KAPITEL 5

 

In der Nähe des südlichen Polarkreises,

500 Kilometer vor dem Kap der Guten Hoffnung

 

Der riesige britische Westland Sea King-Helikopter mit der Kennung Weyland 14 flog durch einen heraufziehenden Sturm. Draußen hingen dichte, bleischwere Wolken und die Windböen wurden immer stärker und sorgten für einen holperigen Flug. Aber das Schlingern und jähe Abtauchen des Sea King blieben von einem Passagier völlig unbemerkt.

Alexa Woods schlief tief und fest, ausgestreckt auf dem Kabinenboden des Choppers. Sie trug immer noch die Kälteschutzkleidung, die sie getragen hatte, als man sie vom Himalaya gepflückt hatte. Eine Ausgabe des Scientific American lag ausgebreitet auf ihrer Brust. Auf der Titelseite prangte ein aktuelles Foto des Gründers und leitenden Direktors von Weyland Industries und der Aufmacher lautete: „Charles Bishop Weyland, Pionier der modernen Robotik.“

Neben Lex am Fenster stand ein großer, dünner Mann mit schlaksigen Gliedmaßen und hervortretendem Kehlkopf. Auf seiner Nase saß eine Brille mit Gläsern, so dick wie Flaschenböden, und in der Hand hielt er eine Digitalkamera. Er stellte die Kamera auf einem Sitz ab und versuchte, sich selbst zu fotografieren. Beim ersten Versuch schaffte er es lediglich, sich mit dem Blitz zu blenden. Beim zweiten Mal schlingerte der Hubschrauber und er prallte gegen Lex.

„Tschuldigung“, sagte der Mann, als Lex aufwachte. Sie nickte und wollte gerade wieder die Augen schließen, als er hinzufügte: „Aber wo Sie schon einmal wach sind, könnten Sie vielleicht…“

Er hielt die Kamera hoch und versuchte Lex ein Lächeln zuzuwerfen, das ihn aber lediglich streberhaft aussehen ließ.

Lex nahm die Kamera und schoss das Foto.

„Ich dokumentiere die Reise für meine Jungs, damit sie wissen, dass ihr Vater nicht nur ein Langweiler war“, beteuerte der Mann. Er griff in seinen Parka und holte eine dicke Brieftasche mit Fotografien hervor. Er zeigte Lex eines der Bilder.

„Das ist Jacob und das ist Scotty“, sagte der Mann stolz.

„Die sind süß“, meinte Lex aus Höflichkeit. „Ist das da ihre Frau?“

„Ex-Frau“, entgegnete er. Dann streckte der Mann seine Hand aus. „Graham Miller, Chemieingenieur.“

Sie schüttelten einander die Hände.

„Alexa Woods, Umweltexpertin und Expeditionsführerin.“

„Arbeiten Sie für Weyland?“

Lex schüttelte den Kopf.

„Ich arbeite abwechselnd für eine Meine Umweltstiftung und führe Wissenschaftler auf Expeditionen ins Eis. Das eine finanziert das andere, und beides zahlt sich nicht sonderlich aus.“

„Ins Eis?“

„Arktische und subarktische Umgebungen, der Himalaya, die Antarktis…“

In diesem Moment streckte der Kopilot seinen Kopf in die Kabine. „Lex, du und dein Freund, ihr solltet euch anschnallen. Wir nähern uns jetzt dem Schiff, aber wir werden in ein paar heftige Turbulenzen geraten.“

Lex schloss ihren Sicherheitsgurt. Miller saß ihr gegenüber und tat das gleiche.

