6

Carlin verabscheute die neue Kälte in der Luft, die kühleren Vormittage, die kürzeren Tage, die unleugbaren Anzeichen dafür, dass der Winter bevorstand. Das Geschäft im Pie Hole war noch nicht eingebrochen, aber das wäre bald schon der Fall, wenn man die letzten Jahre als Maßstab nahm. An den beiden Tagen zuvor hatte sie abends ihren Atlas hervorgeholt, ihn bei Wyoming aufgeschlagen, und war mit dem Finger an der Straße entlanggefahren, die sie von Battle Ridge fortbringen würde, fast so wie am ersten Tag hier, als sie nur auf einen kurzen Imbiss hatte anhalten wollen und eigentlich nicht mehr erwartet hatte.

In den letzten Wochen hatte sich etwas verändert. Jetzt wollte sie nicht weggehen. Doch ihr Wunsch und die Realität waren zwei Paar Schuhe. Fast war es an der Zeit, weiterzuziehen.

Wenn sie irgendwo hineinging, prüfte sie nicht mehr automatisch die Ausgänge, vielleicht weil ihr alle Orte, die sie aufsuchte, so vertraut waren, dass die Einzelheiten sich in ihr Hirn eingebrannt hatten. Ihre Routine führte sie zu einer Handvoll Lokalitäten, in denen sie die Angestellten kannte, manchmal auch die Stammkunden vom Ansehen: der Supermarkt, die kleine Apotheke, die Bücherei. Das waren die einzigen, in die sie sich begab, wenn sie sich aus dem Pie Hole hinauswagte. Sie zuckte innerlich nicht mehr zusammen, wenn jemand Notiz von ihr nahm. Sie kannte nicht jedes Gesicht, dem sie auf der Straße oder im Café begegnete, aber jemand aus der Nachbarschaft würde sie kennen. Ein Fremder würde hier auffallen wie ein bunter Hund, so wie sie noch vor ein paar Wochen.

Wenn sie hier wegging, müsste sie wohl oder übel woanders wieder von vorn anfangen, dürfte niemandem vertrauen, nie tief schlafen, nie lachen, nie tanzen, wenn sie den Boden aufwischte. Kat wäre ein Problem. Sie waren Freundinnen geworden; Kat würde wissen wollen, wohin Carlin ging und wie sie in Kontakt bleiben könnten.

Die Idee war verführerisch, so sehr, dass sie es nicht wagte. Nein, Brad hatte keine Ahnung, dass sie in Battle Ridge gelandet war, aber wie konnten sie in Verbindung bleiben, wenn sie nicht wusste, wie er sie in Dallas aufgespürt hatte? War es ihr Handy gewesen, die Rechnung eines Versorgungsunternehmens, ihre Sozialversicherungsnummer – was? So vieles hätte es sein können, und sie war keine Expertin für ein Leben im Untergrund. Sie lernte dazu, sie war jetzt klüger als vorher, aber sie war Brad nicht gewachsen. Er war nicht nur ein Zauberer am Computer, wie er ihr mehrfach bei ihren beiden Verabredungen erzählt hatte, sondern ein Cop, der vermutlich Zugang zu Quellen hatte, die ihr nicht zur Verfügung standen. Sie konnte Kat nicht sagen, wohin sie ging, es war zu gefährlich. Wenn sie nicht in Kontakt blieben, wären sie auf der sicheren Seite – am sichersten für sie, und ganz bestimmt am sichersten für Kat. Carlin würde niemals vergessen, was mit Jina passiert war, würde Kat niemals einem solchen Wagnis aussetzen.

Das Beste für sie war, mitten in der Nacht einfach ihren Subaru zu packen und zu verschwinden. Kat wäre sauer. Vielleicht war es besser so.

Wenn sie bis in den Winter hinein wartete, würden Schnee und Eis sie behindern. Sie musste sich irgendwo niedergelassen haben, bevor das Schlimmste eintrat. Aber als sie mit dem Finger an der Straße entlangfuhr, die aus Battle Ridge hinausführte, kam sie nirgendwo an. Der Finger glitt nur ziellos über die Seite und ließ dann davon ab.

Sie war nicht bereit, wegzugehen.

