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NATHAN IST AUFGESTANDEN, Carlos hält sich die Hände vors Gesicht, und Verner spielt mit seinem Handy.
»Ich begreife nicht, warum Jurek Walter mit mir reden sollte«, wiederholt Saga.
»Es stimmt schon, es ist ein Schuss ins Blaue«, sagt Joona.
»In dieser Abteilung gibt es drei einzelne Sicherheitszellen und einen gemeinsamen Aufenthaltsraum mit einem Laufband und einem Fernsehapparat hinter Panzerglas«, erläutert Verner. »Jurek Walter ist seit dreizehn Jahren der Einzige in dieser Abteilung, und ich weiß nicht, in welchem Umfang der Aufenthaltsraum bisher von ihm genutzt worden ist.«
Nathan Pollock schiebt die Baupläne des Sicherheitstrakts in die Tischmitte und zeigt auf Jurek Walters Zimmer und den direkt daran anschließenden Aufenthaltsraum.
»Wenn es ganz mies für uns läuft, erlaubt das Personal keinen Kontakt der Patienten untereinander … darauf haben wir keinen Einfluss«, gesteht Carlos.
»Das ist mir klar«, erwidert Saga gefasst. »Aber ich denke vor allem daran, dass ich keine Ahnung habe … nicht die geringste Ahnung, wie ich mich Jurek Walter nähern soll.«
»Wir haben uns überlegt, dass du verlangen wirst, einen Anwalt zu treffen«, sagt Carlos.
»Und wem sage ich das?«, fragt sie.
»Oberarzt Roland Brolin«, antwortet Verner und legt ihr ein Foto des Mannes vor.
»Jurek Walter unterliegt selbst einigen Einschränkungen seiner Rechte«, sagt Pollock. »Deshalb wird er dich genau beobachten und dir wahrscheinlich Fragen stellen, weil deine Besucher wie ein Fenster zur Außenwelt sind.«
»Worauf muss ich bei ihm gefasst sein? Was will er?«, fragt Saga.
»Er will ausbrechen«, antwortet Joona mit Nachdruck.
»Ausbrechen?«, wiederholt Carlos ungläubig und klopft auf einen Stapel von Berichten. »Er hat in der gesamten Zeit, die er dort sitzt, keinen einzigen Ausbruchsversuch …«
»Er versucht es nicht, wenn er nicht hundertprozentig sicher ist, dass er Erfolg haben wird«, unterbricht Joona ihn.
»Und ihr denkt, dass er in dieser Situation etwas sagen wird, was euch zu der Kapsel führen kann?«, fragt Saga, ohne ihre Skepsis verhehlen zu können.
»Wir wissen jetzt, dass Jurek Walter einen Komplizen hat … was übrigens auch bedeutet, dass er die Fähigkeit besitzt, anderen Menschen zu vertrauen«, sagt Joona.
»Er ist also nicht paranoid«, sagt Pollock.
»Das erleichtert die Sache allerdings ein wenig«, erwidert Saga.
»Keiner von uns glaubt, dass Jurek etwas offen zugeben wird«, sagt Joona, »aber wenn du ihn zum Sprechen bringst, wird er früher oder später etwas sagen, was uns Felicia näher bringt.«
»Du hast doch selbst mit ihm gesprochen«, sagt Saga zu Joona.
»Ja, er hat mit mir gesprochen, weil er gehofft hat, ich würde meine Zeugenaussage ändern … aber während der gesamten Vernehmungen hat er nicht einmal ansatzweise irgendetwas Persönliches angesprochen.«
»Und warum sollte er das mir gegenüber tun?«
»Weil du so außergewöhnlich bist«, antwortet Joona und sieht ihr in die Augen.