KAPITEL 17

 

Bouvetoya- Walfangstation

 

Quinn machte seine Runde, um zu sehen, ob seine Crew gut und sicher untergebracht war. Seine Männer hatten sich in einem weitläufigen, zugigen Gebäude verteilt, das ein Jahrhundert zuvor die Walfänger beherbergt hatte. Ein paar der Roughnecks hatten sich um ein Feuer versammelt, das in einem steinernen Kamin knisterte, und als Quinn vorbeiging, warf er ein paar Stücke zerschlagener, antiquierter Möbel in die Flammen.

Draußen fauchte der Sturm noch immer den Berg hinab und legte einen undurchdringlichen Schneevorhang über die Station. Die Fallwinde waren so rabiat, dass die eisigen Böen durch jede Ritze bliesen und sich an den Türen und unter den Fenstern Schneewehen bildeten.

Die Roughnecks konnten nichts weiter tun, als sich warm zu halten und dem unaufhörlichen Heulen der Windstöße keine Beachtung zu schenken. Da sie in den letzten zwanzig Stunden nur wenig geschlafen hatten, rollten sich die meisten in ihren Schlafsäcken zusammen und versuchten etwas Schlaf zu finden.

Deshalb war Quinn auch überrascht, über fünf von Weylands „Sicherheitsfaktoren“ zu stolpern, die eifrig damit beschäftigt waren, lange Holzkisten auszupacken und sich für ein Gefecht anzuziehen. Quinn bemerkte, dass der Größte namens Sven eine Tätowierung auf dem Bizeps trug – einen Adler vor Anker, Dreizack und Pistole: das Emblem der Navy SEALs.

„Was zum Teufel geht hier vor?“, wollte Quinn wissen.

„Wir machen nur unseren Job“, sagte Sven. „Ich schlage vor, Sie machen einfach Ihren, Quinn.“

Neben ihm hielt ein stiernackiger Mann namens Klaus seinen Blick starr auf Quinn gerichtet, während er den Rollenverschluss einer MP-5-Maschinenpistole von Heckler & Koch überprüfte. An seiner Hüfte trug er eine Desert Eagle in einem Klettverschlussholster und an seinen Stiefel hatte er ein Survivalmesser geschnallt.

Zwei weitere Männer tauschten Waffen und Munitionsmagazine, wobei sie eins nach dem anderen aus Kisten zogen. Sie sprachen auf Russisch miteinander und ignorierten den Neuankömmling.

Quinn ging auf sie zu. „Niemand hat mir gesagt, dass wir in einen Krieg ziehen.“

Einer der Russen – laut Namensschild Boris – blickte auf und sagte etwas zu seinem Freund Mikkel. Beide kicherten. Dann rammte Boris ein Magazin in seine Maschinenpistole und sah zu Quinn. Sein schmales, grimmiges Lächeln reichte kaum über seine dünnen Lippen hinaus. Seine Augen waren wasserblau und sein Blick so kalt wie das Eis draußen.

„Vielleicht hättest du nicht fragen sollen, Genosse“, sagte Boris ohne jede Spur eines russischen Akzents.

Quinn blickte auf die Maschinengewehre, die Pistolen und Kevlarwesten.

„Ihr Jungs solltet wissen, dass laut Antarktisabkommen von 1961 keine Nation irgendwelchen militärischen Scheiß hier runterbringen darf. Niemand macht einen Aufstand wegen ein paar Handfeuerwaffen – nicht mal wegen Gewehren –, aber das Zeug, das ihr hier auffahrt, ist ein Verstoß gegen internationales Recht.“

„Tja, Weyland Industries ist keine Nation“, meinte Sven, während er seinen strammen muskulösen Körper in eine kugelsichere Weste zwängte. „Und ich kann mich auch nicht erinnern, irgendein Abkommen unterschrieben zu haben.“

 

 

Im Inneren der Pyramide

 

Bevor sie sich weiter in die Pyramide vorwagten, wandte Lex sich an ihre Gruppe.

„Die Temperatur hier ist viel höher als draußen. Ihr könnt eure Jacken ausziehen.“

Froh darüber, die sperrige Ausrüstung ablegen zu können, warfen Sebastian und sein Partner Thomas zusammen mit Miller, Weyland, Max Stafford, Connors und Adele Rousseau ihre Sachen auf einen großen Haufen.

Lex schälte sich aus ihrem Anorak, bis sie nur noch einen knallroten Kaltwetter-Hosenanzug anhatte. Dann legte sie ihren Tornister an und schaltete ein Stroboskoplicht ein, das sie auf den Steinboden legte. Sein rhythmisches Blinken würde sie später wieder zu ihren Sachen führen.

Sie blickte auf und bemerkte, dass Sebastian sie beobachtete.

„Warum legen Sie keine Brotkrumen aus wie im Märchen?“, frotzelte er.

