14
Sterling versuchte immer noch, sich davon zu überzeugen, dass es besser war, jetzt nicht ins Badezimmer zu gehen und Becca das Handtuch vom Leib zu reißen, als sie sich verlegen räusperte.
»Danke«, sagte sie heiser, als bewegte die Intimität des Augenblicks sie genauso wie ihn. Sie wich hinter die Tür zurück und streckte die Hand nach der Tasche aus.
Sterling reichte sie ihr schnell, dann wandte er sich ab und zog seinen harten, pochenden Schwanz zurecht, der schmerzhaft gegen den Reißverschluss seiner Hose drückte. Die sexuelle Anspannung prickelte in seinen Adern wie winzige Nadeln. Knurrend zerrte Sterling das verdammte zerrissene Bild vom Bein des umgekippten Stuhls und lehnte es an die Wand, dann richtete er alles im Raum wieder her, so gut er konnte. Noch immer konnte er die Spannung nicht loswerden, die seinen Körper durchströmte; also ließ er sich auf den Boden nieder und machte hundert Liegestütze. Sein Schwanz pulsierte immer noch. Scheiße. Das blöde Ding war so hartnäckig wie eine Frau. Er absolvierte noch mal hundert. Sein Handy brummte abermals, Sterling fluchte. Er hatte Marcus ganz vergessen.
Sterling sprang auf und schnappte sich einen hinter dem Tisch stehenden Stuhl, dann öffnete er die SMS, um zu lesen: Wo ist mein Geld?
Im Badezimmer ging laut der Fön an, als er seine Antwort absandte: Wo ist mein Ice?
Marcus: Willst du mir erzählen, dass du eine todsichere Sache vermasselt hast?
Sterling: Was du todsicher nennst, ist ungefähr so erfolgversprechend wie der Versuch, eine Nonne rumzukriegen.
Mehrere Sekunden Pause, dann: Wenn ich dir eine weitere Chance verschaffe, bau keinen Scheiß.
Sterling antwortete: Du hast gut reden.
Darauf Marcus: Und ich will mein gutes Geld.
Sterling hätte noch mehr getippt, aber da öffnete sich die Tür zum Bad. Er hätte beinahe seine Zunge verschluckt. Becca stand da, ihr Haar seidig und glänzend, ihre Lippen mit rosa Lipgloss bemalt, die Haut blass und frisch. Sie sah aus wie ein Engel, der gekommen war, um seine geplagte, befleckte Seele zu retten. Sein Blick verselbstständigte sich und glitt über die schmal geschnittene Jeans und über ihre flachen Sandalen mit den silbernen Riemchen, die ihre zierlichen kleinen Füße betonten. Dann an diesen langen Beinen wieder zu ihrer hellblauen Bluse empor, die am Halsausschnitt verführerisch offen stand.
Sie trat auf den Tisch zu und strich die seidigen Strähnen ihres Haares glatt. »Ich kann kaum glauben, dass die Kleider so gut passen.«
»Wir holen dir deine Sachen später«, versprach er. Das Vorziehen der Aktion zu ihrer Verlegung hatte sie dazu gezwungen, andere Prioritäten zu setzen, aber das verschwieg er.
»Ich bin völlig zufrieden«, erwiderte sie. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie wunderbar es war, saubere Sachen zu haben und eine Dusche nur für mich, die mir nicht das Gefühl gibt, als sei ich der Star in einem Pornofilm.«
Sterlings Blick blieb an ihrem Gesicht haften, und eine heftige Zorneswelle durchwogte sein Inneres. »Tut mir leid, dass Tad die Badezimmertür aufgerissen hat. Aber ich hätte ihn niemals hineingehen lassen.«
Eine leichte Röte stieg ihr in die Wangen. Sie setzte sich an den Tisch und versuchte, ihre Bemerkung beiläufig erscheinen zu lassen, aber das unübersehbare Zittern ihres zarten Körpers verriet sie. »Es ist für mich scheußlich, über diesen Mann zu sprechen. Adam mag ihn gezwungen haben, die Hände von mir zu lassen, aber in seinem Kopf hat mich Tad so viele Male vergewaltigt, dass ich eine Gänsehaut bekomme, wenn ich nur daran denke.«
Siedender Zorn schäumte in Sterling auf und mischte sich mit einer beißenden Dosis Schuldgefühle, weil er Becca überhaupt in die Nähe dieses Mannes hatte kommen lassen.