Zeke öffnete die Tür zum Pie Hole und trat ein. Es war noch früh für das Mittagsgeschäft, aber zwei Tische waren besetzt. Kat wischte die Theke ab. Gerade wurde frischer Kaffee aufgebrüht, die Maschine gurgelte und wetteiferte mit dem Duft nach frisch gebackenem Kuchen. Er war hundemüde, besorgt, aber die tröstlichen Düfte besänftigten ihn.

Kat schaute ihn mitfühlend an. »Das mit Spencer habe ich gehört. Wie geht es ihm?«

Zeke schob sich auf einen Hocker an der Theke. Kat stellte eine Kaffeetasse vor ihn hin und füllte sie fachgerecht fast bis an den Rand. Vorsichtig hob Zeke die Tasse, nahm einen ersten Schluck und seufzte über den Geschmack und seine Lage gleichermaßen. »Er wird schon wieder. Hätte viel schlimmer kommen können.«

»Du siehst ziemlich fertig aus.«

Er war fertig. Seit Spencer seinen Zusammenstoß mit Santos hatte, war eine Woche vergangen, und Zeke war am Ende seiner Kräfte. Die Ruptur der Rotatorenmanschette hatte einen ambulanten Eingriff erfordert, was eine Fahrt nach Cheyenne bedeutet hatte. Spencers Krankengymnastik würde in der nächsten Woche beginnen, aber zum Glück suchte ein Physiotherapeut die Klinik in Battle Ridge einmal die Woche auf, daher wären wöchentliche Fahrten nach Cheyenne nicht nötig. Aber jemand müsste Spencer zu seinem Termin in die Stadt fahren, und das hieß, Zeke hätte an den Nachmittagen zwei Männer weniger zur Verfügung statt einem. Er hatte versucht, das Kochen selbst zu übernehmen, so wenig er auch in der kurzen Zeit hinbekam, und das war nicht viel. Die Ergebnisse drehten einem den Magen um. »Es war eine lange Woche.« Und das war die Untertreibung des Jahres. Natürlich war das Jahr noch nicht vorbei. Noch immer konnte ein Haufen Mist passieren. »Spencer wird mindestens sechs Wochen lang eine Schlinge tragen müssen.«

»Hast du schon eine Köchin gefunden?«, fragte Kat, und wäre nicht das fast unmerkliche Trällern in ihrer Stimme gewesen, hätte er meinen können, dass die Frage völlig unschuldig war.

Er schaute sie finster an. »Du weißt verdammt gut, dass ich noch niemanden gefunden habe. Zwei meiner Männer haben es versucht, aber, zum Henker, sie sind keine Köche. Ich habe sogar Kenneth’ Frau ins Spiel gebracht. Ein Mal.« Dann hatte sie ihm rundheraus gesagt, sie habe bei sich zu Hause genug zu tun und könne sich nicht auch noch um sein Chaos kümmern. Sie hatte die Baracke mit dem Versprechen verlassen, nicht wieder zu kommen. Micahs Frau hatte ihm von vornherein einen Korb gegeben. »Meistens hab ich es selbst gemacht.«

Kat schenkte ihm ein fröhliches Lächeln. »Tja, klingt so, als hättest du alles voll im Griff«, sagte sie. »Möchtest du zu Mittag essen, oder nur Kuchen? Heute gibt es Apfel.«

Alles voll im Griff, meine Fresse. Zeke nippte am Kaffee und überging ihre Selbstgefälligkeit, die sie nicht einmal zu verbergen versuchte. Der Kaffee war toll, heiß und stark, genauso, wie er ihn mochte. »Beides«, antwortete er, erleichtert beim Gedanken an eine warme, gut zubereitete Mahlzeit, aber viel zu gereizt, um ein Lächeln zustande zu bringen.

Kat wandte sich schon ab, um in die Küche zu gehen, wo Carly offensichtlich das Tagesgericht kochte. Zeke seufzte, sah den Tatsachen ins Gesicht und biss in den sauren Apfel. Er hielt Kat mit einem Wort an. »Aber …«

Sie wirbelte wieder herum, und ihre Miene war beinahe böse, so selbstzufrieden. »Ja?« Sie legte den Kopf schief und wartete.

