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Mit quietschenden Reifen brachte Iceman seinen Porsche 911 auf dem Parkplatz hinter dem Lagerhaus in der Briar Street 66 zum Stehen. Es war eines der drei Ice-Lager, die er für Tad verwaltete, diesen Saftsack, der für Adam die Rolle des brutalen Schlägers übernahm. Dabei war Tad einfach nur jämmerlich. Glaubte doch tatsächlich, dass es ihm Macht verlieh, für einen Mann wie Adam den Gorilla zu machen. In Wirklichkeit verlieh es ihm gar nichts. Was für ein Idiot, dass er nicht merkte, was die Stunde geschlagen hatte!

Iceman war Adam nur ein einziges Mal begegnet, aber er konnte sehen, dass der Mann ein explosives Temperament hatte. Im Bruchteil einer Sekunde konnte Adam aufbrausen und Tad zerquetschen wie die bedeutungslose Fliege, die er war. Weil Adam sich alles so herausnahm, wie es ihm passte.

Iceman wusste, wie man sich unverzichtbar machte. Diese Lektion hatte er vor Jahren von seinem Vater gelernt. Egal, wie hart er auch gearbeitet hatte, um dem Mann zu beweisen, dass er sein kleines Fast-Food-Imperium am Laufen halten konnte, er war nie gut genug gewesen. Und das für Hühner. Sein alter Herr verkaufte Hühner. Er durfte sein beschissenes Hühnerimperium gern behalten. Er würde jetzt sein eigenes Imperium aufbauen. Er war Iceman.

Nachdem er aus dem Porsche gestiegen war, ließ Iceman die Zentralverriegelung zuschnappen und schlenderte auf die Hintertür des Gebäudes zu. Diese Örtlichkeit, zwei Meilen weit weg von der »Strip Area« gelegen – so bezeichnete die Glücksspielkommission einen bestimmten Umkreis –, sollte bewusst nicht die Aufmerksamkeit der Kommission auf sich ziehen. Nicht, dass hier »gespielt« wurde, aber er konnte es nicht gebrauchen, dass diese Bulldoggen bei ihm herumschnüffelten.

Es reichte schon, dass er vor Tad den äußeren Schein wahren musste. Aber das würde sich ändern, sobald er herausgefunden hatte, wie er die grundlegende Ice-Formel selbst nachbilden konnte. Und angesichts des vielen Geldes, das er dafür bezahlte, die Zusammensetzung von Ice analysieren zu lassen, konnte es jetzt jeden Tag so weit sein. In der Zwischenzeit war er damit beschäftigt, seinen Plan Gestalt annehmen zu lassen, und arbeitete darauf hin, jene Herrschaft an sich zu reißen, die Adam für sich selbst wünschte. Zum Teufel mit Adam und seinem GTECH-Königreich! Die Menschen waren den GTECHS zahlenmäßig überlegen, und so würde es auch bleiben.

Sein Blick wanderte zu dem heute wirklich bemerkenswerten Himmel – sternenlos, mondlos, doch war da kein Donnergrollen, weder von nah noch von fern. Es war, als wären sämtliche Gestirne verdunkelt worden – eine Ice-Finsternis, Ice-Eclipse. Ja, der Begriff gefiel ihm.

Heute Nacht wollte er feiern, dass er das Ice seiner eigenen Rezeptur vom unbedeutenden Hinterhofhandel in die Massenproduktion brachte. Und das feierte er damit, dass er seinem Produkt und dem Kreis seiner Anhänger, den Konsumenten, einen Namen gab: Ice-Eclipse und die Eclipser. Das gefiel Iceman. Es gefiel ihm ungemein.

Bei dem Gedanken an das Imperium, das er aufbauen würde, durchströmte ihn ein Gefühl der Befriedigung. Seine schwarzen Abendschuhe schlurften über den kiesigen Untergrund. Versteckte Kameras zeichneten sein Herannahen auf und folgten ihm einen stählernen Treppenschacht hinauf.

Sobald er die schwere Metalltür erreichte, ertönte ein Summer, und das Schloss sprang auf. So, wie es sein sollte. Der Sicherheitsposten hatte genug Verstand, ihn nicht warten zu lassen, wie er das in der Vergangenheit einmal getan hatte. Warten gefiel Iceman nicht. Er war es vor langer Zeit müde geworden, auf Leute zu warten und ihnen zu dienen. Er würde nicht dienen. Nicht einmal Adam – jedenfalls nicht lange. Und das war auch der Grund, warum er selbst kein Ice nahm. Damit hätte er Adam sozusagen seine Marionettenfäden in die Hand gegeben.

