem jetzt verletzlichen Fleisch zerrten.
Das Gewicht des Aliens hielt den Predator am Boden. Seine Bewegungen wurden von dem peitschenartigen Schwanz, der sich um sein zerfetztes Bein geschlungen hatte, eingeschränkt und so schlug er um sich und kämpfte und wartete darauf, dass der Tod ihn zu sich nähme. Aber obwohl die schwarze Obszönität über die pumpende Brust des Predators kroch und heißen Geifer auf sein bloßes Gesicht tropfen ließ, blieb der erwartete Todesstoß aus. Stattdessen hielten die Aliens den gefallenen Predator fest und zischten erwartungsvoll…
Mit schwindenden Kräften bemerkte der Predator, wie sich in der Dunkelheit über ihm etwas bewegte. Als er den Hals reckte, um einen besseren Blick zu erhaschen, weiteten sich seine eng stehenden Augen. Der Krieger sah ein riesiges Alpha-Alien, das mit energisch knirschenden Kiefern aus dem Schatten kroch. Es war größer als seine Geschwister und auch aggressiver und dem hilflosen Predator war klar, dass es das Kommando über die Rotte übernommen hatte.
Als es aus der Düsternis krauchte, zeigte sich das angeschlagene Exoskelett des Monsters. Von Kopf bis Fuß war der Körper des Aliens mit Wunden übersät – darunter das Zickzackmuster, das ihm das High-Tech-Netz des Predators eingebrannt hatte.
Die anderen Aliens wichen achtungsvoll zurück, während die Monstrosität sich ihren Weg bahnte. Sie bückte sich tief zu dem gefallenen Predator hinunter und senkte ihre verlängerte Schnauze, als wolle sie ihr Opfer beschnuppern. Dann legten sich zwei ebenholzfarbene Hände in obszöner Zärtlichkeit um den Schädel des Predators, bevor sie den Kopf der Kreatur hart packten und fest auf den Boden pressten.
Der Predator schlug um sich und seine Kiefer schnappten ins Leere, aber er befand sich weiterhin hilflos in dem mächtigen Griff des vernarbten Monsters.
Während er seinen vergeblichen Kampf weiterführte, spürte der Krieger kalte Klauen, die auf seinem nackten Oberkörper dahinkrochen. Er sah hinunter und erblickte einen weiteren Face-Hugger, der sich unerbittlich seinem Kopf näherte. Der Predator knurrte mit aufgerissenen Augen und versuchte sich hin und her zu werfen. Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte er Angst.
Zielstrebig und flink erreichte der Face-Hugger seinen Platz über dem schnappenden Mund seiner Beute und ließ sich langsam nieder, um die wimmernden Schreie zu ersticken…
Miller öffnete abrupt die Augen. Einen Moment lang wusste er nicht, wo er war. Grenzenlose Furcht war sein einziger Anhaltspunkt.
Er stand – oder zumindest befand er sich in der Aufrechten. Aber als er versuchte, sich zu bewegen, stellte er fest, dass ihn etwas festhielt. Eine harte schwarze Substanz hatte beinahe seinen ganzen Körper eingesponnen. Nur sein rechter Arm war noch frei. Der Ärmel war zerrissen und mit viel Blut verschmiert.
Miller drehte seinen Kopf nach rechts, erblickte zwei Männer, die neben ihm hingen, und seine Erinnerungen kehrten zurück.
„Verheiden! Können Sie mich hören?“, schrie er.
Verheidens Gesicht war von einem Face-Hugger bedeckt. Er zuckte und stemmte sich gegen den harten Panzer, der ihn festhielt – die gleiche Substanz, die auch einen Kokon um Miller gebildet hatte. Während Verheiden gegen die dunkle Masse ankämpfte, zog sich die Schlinge des Tentakels um seinen Hals weiter zu. Einen Augenblick später gab Verheiden den Kampf auf und sein Körper erschlaffte.
Neben Verheiden konnte Miller Connors erkennen, oder das, was von ihm noch übrig war. Die Brust des toten Mannes war nach außen aufgerissen und er hing schlaff an der Wand wie ein krankes Stück moderner Schockkunst. Ein Face-Hugger war auf seinem Gesicht nicht mehr zu sehen, sondern nur die schmerzverzerrte, eingefrorene Miene. Der außerirdische Missetäter, der Connors den letzten Atemzug geraubt hatte, lag dafür tot zu seinen Füßen, die Beine zum Himmel gerichtet.
Miller hörte ein feuchtes, tropfendes Geräusch. Er reckte den Hals und sah hinunter. Das Ei des Face-Huggers, der bald das Licht der Welt erblicken sollte, stand vor ihm auf dem Boden. Seine blütenartigen Lippen sonderten ein Sekret ab und begannen sich zu öffnen.
Miller presste und stemmte sich gegen den Kokon. Dann erblickte er Verheidens Pistole, die dieser noch immer im Schulterholster trug.
Mit einem Auge auf dem pulsierenden Ei streckte Miller seinen Arm aus. Er konnte den Kolben der Waffe beinahe berühren.
Das Ei bebte und seine Lippen teilten sich. Lange weiße Beine streckten sich heraus und tasteten in der Luft umher.
Miller nahm seine ganze Kraft zusammen und warf seinen Körper nach vorn, bis seine Finger sich um den Griff der Waffe schlossen. Als der Face-Hugger hochsprang, zog Miller die Pistole aus dem Holster und feuerte einen Schuss ab.
Den Hugger zerriss es mitten in der Luft.
Als er aber auf den Boden fiel, raffte sich das sture Viech wieder auf – obwohl die Hälfte seiner Beine weggeschossen waren. Miller feuerte zwei weitere Schüsse ab, jeder von ihnen traf das Ding wie ein Hammer.
„Punkt eins für die Beaker“, sagte er.
So süß Millers Triumph auch war, er sollte nicht lange anhalten. Hinter dem toten Face-Hugger war der Steinboden mit Dutzenden bebender Eier übersät, von denen jedes das unheimlich pulsierende, fremde Leben in sich trug.