Sie wusste Bescheid, verdammt. Sie wusste, warum er hier war, und sie wollte ihn dazu bringen, zu betteln. Schlimm war, dass er betteln würde, wenn es denn sein musste. So weit war es mit ihm gekommen, aber er konnte nicht so weitermachen wie bisher. Alle Rancharbeiter würden kündigen, und er konnte es ihnen nicht einmal verübeln. Mann, vielleicht schmiss er sogar selbst alles hin. »Die Neue – Carly. Wenn sie Interesse hat, ich könnte sie auf der Ranch gebrauchen«, sagte er knurrig und fügte hinzu: »Natürlich nur vorübergehend.«

Einer der Gäste stand auf und ging zur Registrierkasse. Kat hielt einen Finger hoch, um Zeke zu bedeuten, dass er warten sollte, während sie abrechnete. Sie ließ sich sogar kurz auf eine leichte Unterhaltung ein, fast so, als wollte sie Zeke absichtlich warten lassen. »Fast so?« Mitnichten. Sie genoss es geradezu, ihn zu foltern.

Doch kurz darauf war sie wieder bei ihm. Sie lehnte sich an die Theke, das selbstgefällige Lächeln noch immer auf den Lippen. »Was sagtest du doch gerade?«

»Verdammt, Kat«, brummte er leise. »Ich bin am Ende. Ich muss jemanden zur Überbrückung finden, bis Spencer das Kochen wieder übernehmen kann, auch wenn es eine Blondine ist, die …«

»Die was?«, spornte Kat ihn an, als er innehielt, um nicht zu viel zu sagen.

Er musste seinen Kopf untersuchen lassen. Nein, er brauchte jemanden wie Libby, oder einen Mann, der kochen konnte. Eine kecke Blondine, die im selben Haus wohnte und ihn gleichermaßen aufgeilte und nervte, brauchte er nicht. Kat glaubte, sie quäle ihn? Sie war nichts im Vergleich zu der Vorstellung, wie es wohl wäre, Carly Clever in seinem Haus zu haben, aber er hatte nicht vor, ihr das zu sagen. »Was weißt du über sie? Ich werde mir ihre Zeugnisse ansehen, wenn ich dazu komme, aber bis dahin …«

Kats Lächeln verschwand. Sie schaute ihn lange eindringlich an. »Darüber müssen wir reden.«

Oh, Mist. Er hatte doch gewusst, dass etwas mit Miss Clever nicht stimmte, und Kat hatte es gerade bestätigt.

Sie verschwand in der Küche und kam bald schon mit einem Tellergericht aus Huhn, Soße und Reis zurück, bei dessen Anblick ihm das Wasser im Mund zusammenlief.

»Iss erst«, sagte sie. »Dann reden wir.«

Sie versuchte wohl sicherzustellen, dass er gut gelaunt war, bevor sie die Unterhaltung fortsetzten, und das verhieß nichts Gutes.

Sie ließ ihn in Ruhe essen, während sie nach ihren anderen Gästen sah, Tassen und Gläser nachfüllte. Dann wartete sie, bis sie gegangen waren, und kam dann wieder zu ihm. Das deutete darauf hin, dass sie für ihre Unterhaltung ungestört sein wollte.

Worauf zum Teufel ließ er sich da bloß ein?

Was blieb ihm anderes übrig?

Carlin wusste, dass Zeke Decker im Restaurant war. Sie hatte seine Stimme gehört, entfernt zwar, aber deutlich, sobald er hereingekommen war. Seine Stimme war leise, aber tief und irgendwie kratzend, wahrscheinlich, weil er den ganzen Tag lang Befehle bellte. Oder aber sie war wie die Stimme des Schicksals. Jaah, das war ein toller Vergleich. Carlin war froh, dass sie heute das Tagesgericht kochte – Kats Rezept, aber ein für sie einfaches, um ein wenig Übung zu bekommen –, statt an der Theke zu arbeiten. Das Letzte, war sie brauchte, war, diesen Arsch zu bedienen, der sie eine »Streunerin« genannt hatte und nicht daran denken würde, sie einzustellen, obwohl er, wie Kat gesagt hatte, verzweifelt jemanden draußen auf seiner Ranch benötigte. Dabei wollte sie gar nicht für ihn arbeiten, aber hier ging es ums Prinzip.