Die Versprechungen hinsichtlich eines GTECH-Serums, für dessen Existenz er keinerlei Beweis hatte, konnten bei ihm nichts bewirken. Er würde sie in dem Glauben lassen, dass er sich darauf einließ, dass er dieses Serum wirklich wollte und danach schmachtete, in einen GTECH verwandelt zu werden. Was nicht der Fall war.

Iceman betrat ein langgestrecktes, rechteckiges Büro mit Glasfenster, durch das man ins Lagerhaus sah, wo das Ice in langen Reihen säuberlich aufgestapelter Ampullen auf seine Käufer wartete. Sabrina Walker, seine eigene Version von Tad – allerdings eine viel ansehnlichere –, drückte ihren in Leder gekleideten herrlichen Hintern gegen den abgenutzten weißen Holzschreibtisch.

Sie legte das Klemmbrett auf den Schreibtisch. »Hi, Süßer«, grüßte sie. Ihr langes rotes Haar war ein feuriges Etwas, das die zarte Form ihrer nackten weißen Schultern nachzeichnete. Ihr ledernes Bustier war nicht viel mehr als ein knapper Hauch. Ganz gleich, wie zart ihre Haut oder wie empfindlich ihr Körper auch war – sie war mehr Leder als Spitze. Wenn sie high und auf Ice war, konnte sie jedem Angreifer in genau drei Sekunden eine solche Abreibung verpassen, dass er nicht mehr aufstand. Oder ihn mit einer der Pistolen erschießen, die sie sich über ihren Stöckelschuhen unters Hosenbein geschnallt hatte. Er wurde schon scharf, wenn er nur daran dachte.

Sie wölbte ihre vollen roten Lippen zu einem Schmollmund. »Ich hab schon geglaubt, du würdest nie mehr kommen.«

Er wusste genau, was sie brauchte. Iceman ging auf sie zu, zog sie grob an sich, packte ihre Hand und presste den Mund auf die tiefe, kreisförmige Tätowierung im Zentrum der Innenfläche. Seine Zunge glitt über die Oberfläche, über sein Mal, sein Symbol, das seinem Eclipse-Ice eine rasche Aufnahme ermöglichte.

Sie stöhnte leise. »Ich brauche einen Hit, Schatz«, flüsterte sie. »Ich warte schon eine Stunde zu lange.«

Er verzog die Lippen. »Wenn du ihn so dringend brauchst«, bemerkte er herausfordernd, »geh runter auf die Knie und bitte nett darum.«

»Dafür haben wir keine Zeit«, schnurrte sie. »Die ersten Mädchen können jeden Augenblick eintreffen.«

Bedauerlicherweise hatte sie recht. »Schade«, sagte er, griff in seine Tasche und holte den winzigen Silberstern heraus, der so harmlos aussah. Tatsächlich diente er dazu, Ice-Eclipse zu dosieren. »Ich hätte dich wirklich gern auf Knien gesehen.« Er deutete auf den Schreibtisch, wo ein Ständer mit Ice-Ampullen stand. »Nimm deine Dosis. Du kannst mir später danken.«

Sie zögerte nicht, sondern schnappte sich eines der Glasröhrchen und hielt es ihm hin. »Du auch?«

Darauf konnte sie warten, bis die Hölle zufror. »Es ist alles für dich, meine kleines Ice-Biest.«

Sie lächelte. »Ich bin ein Biest, nicht wahr?«

»In der Tat«, sagte er. Ein dominantes, kontrollsüchtiges Biest, das dafür sorgte, dass all die anderen Biester nicht aus der Reihe tanzten. Er griff erneut nach ihrer Hand und strich mit den Fingern über die Tätowierung auf der Innenfläche. »Aber so ein hübsches Biest verdient seine Belohnung.« Er drängte sie zu trinken, wohl wissend, dass ihre Sucht ihm die gleiche Macht über sie verlieh, wie sie Adam über die gesamte Menschheit auszuüben wünschte. Eine Macht, wie er selbst sie schon bald über seine Eclipser haben würde. »Mach schon.«

Sie öffnete den Verschluss der Ampulle und setzte sie an die Lippen. Gleichzeitig ließ Iceman den silbernen Stern über dem Mal auf ihrer Hand zerfließen. Die durch die Tätowierung präparierte Haut erlaubte seinem nach einer speziellen Rezeptur zusammengesetzten und mit ein paar geheimen Zusätzen angereicherten Ecstasy, das allein unter seiner Kontrolle stand, fast unmittelbar vom Blutkreislauf absorbiert zu werden. Wenn man die Droge in Verbindung mit Ice nahm, erlebte man eine Art Flash mit intensivierter Wahrnehmung – alles schmeckte besser, roch besser, fühlte sich besser an.

