Epilog
Einen Monat nach Dorians Gefangennahme befand sich Becca inmitten der einzigartigen unterirdischen Welt von Sunrise City, die unter anderem auch Restaurants, Unterhaltungsschuppen, Wohnquartiere sowie militärische und wissenschaftliche Einrichtungen umfasste. Aber der Raum, der sie immer wieder aufs Neue anzog, war die kleine Überwachungskammer an der Außenseite des Spionspiegels, von wo aus man einen Blick in Dorians Zimmer werfen konnte.
Becca stand vor der durchsichtigen Seite des Spiegels und beobachtete Dorian bei der Lektüre eines Jugendbuchs. Er wirkte so normal und so einsam. Hinter ihr dampfte eine Kanne Kaffee in der winzigen Küche, und neben ihrem Laptop lag auf dem Tisch eine Zeitung, in der Spekulationen über den »terroristischen« Angriff in einem beliebten Casino von Las Vegas angestellt wurden.
Hinter ihr öffnete sich die Tür. Becca drehte sich um und lächelte, als sie Sterling eintreten sah.
»Hungrig?«, fragte er. In den Händen hielt er eine Schachtel, die seine Lieblings-Donuts enthielt.
In den Wochen, seit sie ihren Bindungsprozess abgeschlossen hatten, hatte sie mit Kelly daran gearbeitet, ein Immunisierungsverfahren gegen Ice zu perfektionieren. Das entsprechende Präparat sollte dann über das Trinkwassernetz in alle Haushalte geleitet werden. Während Kelly und Becca das Projekt leiteten, unterstützte die Army nun immerhin ein Begegnungszentrum, das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Ice-Abhängigen bei ihrem schmerzhaften und leidvollen, aber keineswegs tödlichen Entzugsprozess zu helfen. Das wirklich Aufregende daran war für Becca, dass einige der Ärzte in Sunrise auf Grundlage von Beccas eigenen medizinischen Unterlagen an speziellen Krebsuntersuchungen zu arbeiten begonnen hatten.
Becca sah Sterling kopfschüttelnd an, während er die Donuts auf den Tisch stellte. »Du bist süchtig.«
Er trat neben sie und zog sie dicht an sich. »Ich bin süchtig nach dir.«
»Sagt der Mann, der gerade mal seit ein paar Wochen ein Lebensband eingegangen ist«, neckte sie ihn.
Er strich ihr das Haar aus den Augen, und sein Gesichtsausdruck wurde weicher. »Ein paar Wochen, aus denen ich ein sehr langes Leben zu machen beabsichtige.«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. »Ich liebe dich«, sagte sie.
»Ich liebe dich auch«, antwortete er. »Aber wenn du das mit einer eindeutig glücklichen statt traurigen Ausstrahlung sagen könntest, würde das für mein männliches Ego Wunder wirken.«
Sie legte ihm die Hand auf die Brust. Seine warme Stärke strömte auf sie über und rief ihr ins Gedächtnis, wie froh sie war, jemanden derart Besonderes gefunden zu haben. Nicht jede Frau hatte solches Glück. Sie wandte sich wieder zum Spiegel um und warf einen Blick auf den kleinen Jungen dahinter. »Er ist ein Produkt der Gier«, meinte sie. »Ein Opfer.«
Sterling stellte sich neben sie. »Und das höre ich von der Frau, die seinen Namen praktisch in ›Das Böse‹ geändert hat, als wir ihn einzufangen versucht haben?«
Sie legte ihre Hand auf das Glas. »Damals habe ich ihn nie so gesehen wie jetzt. Als einen Jungen. Vielleicht kann Caleb einen Wandel in ihm bewirken. Das Gute in ihm zum Vorschein kommen lassen statt des Bösen.«
Sterling drehte sie um und legte seine Arme um sie. »Darauf würde ich definitiv keine Wette eingehen. Aber …«, seine Augen funkelten schelmisch, »… ein paar unserer Jungs veranstalten Freitagabend eine Kartenrunde.«
Erstaunt riss sie die Augen auf. »Du willst Karten spielen?«
»Nein«, antwortete er. »Aber ich hätte meine Freude daran, dich spielen und gewinnen zu sehen. Das werden sie bestimmt nicht erwarten. Oh ja! Das sollte ein Spaß werden. Was sagst du dazu?«
»Und wenn ich nicht gewinne?«
Ein leises Lächeln glitt über seinen erotischen Mund. »Ich werde immer auf dich setzen.«