Dann streckte Kat ihren Kopf in die Küche. »Hey, schalte alles ab, was noch an ist und komm kurz hier raus, ja?« Carlins Herz tat einen Sprung, was einfach nur blöd war, aber offenbar hatten Herzmuskeln nur Regungen, kein Hirn.

Sie holte tief Luft, stellte alles ab, wusch sich die Hände und trocknete sie sorgfältig ab – zwei Mal –, bevor sie die Küche verließ.

Sofort fiel ihr auf, dass Zeke der einzige Gast war. Für die Stammgäste am Mittag war es noch etwas zu früh, und der Letzte der Frühstücksmeute war gerade gegangen. Zeke hatte seinen Teller leer gegessen, vor ihm stand noch ein halbes Stück Apfelkuchen.

Er schaute sie an, als machte ihn der Anblick sehr unglücklich. Fehlte nur noch, dass er böse knurrte. Tja, dann soll er doch mal versuchen, mit einem Haarnetz und in einer Schürze mit Soßenflecken hübsch auszusehen. Sie erwiderte seinen Blick so gut sie konnte, ohne ihn gleich anzufauchen.

Kat funkelte ihn wütend an und klopfte mit den Fingerknöcheln auf die Theke, um ihren Standpunkt zu unterstreichen. »Bevor ich anfange, musst du mir versprechen, dass alles, was wir dir sagen, vertraulich bleiben wird.«

Seine Miene wurde noch finsterer, und er rieb sich stöhnend über das Gesicht. »Scheiße. Das kann nicht gut sein.«

»Versprich es«, beharrte Kat. »Sonst kommen wir hier keinen Schritt weiter, und du kannst dich woanders nach einer Köchin umsehen.«

Was? Carlin schüttelte protestierend den Kopf. Sie wollte nicht für Griesgram und seine alles andere als lustige Bande von Cowboys kochen. Die Idee war so was von gar nicht gut. Sie funkelte ihn an. Und was genau wollte Kat ihm sagen? Doch bestimmt nichts von …

Er erwiderte ihren wütenden Blick. »Gut. Versprochen«, sagte er jedoch. Er klang nicht froh darüber, aber Kat schien zufrieden.

Sie kam direkt auf den Punkt. »Carlin hat Probleme mit einem Stalker. Sie muss eine Weile komplett untertauchen.«

»Kat!« Entsetzt starrte Carlin sie an. Das nur zum Geheimhalten ihres Namens. Vielleicht hatte er es nicht mitbekommen, weil Carly und Carlin so ähnlich klangen, aber sie warf ihm einen kurzen Blick zu und stellte fest, dass er sie genau in Augenschein nahm. Also hatte er es sehr wohl bemerkt.

Kat hob die Hand, um weitere Prosteste zu unterbinden. »Vertrau mir«, sagte sie. »Er kann helfen.«

»Ach ja? Wie denn?«

»Seine Lage hat sich verschlimmert, und jetzt sitzt du am Steuer, weil er dich mehr braucht, als du ihn«, sagte Kat und freute sich hämisch, obwohl Zeke dort saß und jedes Wort mitbekam. Sie lächelte. Er gab ein kehliges Geräusch von sich, das ein Knurren hätte sein können.

Zeke schüttelte bereits den Kopf. »Ich glaub es nicht. Das Letzte, was ich brauche, ist ein zusätzliches Problem …«

Kat schnaubte. »Jaah, weil du ach so gut allein zurechtkommst. Carlin kann kochen und putzen, und die Ranch wäre der perfekte Platz für sie, um ein paar Monate lang unterzutauchen.« Sie streckte die Hände vor und hob sie hoch. »Win-win.«

»Ich brauche nur jemanden für ein paar Wochen, bis Spencer die Schlinge ablegen kann. Und ich brauche auf gar keinen Fall jemanden, der untertauchen muss.«

»Und warum sollte ich auf der Ranch überhaupt untertauchen?«, fragte Carlin. »Wieso kann ich nicht hierbleiben und jeden Tag zur Ranch rausfahren? Vorausgesetzt, ich wollte für ihn arbeiten, was nicht der Fall ist, da ich ja eine Streunerin bin und so. Wir Streuner arbeiten nicht gern schwer.« Sie zog die Lippen kraus, um ihm genau zu zeigen, wie sehr sie seine Wortwahl zu schätzen wusste, nämlich gar nicht, null, nada.

