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DER KRANKENWAGEN KOMMT, und Blaulicht flackert über den Schnee. Als die Trage zwischen den alten Häusern herangerollt wird, richtet Joona sich auf. Er erklärt den Sanitätern die Lage, hält dabei aber weiterhin seine Pistole auf Wohnung Nummer vier gerichtet.
»Beeilen Sie sich«, ruft er. »Sie hat sehr hohes Fieber, Sie müssen unbedingt das Fieber senken … ich glaube nicht, dass sie noch bei Bewusstsein ist.«
Die beiden Rettungssanitäter heben Felicia aus dem Schnee. Ihre Haare sind verschwitzt, schwarze Strähnen liegen auf ihrer bleichen Stirn.
»Sie hat die Legionärskrankheit«, teilt er ihnen mit und geht mit erhobener Waffe auf die offene Tür zu.
Er will gerade in das Haus zurückkehren, als er das rotierende Blaulicht des Krankenwagens über die Ruine des letzten Gebäudes flackern sieht. Frische Fußspuren im Schnee führen von dort weg in die Dunkelheit.
Joona läuft in diese Richtung und denkt, dass es einen anderen Ausgang geben muss, dass die beiden Häuser sich früher wahrscheinlich denselben Schutzraum teilten.
Er folgt den Fußspuren durch ein Dickicht aus Gras und hohem Unterholz, läuft um einen alten Dieseltank herum und sieht eine schlanke Gestalt, die schnell über die Kuppe der Böschung geht, die zur Sandgrube hin steil abfällt.
Joona läuft, so leise er kann.
Der Mann stützt sich auf eine Krücke, humpelt weiter, bemerkt dann, dass er verfolgt wird, und versucht, entlang der steilen Kante schneller zu gehen.
In der Ferne hört man Sirenen.
Joona läuft mit gezogener Pistole durch tiefen Schnee.
Ich werde ihn fassen, denkt er. Ich werde ihn verhaften und zu den wartenden Streifenwagen zurückschleifen.
Sie nähern sich einem beleuchteten Teil der Kiesgrube mit einer großen Betonfabrik. Das Scheinwerferlicht eines einsamen Stahlmastes beleuchtet den Grund des tiefen Kraters.
Die Gestalt bleibt stehen, dreht sich um und sieht Joona an. Der Mann steht, auf einen Krückstock gestützt, vor dem Rand der Grube und atmet mit offenem Mund.
Joona nähert sich ihm langsam und mit gesenkter Waffe.
Das Gesicht des Sandmannes ist identisch mit Jureks, aber wesentlich hagerer.
In der Ferne hört man, dass bei den alten Gastarbeiterwohnungen Streifenwagen eintreffen.
»Bei dir ist es leider nicht nach Plan gelaufen, Joona Linna«, sagt der Sandmann. »Mein Bruder kam noch dazu, mir zu sagen, dass ich mir Summa und Lumi schnappen solle, aber sie starben, bevor sich eine Chance dazu ergab … manchmal geht das Schicksal seine eigenen unergründlichen Wege …«
Die hellen Taschenlampen der Polizisten kreisen rund um die alten Unterkünfte.
»Ich schrieb meinem Bruder und erzählte ihm von dir, erfuhr aber nie, ob er wollte, dass ich dir noch jemanden wegnehme«, fährt Jureks Bruder leise fort.
Joona bleibt stehen, spürt die Schwere der Waffe in seinem müden Arm und sieht in die hellen Augen des Sandmanns.
»Ich war mir sicher, dass du dich nach dem Autounfall erhängen würdest, aber du lebst«, sagt der hagere Mann. »Ich habe gewartet, aber du hast weitergelebt …«
Er verstummt, lächelt plötzlich, blickt auf und sagt:
»Du lebst, weil deine Familie nicht wirklich tot ist.«
Joona hebt schweigend die Pistole, richtet die Mündung auf das Herz des Sandmanns und feuert drei Schüsse ab. Die Kugeln durchschlagen den schlanken Körper, und schwarzes Blut spritzt aus den Austrittslöchern zwischen den Schulterblättern.
Das Echo der drei Schüsse hallt durch die Kiesgrube.
Jurek Walters Zwillingsbruder fällt nach hinten.
Sein Krückstock bleibt im Schnee stecken.
Der Sandmann ist tot, noch ehe er auf der Erde aufschlägt. Der hagere Körper rollt den Hang hinunter, bis er von einem alten Herd gestoppt wird. Kleine Schneeflocken tanzen aus dem schwarzen Himmel herab.