Lex lächelte. „Die Vögel würden sie auffressen und wir wären für immer verloren.“

„Ich glaube nicht, dass Sie hier unten viele Vögel finden und ich bezweifle auch, dass Fledermäuse Appetit auf Brot haben.“

Während die anderen ihre Sachen umpackten und richteten, ging Lex mit Sebastian an ihrer Seite ein paar Meter in den nächsten Korridor.

„Wollen Sie die Knochen nicht mitnehmen?“

„Um solche Dinge kümmert sich Thomas“, antwortete Sebastian. „Er gehört zu der Sorte Archäologen, die zur Hälfte Leichenbeschauer sind. Außerdem hat Weyland ihm befohlen, in der Opferkammer zu bleiben und alles zu katalogisieren.“

„Weyland ist gut im Befehle geben.“

„Das macht Thomas nichts aus. Diese blonde Amazone Adele bleibt bei ihm. Vielleicht kommen sie sich ja näher.“

„An einem so romantischen Ort…“

Eine Weile gingen sie wortlos weiter und stocherten mit ihren Taschenlampen in der Dunkelheit vor ihnen.

„Wie steht’s mit Ihnen?“ fragte Lex. „Was für eine Sorte Archäologe sind Sie, Dr. De Rosa?“

Sebastian ergriff den Pepsi-Deckel, den er um den Hals trug. „Ich liebe alte Dinge. Es liegt eine ganz besondere Schönheit in einem Gegenstand, der vor langer Zeit gemacht worden ist – etwas Zeitloses, Unsterbliches.“

„Apropos schön… Sehen Sie mal, wie sie das Licht einfangen.“ Lex deutete an die Decke des breiten Korridors, an der der Stein mit einem Wald aus schimmernden, bläulich gefärbten Stalaktiten bewachsen war.

Als sie mit dem Strahl ihrer Lampe über die gefrorene Oberfläche strich, schienen die Zapfen ihre Farbe zu wechseln, von kaltem Blau über Azur bis zu Purpur. Weyland humpelte den Korridor entlang bis zu Lex, stützte sich dann auf seinen Eisstock und sah hinauf.

„Das muss eine Art mineralischer Verunreinigung des Wassers sein“, folgerte Sebastian.

„Das habe ich auch erst gedacht“, sagte Miller. „Aber das ist es nicht.“

„Keine Verunreinigung?“

„Kein Wasser.“

Sebastian war überrascht. Miller hielt sein Spektrometer hoch. „Ich habe weiter hinten bei einem anderen Haufen von dem Zeug einen schnellen Test gemacht.“

Er zog den Bildschirm zu Rate. „Wir haben hier Trikresylphosphat, Dithiophosphat, Diethyleneglycol, Polypropyleneäther… und noch ein paar Spurenelemente.“

„Und das bedeutet genau?“ fragte Lex.

Sebastian rückte mit der Antwort heraus. „Hydraulikflüssigkeit. Zumindest nahe dran.“

Alle starrten den Archäologen überrascht an.

„Ich hab nen 57er Chevy. Ist mein Hobby.“ Er zuckte mit den Achseln und schenkte Lex ein kleines Lächeln. „Ich hab ja gesagt – so ziemlich alles, was alt ist.“

Weyland wandte sich an Miller. „Also, was machen Sie sich für einen Reim drauf?“

„Ich weiß nicht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man so früh schon Hydraulikflüssigkeit benutzt hat.“

„Zufall?“

Miller öffnete den Mund und wollte gerade antworten, aber Sebastian sprach zuerst. „Das möchte ich bezweifeln, Mr. Weyland. Wenn uns fünftausend Jahre Menschheitsgeschichte auch nur irgendetwas gelehrt haben, dann, dass Zufall für die Katz ist.“

 

 

Bouvetoya-Walfangstation

 

Nachdem seine Männer sich erst einmal eingerichtet hatten, machte Quinn eine Pause und schlief drei Stunden lang. Als er vom Alarm seiner Uhr geweckt wurde – viel zu früh –, kroch er aus seinem Schlafsack und ging nach draußen, um den Schacht zu überprüfen.

Erleichtert stellte er fest, dass das steife kirschrote 'Apfel'-Zelt über dem Loch noch heil war. Auch die Flaschenzüge schienen betriebsfähig zu sein, ohne irgendwelche Eisspuren an den Winden. Quinn betrachtete die Anzeige des Tiefenmessers. Der Flaschenzug hatte 613 Meter Stahlkabel abgespult. Das bedeutete, dass das Höhlenteam schon vor Stunden das Ende des Tunnels erreicht hatte, etwa kurz nachdem der Sturm begonnen hatte.

Er setzte sich hin, zog sich die Handschuhe aus und kurbelte das Funkgerät an, das eine Kabelverbindung zu dem Team unter der Erde hatte. Allerdings machte dort unten niemand Anstalten zu antworten.

