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NUR ZWEI STUNDEN, nachdem Saga Bauer ihrem Chef mitgeteilt hatte, dass sie es sich anders überlegt habe und den Auftrag annehmen wolle, soll eine Besprechung stattfinden.
Carlos Eliasson, Verner Zandén, Nathan Pollock und Joona Linna warten in einer Wohnung in der obersten Etage des Hauses Tantogatan 71 mit Aussicht auf das schneebedeckte Eis der Årstaviken und die Eisenbahnbrücke mit der bogenförmigen Fachwerkkonstruktion.
Die Wohnung ist modern eingerichtet, schlichte weiße Möbel und indirekte Beleuchtung. Auf dem großen Esstisch im Wohnzimmer liegen belegte Brote aus der Non Solo Bar. Carlos bleibt abrupt stehen und starrt Saga an, als sie hereinkommt. Verner verstummt mitten in einem Satz und wirkt fast ängstlich, und Nathan Pollock sackt mit traurigem Blick in sich zusammen.
Saga hat sich die langen Haare abgeschnitten. An mehreren Stellen hat sie Schnittwunden am Kopf.
Ihre Augen sind verquollen.
Ihr schöner blasser Teint, die kleinen Ohren und der lange, schlanke Hals kommen in all ihrer Grazie zur Geltung.
Joona Linna geht zu ihr und nimmt sie in die Arme. Sie umarmt ihn einen Moment lang fest, presst ihre Wange an seinen Brustkorb und hört seine Herzschläge.
»Du musst das nicht tun«, sagt er.
»Ich will das Mädchen retten«, antwortet sie leise.
Sie umarmt ihn noch einige Sekunden und geht anschließend in die Küche.
»Die Anwesenden kennst du ja alle«, sagt Verner und zieht für sie einen Stuhl heran.
Saga nickt.
Sie wirft ihren dunkelgrünen Parka auf den Boden und setzt sich auf einen Stuhl. Sie ist ganz normal gekleidet, eine schwarze Jeans und die Sportjacke ihres Boxclubs.
»Wenn du wirklich bereit bist, dich als verdeckte Ermittlerin in Jurek Walters Abteilung einschleusen zu lassen, handeln wir sofort«, sagt Carlos, ohne seinen Eifer verbergen zu können.
»Ich habe mir deinen Arbeitsvertrag angesehen, und da gibt es bestimmt ein paar Konditionen, die sich verbessern lassen«, erklärt Verner schnell.
»Schön«, murmelt sie.
»Vielleicht gibt es sogar einen Spielraum für eine Gehaltserhöhung und …«
»Das ist mir im Moment ehrlich gesagt scheißegal«, unterbricht sie ihn.
»Dir ist bewusst, dass dieser Auftrag mit Risiken verbunden ist?«, fragt Carlos behutsam.
»Ich will das machen«, antwortet sie mit fester Stimme.
Verner zieht ein graues Telefon aus seiner Tasche, legt es neben seinem normalen Handy auf den Tisch, verfasst eine SMS und begegnet ihrem Blick.
»Soll ich den Prozess in Gang setzen?«, fragt er.
Als sie nickt, schickt er begleitet von einem kurzen säuselnden Ton die Nachricht ab.
»Uns bleiben noch ein paar Stunden, um dich darauf vorzubereiten, was dich dort erwartet«, sagt Joona.
»Dann mal los«, erwidert sie ruhig.
Die Männer holen schnell Aktenmappen heraus, öffnen Notebooks und breiten Material aus. Saga läuft ein Schauer über die Arme, als ihr bewusst wird, wie viel bereits vorbereitet worden ist.
Auf dem Tisch liegen große Karten vom Gelände rund um das Löwenströmsche Krankenhaus und von den Lüftungsschächten sowie detaillierte Baupläne von der gerichtspsychiatrischen Abteilung und vom gesamten Sicherheitstrakt.
»Das Amtsgericht in Uppsala wird dich verurteilen, und morgen früh wirst du in die Frauenabteilung des Kronoberg-Gefängnisses gebracht«, erläutert Verner. »Im Laufe des Vormittags wirst du dann ins Krankenhaus Karsudden in Katrineholm überführt. Es dauert ungefähr eine Stunde bis dorthin. Wenn du dort eintriffst, liegt bereits die Entscheidung des Justizvollzugsvorstands auf dem Tisch, dich in das Löwenströmsche Krankenhaus zu verlegen.«
»Ich habe bereits angefangen, eine Diagnose zu skizzieren, die du dir ansehen musst«, mischt Nathan Pollock sich ein und lächelt Saga zurückhaltend an. »Du brauchst eine glaubwürdige Krankengeschichte mit akuten Maßnahmen, Klinikaufenthalten, Therapien und verschiedenen Medikationen bis zum heutigen Tag.«
»Verstehe«, sagt sie.
»Leidest du an irgendwelchen Allergien oder Krankheiten, über die wir Bescheid wissen müssen?«
»Nein.«
»Keine Probleme mit der Leber oder dem Herzen?«