Ihre Lider flatterten, die Ampulle fiel ihr beinahe aus der Hand. Er küsste ihr Handgelenk, und sie erschauderte. Wonne zeigte sich auf ihrem Gesicht. Die meisten Konsumentinnen hätten wohl an Ort und Stelle einen Orgasmus gehabt. Nicht so Sabrina. Sie war voller Feuer und verlangte mehr.

»Ice-Eclipse«, murmelte sie. »Mein Gott, ich liebe dieses Zeug.«

Er belohnte ihre Billigung und ließ seine Lippen über ihren Arm wandern, bis sie erzitterte und ihn mit ihren leuchtend grünen Augen fixierte. Ein Blick, der Verlangen und Lust ausstrahlte.

»Ich liebe es wirklich.«

Er hob die Hand und öffnete den Reißverschluss ihrer Weste, um ihre Ice-bedingte Erregung auszukosten. Zeit für sie, auf die Knie zu gehen. Er drängte sie nach unten, und sie lächelte, ließ sich sinnlich an seinem Körper herabgleiten, bis der Summer an der Tür ertönte.

Sie zog wieder ihren Schmollmund. »Die Mädchen kommen«, sagte sie. »Und bringen dir all das Geld, das du mal wieder verdient hast. Sie können warten, bis wir fertig sind. Sie mögen ihr ›Eclipse‹ genauso gern wie ich.« Sie lächelte. »Oder wir könnten eine ganze Party daraus machen. Sie an dem Spaß teilhaben lassen.«

Er riss sie hoch, küsste sie hart und schob sie dann von sich weg. Sie war ein Spielzeug, mehr nicht. »Erst das Geschäft, dann das Vergnügen. Muss ich dich daran erinnern, dass wir den Vertrieb heute Abend ausgeweitet haben? Schau nach den Resultaten und tu das, wofür ich dich bezahle.«

Erst zwei Wochen zuvor war einer ihrer Dealer spurlos verschwunden, und sie waren gezwungen gewesen, sich neu zu formieren und die Sache neu zu durchdenken.

Sabrina straffte sich und zog sich wieder in den sicheren Panzer des knallharten Biests zurück. »Die Resultate …«, begann sie, schloss den Reißverschluss ihrer Lederweste über den kecken Nippeln und begab sich Richtung Tür. »Sie werden ausfallen wie erwartet. Meine Mädchen werden liefern.«

»Sorg dafür«, befahl er mit gepresster Stimme, kehrte ihr den Rücken zu und entließ sie, damit sie ihre Aufgaben so erledigte, wie er es von ihr erwartete. Er starrte hinaus auf das Lagerhaus, das sich seinen Erwartungen zufolge in Zukunft zweimal pro Woche leeren sollte, nicht zweimal pro Monat.

Sie hatte auf seine Kosten ein Dutzend neue Frauen eingestellt und sie alle darauf trainiert, vorher ausgewählte Zielpersonen anzusprechen, um sie süchtig zu machen: Besucher von bestimmten Bars, Clubs, Casinos und Restaurants.

Auf einmal ertönte ein Alarm im Büro – die Warnung der Wachen, wenn ein Windwalker auf dem Gelände erschien. Scheiße. Tad. Aber seine Ice-Zahlung war erst in einigen Tagen fällig.

Iceman griff nach der Fernbedienung für die Überwachungskameras, um den Kanal zu wechseln, als Tad auch schon im Büro auftauchte; Sabrina vor sich, dicht an seinen Körper gedrückt. Sie wirkte nicht gerade glücklich, aber sie kämpfte auch nicht, um von ihm loszukommen. Sie hatte ihre Lektion auf die harte Tour gelernt – eine frühere Konfrontation hatte ihr eine Backpfeife eingebracht, die sie quer durch den Raum geschleudert hatte.

»Wir müssen reden«, zischte Tad.

Wie schlau. Als wäre das nicht offensichtlich. Iceman schluckte seinen Ärger hinunter und verschränkte die Arme vor der Brust. »Dann schieß mal los.«

»Rebecca Burns«, sagte Tad.

Ah ja. Die Frau, deren Foto man ihm gezeigt und die zu fangen man ihm befohlen hatte.

Und aus Gründen, die er noch herausfinden musste, jagte diese Frau Tad und seinen Zodius-Kumpanen eine Scheißangst ein. Interessant. Was konnte eine einzige kleine Frau einer Zodius-Nation anhaben? Was immer sie gegen sie in der Hand hatte, wollte er unbedingt selbst haben.