Quinn war nicht sonderlich überrascht. Seit er das Loch im Eis entdeckt hatte, war Charles Weyland von Sicherheitsvorkehrungen geradezu besessen gewesen. Er hatte eine komplette Kommunikationssperre zur Außenwelt angeordnet, obwohl man bei diesem Sturm sowieso kaum ein Signal empfangen konnte. Dann hatten dieser Ex-Navy-SEAL und seine Kumpane ihre Verkleidungen als „Sicherheitskräfte“ fallen gelassen und angefangen, mit Knarren herumzufuchteln wie eine Spezialeinheit, die sich für eine Mission rüstet.

Langsam hatte Quinn den Eindruck, dass der ganze Job schlimmer stank als ein plattgefahrenes Tier auf einem heißen Texas-Highway.

Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass in dem Apfelzelt alles in Ordnung war, trat Quinn wieder nach draußen. Der Wind traf ihn wie eine Dampframme und der Schnee prasselte so heftig gegen seinen Parka, dass sich die einzelnen Flocken wie Schrapnellgeschosse anfühlten. Er schnürte seine Kapuze zusammen und drückte sich den Hut tief ins Gesicht. Quinn schätze die Fallwinde auf maximal 120 Stundenkilometer und das war gar nicht gut.

Während er durch den Ort ging, konnte Quinn in dem weißen Schneevorhang kaum die Umrisse der Messe ausmachen.

„Stehenbleiben! Identifizieren Sie sich!“, verlangte eine Stimme, die vom fallenden Schnee gedämpft wurde.

„Ich bin’s, Quinn. Quinn, verdammt noch mal!“

Er zog seine Kapuze herunter und ging vorwärts, nur um in den Lauf der größten Handfeuerwaffe der Welt zu starren. Verärgert riss sich Quinn den Hut vom Kopf, damit der Mann ihn erkennen konnte.

Klaus steckte die Desert Eagle wieder in seinen Holster.

„Was zum Teufel soll das?“, bellte Quinn. „Ich kann’s nicht ab, wenn man mir Knarren unter die Nase hält.“

„Befehl ist Befehl“, sagte Klaus mit einem trotzigen Achselzucken. Er zog Quinn in die relative Sicherheit des Eingangs und lehnte sich zu ihm hin, damit er ihn hören konnte. „Weyland will, dass dieses Gebiet gesichert wird.“

„Gesichert? Vor was?“

„Konkurrenz“, antwortete der Mann. „Die Russen, die Chinesen… ein anderes Unternehmen. Da draußen könnte sich wer weiß wer rumtreiben.“

Quinn sah hinaus in den Sturm. „Da draußen ist niemand. Vertrauen Sie mir.“

Er drehte sich um und wollte gehen, aber Klaus hielt ihn auf. „Wo wollen Sie hin?“

„Nun, wie ich sehe, habt ihr Jungs die Messe gesichert, also gehe ich los und sehe nach den Hägglunds. Und jetzt lassen Sie mich los. Ich habe einen Job zu erledigen.“

Klaus ließ Quinns Arm los und trat zurück in den Schatten. Er sah zu, wie sich der Roughneck durch den Schnee kämpfte, bis er von ihm verschluckt wurde. Dann öffnete Klaus die wuchtige Holztür zum Messesaal.

Sven blickte auf, als er die kalte Luft spürte, die mit Klaus in den Raum wehte. Seine Augen verengten sich. „Solltest du nicht auf Wache sein?“

„Ich wollte bloß einen Schluck heißen Tee“, antwortete Klaus.

Sven sah zu dem Russen Boris hinüber, der in einer Ecke saß und in seiner Muttersprache vor sich hin sang, während er auf einem Campingofen Wasser kochte.

„Ist noch nicht fertig.“

Klaus fluchte und schloss die Tür hinter sich, als er wieder hinausging.

„Wann kriegst du endlich mal den Heizlüfter an, Mikkel?“

Mikkel sah den Schweden über die Schulter an und schlug dann auf den sturen Apparat ein. „Kommt gleich, kommt gleich…“

Wieder draußen machte Klaus einen weiteren Schatten aus, der sich durch das dichte Weiß bewegte.

„Halt!“

Verschwommen im Sturm kam der Umriss auf ihn zu.

„Quinn?“

Wortlos kam er näher.

„Identifizieren Sie sich!“

Die Gestalt hielt inne und Klaus kniff die Augen zusammen, um in dem Schneegestöber besser sehen zu können. Er zwinkerte und sein Finger spannte sich am Abzug.

Jetzt waren es zwei Umrisse – dunkle Löcher inmitten des Sturms.

„Ich sagte, identifizieren Sie sich!“

Neben den anderen Gestalten tauchte eine dritte auf. Zusammen näherten sie sich lautlos.

Wären es Freunde, so dachte Klaus, hätten sie inzwischen geantwortet. Also brachte er Kimme und Korn übereinander, zielte auf die undeutliche Erscheinung in der Mitte und drückte ab.