Becca atmete tief ein. »Dieser gute Geruch von Essen.«
Er griff nach der Essenstüte und hielt ihr einen Hamburger mit Pommes hin. »Inzwischen ist wahrscheinlich alles kalt.«
»Mir egal«, sagte sie, schob sich eine Fritte in den Mund und seufzte. »Mir kommt es vor, als hätte ich ein Leben lang keine guten Pommes mehr gegessen.« Sie wickelte ihren Hamburger aus und verteilte die Pommes auf dem Papier. »Ich bin auch wirklich hungrig. Es ist das erste Mal seit, na ja … seit einer wirklich langen Zeit. Hast du Ketchup?«
Er griff sich die Plastikpäckchen aus der Tüte und häufte sie auf den Tisch. Dann griff er in den Kühlschrank. »Ich habe Wasser und Dr. Pepper.«
»Keine Cola?«, fragte sie mit gespieltem Entsetzen.
»Ich leide an einer ziemlich schweren Dr.-Pepper-Sucht«, räumte er ein und hielt ihr eine Dose hin. »Doc Kelly – sie leitet unser wissenschaftliches Team – macht mir deswegen die Hölle heiß. Sagt, so viel Zucker sei schlecht für den Körper.«
Sie griff nach der angebotenen Limo. »Aber dir ist das wohl egal, nicht?« Sie schenkte ihm ein Lächeln, fröhlich und voller Humor. Die Anspannung, die ihr Wunsch nach einem Beweis dafür, dass er nicht für Adam arbeitete, hatte aufkommen lassen, war wie weggeblasen, wenn auch nur für kurze Zeit. Es war das erste Mal, dass er sie so entspannt sah, und es gefiel ihm. Außerdem kam er sich wie ein komplettes Arschloch vor, weil er im Begriff stand, sie mit Medikamenten zu betäuben und das wenige Vertrauen, das er sich verdient hatte, Lügen zu strafen.
»Wenn ein GTECH nicht ein paar Dr. Peppers zu viel überleben kann«, gab er zu bedenken, »dann ist er in echten Schwierigkeiten, sobald die Zodius erst mal anfangen zu schießen. Ich glaube, Kelly denkt, dass es uns das Gefühl gibt, menschlich zu sein, wenn sie sich so aufführt, als wären wir Menschen.«
Sie tupfte sich den Mund ab. »Ich nehme an, das ist deine positive Seite. Du kannst jetzt damit anfangen, deine Laster zu entschuldigen.« Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und musterte sie, betrachtete ihren schlanken, elfenbeinfarbenen Hals, während sie schluckte. Grazil. Küssenswert. »Oder soll ich etwa glauben, dass du keine Laster hast?«
Sie lächelte, und es war, als sei direkt am Tisch die Sonne aufgegangen. Sterling hatte eine Menge Frauen lächeln sehen – manche zurückhaltend, manche verführerisch. Er hatte nicht viele Sonnenscheinlächeln gesehen. »Ich zum Beispiel mag immer noch meine Snickers-Riegel.«
Er grinste, griff wieder in den Kühlschrank und warf ein Päckchen Erdnuss-M&M’s auf den Tisch. Sie lachte. »Deine Version meiner Snickers?«
»Darauf kannst du wetten, mein süßes Pfläumchen«, versicherte er augenzwinkernd.
Sie schnaubte. Fraulich und niedlich. »Süßes Pfläumchen? Das kenne ich noch nicht.«
»Was soll ich sagen?« Er zuckte die Schultern. »Du spornst eben meine Kreativität an.«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und griff nach den Schokolinsen. »Du bewahrst deine M&M’s im Kühlschrank auf?«
»Ein Mann muss tun, was er tun muss, um seine Süßigkeiten zu beschützen. Dieses Motel ist ein Drecksloch. Die meiste Zeit funktioniert die Klimaanlage nicht, und dann schmelzen die Dinger, was eine Tüte Erdnuss-M&M’s in eine Tüte verklumpter Erdnüsse verwandelt, und das muss ja wohl nicht sein.«
Sie schüttelte den Kopf und lachte. Weich und melodisch. Sein Schwanz begann schon wieder zu zucken. Verdammt. »Aber nach dem Dr.-Pepper-Vorrat zu urteilen, kommst du oft hierher«, befand sie neugierig.
