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Rom, Italien, siebzehn Jahre später, 25. April

Die fahlen Lippen über ihm lächelten.

Es war dunkel und kalt und der Schein der Öllampe neben ihm nur ein Tropfen Licht in der Finsternis.

Auf dem Boden kniend blickte er zu ihm hoch, sah den Spott in den eisblauen Augen.

Der warme Atem des bleichen Mannes streichelte sein Gesicht. Der strenge Ledergeruch der behandschuhten Finger an seiner Kehle war erstickend, ein Relikt aus dieser Welt, die er wohl so unabwendbar verlassen musste.

»Warum ausgerechnet ich?«

Die eisblauen Augen kamen ihm ganz nah. »Sie wissen, warum.«

»Nein, unmöglich. Der rechte Weg … der Weg des Herrn. Es war kein böser Wille. Ich wollte nicht …«

»So, Sie wollten nicht. Sie haben es aber getan! Wegen der Gefahr der Unzucht soll aber jeder seine Frau haben und jede soll ihren Mann haben, 1. Korinther 7,2. Sie sollten die Bibel doch kennen«, sagten die fahlen Lippen.

Das Atmen war eine Qual. Der Boden war feucht, das bleiche Gesicht über ihm einfach grässlich. Vade retro, Satana! So konnte doch kein Mensch aussehen! Ein Dämon oder Satan selbst! Der Teufel hat dich geschickt!

Der Schimmelgeruch ringsherum klebte wie Patina an seinen Bronchien. Hier unten in den Katakomben Roms würde ihn niemand retten.

Die finden nicht mal meine Überreste! Ein Toter unter Toten in einem Grab zwischen Gräbern.

Denn sonst war hier nichts. Gräber rechts und links entlang der Gänge, Nischen in die Wände gegraben, die Überreste der Toten darin, meist zu Staub zerfallen, einzelne Schädel, einzelne Gebeine, die der Zahn der Zeit bisher verschont hatte, und darüber die belebten Straßen und engen Gassen Roms, der Ewigen Stadt.

Sein Herz pochte, dass es schmerzte, als die Finger des bleichen Mannes wie Spinnenbeine von seiner Kehle zu seinen Schläfen wanderten.

Tot! Noch Minuten, vielleicht nur Sekunden, und er würde tot sein, hier und jetzt, kein Irgendwann mehr, kein Hinausschieben.

Zeitlebens hatte er danach gestrebt, dem Himmelreich nahe zu sein, doch jetzt war es ihm unerträglich, diesen grausamen Planeten Erde mit seinem Terror, seinen Kriegen, Morden und Krankheiten verlassen zu müssen, einfach so. Er, der Diener Gottes, der die Zweifel anderer an Gott stets verworfen hatte, war starr vor Furcht bei dem Gedanken an den Tod.

Absolve me, domine, flehte er. Gott, vergib mir.

Sanft drehten die Finger seinen Kopf zur Seite, ganz vorsichtig, zärtlich wie eine Liebkosung, und ließen so ihren Besitzer den Vorgeschmack seiner Tat auskosten.

»Geht es Ihnen um Geld?«

»Ich sagte, Sie wissen, warum.«

Einen Augenblick hingen ihre Blicke ineinander.

Die Fingerspitzen an seinen Schläfen waren kalt. Miserere mei …

»Fahr zur Hölle! Das soll ich Ihnen ausrichten.« Die hohle Stimme hallte wider.

Ein Ruck, und er hörte seine Halswirbel brechen. Der Tod ließ ihn die Augen aufreißen. Seine Glieder zuckten. Lautlos sank er zu Boden.

Sein Leichnam lag verkrümmt da.

Der bleiche Mann blickte lächelnd auf ihn hinab.

Eine Genugtuung, ein Wohlgefühl, dass er seinem Opfer wie ein Dämon oder ein Engel der Apokalypse erschienen sein musste, ein Spiel, wie es köstlicher nicht hätte sein können. Dabei hatte er nur seinen Auftrag erledigt. Seine Auftraggeber würden zufrieden sein.

Doch es war noch nicht vollbracht.

Das eiserne Instrument gab ein leises Sirren von sich, als er es aus dem Stoffsack an seiner Schulter zog und in die Hocke ging. Da waren zwei lange spitze Zinken an jeder Seite dieses Dings, spitzer als jeder Pfeil.

Scheiße, Mann! Das sind Verrückte, Irre, Perverse.

Wer sonst würde so etwas verlangen?

Trotzdem musste er es tun.

Mit Daumen und Zeigefinger hob er das Kinn des Toten an.

Die Knochen knackten und warmes Blut lief ihm über die Lederhandschuhe, als er das Instrument mit der einen Seite in das Brustbein des Toten und mit der anderen in dessen Unterkiefer stieß.

Er verzog die Lippen. Morden, das war eine Sache. Das war ein Genuss, machte süchtig, war wie ein Rausch. Aber das …

Und dennoch. Unmöglich, das auszuschlagen. Der Job war einfach viel zu gut bezahlt.

Natürlich. Er lächelte. Natürlich ist er gut bezahlt. Ist der Vatikan nicht einer der reichsten Staaten der Welt?