„Freunde von Ihnen?“

„Von meinem Vater. Er hat die meisten Piloten hier unten ausgebildet. Im Sommer sind meine Schwester und ich immer mitgekommen.“

„Arbeitet Ihre Schwester mit Ihnen zusammen?“

Bei dieser Bemerkung hätte Lex beinahe gelacht. „Keine Chance. Sie hasst die Kälte, wohnt in Florida. Auf Skiern sieht man sie nur, wenn sie von einem Boot gezogen wird.“

Der Kopilot, jetzt wieder auf seinem Sitz, drehte sich herum und rief aus dem Cockpit: „Wir sind grade über den PSR rüber!“

„Verdammt“, sagte Miller und griff nach seiner Kamera. „Ich hätte so gern ein Bild gemacht.“

„Wovon?“

„Vom PSR. Die sollten einem wirklich Bescheid sagen, bevor man drüber wegfliegt.“

Lex schüttelte den Kopf. Wo ist der Typ bloß hergekommen? „Der PSR ist der Point of Safe Return“, erklärte sie ihm behutsam. „Das bedeutet, wir haben die Hälfte aaset« Sprits verbraucht und können nicht mehr umkehren.“

Miller wurde merklich blasser.

„Wir könnten notwassern“, fügte Lex zur Erleichterung des Ingenieurs hinzu, „…aber die Wassertemperatur würde uns innerhalb von drei Minuten umbringen.“

Miller wurde noch eine Nuance blasser, während der Helikopter weiter rüttelte und sich schüttelte.

„Antarktis“, sagte Miller gedämpft und starrte aus dem Fenster.

 

 

Der 278.000-Tonnen-Eisbrecher Piper Maru,

400 Kilometer vor dem Kap der Guten Hoffnung

 

Kapitän Leighton stand breitbeinig auf der schwankenden Brücke des Schiffes und blinzelte durch ein regenverhangenes Fenster. Graue, schaumbedeckte Wellen stoben über den Bug des stampfenden Schiffes, während ein beißender Wind auf den Überbau einpeitschte. So nahe der Antarktis waren zu dieser Jahreszeit die Nächte lang und die Tage kurz und der fortwährend zwielichtige Himmel schien von aufgewühlten lila Wolken beherrscht zu werden. Der Sturm, der das Schiff heimsuchte, machte keinerlei Anstalten abzuklingen und gewaltige Stöße salziger Gischt fegten über das Deck.

Leighton, der beinahe vierzig Jahre zur See fuhr, hatte das Kap der Guten Hoffnung schon viele Male umfahren und brauchte nicht auf das Barometer zu sehen, um zu wissen, dass sich die Wetterbedingungen nur noch verschlechtern würden. Der erste Europäer, der diese Region 1488 umsegelt hatte, Bartholomäus Diaz, hatte diese Gewässer Cabo Tormentoso getauft. Portugiesisch für „Kap der Stürme“. An Tagen wie diesem fragte sich Leighton, warum der ursprüngliche Name nicht beibehalten worden war.

„Weyland 14 an Piper Maru, Befinden uns im Anflug“, verkündete eine Stimme über den knackenden Schiffsfunk.

Kapitän Leighton setzte ein Headset auf und sprach ins Mikrofon. „Hier ist die Piper Maru. Sie haben Landefreigabe, aber passen Sie auf, Weyland 14. Wir haben heftige Sturmböen. Es wird ziemlich ungemütlich werden.“

Er brach den Kontakt zu dem Hubschrauber ab und wandte sich an seinen ersten Offizier. „Gordon, ich will, dass Sie eine Bergungsmannschaft rausschicken, nur für alle Fälle. Bringen Sie sie an Deck, aber halten Sie sie außer Sichtweite. Wir wollen unsere Flieger nicht erschrecken.“

Die Crew auf der Brücke gluckste.

Ein paar Augenblicke später sahen sie von der relativen Gemütlichkeit des Kommandodecks aus zu, wie der riesige Helikopter auf dem Sturm umtosten Eisbrecher aufsetzte. Matrosen rannten herbei und sicherten die Maschine mit Haken und Stahltrossen.

Nachdem die Motoren abgeschaltet wurden, glitt die Seitentür auf und die Passagiere stiegen aus und überquerten im strömenden Regen das Deck.

