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UM NEUN UHR wird das Licht gelöscht. Saga sitzt auf der Bettkante. Das Mikrofon steckt wieder in ihrem Hosenbund. Bis es ihr gelungen ist, es im Aufenthaltsraum anzubringen, ist es am sichersten, es am Körper zu tragen. Ohne das Mikrofon ist der ganze Auftrag sinnlos. Sie wartet, und nach kurzer Zeit taucht in der Dunkelheit ein graues, schwebendes Rechteck auf. Es ist die dicke Glasscheibe in der Tür. Als noch etwas Zeit vergangen ist, zeichnen sich als schemenhafte Landschaft die Formationen ihres Zimmers ab. Saga steht auf und geht in die dunkelste Ecke, legt sich auf den kalten Fußboden und beginnt, Sit-ups zu machen. Nach dreihundert rollt sie herum, streckt vorsichtig die Bauchmuskeln und macht Liegestütze.

Plötzlich hat sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Etwas hat sich verändert. Sie hält inne und blickt auf. Die Glasscheibe ist dunkler als vorher. Schnell fahren ihre Finger zum Hosenbund und ziehen das Mikrofon heraus, das ihr jedoch hinfällt.

Sie hört Schritte und Bewegungen und ein metallisches Scharren an der Tür.

Hastig wischt sie mit den Händen über den Fußboden, findet das Mikrofon und steckt es sich in den Mund, als in derselben Sekunde die Deckenlampe angeht.

»Zum Kreuz«, sagt eine Frau mit strenger Stimme.

Saga ist auf allen vieren und hat das Mikrofon noch im Mund. Langsam steht sie auf und versucht gleichzeitig, in ihrem Mund Speichel zu sammeln.

»Na, wird’s bald?«

Sie geht zögernd zu dem Kreuz, schaut zur Decke und dann wieder auf den Boden hinab. Sie bleibt auf dem Kreuz stehen, kehrt der Tür lässig den Rücken zu und schluckt. Es tut sehr weh, als das Mikrofon langsam hinunterrutscht.

»Wir sind uns heute schon begegnet«, sagt ein Mann mit schleppender Stimme. »Ich bin Oberarzt und für Ihre Medikation zuständig.«

»Ich möchte einen Anwalt sprechen«, erklärt Saga.

»Machen Sie den Oberkörper frei, und kommen Sie langsam zur Tür«, sagt die erste Stimme.

Sie zieht ihr Hemd aus, lässt es zu Boden fallen, dreht sich um und geht in ihrem verwaschenen BH zur Tür.

»Bleiben Sie stehen, und zeigen Sie beide Hände, drehen Sie die Arme um, und machen Sie den Mund weit auf.«

Die Metallluke wird geöffnet, und sie streckt die Hand aus, um den kleinen Becher mit Tabletten zu bekommen.

»Ich habe übrigens Ihre Medikation geändert«, erklärt der Oberarzt mit träger Stimme.

Als Saga sieht, dass der Arzt eine Spritze mit einer milchig weißen Emulsion vorbereitet, wird Saga schlagartig bewusst, was es heißt, in der Gewalt dieser Menschen zu sein.

»Strecken Sie den linken Arm durch die Luke«, sagt die Frau.

Sie weiß, dass sie sich nicht weigern kann, aber ihr Puls schlägt schneller, als sie gehorcht. Eine Hand greift nach ihrem Arm, und der Arzt tastet mit dem Daumen den Muskel ab.

Wenn ich richtig sehe, haben Sie bisher Decentan bekommen«, sagt der Arzt und wirft ihr einen schwer zu deutenden Blick zu. »Drei Mal täglich acht Milligramm, aber ich habe mir gedacht, wir probieren mal …«

»Ich will nicht«, sagt sie.

Sie versucht, den Arm zurückzuziehen, aber die Pflegerin hält ihn eisern fest, sie könnte ihn brechen. Die Frau ist schwer und beugt den Arm so stark nach unten, dass Saga gezwungen ist, sich auf die Zehen zu stellen.

Saga versucht, ruhig zu atmen. Was wollen sie ihr geben? Ein trüber Tropfen hängt an der Spitze der Nadel. Noch einmal versucht sie, den Arm zurückzuziehen. Ein Finger streicht über die dünne Haut über dem Muskel. Es pikst, und die Nadel gleitet hinein. Sie kann den Arm nicht bewegen. Kühle breitet sich in ihrem Körper aus. Sie sieht die Hände des Arztes, als die Nadel herausgezogen wird und eine Kompresse die Blutung stoppt.

Dann lassen die beiden Saga los. Sie zieht den Arm an den Körper, weicht von der Tür zurück und sieht die beiden Gestalten schemenhaft durchs Glas.

»Gehen Sie, und setzen Sie sich aufs Bett«, sagt die Schwester mit harter Stimme.

Die Einstichstelle brennt, als hätte sie sich an der Nadel verbrannt. Ihr Körper wird von Müdigkeit übermannt. Ihr fehlt die Kraft, das Hemd vom Boden aufzuheben, stattdessen macht sie taumelnd einen Schritt auf ihr Bett zu.

»Sie haben zur Entspannung Stesolid bekommen«, erläutert der Arzt.

Der Raum schwankt, sie tastet blind herum, um sich abstützen zu können, aber ihre Hand erreicht die Wand nicht.

»Verdammt«, stößt Saga keuchend hervor.

Die Müdigkeit wird übermächtig, und als sie denkt, dass sie sich ins Bett legen muss, geben im selben Moment ihre Beine nach. Sie fällt willenlos hin und schlägt auf den Boden, der Stoß fährt durch den ganzen Körper.

»Ich komme jetzt gleich zu Ihnen«, fährt der Arzt fort. »Ich habe mir gedacht, dass wir ein Neuroleptikum testen sollten, das häufig eine sehr gute Wirkung zeigt, es heißt Haldol Decanoat.«

»Ich will nicht«, sagt sie leise und versucht, sich auf die Seite zu rollen. Sie öffnet die Augen und kämpft gegen das Schwindelgefühl an. Seit ihrem Sturz tut ihr die Hüfte weh. Eine kribbelnde Welle steigt von den Füßen auf und betäubt sie immer mehr. Sie versucht aufzustehen, ist aber zu schwach. Ihre Gedanken verlangsamen sich. Sie versucht es noch einmal, ist aber vollkommen kraftlos.

Der Sandmann
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