24

Eine Stunde nachdem er das Treffen im Cityscape abrupt verlassen hatte, hatte Sterling mit Eddie telefoniert und sich nach den immer noch verschwundenen Clannern aus dem Club erkundigt. Er hatte mehrmals versucht, Marcus zu erreichen, und es schließlich erfolglos aufgegeben; und dann hatte er getan, was jeder gute Soldat tat, wenn er im Begriff stand, die Frau zu besuchen, die ihm den Kopf verdrehte: Er besorgte Donuts. Er machte sich gar nicht erst die Mühe, sein Apartment aufzusuchen, denn er wusste, wo er Becca finden würde – bei der Arbeit im Labor. Und so war es auch. Er drückte die Tür auf, und Becca trat in sein Sichtfeld.

Noch bevor sie sich zu ihm umdrehte, durchfuhr ihn schlagartig eine Erkenntnis. Er begehrte sie mit einem Hunger, der ihn von innen verzehrte. Und was er wollte, war nicht nur ihr Körper. Er wollte sie. Wollte neben ihr aufwachen … sie mit einem Guten-Morgen-Kuss wecken … wollte wissen, was sie empfand, was sie mochte und was nicht – all die Dinge, die er geschworen hätte, sich niemals bei einer Frau zu erlauben; Dinge, die seine Verantwortung, seine Pflichten einfach nicht zuließen. Nein: In Wirklichkeit ließ ihr Krebs diese Dinge nicht zu, nicht sein Beruf. Trauer und Zorn machten ihm die Brust schwer.

Als sie die Tür gehen hörte, sprang sie vom Laborhocker hoch und drehte sich zu ihm um. Dann streckte sie sich träge unter dem übergroßen Laborkittel, der all jene Kurven verbarg, die er sich nur allzu gern vor sein geistiges Auge zurückrief. Er fragte sich, ob er wohl je genug von ihr bekommen könnte.

»Hi«, grüßte sie und blinzelte, um den glasigen Blick zu vertreiben, der ihm verriet, dass sie über längere Zeit in tiefe Konzentration versunken gewesen war.

»Noch mal guten Morgen«, sagte er, trat auf sie zu und deutete auf die Pappschachtel mit Donuts und Kaffee in seinen Händen. »Ich habe dir Frühstück mitgebracht, weil ich mir gedacht habe, dass du wahrscheinlich ohne etwas zu essen direkt an die Arbeit gegangen bist.«

»Ich habe dich in der kurzen Zeit bereits gut abgerichtet«, neckte sie ihn. »Und du hast recht. Ich habe tatsächlich nichts gegessen. Ich konnte es nicht erwarten, mich an die Tests zur Überprüfung meiner Immunisierungstheorie zu machen.«

Lässig blieb er vor ihr stehen, und bevor er sich bremsen konnte, beugte er sich vor und gab ihr einen schnellen Kuss – die Art Begüßungskuss, wie er für ein Paar typisch ist. Ein Kuss, den er Frauen sonst nicht gab. Und er genoss es, hätte ihn sogar gern wiederholt. Jetzt gerade hätte er am liebsten die Donuts auf den Tisch geworfen und Becca ausgezogen, um wieder den Weg zurück in ihr Inneres zu finden.

»Du schmeckst nach Schokolade«, sagte sie, leckte sich die Unterlippe und nahm den Kaffee, den er ihr hinhielt.

»Glasierte Schokoladen-Donuts«, korrigierte er und stellte die Schachtel auf den Schreibtisch.

Ihre Augen leuchteten auf; wirbelnde Funken aus glitzerndem Bernstein, wie ein Sonnenuntergang vor einem dunklen Himmel. »Ich liebe glasierte Schokoladen-Donuts«, sagte sie und ließ sich in einen Ledersessel fallen. »Wahrscheinlich hast du auch meine Donuts-Vorliebe mitbekommen, als du in meinem Kopf warst.«

Er nahm neben ihr Platz. »Nein, nein«, sagte er neckend. »Keine Kopferforschungsspielchen heute Morgen. Ich mag sie zufällig selbst, und wir scheinen ja gut zusammenzupassen, wenn es um Lust und Vergnügen geht.« Er nahm einen Bissen. »Hmmm … wenn das keine Lust ist, dann weiß ich nicht, was sonst.«

Sie schüttelte den Kopf. »Du kannst mich nicht mehr zum Erröten bringen. Da hast du dein Quantum von mehreren hundert unverschämten Bemerkungen aufgebraucht.«