Er zog die Stirn kraus. »Was ist mit ihr?«

Tad streichelte Sabrinas Haar, als sei sie ein niedliches Haustier. »Du solltest dafür sorgen, dass sie kein Ice in die Finger bekommt. Du solltest sie zu mir bringen. Heute Abend hat sie nicht nur den Weg zu einem Ice-Dealer gefunden, sie ist auch noch einem Renegade über den Weg gelaufen.«

»Das ist unmöglich«, beteuerte Iceman. »Keine meiner Dealerinnen hat dieser Frau Ice gegeben. Sie verkaufen ihren Stoff nicht einfach wahllos. Nicht mehr.«

»Ach?«, antwortete Tad. »Aber genau das haben sie getan.« Er warf Iceman eine DVD hin. Sie klatschte dumpf auf den Boden. »Das haben wir aus deinem Club, wo deine Männer sie in ein rückwärtiges Lagerhaus gelockt haben.«

»Wir beschäftigen keine männlichen Dealer«, warf Sabrina ein. »Das ist lächerlich.«

Tad riss ihren Kopf an den Haaren zurück, und sie biss sich wimmernd auf die Unterlippe. »Dann waren es Ice-Konsumenten«, sagte Tad. Er starrte einen Moment lang auf sie herab, dann ließ er ihr Haar los und fasste Iceman ins Auge. »Von deinen Kunden – was bedeutet, dass du sie nicht unter Kontrolle hast, und das ist nicht hinnehmbar. Wenn du deine Arbeit nicht machen kannst, werde ich jemanden finden, der es kann.«

»Wenn ein Kunde eine Dosis Ice verkauft, bekommt er dafür keinen Ersatz«, erklärte Iceman. »Das bedeutet Entzug. Es fällt mir schwer zu glauben, dass irgendjemand so etwas Idiotisches tun würde, nur weil er eine Nummer schieben will.« Er glaubte nicht recht daran, dass der Entzug die Clanner wirklich umbrachte, aber natürlich machte er sich dieses Gerücht dennoch zunutze. Er redete den Süchtigen ein, dass der Kauf von Eclipse zur Wirkungsverstärkung die Dosierung sicherer machte.

Absolut umwerfend ausgedacht. Klappte wunderbar. Und Adam bekam nichts von seinen Eclipse-Gewinnen ab.

»Schau dir die DVD an«, befahl Tad und strich mit der Hand über Sabrinas Hals. »Oder vielleicht möchtest du lieber mit ansehen, wie ich deine Frau auf dem Schreibtisch flachlege. Sie ist doch deine Frau, oder? Sie erinnert mich an Adams Lebensband Ava – rotes Haar und widerspenstig.«

»Ich bin mir sicher, Adam würde gern erfahren, dass du auf seine Ava scharf bist«, bemerkte Iceman in der Hoffnung, ihn genug in Rage zu bringen, damit er Sabrina losließ. Es kümmerte ihn einen feuchten Kehricht, ob Tad sie fickte, aber er wusste, was Sex mit Tad bedeutete – sie würde fortan von einem Tracker aufgespürt werden können. Und das war ein Problem. »Du hättest diese Rebecca ficken und für deine Tracker markieren sollen. Dann würdest du mich nicht brauchen, damit ich sie aufzuspüren versuche, während ich gleichzeitig den gesamten Ice-Vertrieb am Laufen habe.« Er bückte sich und hob die DVD auf. Er wollte wissen, wer zum Teufel sein Ice weiterverhökerte – wenn es überhaupt stimmte, was sich Tad da zusammengereimt hatte.

Als er sich wieder aufrichtete, die DVD in der Hand, war klar, dass es für Sabrina keine Rettung mehr gab. Tad hatte sie über den Schreibtisch gelegt und riss ihr die Weste vom Leib. Iceman würde Sabrina ersetzen müssen. Ärgerlich. Er hatte keine Zeit für solche Verzögerungen.

Er kehrte Tad und Sabrina den Rücken zu und wollte die DVD gerade in den Computer auf dem Schreibtisch schieben, als er plötzlich in die Luft gehoben und zu Boden geschmettert wurde. Ihm blieb die Luft weg. Tads Fuß traf wieder und wieder seine Rippen und rammte sich dann in seine Brust.

»Du bleibst da liegen und schaust zu, wie ich meinen Spaß mit deiner Frau habe«, erklärte er. »Dann werden wir darüber reden, wie du mich für dein Versagen entschädigen kannst.«

Blut tropfte Iceman aus dem Mundwinkel. Seine körperliche Verletzlichkeit war der Preis, den er dafür zahlte, dass er nicht bereit war, Ice zu nehmen. Aber er hatte ein Team, das für ihn daran arbeitete, seine eigene Version der Droge herzustellen, und außerdem war er dabei, seine Eclipser um sich zu scharen.

Tad konnte Sabrina ruhig haben. Sollte er diesen Moment doch auskosten. Das alles würde nur dazu beitragen, den Tag, an dem Iceman ihn tötete, zusätzlich zu versüßen. Das hier war sein Spiel, und wenn er seinen letzten Zug machte, würden es alle mitbekommen.