Er trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Orte wie dieser haben ihr Ohr am Puls der Straße – so etwas findet man nirgendwo anders.«
»Nicht einmal in den Hochsicherheitshotels in den Hochhäusern?«
»Beides hat seinen Wert«, räumte er ein, »aber für die Hotelleute braucht es viel Zeit und eine Menge Moos. Und warum die Knete weggeben, wenn man es nicht muss? In Häusern wie diesem hier – da kannst du einen Mann dazu bringen, dir für eine Zigarette seinen besten Freund und seine Ehefrau noch dazu zu verkaufen.« Er legte den Arm über die Rückenlehne des Stuhls. »Das hier ist das exzessive Leben, das Leben auf der Überholspur. Die schmutzige, skrupellose Seite der Stadt.«
»Mein Gott. Leben auf der Überholspur. Genau diesen Ausdruck hat mein Bruder sehr oft benutzt.«
»Das gehört zur Soldatenmentalität«, erklärte Sterling. »Wir mögen Action. Wir mögen es schnell.«
»Mein Vater hätte dir nicht zugestimmt. Er hätte jederzeit ein strategisches Vorgehen der Überholspur vorgezogen. Er hat immer versucht, meinen Bruder zu bremsen und zum Nachdenken zu bewegen.«
»Schnell zu handeln heißt nicht, dass man nicht nachdenkt«, setzte Sterling dagegen und nahm ihren Bruder als Vorwand, sich zu verteidigen. »Es bedeutet einfach, dass du die Situation abschätzt und handelst, bevor die Angst ihre hässliche Fratze zeigt und du dir die Sache selbst ausredest. Angst kann dich umbringen.«
Ein abwesender Ausdruck legte sich auf ihre Züge. »Als mein Bruder das letzte Mal auf Urlaub zu Hause war, sind wir ins Kino gegangen. Auf dem Heimweg wurden wir Zeugen eines schlimmen Autounfalls. Ein betrunkener Fahrer scherte auf die andere Fahrspur aus und knallte mit seinem Kleintransporter frontal in ein entgegenkommendes Auto.« Sie richtete den Blick auf Sterling. »Kevin hat gar nicht an die Gefahr gedacht. Das Auto stand in Flammen, und es saß ein kleiner Junge darin. Kevin hat ihn herausgeholt und sich nicht um die möglichen Folgen geschert. Er hat den Jungen aus dem Auto gezogen und ihm das Leben gerettet. Ich hatte nie im Leben solche Angst, nicht einmal in Zodius City. Ich hatte Angst, dass er verbrennen würde. Angst, dass der Wagen explodieren würde. Angst, meinen Bruder zu verlieren.«
»Das tut mir leid«, sagte Sterling. »Ich weiß, du hast sie beide sehr geliebt.«
Sie nickte knapp. »Es war erstaunlich, dass Kevin das Ganze unversehrt überstanden hat. Er war ein Held. Er hat diesen Leuten das Leben gerettet.«
»Das ist die Aufgabe von Soldaten, Becca«, erwiderte er. »Wir retten Leben.«
»Ich weiß«, sagte sie ernst. »Aber das macht es nicht leichter, jemand Geliebtes zu verlieren. Die Ehefrau oder das Kind eines Soldaten zu sein, ist schrecklich, noch schrecklicher als Adam. Ich will nie wieder fühlen, was ich gefühlt habe, als ich meinen Vater und meinen Bruder verlor.«
Damit sagte sie ihm, ob sie es nun selbst begriff oder nicht, dass sie keine Zukunft hatten. Doch er wusste es bereits. Er konnte nicht einmal mit ihr schlafen, ohne sie in Gefahr zu bringen und sie für die Tracker zu markieren. Er war in jeder Hinsicht schlecht für sie. »Hast du deiner Mutter deshalb nichts von deinem Krebs erzählt?«
»Ich wollte ihr keine Angst machen. Ich dachte, ich könnte ihn bekämpfen und dadurch besiegen.«
»Also hast du all deine Angst und die Behandlungen allein durchgestanden.« Es war keine Frage. Mehr sprach aus seinen Worten die Ehrfurcht vor einem so selbstlosen und mutigen Verhalten.
»Ja«, bestätigte sie. »Ich wollte nicht, dass sie wieder leiden musste. Das konnte ich nicht ertragen. Ich schätze, irgendwann kommt der Punkt, wo ich doch mit ihr reden muss.«
»Nicht wenn wir ein Gegenmittel finden können, oder eine Möglichkeit, dich langfristig mit Ice zu medikamentieren.«
»Lass das bitte«, versetzte sie kopfschüttelnd. »Bau mir keine Luftschlösser. Ich brauche sie nicht. Ich will sie nicht. Ich bin jetzt weit über dieses Stadium hinaus.« Sie musterte ihn mit einem Blick, der besagte, dass dieser Teil des Gesprächs nun vorüber war, und wechselte schnell das Thema. »Warum sind die Augen der Zodius schwarz, während deine ihre natürliche Farbe behalten haben?«
Sterling erstarrte, den Kopf im Nacken, während er gerade seine Limo trank. Er war dankbar, dass ihm das die Möglichkeit gab, seine Fassung wiederzugewinnen, bevor er die Dose absetzte. »Alle GTECHs haben schwarze Augen, aber sie verfügen über die Fähigkeit, sie allen außer ihrem Lebensband gegenüber mit ihrer natürlichen Farbe zu tarnen.«
Alle GTECHs bis auf ihn – aber das wollte er ihr nicht sagen.