Er sah sie an und zwinkerte. »Willst du darauf wetten?«

»Nein«, sagte sie schnell und nahm ebenfalls einen Bissen von ihrem Donut. »Ich halte mich da an deine ›Keine Spielchen‹-Regel.«

Er steckte sich den Rest seines Donuts in den Mund. »Hast du schon mal von Ice-Eclipse gehört?«

»Nicht bis Kelly mich vor ungefähr einer Stunde angerufen hat«, antwortete sie. »Adam kann nichts davon wissen, oder ich wüsste es ebenfalls; schließlich habe ich dort nach der Ursache der Ice-Todesfälle geforscht.« Sie nippte an ihrem Kaffee. »Kelly arbeitet gerade an einem toxikologischen Bluttest, um herauszufinden, welcher Stoff die Wirkungsverstärkung durch Eclipse verursacht.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber welche Ironie, dass es letztlich eine menschengeschaffene Mischung von Drogen ist, die die Leute umbringt. Wir Menschen mögen es, uns selbst zu zerstören. Trotzdem glaube ich auch nicht, dass Ice an sich sicher ist. Ich denke einfach, dass die Nebenwirkungen erst später zutage treten werden – mit weitaus bedrohlicheren Konsequenzen als dem Tod.«

Jemand klopfte an die Tür, und Sterling wurde mit einem Mal vollkommen reglos. Plötzlich lag ihm der Donut schwer im Magen. Nach dem Gespräch über Becca, das er mit den anderen Renegades geführt hatte, wallte ein heftiger Drang in ihm auf, sie zu beschützen.

»Muss wirklich dringend sein, wenn es jemand riskiert, in meine Nähe zu kommen«, bemerkte Becca, erfolglos um einen unbeschwerten Tonfall bemüht.

Sie fühlt sich isoliert, und es gefällt ihr nicht, begriff er. Und wer konnte ihr auch einen Vorwurf daraus machen? Hoffentlich bedeutete es Freiheit für sie, wenn Caleb ihr beibrachte, ihre Fähigkeiten zu kontrollieren – und nicht die Gefahr, als Köder eingesetzt zu werden.

Mit einigen großen Schritten war Sterling an der Labortür, riss sie auf und stutzte, als er Damion vor sich sah. Sterling ließ einen raschen Blick über den Kurzhaarschnitt und Wüsten-Tarnanzug seines Gegenübers schweifen – Mr-Mustergültiger-amerikanischer-Supersoldat, der immer so schön von Regeln und Ehre predigte. Von wegen! Er wusste nicht einmal, was Ehre war. »Verdammt dreist von dir, hierherzukommen. Was willst du?«

»Dass du aufhörst, mich so zu begrüßen«, antwortete Damion. »Ich will mit Becca reden.«

»Ich habe sie bereits gefragt, ob sie sich an dich erinnern kann – falls es das ist, was du vorhast«, versetzte Sterling. »Sie erinnert sich nicht. Und das weißt du auch, sonst wärst du nicht hier.«

Damion strich sich übers Haar. »Da haben wir es ja mal wieder. Schau mal.« Er knirschte mit den Zähnen. »Ich habe Becca Tad nicht ausgehändigt. Lass mich mit ihr reden. Sie war in Panik und verstört, als sie mich gesehen hat, eine Angstreaktion. Gib ihr die Möglichkeit, sich an mich zu erinnern, damit ich deine verdammten gegenstandslosen Anschuldigungen endlich aus der Welt schaffen kann.« Er senkte die Stimme. »Es sei denn, du hast Angst, dass sie sich an etwas erinnert, das dir unangenehm wäre.«

»Mich wütend zu machen dürfte nicht gerade im Sinn deiner Sache sein«, knurrte Sterling. »Und – große Neuigkeit, mein cleveres Kerlchen, du wirst es nicht glauben – du kannst dich nicht in ihre Nähe begeben, ohne das Bewusstsein zu verlieren.«

»Caleb meinte, sie hätte sich jetzt besser unter Kontrolle«, antwortete Damion. »Ich bin bereit, das Risiko einzugehen, wenn ich damit der Sache ein Ende setzen kann.«

»Weiß Caleb, dass du hier bist?«

»Nein«, bekannte Damion, »aber ich habe nichts dagegen, ihn mit einzubeziehen, wenn du das möchtest. Die Sache zwischen uns muss ein Ende haben, Sterling.«

»Sterling?«, kam von hinten Beccas Stimme.

Beunruhigend nahe bei Damion. Sterling funkelte ihn finster an. »Hau ab.« Er schickte sich an, die Tür zu schließen.

Damion schob rechtzeitig seinen Fuß dazwischen. »Nicht bevor ich mit Becca gesprochen habe.«

»Sterling?«, fragte Becca noch einmal.