Von seinem Kommandoposten aus zählte Kapitän Leighton sie durchs Fenster, an dem stetig das Wasser hinabrann. „Zwei Neuankömmlinge. Ich hoffe, wir haben genug Platz.“

Lautlos erschien Maxwell Stafford neben dem Kapitän. „Das müssten die Letzten sein.“

Unten auf dem schlingernden Deck stieg Lex Woods als letzter Passagier aus. Zerzaust, steif und müde hielt sie in der Tür des Choppers inne, bevor sie schließlich auf das glatte, metallene Deck trat. Seit man sie vom Berggipfel gepflückt hatte, war sie von einem Helikopter in einen Privatjet und wieder in einen Helikopter gehetzt, hatte ganze Kontinente und weite Ozeane überquert, alles ohne frische Kleidung, ein heißes Bad oder angemessenen Schlaf. Jetzt, wo sie hoffte, das Ziel ihrer Reise erreicht zu haben, war sie mit ihrer Geduld am Ende. Was immer der milliardenschwere Industriebaron Charles Weyland auch für sie ausgeheckt hatte, sie wollte es lieber früher als später herausfinden.

Eine warme Mahlzeit wäre auch nicht schlecht, dachte Lex. Das letzte, was sie zu sich genommen hatte, außer den Kaviar-Canapes und den geräucherten Mandeln in Weylands Privatjet, war ein Plastikbeutel voll getrocknetem Yakfleisch am Khumbu. Nachdem sie ausgestiegen war, schloss Lex rasch zu ihrem Mitreisenden auf. Miller, der fotografierwütige Chem.-Ing. hatte seine Mühe, mit dem Seegang fertig zu werden.

„Vorsicht!“, rief Lex, während sie den schlaksigen, bebrillten Mann geschickt auffing, bevor er stürzen konnte. Beim Versuch, seinen Koffer zu packen, war Miller versehentlich dagegengetreten. Der Koffer rutschte wie ein Hockeypuck über die glatte Fläche des Decks und Lex schnappte ihn sich gerade noch, bevor er über den Rand purzelte.

„Meine Retterin! Danke!“, schwärmte Miller ohne jede Verlegenheit. Er blickte Lex durch taufeuchte Gläser an, die dicker waren als die Fenster einer Tauchglocke. Als Lex dem jungen Mann seinen Koffer zurückgab, bemerkte sie, dass seine Turnschuh patschnass waren. „Sie sollten sich ein Paar bessere Schuhe suchen.“ Miller zuckte mit den Achseln. „Ich kam gerade aus dem Büro.“

So wie ich, dachte Lex.

Sie kämpften gegen den Wind und den Regen an und bahnten sich einen Weg übers Schiff. Lex schreitend und Miller stolpernd. Vor ihnen winkte sie ein Matrose mit einer roten Lampe heran, in Richtung einer Metalltreppe, die unter Deck führte, hinab in den Schiffsladeraum.

Von seinem Posten auf der Brücke aus sah Maxwell Stafford amüsiert zu, wie die umwerfende Lex Seite an Seite mit dem unbeholfenen Miller über das Deck ging.

„Alexa Woods… ungewöhnlicher Vorname“, bemerkte Kapitän Leighton.

Ein weiterer Mann antwortete ihm. „Sie wurde nach ihrem Vater benannt, Colonel Alexander Woods, United States Air Force.“

Kapitän Leighton wandte sich der tiefen Stimme zu und sah einen muskulösen Mann auf die Brücke stolzieren. Max starrte weiter aus dem Fenster.

Der Neuankömmling grinste mit einer nicht angezündeten kubanischen Zigarre zwischen den Zähnen. Quinn strahlte eine rohe, animalische Stärke aus und sprach für gewöhnlich in testosterongefüllten Vulgärausdrücken. Seine Rohheit wurde allerdings von einem scharfen Verstand und angeborener Intelligenz gedämpft. Seine sehnige Gestalt und die lederne Haut zeugten von einem Leben im Kampf mit den Elementen. Stachelige Stoppeln bedeckten sein quadratisches Kinn und unter der Schweiß verschmierten Krempe seines zerdellten Cowboyhuts traten widerspenstige sandblonde Haare hervor.

Quinn berührte die Krempe in einem lässigen Salut zum Kapitän und schlenderte dann hinüber, um sich zu Max Stafford am Fenster zu gesellen.

Die beiden Männer standen nebeneinander und beobachteten die ansehnliche, athletische Afro-Amerikanerin, die mit perfekter Balance über das stampfende Deck schritt und den Sturm, der um sie herum toste, gar nicht wahrzunehmen schien.

