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DER SCHRIFTSTELLER REIDAR Frost leert sein Weinglas, stellt es auf den Esstisch und schließt für einen Moment die Augen, um sich wieder zu beruhigen. Einer seiner Gäste klatscht in die Hände. Veronica in ihrem blauen Kleid hat sich der Zimmerecke zugewandt, hält sich die Hände vors Gesicht und beginnt zu zählen.

Die Gäste laufen in verschiedene Richtungen auseinander, ihre Schritte und ihr Gelächter verteilen sich auf die vielen Zimmer des Gutshofs.

Sie haben abgemacht, dass man sich nur im Erdgeschoss verstecken darf, aber Reidar steht langsam auf, geht zu einer schmalen Geheimtür und schiebt sich in den Serviergang. Vorsichtig steigt er die enge Bedienstetentreppe hoch, öffnet die Geheimtür im Wandbehang und geht zu seinen Privaträumen.

Er weiß, dass er sich hier lieber nicht alleine aufhalten sollte, trotzdem durchquert er die hintereinanderliegenden Salons.

Jedes Mal, wenn er das nächste Zimmer betritt, schließt er die Tür hinter sich, bis er die hintere Galerie erreicht.

An der Wand stehen die Kartons mit den Kleidern und Spielsachen der Kinder. Eine Kiste ist offen, und man blickt auf ein hellgrünes Lasergewehr.

Durch Fußboden und Wände hindurch hört er gedämpft Veronicas Stimme: »Hundert! Ich komme!«

Durch die Fenster fällt sein Blick auf Äcker und Pferdekoppeln. Etwas weiter entfernt liegt die lange Birkenallee, die zum Gut Råcksta führt.

Reidar zieht einen Lehnstuhl über den Boden und hängt sein Jackett über die Rückenlehne. Als er auf das Sitzpolster steigt, spürt er seinen Rausch. Schweiß nässt den Rücken seines weißen Hemds. Mit einer kraftvollen Bewegung wirft er das Seil über den Dachbalken. Der Stuhl unter ihm knarrt bei der Bewegung. Das schwere Seil schießt über den Balken, und das Tauende schwingt pendelnd hin und her.

Staub wirbelt durch die Luft.

Die gepolsterte Sitzfläche fühlt sich unter seinen Halbschuhen seltsam weich an.

Gedämpftes Lachen und Rufen dringt vom Fest zu ihm herauf, und Reidar schließt einen Moment die Augen und denkt an die Kinder, an ihre kleinen, wunderbaren Gesichter, ihre Schultern und schmalen Arme.

Er kann sich jederzeit ihre hellen Stimmen und schnellen Füße auf dem Fußboden vergegenwärtigen – die Erinnerung fährt wie eine Sommerbrise durch seine Seele und lässt ihn kalt und verlassen zurück.

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Mikael, denkt er.

Seine Hände zittern so stark, dass es ihm nicht gelingt, eine Schlinge zu knüpfen. Er versucht still zu stehen, ruhiger zu atmen, und will es gerade noch einmal versuchen, als jemand an eine der Türen klopft.

Er wartet ein paar Sekunden, lässt dann das Seil los, steigt vom Stuhl herunter und greift nach seinem Jackett.

»Reidar?«, ruft leise eine Frau.

Es ist Veronica, sie muss beim Zählen heimlich geguckt und beobachtet haben, dass er in dem Serviergang verschwand. Sie öffnet die Türen zu den verschiedenen Salons, und je näher sie kommt, desto deutlicher hört er ihre Stimme.

Reidar schaltet das Licht aus, verlässt das Kinderzimmer, öffnet die Tür zum nächsten Salon und bleibt dort stehen.

Veronica kommt ihm mit einem Sektglas in der Hand entgegen. In ihren dunklen, betrunkenen Augen liegt ein warmer Glanz.

Sie ist groß und schlank und hat ihre schwarzen Haare zu einer kleidsamen Pagenfrisur schneiden lassen.

»Habe ich gesagt, dass ich mit dir schlafen will?«, fragt er.

Sie dreht sich taumelnd um sich selbst.

»Lustig«, sagt sie mit traurigem Blick.

Veronica Klimt ist Reidars Literaturagentin. In den vergangenen dreizehn Jahren hat er zwar keine einzige Zeile mehr geschrieben, aber die drei Bücher, die er damals verfasst hatte, bringen ihm immer noch Geld ein.

Inzwischen dringt aus dem Esszimmer Musik zu ihnen herauf, der schnelle Bassrhythmus lässt die Grundmauern des Gutshauses erzittern. Reidar bleibt neben der Couch stehen und streicht sich mit der Hand durch sein silbriges Haar.

»Ihr hebt mir doch ein Schlückchen Sekt auf?«, fragt er und setzt sich auf die Couch.

»Nein«, antwortet Veronica und reicht ihm ihr halbvolles Glas.

»Dein Mann hat mich angerufen«, sagt Reidar. »Er findet, dass du langsam nach Hause kommen solltest.«

»Ich will nicht, ich will mich scheiden lassen und …«

»Das darfst du nicht«, unterbricht er sie.

»Warum sagst du das?«

»Weil du nicht glauben sollst, dass mir etwas an dir liegt«, antwortet er.

»Das tue ich auch nicht.«

Er leert das Glas, legt es einfach auf die Couch, schließt die Augen und spürt das Schwindelgefühl seines Rauschs.

»Du sahst traurig aus, und da habe ich mir Sorgen gemacht.«

»Mir geht es prächtig«, widerspricht er ihr.

Lachen ertönt, und die Tanzmusik wird so laut gestellt, dass man die Vibrationen im Boden an den Füßen spürt.

»Deine Gäste scheinen dich allmählich zu vermissen.«

»Dann wollen wir mal hinuntergehen und diesen Laden auf den Kopf stellen«, erwidert er lächelnd.

Seit sieben Jahren sorgt Reidar Frost dafür, praktisch rund um die Uhr Menschen um sich zu haben. Er hat einen riesigen Bekanntenkreis. Manchmal feiert er auf seinem Gut große Feste, manchmal lädt er zu intimeren Essen ein. An gewissen Tagen, wenn eins seiner Kinder Geburtstag hat, fällt es ihm extrem schwer weiterzuleben. Und er weiß genau, dass ihn Einsamkeit und Stille ohne die Gesellschaft von Menschen schnell besiegen würden.

Der Sandmann
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