Verdammt. »Warte draußen, bis ich mit ihr gesprochen habe.« Damion rührte sich nicht vom Fleck und biss in trotziger Entschiedenheit die Zähne zusammen.

Sterling gab einen frustrierten Seufzer von sich. »Sie zu überrumpeln ist wohl nicht der beste Weg, sich mit ihr zu treffen, wenn man nicht aus den Latschen kippen will. Ich muss sie erst mal darauf vorbereiten.«

»Ich gehe erst weg, wenn ich mit ihr gesprochen habe. Irgendwann muss sie ja aus diesem Labor herauskommen.« Widerstrebend gab Damion die Tür frei und trat zurück.

Sterling schloss die Tür und drehte sich zu Becca um.

»Ich habe einen Teil davon mitbekommen, was er gesagt hat. Er will mit mir reden. Wer ist es?«

»Der Typ mit dem Messer von der Autorückbank«, erklärte Sterling. »Damion.«

»Alles klar«, sagte sie mit nachdenklichem Gesichtsausdruck. »Du hast mich gefragt, ob ich mich an ihn erinnern kann – vom Tag meiner Entführung?«

»Genau«, bestätigte Sterling und zögerte. Er wollte nicht, dass sie wieder damit anfing, Glas zu zerbrechen oder Dinge in der Luft schweben zu lassen. »An diesem Tag ist etwas passiert. Er beharrt darauf, dass es nicht stimmt. Aber ich weiß, dass es passiert ist.«

»Etwas Schlimmes vermutlich.« Er nickte, und sie fragte: »Kann Caleb nicht einfach in seinen Kopf schauen? Oder sonst wie seine Gefühle ermitteln? Oder wie auch immer man das nennt, was er tut. Kann er es nicht herausfinden?«

»Er behauptet, Damion sei unschuldig. Ich war dabei. Er ist es nicht.«

»Ich verstehe«, sagte Becca beklommen. »Doch er scheint sich sicher zu sein und ist offenbar entschlossen, seine Unschuld beweisen zu können. Warum sollte er sonst hier sein?«

»Eben genau aus diesem Grund«, antwortete Sterling. »Du warst ohnmächtig. Du wirst dich an überhaupt nichts erinnern können. Aber dass er hier auftaucht und verlangt, dich zu sprechen, obwohl er weiß, dass er das Bewusstsein verlieren könnte, lässt ihn unschuldig wirken – oder zumindest hofft er das. Er kann mir keine Minute etwas vormachen. Ich will dich auf keinen Fall irgendwo in der Nähe dieses Mannes wissen.«

»Was genau glaubst du, dass er getan hat?«

Derart in die Enge getrieben, erwog Sterling, die Wahrheit vor ihr geheim zu halten. Aber da sie nun mal so gut in seinen Kopf zu schauen vermochte, würde sie es vielleicht ja dennoch herausfinden. Also heraus damit. »Er hat Tad geholfen, dich gefangen zu nehmen.«

Sie starrte ihn mit offenem Mund an. »Und trotzdem ist er immer noch hier bei den Renegades?«

»Er beharrt darauf, dass die Handvoll Kugeln, die ich abgekommen habe, meine Wahrnehmungskraft getrübt hätten«, erklärte Sterling. »Doch das stimmt nicht.«

»Und Caleb?«

»Es waren an jenem Tag auch noch andere Renegades vor Ort. Niemand außer mir hat gesehen, was passiert ist. Caleb wird ihn nicht allein auf meine Aussage hin verurteilen, schon weil ich verletzt war. Damion gilt als einer unserer zuverlässigsten Renegades. Wir waren …«

»… Freunde«, beendete sie den Satz für ihn. »Und sein Verrat macht dir schwer zu schaffen.«

Konnte er vor dieser Frau denn überhaupt nichts verbergen? »Er hat mich nicht gerade glücklich gemacht, das stimmt.«

»Ich werde es tun«, sagte sie entschieden. »Ich werde mit ihm reden. Ich muss. Wir müssen die Wahrheit wissen, wo so viel auf dem Spiel steht.«

Wir. Warum war es für ihn einfach so verdammt schön, wenn sie sich auf dieses Wörtchen bezog? Er war noch nie in seinem Leben wirklich Teil eines »Wir« gewesen. »Mir gefällt das nicht.«

»Das konnte ich aus der Art schließen, wie du versucht hast, die Tür mitsamt seinem Fuß zuzuschlagen. Machen wir es lieber jetzt gleich und bringen es hinter uns.«

Von der Tür ertönte ein Klopfen. »Ich geh nicht weg, Sterling«, rief Damion.