„Ihr alter Herr war ein zäher Bastard, der sich im Eis einen Namen gemacht hat. Wollte wahrscheinlich einen Sohn haben“, sagte Quinn. Nach einer kurzen Pause spannten sich seine Kiefermuskeln an. „Hat ja auch einen bekommen.“

„Hübsche Spielzeuge“, murmelte Lex mit angehaltenem Atem, während sie tiefer in den höhlenartigen Hauptladeraum der Piper Maru vordrang.

Hier befand sich ein riesiger Bereich, vollgestopft mit Kettenfahrzeugen, schweren Kränen und Baggern, vorgefertigten Unterständen, Stromgeneratoren, hydraulischen Apparaten, Polaranzügen, Sauerstoffflaschen, Sägen und Handschaufeln. Dank ihres Vaters hatte Lex mit ihren achtundzwanzig Jahren bereits mehr Expeditionen in der Antarktis miterlebt, als es die meisten Forscher in ihrem ganzen Leben taten, aber sie hatte noch nie eine solche Menge an teurer Ausrüstung auf einem Haufen gesehen.

Fahrzeuge – darunter zehn Hägglunds – bestimmten das Bild des Decks, während an den vier Wänden Berge aus Packkisten vertäut waren. Auf den meisten prangte das allgegenwärtige W von Weyland Industries – das gleiche W, das Lex auf ihrem Trip zu diesem Eisbrecher auf jedem verdammten Fahrzeug, jedem Overall und jeder Uniform gesehen hatte.

In einer Ecke des riesigen Laderaumes bemerkte Lex einen provisorischen Besprechungsbereich. Dutzende Klappstühle waren zu einem ungleichmäßigen Kreis um mehrere Packkisten angeordnet, die so aufgestellt waren, dass sie eine erhöhte Bühne bildeten.

Lex schätzte, dass sich noch dreißig bis vierzig weitere Passagiere im Laderaum tummelten und die Spielzeuge der Expedition begafften. Sie beschloss, sie in zwei Kategorien einzuteilen – Wissenschaftler, von denen sie einer war, und Roughnecks, Typen, die das schwere Gerät bedienten. Letztere waren ein ganz eigener Menschenschlag, einer, dem man in der Antarktis öfter begegnete und mit dem Lex unglücklicherweise nur allzu vertraut war.

In der Mitte des Laderaumes waren zwei gewaltige Fahrzeuge festgeschnallt, jedes etwa von der Größe eines Drei-Achsers. Lex kannte sie aus ihrer Zeit als Umweltspezialistin im Forschungszentrum für Natürliche und Beschleunigte Bioremediation am Oak Ridge National Laboratory. Es waren kompakte, mobile Bohrplattformen, ausgestattet mit mulitspektralen Minilabors. Allerdings waren die Prototypen am ORNL nicht annähernd so fortschrittlich wie diese Modelle. Sie ging zu den Maschinen, um sie sich genauer anzusehen. Einen Augenblick später erschien Miller an ihrer Seite, ohne Gepäck, aber mit trockenen Kleidern.

„Das ist ganz schön abgefahrenes Gerät da drüben“, sagte sie und nickte mit dem Kopf in Richtung der Bohrplattformen.

Miller nickte. „Ich frag mich, was man damit macht.“

Noch bevor Lex antworten konnte, tat es jemand anderes.

„Nun“, sagte Sebastian De Rosa und trat näher. „Das hier drüben“ – er deutete auf einige Rohre an der Seite der Maschine – „ist ein hochentwickelter Wärmeumwandler. Ich würde also auf eine Bohrvorrichtung, die auf Hitze basiert, tippen.“

Miller hob einen Finger. „Sagen Sie nichts… Physiker?“

„Eigentlich Archäologe“, bekannte Sebastian. „Mein Kollege Thomas und ich interessieren uns für alles, was gräbt und bohrt.“

„Das wird ja immer geheimnisvoller.“ Man konnte Miller ansehen, dass er jede Minute dieses Abenteuers genoss. „Da hätten wir einen Chemieingenieur, einen Archäologen und eine Umweltexpertin. Und da drüben habe ich sogar einen Ägyptologen getroffen. Was machen wir alle auf demselben Boot?“