»Also sind deine Augen in Wirklichkeit nicht mehr blaugrün?«
»Nein«, antwortete er leise – zu leise, und das wusste er auch. »Sie sind schwarz.«
Ihre Miene wurde weicher. »Ich habe deine Augen immer geliebt, weißt du.«
»Nein«, sagte er. »Das wusste ich nicht.« Aber er war in diesem Moment verdammt dankbar für die speziellen farbigen Kontaktlinsen ohne Stärke, die Dr. Chin während seiner Zeit in Area 51 für ihn angefertigt hatte – auch wenn Chin ein Verräter war. »Ich habe deine Augen auch immer geliebt. Ich liebe sie nach wie vor.«
»Danke.« Ihre Wangen röteten sich, und sie griff nach einer Pommes. »Und warum ziehen es dann alle Zodius vor, ihre Augenfarbe nicht zu tarnen?«
»Die natürliche Farbe ist menschlich«, erklärte Sterling. »Und für die Zodius sind Menschen schwach, ein Teil der Vergangenheit. GTECHs repräsentieren den Fortschritt der Evolution.«
Sie erbleichte. »Ich möchte wirklich schnell in ein Labor kommen und anfangen zu arbeiten, damit wir Adam aufhalten können.« Sie zögerte und rutschte auf ihrem Stuhl herum. »Wohin genau bringst du mich, wenn wir von hier weggehen?«
»In unsere innerstädtische Basis. Wir werden Webcams installieren, damit du mit unserem wissenschaftlichen Team zusammenarbeiten kannst.«
Wieder rutschte sie unbehaglich auf ihrem Stuhl herum. »Und was ist mit meinem Beweis, dass du wirklich der bist, der du zu sein behauptest, und alle anderen, mit denen ich zusammenarbeiten soll, ebenfalls?«
»Caleb sorgt für eine schriftliche Bestätigung und arrangiert einen Anruf im Weißen Haus.«
»Im Weißen Haus?«, fragte sie mit hochgezogenen Brauen.
»Die Renegades haben ein Bündnis mit der Regierung geschlossen, obwohl die uns die meiste Zeit behandeln, als wären wir mit Mühe und Not unter Kontrolle gehaltene Feinde. Aber wir arbeiten mit ihnen zusammen, und sie tun das ihre dazu. Niemand will, dass Adam noch mächtiger wird, als er schon ist.«
Sie nickte, löste ihre Augen von seinen, griff nach einer Pommes und biss ein winziges Stück ab. Offenbar weniger aus Hunger als mit dem Ziel, den Blickkontakt zu vermeiden.
»Becca«, sagte er sanft, wie um sie dazu zu zwingen, ihn anzusehen. Er wusste, dass sie sich allein fühlte, und wenn man sie in Quarantäne steckte, würde das die Sache sicher nicht besser machen.
Ihre Wimpern zuckten und hoben sich. »Ja?«
Er öffnete den Mund, nur um ihn wieder zu schließen. Wie könnte er ihr erzählen, dass alles gut werden würde, wenn das nicht stimmte? Cassandra hatte recht. Förmlich die ganze Welt ruhte auf Beccas Schultern. Also wich er aus. »Iss. Dann fühlst du dich besser.«
Sie starrte ihn an, die Augen voller Beklemmung, die sich plötzlich zu Entschlossenheit wandelte. Sie richtete sich auf und sagte: »Ich werde mich besser fühlen, wenn wir dem Albtraum namens ›Adam‹ ein Ende gemacht haben, aber für den Moment will ich mich mit dem Essen begnügen.«
Er grinste. »Der Plan gefällt mir.« Er griff sich eine Fritte, fasste dann in die Tüte und zog die vier Hamburger heraus, die sich noch darin befanden.