Aber Kat schüttelte den Kopf. »Die Fahrt zur Ranch ist lang, eine Stunde mindestens, und die willst du nicht zwei Mal am Tag machen, besonders nachts nicht. Du müsstest irgendwann um drei Uhr morgens aufstehen, um rechtzeitig zur Zubereitung des Frühstücks dort zu sein, und wärst nicht vor zehn, elf Uhr abends zu Hause. Die Tage werden jetzt kürzer, und sobald der Winter uns eingeholt hat, können die Straßen ziemlich glatt werden. Das ist auf jeden Fall ein Job mit Unterkunft.« Sie zuckte mit den Schultern. »Im Übrigen bleibe ich im Winter hier oben, wenn die Straßen vereist sind.«

Jaah, das hatte sie früher schon erwähnt, aber Carlin hatte sich im Dachzimmer so gut eingelebt, dass sie es vergessen hatte. »Oh.« Also ging es um alles oder nichts. Sie musste den Griesgram wählen, oder sie musste sich auf den Weg machen.

»Wie ich hörte, hat Spencer vor seinem Unfall ohnehin keinen tollen Job gemacht«, fuhr Kat fort und wandte sich wieder an Zeke, fest entschlossen, die Situation in die Richtung zu zwingen, in die sie wollte.

»Kann schon sein, aber keiner musste hungern.« Ein unausgesprochenes »noch nicht« hing in der Luft. Dann gab er sich geschlagen, seine Miene verfinsterte sich noch mehr. »Verdammt, wenn ich eine andere Wahl hätte, würde ich nicht einmal in Betracht ziehen …«

Carlin hob eine Hand, um ihm das Wort abzuschneiden. Sie hatte genug gehört. Vielleicht – wahrscheinlich hätte sie ihren Geisteszustand untersuchen lassen sollen, doch statt sie abzuschrecken, hatte seine zögerliche Haltung genau den gegenteiligen Effekt. Sie wollte für ihn arbeiten, aber zu ihren Bedingungen, nicht zu seinen. Sie wollte, dass er seine Worte zurücknahm – was, ehrlich gesagt, wohl besser schmeckte, als ihre Küche. Sie lernte hinzu, aber die Betonung lag auf lernen. Und Kat hatte recht. Das war eine fast perfekte, kurzfristige Lösung. »Hört sich ganz so an, als könnten Sie Hilfe gebrauchen. Ich bin bereit, den Job anzunehmen, aber nur, wenn Sie mit ein paar Sachen einverstanden sind. Ich brauche mitten im Winter von Wyoming keine Kündigung«, sagte sie, übernahm die Führung und erwärmte sich daran, weil sein Blick zunehmend feindseliger wurde. Sie machte es gut. »Entweder ziehe ich innerhalb der nächsten beiden Wochen weiter, oder ich bleibe bis zum Frühjahr.«

Zeke betrachtete sie eine Weile mit seinen stechenden grünen Augen, die keinerlei Sympathie zum Ausdruck brachten. »Wenn ich Sie nicht einstelle, wohin gehen Sie dann?«

»Das geht Sie nichts an. Und selbst wenn, würde ich es Ihnen nicht sagen.«

Kat trat zurück und verschränkte die Arme, offensichtlich zufrieden, diese Unterhaltung in Gang gesetzt zu haben, damit die beiden betroffenen Parteien es miteinander austragen konnten.

Der Gedanke, über den Winter eine feste Bleibe zu haben, Verpflegung und Unterkunft, eine Ranch, die buchstäblich mitten im Niemandsland war … das war die perfekte Lösung, bis auf einen zornigen, sturen Ranchbesitzer. Sie war es so leid, ständig auf der Flucht zu sein, ihr hatten die Wochen hier in Battle Ridge gefallen, und das würde sie sich von ihm keineswegs verderben lassen. Er brauchte sie mehr als sie ihn. Dennoch könnte sie ihm einen Knochen zuwerfen.