Sebastian zog eine Braue hoch. „Ich nehme an, einer von uns ist der Mörder. So ist es doch üblich, oder?“

Lex lächelte – das erste Lächeln seit ihrer erzwungenen Abreise aus Nepal. Sie war einfach hingerissen. Dann bemerkte sie einen ungewöhnlichen Gegenstand, der an einem Lederband um Sebastians Hals baumelte, und fragte ihn geradeheraus: „Was hat’s mit dem Flaschendeckel auf sich?“

„Das ist ein wertvoller archäologischer Fund“, entgegnete er ohne jede Spur von Ironie.

Miller war indessen beim Anblick der Bohrplattformen von unstillbarer Neugier gepackt worden. Er stieg eine Metallleiter hinauf, um sie unerlaubt zu untersuchen, stellte sich auf das Dach der einen Maschine und kletterte dann an der Seite wieder hinunter. Die Kabine war unverschlossen, also schlüpfte er hinters Steuer und sprang dahinter auf und ab wie ein Kind auf einem Hüpfball.

Plötzlich wurde Miller von vier großen, muskulösen Männern in Kampfanzügen umringt. Sie trugen Namensschilder, die sie als Verheiden, Boris, Mikkel und Sven auswiesen. Keiner der Männer lächelte. Stattdessen rückten sie bedrohlich näher. Zwischen ihnen wirkte Miller wie ein Faden Zahnseide. Der größte der Männer – Verheiden – trug eine lange Narbe auf der Wange. Er streckte den Kopf in die Kabine und näherte ihn Millers Gesicht.

„Haben wir Spaß?“

Miller nickte eifrig. „Mein erstes echtes Abenteuer. Ich kann’s gar nicht erwarten, meinen Kindern von alledem zu erzählen.“

Verheiden grinste höhnisch. „Für dich mag es ja ein großes Abenteuer sein, Papa, aber für die anderen hier ist es bloß ein Job. Raus aus der Maschine und zurück in dein Provinzdorf, bevor du uns alle umbringst.“

Als Miller nicht sofort reagierte, brüllte Verheiden los: „Nimm die Finger von der Ausrüstung, oder du kannst deinen Arsch als Hut tragen!“

Miller krabbelte rasch aus der Kabine, als Lex dazukam.

„Toller Teamgeist“, sagte sie.

Verheiden sah zu Lex, dann zu Maxwell Stafford.

„Halt die Beaker von der Ausrüstung fern!“, bellte er.

Max Stafford seufzte. Als akribischer Organisator hatte er lange und hart daran gearbeitet, diese sehr teure Expedition zusammenzustellen. Das letzte, was er brauchen konnte, waren persönliche Streitereien, die nur zu angeschlagenen Egos und verschwendeter Energie führten. Für beides war die Unternehmung, zu der sie sich aufmachten, zu wichtig. Er stellte sich zwischen Miller und Verheidens Team.

Verheiden kehrte Lex und Miller den Rücken und musterte verächtlich die Ansammlung hochgebildeter Deppen, die überall im Laderaum herumrannten und alles akribisch untersuchten, als schauten sie durch ein Elektronenmikroskop.

„Halt bloß die gottverdammten Beaker von der Ausrüstung fern“, knurrte er noch einmal.

Diesmal rief Verheidens Bemerkung Applaus, Pfiffe und spöttisches Gelächter unter seinen Leuten und einigen der Roughnecks hervor.

„Was ist ein Beaker?“ fragte Miller.

Lex verschränkte ihre Arme. „So nennen sie hier draußen die Wissenschaftler. Du weißt schon… Beaker! Der aus der Muppet Show!“

Millers Gesicht hellte sich auf. „Beaker… das gefällt mir.“

„Die Besprechung beginnt in fünf Minuten“, sagte Max Stafford. „Nehmen Sie bitte Platz.“

Sebastian De Rosa fand einen Platz in der ersten Reihe, nahe des Podiums. Als er sich setzte und die Beine übereinanderschlug, huschte Thomas durch den Laderaum an seine Seite.