Becca lachte. »Du hast wirklich diesen GTECH-Riesenappetit.« Sie nahm sich noch eine Pommes. »Scheint ganz so, als würde ich selbst einen ähnlichen Appetit entwickeln. Jedenfalls hoffe ich, dass Ice Kalorien verbrennt, da ich im Moment meinen täglichen Fünfmeilenlauf verpasse. Aber wenn es das tatsächlich tut, will ich nicht daran denken, wie leicht das viele Frauen dazu verleiten könnte, es zu nehmen. Und das ist jetzt nicht als Scherz gemeint.«
»Glücklicherweise ist Adam nicht gut darin, aus weiblicher Perspektive zu denken.« Ein paar Pommes fielen ihm auf die Tüte. »Hoffen wir, dass wir es von den Straßen verbannt haben, bevor irgendjemand auf die gleiche kreative Idee kommt und versucht, damit neue Konsumentinnen zu gewinnen.«
»Weißt du«, bemerkte Becca, »das Einzige, was Adam am Massenvertrieb von Ice hindert, sind die vielen Todesopfer. Soweit ich das beurteilen kann, will er, dass die Leute lebendig sind und ihm huldigen. Aber ich denke, er wird über kurz oder lang die Geduld verlieren und hohe Opferzahlen riskieren, um neue Anhänger zu finden. Und das Problem dabei ist, dass wir keine Ahnung haben, welche Langzeitwirkungen Ice auf Menschen hat. Sie könnten sterben. Sie könnten seltsame Alienkrankheiten entwickeln. Blind oder zu Krüppeln werden. Die Liste der Möglichkeiten ist erschreckend.«
»Gewalttätig werden«, sagte er leise und dachte an das Gespräch im Wagen zurück. »Ja. Wir haben an diese Möglichkeiten gedacht, und da sieht es nicht gut aus.«
»Genau«, erwiderte sie und verharrte einen Moment schweigend, den Burger vor dem Mund, dann legte sie ihn beiseite. »Es ist verrückt, dass gerade ich das sage, aber wir müssen die Nachschubquelle ausschalten.«
Wir. Immerhin redete sie jetzt so, als sei sie entschlossen, sich den Renegades anzuschließen, und er hatte ihr noch nicht einmal den geforderten Beweis verschafft.
»Wir versuchen es ja«, versicherte er. »Ich hatte gehofft, dass es uns in Zodius City gelingen würde, die Bestandteile von Ice zu bestimmen, um dann einen Versuch zu starten, Adam vor unserer Flucht gleich an Ort und Stelle von der Quelle abzuschneiden. Aber man bekommt eben nur einmal die Chance, aus Zodius City herauszukommen. Wir können uns glücklich schätzen, überhaupt rausgekommen zu sein.«
»Aber ich habe es herausgefunden«, sagte sie. »Ich weiß, woraus er das Ice macht. Es stammt …«
Sterlings Handy klingelte, und im selben Moment schrillte auch das Zimmertelefon los. Adrenalin schoss durch seinen Körper. Die Warnung. Sie wurden angegriffen.
Becca zog die Brauen zusammen. »Da will dich aber einer unbedingt auf sich aufmerksam machen.«
Sterling schob seinen Stuhl zurück, stand auf und ging ganz ruhig zum Bett hinüber, obwohl er sich alles andere als entspannt fühlte. Er fand die Tasche, die ihm Kelly hatte zukommen lassen, und nahm das Sedativum heraus. Er hatte vorgehabt, Becca davon in Kenntnis zu setzen, bevor er ihr das Medikament verabreichte, aber dafür blieb keine Zeit mehr. Die Renegades konnten sie nicht beschützen, wenn Becca sie einfach außer Gefecht setzte.
Bevor sich Sterling umdrehen konnte, war die Tasche auch schon in der Luft, ebenso wie die Kissen, die auf dem Bett gelegen hatten. Sterling fluchte. Beccas Emotionen. Sie spürte Gefahr, spürte vielleicht sogar, dass er etwas im Schilde führte. Als er sich umdrehte, stand Becca nur einen Schritt von ihm entfernt.
»Was geht hier vor?« Ihr Körper war steif vor Anspannung, und ihre Stimme zitterte vor Angst.
Er griff nach ihr und zog sie dicht an sich. »Immer mit der Ruhe, Liebes«, gurrte er leise und vergrub die Finger in den seidigen Strähnen ihres Haares, seine Lippen dicht an ihrem Ohr. Sie versuchte, sich von ihm zu lösen, aber er konnte sie mühelos festhalten. »Tut mir leid, Becca«, flüsterte er. »Wir kommen leider nicht drum herum.« Er spritzte ihr das Mittel in den Arm.
Sie schrie kurz auf und erschlaffte dann an seinem Körper. So viel zum Thema Vertrauen, dachte er grimmig. Er hob sie auf die Arme und machte sich auf den Weg zur Tür.