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SUSANNE HJÄLMS ARME sind auf dem Rücken gefesselt. Der gebrochene Ellbogen sieht seltsam aus. Sie schreit hysterisch und setzt sich heftig zur Wehr, als zwei Streifenpolizisten sie die Kellertreppe hochschleifen. Das Blaulicht der verschiedenen Einsatzfahrzeuge lässt die verschneite Landschaft pulsieren wie Wasser. Nachbarn stehen wie stille Geister ein paar Meter entfernt und beobachten das Geschehen.

Als Susanne Hjälm Joona und Eliot aus dem Wald kommen sieht, hört sie auf zu schreien. Joona trägt das kleine Mädchen auf dem Arm, und Eliot hält das andere an der Hand.

Susanne Hjälm hat die Augen weit aufgerissen und atmet keuchend in der eiskalten Winternacht. Joona lässt das Mädchen herunter, damit es seiner Schwester zur Mutter folgen kann. Die beiden umarmen sie lange, und sie versucht, ihre Kinder zu beruhigen.

»Jetzt wird alles gut«, sagt sie mit gebrochener Stimme. »Alles wird gut …«

Eine ältere Streifenpolizistin spricht mit den Mädchen und versucht, ihnen zu erklären, dass ihre Mutter mit der Polizei mitgehen muss.

Der Vater wird von Rettungssanitätern aus dem Haus geführt, ist aber so schwach, dass er auf eine Trage gelegt werden muss.

Joona folgt den Polizisten, die Susanne Hjälm durch den tiefen Schnee zu einem Streifenwagen in der Auffahrt bringen. Sie muss sich auf die Rückbank setzen, während ein leitender Polizeibeamter mit einem Staatsanwalt telefoniert.

»Sie muss ins Krankenhaus«, sagt Joona und stampft Schnee von Schuhen und Kleidern.

Er geht zu Susanne Hjälm. Sie sitzt ruhig im Auto und hat das Gesicht dem Haus zugewandt, in dem Versuch, noch einen flüchtigen Blick auf ihre Kinder zu erhaschen.

»Warum haben Sie das getan?«, fragt Joona.

»Das werden Sie nie verstehen«, murmelt sie. »Kein Mensch kann das verstehen.«

»Ich vielleicht schon«, erwidert er. »Ich habe Jurek Walter vor dreizehn Jahren verhaftet und …«

»Sie hätten ihn töten sollen«, fällt sie ihm ins Wort und sieht ihm zum ersten Mal in die Augen.

»Was ist passiert? Nach all den Jahren als Psychiaterin in der Abteilung, da …«

»Ich hätte nicht mit ihm reden dürfen«, antwortet sie angestrengt. »Wir sollen nicht mit ihm sprechen, aber ich habe einfach nicht geglaubt …«

Sie verstummt und richtet den Blick erneut auf ihr Haus.

»Was hat er gesagt?«

»Er … er hat verlangt, dass ich für ihn einen Brief abschicke«, flüstert sie.

»Einen Brief?«

»Er unterliegt doch gewissen Auflagen, so dass ich das nicht tun konnte … aber ich, ich …«

»Sie konnten ihn nicht abschicken? Und wo ist der Brief jetzt?«

»Ich sollte vielleicht mit einem Anwalt sprechen«, sagt sie.

»Haben Sie diesen Brief noch?«

»Ich habe ihn verbrannt«, sagt sie und wendet sich wieder ab.

Tränen laufen über ihr müdes, schmutziges Gesicht.

»Was stand in dem Brief?«

»Bevor ich Ihnen weitere Fragen beantworte, möchte ich mich mit einem Anwalt beraten«, erklärt sie tonlos.

»Es ist wichtig«, beharrt Joona. »Sie kommen jetzt in ärztliche Obhut, und Sie werden auch mit einem Anwalt sprechen dürfen, aber vorher muss ich wissen, wohin dieser Brief geschickt werden sollte … Geben Sie mir einen Namen, geben Sie mir eine Adresse.«

»Ich erinnere mich nicht … es war ein Postfach.«

»Wo?«

»Ich weiß es nicht … es war ein Name«, sagt sie und schüttelt den Kopf.

Joona sieht, dass die ältere Tochter auf einer Trage liegt, die in einen Krankenwagen gehoben wird. Sie wirkt ängstlich und versucht, die Gurte zu lösen, die sie festhalten.

»Erinnern Sie sich an den Namen?«

»Es war kein russischer«, flüstert Susanne Hjälm. »Es war …«

Ihre Tochter gerät in dem Krankenwagen plötzlich in Panik und beginnt zu schreien.

»Ellen«, ruft Susanne Hjälm. »Ich bin hier, ich bin hier!«

Sie versucht, aus dem Auto zu steigen, aber Joona zwingt sie sitzen zu bleiben.

»Lassen Sie mich los!«

Sie versucht, sich seinem Griff zu entwinden, um aus dem Wagen zu kommen. Die Türen des Krankenwagens fallen zu, und es wird wieder still.

»Ellen«, ruft sie.

Der Krankenwagen rollt davon, und Susanne Hjälm hat sich abgewandt und die Augen geschlossen.

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