„Weylands Scheck ist eingelöst worden.“

„Gut“, entgegnete Sebastian. „Wir werden uns anhören, was immer er uns zu sagen hat. Wir nicken, wir lächeln und dann lehnen wir höflich jedes Angebot ab, das Geld anzunehmen und wieder zurück nach Mexiko zu fahren.“

Fünf Minuten später hatte jeder in dem riesigen Laderaum auf einem Klappstuhl Platz genommen. Die Gruppen hatten sich aufgrund ihrer Jobs gebildet. Die Muskelmänner – Verheiden, Sven, Mikkel, Boris und Adele Rousseau – saßen in einer Clique beisammen, Quinn, Connors und die anderen Roughnecks in einer anderen. Die dritte Gruppe war bunt zusammengewürfelt und bestand aus Wissenschaftlern und Forschern der unterschiedlichsten Disziplinen, die Charles Weyland aus allen Ecken der Welt herbeigerufen hatte.

Stafford fiel auf, dass Lex sich mit ihnen zusammengetan hatte.

Als erfahrene Führungsperson konnte Max Stafford die Spannung, die in der Luft des Laderaumes hing, wie aufgeladene Partikel vor einem Blitzschlag spüren. Ein Teil der gesteigerten Emotionen rührte von der Unsicherheit des Teams her. Sie wussten nicht, warum sie hier waren und was sie erwartete. Aber wenn diese Leute erst einmal erfuhren, worum es bei der Reise ging, würde ihre Unsicherheit anderen Gefühlen weichen – wissenschaftlicher Neugier und der Lust an der Entdeckung, die vielleicht von niederen Beweggründen begleitet wurden, wie Ehrgeiz und Gier.

Aus einer so unterschiedlichen Gruppe ein zugkräftiges Team zu schmieden, das Hand in Hand arbeitete, würde eine Herausforderung darstellen, dachte Stafford, als er die provisorische Tribüne betrat. Andererseits war das bei seinem Job immer so.

„Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?“, röhrte Stafford ins Mikrofon. Seine elektronisch verstärkte Stimme hallte in dem höhlenartigen Raum wider.

„Die meisten von Ihnen kennen mich bereits und ich kenne die meisten von Ihnen. Wenn auch nicht persönlich, so doch zumindest Ihrem Ruf nach. Mein Name ist Maxwell Stafford und Mr. Weyland hat mich ermächtigt, dieses Team zusammenzustellen…“

Plötzlich legte sich eine fahle Hand auf seine Schulter. Max wandte sich um.

„Mr. Weyland“, sagte er überrascht.

„Danke, Max. Ich übernehme ab hier“, entgegnete Charles Weyland. Stafford machte einen Schritt zurück und der milliardenschwere Leiter der mysteriösen Expedition trat vor.

Obwohl er Ende Vierzig sein mochte, wies sein dichter schwarzer Haarschopf nicht ein einziges graues Haar auf. Mit seiner hohen, gebieterischen Stirn, dem breiten Mund, den stechenden, stahlblauen Augen und seiner sehnigen Gestalt ähnelte Charles Weyland eher einem Sportler als einem Industriellen. Diese Illusion pflegte er, indem er in der Öffentlichkeit immer mit einem Golfschläger auftrat, den er lässig über der Schulter trug. Er wartete geduldig, bis das teils überraschte, teils anerkennende Gemurmel verstummte. Dann wirbelte er sein Neuner-Eisen einmal herum und stützte sich mit beiden Händen darauf.

„Ich hoffe, Sie hatten alle Gelegenheit, sich frisch zu machen und etwas Schlaf nachzuholen“, begann er. „Ich weiß, dass einige von Ihnen gerade erst eingetroffen sind und Sie alle sehr kurzfristig einen weiten Weg hierher zurückgelegt haben. Lassen Sie mich Ihnen versichern, dass Ihre Reise nicht vergebens war.“

Die Lichter im Laderaum wurden schwächer und ein Digitalprojektor warf ein großes helles Quadrat auf das abblätternde Schott hinter dem Podium. Weyland stand als Silhouette in dem Lichtkegel.