»Ich werde hart arbeiten, und ich werde Ihnen nicht im Weg sein«, teilte sie ihm forsch mit. »Ich bitte Sie nur, mich bar auszuzahlen, den Namen ›Carlin‹ für sich zu behalten und mir nicht in die Quere zu kommen. Und mich bis zum Frühjahr zu behalten. Dann ziehe ich weiter.« Bis dahin hätte sie ordentlich Kleingeld in der Tasche, und – wenn sie Glück hatte – irgendeinen Plan, der sie aus dem Gefängnis befreien würde, das Brad für sie erschaffen hatte.

Zeke wirkte noch immer argwöhnisch und nicht überzeugt. »Woher soll ich denn wissen, ob diese Stalker-Geschichte nicht ein Haufen Blödsinn ist und Sie von der Polizei gesucht werden? Soweit ich weiß, sind Sie eine Trickbetrügerin, oder werden gesucht, weil Sie Ihren letzten Arbeitgeber umgebracht haben.«

»Hey!«, schrie Kat auf, Carlin zuliebe wütend geworden. »Ich bin ihre letzte Arbeitgeberin.«

Carlin dachte, sie sollte vielleicht selbst wütend sein, war es aber nicht. Sie wusste, wie das für Zeke aussehen musste, aber sie konnte ihm keine Einzelheiten preisgeben. Sie konnte nicht für sich sprechen. Und sie würde nicht betteln. Zeke Decker würde sie den Winter über einstellen oder nicht.

»Ich kann Ihnen nur mein Wort geben, nehme ich an. Ich habe mich der Naivität schuldig gemacht. Mehr nicht.«

Er nahm sich ein paar Minuten Zeit zum Nachdenken. Offensichtlich war er mit der Entwicklung nicht zufrieden, hatte jedoch auch nicht von vornherein abgelehnt, sie einzustellen. Er musste wirklich in der Klemme sein, um es überhaupt in Betracht zu ziehen.

»Sie können kochen, ja?«, fragte er schließlich.

»Ja, kann ich«, versicherte Carlin ihm. Sie war vielleicht nicht auf Kats Niveau, aber sie hatte bei ihrer Arbeit im Pie Hole eine Menge gelernt, und sie konnte nach Rezept arbeiten. Sie konnte noch mehr lernen.

»Haben Sie etwas dagegen, Wäsche zu waschen?«

»Nöh.« Sie wollte ihrem angehenden Arbeitgeber schon sagen, dass sie bereit war, alles zu tun, unterließ es aber. Sie wollte ihn nicht auf falsche Gedanken bringen mit einem vagen und womöglich suggestiven »alles«. »Ich putze auch Fenster.«

Zeke nahm seinen letzten Bissen Kuchen, kaute daran ebenso wie an der Situation. Sie sah ihm an, dass er seine Alternativen abwog, die nach allem, was sie gehört hatte, nicht gut waren. Entweder stellte er sie ein, oder er müsste sich ohne Köchin behelfen. »Gut, Sie sind eingestellt«, knurrte er, offensichtlich unglücklich. »Obwohl ich Sie faiererweise warnen muss: die Fenster sind seit einem Jahr nicht mehr geputzt worden.«

Carlin ertappte sich dabei, dass sie lächelte, und unterdrückte es sofort. Sie wollte nicht, dass er auf falsche Gedanken kam und dachte, sie sei womöglich dankbar. Er sollte nicht annehmen, er habe in dieser neuen beruflichen Beziehung die Oberhand. Er brauchte sie ebenso wie sie ihn. Nein, er brauchte sie mehr. Sie würde nicht zulassen, dass er das vergaß.

Dann war noch ihr Lohn auszuhandeln. Und sie musste herausfinden, wie sie damit umgehen sollte, dass ihr Herz jedes Mal schneller schlug, wenn er in ihrer Nähe war.

Plötzlich war ihr unwohl zumute. Monatelang hatte sie keinen Mann attraktiv gefunden, weil Brad so furchtbare Spuren in ihrer Psyche hinterlassen hatte. Jetzt nahm ihr unberechenbares Innenleben auf einmal einen Mann wahr, den sie ganz sicher verlassen würde. Was zum Teufel war mit ihr los?

Okay, es war offiziell: Sie hatte sich verknallt.

Dir bleibt nur Angst
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