»Jetzt mach mal halblang«, rief Sterling über die Schulter.

Becca kicherte, und gespannte Nervosität hallte in ihrem Lachen wider. »Wenn er so wild darauf ist, sich in die Bredouille zu bringen, dann lass ihn doch. Mach die Tür auf, Sterling.«

Sterling stand wie erstarrt da und konnte sich bei bestem Willen nicht zu einer Bewegung zwingen. Auch wenn ihn gerade jetzt, verdammt noch mal, eine Anwandlung nach dem Motto »Ich Tarzan, du Jane« packte, sodass er sich am liebsten auf die Brust geschlagen und »Mein!« geschrien hätte, um dann mit Becca davonzurennen und sie an einem sicheren Ort zu verstecken. Nur dass er sie nicht verstecken konnte – nicht vor dem, dem sie sich stellen musste. Und solange Damion einer der Renegades blieb, waren sie alle in Gefahr. Trotzdem bewegte er sich noch immer nicht.

»Mir gefällt das wirklich nicht, Becca.«

»Ich weiß«, sagte sie und trat neben ihn.

»Die Anker-Geschichte«, fiel ihm ein. »Vielleicht solltest du mich jetzt als deinen Anker nehmen.«

»Daran habe ich auch schon gedacht«, gab sie zurück. »Aber du bist ziemlich wütend auf ihn. Ich will nicht das Risiko eingehen, dass deine Gefühle irgendwie meine Erinnerungen trüben oder mich so sehr in Wallung bringen, dass ich ihn ohnmächtig werden lasse.« Sie griff nach seiner Hand. »Aber danke, und falls es sich als notwendig erweisen sollte, werde ich gern auf dein Angebot zurückkommen.«

Sterling schaute von seinen Händen auf ihre, die so zart wirkten. In diesem Moment fühlte er sich winzig und schwach im Vergleich zur Tapferkeit dieser kleinen Frau. Er war so lange allein gewesen – sein ganzes Leben lang. Allein sein war einfacher. Allein sein ging nicht einher mit der Notwendigkeit, Lebewohl sagen zu müssen, war auch nicht verbunden mit solchen Gefühlen, wie sie jetzt in seiner Brust aufstiegen. Doch er war verrückt nach Becca und außerstande, sich von ihr abzuwenden.

Er führte ihre Hand an die Lippen. »Ich bin hier, falls du mich brauchst.« Immer, hätte er gern hinzugefügt, aber das setzte voraus, dass »immer« überhaupt möglich war. Also ließ er es weg.

Er löste seine Hand aus ihrem Griff und wandte sich zur Tür. Er wollte Damion erst noch ein paar Anweisungen mitgeben, bevor er ihn ins Labor ließ.

Mit einem tiefen Atemzug bereitete sich Becca auf Damions Eintreten vor. Sie vergewisserte sich ihres geistigen Schilds – Caleb hatte ihr beigebracht, sich damit zu schützen. Sie fühlte sich sicher, wenn sie wusste, dass er intakt war. Und er gab ihr das dringend nötige Gefühl, die Situation unter Kontrolle zu haben.

Die Tür ging auf, und ein Mann trat in den Raum – hochgewachsen, breitschultrig und athletisch wie Sterling, doch damit endeten die Ähnlichkeiten auch schon. Anstelle der verblassten Jeans samt hellblauem T-Shirt, die Sterling trug, hatte Damion einen militärischen Tarnanzug an. Während Sterling sein hellblondes Haar dicht und eher lang trug, war Damions sandbraunes Haar kurz rasiert. Und seine Augen – das wahre GTECH-Schwarz unter dem vorgetäuschten Anschein ihrer waldgrünen menschlichen Naturfarbe verborgen – bildeten einen deutlichen Gegensatz zu Sterlings blaugrünen Augen.

Einen Moment lang standen sie alle schweigend da, und in der Luft lag die unausgesprochene Erwartung, dass Damion ohnmächtig werden würde. Doch Becca spürte nicht einmal einen leisen Anflug von Angst. Die Art, wie Sterling über Damions Schulter blickte und dabei aussah wie der große, böse schwarze Mann – jederzeit bereit, ihm eins zu verpassen, falls er eine falsche Bewegung machte –, brachte sie vielmehr fast zum Lachen. Allerdings beschränkte sie sich darauf, in sich hineinzulächeln. Schließlich fand sie seinen Wunsch, sie zu beschützen, liebenswert und sexy. Und er weckte warme Gefühle in ihr.