„Vor sieben Tagen suchte einer meiner Satelliten über der Antarktis nach Mineralvorkommen, als eine plötzliche Erwärmung unter der Erdoberfläche dies zum Vorschein brachte…“

Das Quadrat aus weißem Licht wich nun einem verschwommenen rot-gelben Satellitenbild. Vor einem Hintergrund aus schwachem Gelb und kräftigem Orange zeichneten sich deutlich die blutroten Umrisse übereinander liegender Quadrate ab.

„Dies ist ein Wärmebild“, fuhr Weyland fort und gestikulierte mit seinem Neuner-Eisen. „Die roten Linien zeigen massive Mauern an. Die orangefarbenen stehen für Felsgestein. Meine Experten haben mir gesagt, dass es sich um eine Pyramide handelt. Worauf sie sich nicht einigen können, ist, wer sie gebaut hat und wann…“

Sebastian De Rosa spürte, wie sich zum ersten Mal, seit er das Schiff betreten hatte, Interesse in ihm regte.

„Was hat diese Erwärmung verursacht?“, fragte Thomas.

„Das wissen wir nicht. Aber einer meiner Experten meint, dass die Merkmale an die Azteken erinnern…“

Der Blickwinkel des Bildes hinter Weyland wechselte.

„Ein anderer meint, dass es wahrscheinlich kambodschanisch ist…“

Wieder wechselte hinter Weylands Schulter das Satellitenbild der Pyramide.

„Aber sie stimmen alle darin überein, dass die glatte Seite definitiv ägyptisch ist.“

Thomas, der anerkannte Agyptologe, nickte zustimmend.

„Warum sollte jemand hier draußen eine Pyramide bauen?“, fragte Miller.

„Alte Karten zeigen die Antarktis frei von Eis“, sagte Thomas und betete dabei die Theorien seines Mentors nach. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Kontinent einmal bewohnbar war.“

Sebastian De Rosa stand auf und trat näher zu dem Bild an der Wand heran. Weylands stechender Blick folgte ihm.

„Mr. De Rosa?“

„Ich glaube, Ihre Experten haben Recht.“

„Welche?“

Sebastian lächelte. „Alle. Die Ägypter, Kambodschaner und Azteken haben alle Pyramiden gebaut. Drei Kulturen, die tausende Kilometer voneinander getrennt lebten…“

„Und ohne jegliche Verständigungsmöglichkeit untereinander“, fügte Thomas hinzu.

„Dennoch waren ihre Bauwerke nahezu identisch.“ Sebastian stellte sich direkt vor die Wand und starrte auf das projizierte Bild. „Das ist eindeutig eine Tempelanlage.

Wahrscheinlich eine Reihe von Pyramiden, mit einem Zeremonienweg, der sie verbindet.“

Sebastian De Rosas Worte riefen eine Welle der Erregung in der Beaker-Gruppe hervor. Weyland ließ die Wirkung einsickern und schwenkte lediglich sein Neuner-Eisen mit der Hand, um es dann auf seiner Schulter ruhen zu lassen.

Sebastian nahm den wachsenden, lautstarken Protest nicht wahr und konzentrierte sich weiter auf das Bild. „Nahezu identisch“, wiederholte er.

„Und was soll das genau heißen?“, fragte Lex.

„Das könnte die erste Pyramide sein, die jemals gebaut wurde“, antwortete Sebastian.

Miller kratzte sich am Kopf. „Gebaut von wem?“

Sebastian De Rosa konnte die wachsende Erregung in seiner Stimme kaum unterdrücken. „Der Überkultur, von der alle anderen abstammen“, verkündete er.

„Wenn es die erste Pyramide sein könnte, könnte es auch die letzte sein“, sagte Weyland. „Eine Mischung all derer, die davor kamen. Es gibt keinen Beweis für irgendeine Verbindung zwischen den Kulturen, die sie genannt haben.“

Sebastian zeigte mit dem Finger auf das Bild. „Dieses Foto ist der Beweis.“

Weyland lächelte Dr. De Rosa an und Lex fand, dass etwas Herablassendes darin lag.

„Ich kann Ihnen nicht sagen, wer sie gebaut hat“, meldete sich Miller zu Wort. „Aber wenn ich eine Probe nehmen könnte, kann ich Ihnen sagen, wie alt sie ist.“

„Auf wie viele Jahre genau, Professor?“ fragte Max Stafford.

„Eigentlich heißt es Doktor“, entgegnete Miller. „Und ich kann Ihnen das exakte Jahr nennen… so gut bin ich.“

„Nun, Doktor Miller“, sagte Weyland. „Ich biete Ihnen an, Sie direkt zu diesem Ding zu bringen.“

Lex starrte, offensichtlich verblüfft, auf das Bild. „Wo genau auf dem Eis liegt es?“

„Auf der Insel Bouvetoya“, antwortete Weyland und Lex spürte sich zusammenzucken. „Aber es befindet sich nicht auf dem Eis. Es liegt sechshundert Meter darunter.“

Das Wärmebild der Pyramide verschwand von der Wand und wurde von dem Satellitenbild einer Siedlung ersetzt, die aussah wie eine Geisterstadt im winterlichen Montana. „Die Pyramide liegt direkt unter dieser verlassenen Walfangstation, die uns als Basislager dienen wird.“

Lex starrte ihn einfach nur an, während von allen Seiten Stimmengewirr erklang.

Weyland zeigte mit seinem Neuner-Eisen auf den Roughneck mit dem Cowboyhut. „Mr. Quinn.“

Der Mann stand auf und musterte die Anwesenden der Reihe nach stolz.

„Mr. Stafford, Mr. Weyland“, begann Quinn. „Vor sich sehen Sie das beste Bohrteam der Welt. Bis zu dieser Tiefe graben wir uns in sieben Tagen durch.“

„Und legen Sie noch drei Wochen drauf, um die Leute hier auszubilden“, sagte Lex Woods.

Weyland schüttelte seinen Kopf.

„Soviel Zeit haben wir nicht. Ich bin nicht der einzige, der einen Satelliten über der Antarktis hat. Andere werden herkommen, wenn sie nicht schon hier sind.“

„Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt“, sagte Lex. „Keiner in diesem Raum ist bereit für so einen Trip.“

Weyland schenkte Lex ein Lächeln, das charmant wirken sollte, aber es erinnerte sie nur an einen hungrigen Hai.

„Deswegen haben wir Sie hierher eingeladen, Ms. Woods. Sie sind unsere Expertin für Schnee und Eis.“

Lex konnte es nicht ertragen, festgenagelt zu werden, und das war ihr auch anzusehen. Aber sie wollte nicht nachgeben.

„Bouvetoya ist einer der abgeschiedensten Ort der Welt“, sagte sie. „Das nächste Festland ist über tausendfünfhundert Kilometer entfernt. Wenn wir in Schwierigkeiten geraten, werden wir keine Hilfe bekommen.“

Weyland nickte. „Sie haben Recht. Es ist Niemandsland. Aber der Zug ist bereits abgefahren. Ich denke, ich spreche für alle auf diesem Schiff, wenn ich sage, dass…“

Das Bild hinter dem Milliardär wechselte zu einer weiteren Ansicht der geheimnisvollen Pyramide und Weyland zeigte mit seinem Neuner-Eisen darauf.

„…das hier das Risiko wert ist.“

Lex sah sich in dem Raum um. Sie erkannte Neugier, Interesse und Gier in den Gesichtern ringsum. Aber keinerlei Angst. Nicht einmal den Anflug von Besorgnis. Und das bereitete ihr die meisten Kopfschmerzen.

Das projizierte Bild verschwand und die Lichter gingen wieder an.

„Damit wäre die Besprechung beendet, Gentlemen – und Ladies. In neunzehn Minuten wird zum Essen gerufen. Ich hoffe, es wird Ihnen schmecken. Ich habe den Koch aus meinem Hotel in Paris einfliegen lassen… das Filet Mignon wird köstlich sein.“

Charles Weyland sah Lex Woods geradeheraus an. „Werden Sie sich zu uns gesellen?“

Lex kehrte dem Milliardär den Rücken zu und ging davon.

„Suchen Sie sich einen anderen Führer“, rief sie über die Schulter hinweg.