»Danke, dass Sie so freundlich sind, mit mir zu reden, Becca«, sagte Damion, nachdem er sich offenbar vergewissert hatte, dass er sich nicht in eine lebende Bodenmatte verwandeln würde.

Becca richtete den Blick von Sterling wieder auf Damion, musterte seine scharf konturierten Gesichtszüge und suchte nach einer Erinnerung an jenen Tag bei ihr zu Hause. Seine Haut war sonnengebräunt, die angedeuteten Falten um Augen und Mund ließen ihn etwas älter wirken, und sie schätzte ihn auf Anfang dreißig. Er war attraktiv, wenn auch auf eine etwas ruppige Weise, hatte aber nichts Vertrautes.

»Tut mir leid«, sagte sie, und ihre Lippen wurden schmal vor Enttäuschung. »Ich kann mich an Sie nicht erinnern. Das heißt, ich kenne Sie nur von der Sache auf der Autorückbank, als Sie versucht haben, mir die Tracking-Vorrichtung herauszuschneiden. Ich kann mich aber nicht erinnern, Sie an jenem Tag an meinem Haus gesehen zu haben.«

»Verdammt«, fluchte Damion kopfschüttelnd. »Versuchen Sie’s noch einmal. Geben Sie sich Mühe.«

Sterling, der außerordentlich verärgert wirkte, blaffte zurück: »Sie hat gesagt, dass sie sich nicht erinnert. Und wenn du denkst, die Tatsache, dass du hier aufkreuzt, um dich mit ihr zu treffen, würde dich irgendwie weniger schuldig erscheinen lassen, dann befindest du dich schwer im Irrtum. Tatsächlich lässt es dich verzweifelt erscheinen.«

Damion wirbelte zu ihm herum. »Wir sind in derselben Einheit der Army gewesen«, herrschte er ihn an. »Ich habe jahrelang an deiner Seite gekämpft. Ich habe für dich geblutet. Wie kannst du glauben, ich würde Becca an Tad ausliefern?«

»Eine ganze Menge Männer, mit denen wir beide gedient haben, sind jetzt Zodius«, wandte Sterling ein. »Erklär mir bitte, was an unserem gemeinsamen Armeedienst auch nur irgendeinen Scheißdreck beweist.«

Damion stieß einen frustrierten Laut aus und drehte sich zu Becca um. »Caleb meint, Sie würden über Fähigkeiten verfügen, die Sie noch nicht ohne Weiteres abzurufen vermögen, wie zum Beispiel, dass Sie ins Bewusstsein anderer Menschen eindringen können. Versuchen Sie, sich in meines zu versetzen. Versuchen Sie festzustellen, was an jenem Tag passiert ist.« Er machte einen Schritt auf Becca zu, und Sterling hielt ihn am Arm fest.

Damion schüttelte Sterling ab und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Becca.

»Ich weiß nicht«, antwortete Becca überrumpelt. Ob sie das wohl konnte? Sie hatte in Sterlings Bewusstsein gelangen können, weil er es ihr erlaubt hatte. Oder vielleicht lag es auch daran, dass sie ein Lebensband waren. Doch war sie sich nicht sicher, ob sie in Damions Bewusstsein eindringen konnte.

»Sie wird dir nicht die Möglichkeit geben, sich irgendwie so weit zu öffnen, dass sie für einen weiteren von Dorians mentalen Angriffen empfänglich ist«, unterstrich Sterling und trat vor Becca hin. »Du bist raus, Damion. Du hast deine Chance gehabt. Es hat nicht funktioniert.«

»Ach komm schon, Sterling«, befand Damion. »Wir wissen beide, warum du sie nicht in meinem Kopf haben willst. Du hast Angst, dass sie sieht, was wirklich passiert ist, und dann dich verachtet, nicht mich.«

Becca wusste kaum, wie ihr geschah, da hatte Sterling Damion auch schon gepackt und zurückgestoßen. Mit einem dumpfen Aufprall, der das wenige Schritte entfernt stehende Regal mit dem Arbeitsmaterial klappern ließ, krachten sie gegen die Tür.

Ein schreckliches Gefühl krampfte Beccas Magen zusammen. Was war an jenem Tag in ihrem Haus geschehen, von dem Sterling nicht wollte, dass sie es erfuhr? Sie sollte es wissen – musste es wissen. Sie atmete tief ein und stürmte auf die beiden Männer los; ohne zu wissen, was sie tat, aber nichtsdestoweniger fest entschlossen. Vor ihnen blieb sie stehen, packte beide am Arm und konzentrierte sich zugleich auf sie beide. Und die Bilder begannen zu fließen.