26

Becca riss keuchend die Hand von Sterlings Brust und griff nach ihren Labormantel, um seine Hand sauber zu wischen. »Bist du verrückt geworden?«, fragte er. »Hör auf, dir um mich Sorgen zu machen. Ich mache mir Sorgen um dich

Er zog sie zum Waschbecken und wusch ihre Hand. Sie presste die Augen fest zu und machte sich bewusst, dass seine Wunden schnell heilten. Da würde es schon keine offene Wunde mehr geben, durch die ihr Blut eindringen konnte. Und solange sich sein machomäßiger Beschützerinstinkt derart in den Vordergrund drängte, war klar, dass ihr keine andere Möglichkeit blieb, als nachzugeben und ihn ihre Hand versorgen zu lassen.

Sie setzten sich telefonisch mit Kelly in Verbindung, nahmen Becca Blut ab und ließen es von einem Windwalker sofort nach Sunrise City bringen. Dann begann das Warten. Sie wollte, dass Kelly die Ergebnisse ihrer Tests vorlegte, wollte wissen, woran sie war, wollte, dass Kelly ihr versicherte, dass ihr Lebensband Sterling nicht in Gefahr gebracht hatte. Während sie auf Kellys Auswertung der Testergebnisse wartete, setzte sie sich an den Schreibtisch und versuchte zu arbeiten, aber im Stillen ergriff immer mehr Panik von ihr Besitz. Sie hatte keine Zeit gehabt, mit Kelly über die Veränderungen zu reden, die seit Erscheinen des Symbols in ihrem Blut vorgegangen waren, und vor Sterling konnte sie das Thema nicht zur Sprache bringen. Eine Stunde verging. Becca las sich währenddessen das GTECH-Untersuchungsmaterial durch, das ihr Kelly gemailt hatte.

Sterling stand unruhig neben ihr im Raum oder ging auf und ab. Dann blieb er wieder stehen, nur um sein Herumtigern erneut aufzunehmen.

Mit einem frustrierten Knurren schlug sie die Donutschachtel zu und drehte sich auf ihrem Stuhl zu Sterling um. »Genug damit«, sagte sie. »Keine Süßigkeiten mehr für dich. Hast du keinen Ice-Dealer, den du zur Strecke bringen musst?«

»Wir sollten nach Sunrise City gehen«, erwiderte er. »Sofort – wir windwalken dorthin und lassen Kelly richtige Tests bei dir machen.«

Dass er sich um sie sorgte, berührte Becca tief, aber es verriet ihr auch eine ganze Menge. Er würde darauf bestehen, sie zu retten, sobald er wusste, dass er es konnte, und das kam jetzt noch weniger infrage als zuvor. Dorian konnte sie töten – und wenn sie durch ein Lebensband verbunden waren, konnte er Sterling mit ihr umbringen. »Es ist viel zu viel Zeit auf mich und meine Gesundheitsprobleme verschwendet worden«, antwortete Becca mit Nachdruck. »Wir müssen uns vielmehr auf eine Immunisierungsmethode und die Entwicklung eines Heilmittels für die Ice-Süchtigen konzentrieren.« Die Sache mit der Notwendigkeit, Dorian gefangen zu nehmen, ließ sie aus, weil sie nicht mit Sterling darüber streiten wollte, ob sie sich an dieser Aktion beteiligen sollte. Für sie stand fest, dass sie das tun würde, ob es ihm nun gefiel oder nicht.

»Sobald du einmal dort bist, kannst du enger mit dem medizinischen Team zusammenarbeiten«, gab er zu bedenken.

Wie war das noch mal mit dem Nicht-auf-Dorian-zu sprechen-Kommen? Pustekuchen. »Wir wissen beide, warum ich mich nicht in Sunrise City verstecken kann. Und was immer in gesundheitlicher Hinsicht mit mir nicht stimmen mag, macht das, was ich hier zu tun habe, nur umso dringlicher.«

»Du wirst dich nicht zum Köder für dieses Monster von Adams Sohn machen«, sagte er, und seine Stimme war genauso unnachgiebig wie sein sturer Kopf.

»Herrschsüchtige Machoallüren funktionieren bei mir nicht«, stellte sie klar. »Mein Vater und mein Bruder waren beide herrschsüchtige Machos, und sie haben damit nichts erreichen können. Der einzige Grund, warum ihr überhaupt angefangen habt, nach mir zu suchen, war, Adam aufzuhalten. Und wenn ich dabei helfen kann, werde ich es tun.«

»Das wirst du nicht«, widersprach er im Befehlston.

»Hör auf, unvernünftig zu sein«, befahl sie zurück. »Du hast es auf dich genommen, mich zu beschützen, als ob es deine Pflicht wäre.« Sie deutete mit dem Finger auf ihn, und er hatte bereits den Mund geöffnet, um Einwände zu erheben, als sie ihm zuvorkam: »Und behaupte jetzt nicht, dass es auch wirklich deine Pflicht war. Es ist deine Pflicht, dieses Land zu beschützen – und mittlerweile die gesamte Menschheit. Nicht eine einzelne Frau.« Und verdammt noch mal, sie wollte weder seine Pflicht sein noch die Pflicht irgendeines anderen.

Entschlossen holte sie Luft. Er musste den Raum verlassen haben, bevor Kelly anrief und die Testergebnisse durchgab, da sich die Sache mit ihrem Lebensband in diesen Ergebnissen niedergeschlagen haben könnte. »Wenn du diese Tatsache nicht in Erinnerung behalten kannst, dann können wir beide … nun ja, wir können nicht … dann muss ich in einem anderen Apartment unterkommen.«

Seine Miene verfinsterte sich, und er machte einen Schritt auf sie zu. »Das ist nicht dein Ernst.«

»Doch«, versicherte sie und verschluckte sich förmlich an ihren Worten. »Ich … es ist das Beste so. Damit wir beide nicht die Fähigkeit verlieren, sachliche Entscheidungen zu treffen.«

»Auch ich bin in deinem Kopf gewesen, Süße«, erwiderte er. Alle Distanz zwischen ihnen war dahin. Er ragte vor ihr auf, seine Finger spielten mit einer Strähne ihres Haars, und er ließ den Blick schwer auf ihrem Gesicht ruhen. »Du versuchst, mich zu schützen, so wie du deine Mutter geschützt hast. Ich brauche keinen Schutz.« Er schwieg einen Moment und sah sie eindringlich an. Düstere Gefühle lagen in diesem Blick und erfüllten nun auch sie. »Ich beschütze dich. Du sollst mich nicht schützen.«

Menschen, die einander lieben, beschützen sich gegenseitig, aber diesen Gedanken sprach sie nicht aus. Sie sagte vielmehr überhaupt nichts.

»Du kannst mich nicht von dir stoßen«, murmelte er. »Das werde ich nicht zulassen.«

Becca presste die Augen fest zu, um sich gegen ein unerwartetes Gefühl zu wehren – die bedrückende Schwere in ihrer Brust. Verdammt. Sie würde nicht weinen. Auf keinen Fall. Sie konnte es nicht. Sie war längst über das Stadium der Tränen hinaus.

Sterling legte ihr die Hand aufs Gesicht, und sie schmiegte sich in diese Berührung, außerstande, sich zu bremsen. Alle ihre guten Absichten, ihn von sich zu stoßen, waren wie weggeblasen.

Der Computer summte, und Beccas Magen krampfte sich zusammen. Sie zwang sich, die Augen zu öffnen, und gab sich alle Mühe, ihre Angst zu verbergen. »Ich muss dazu allein sein.«

»Nein«, widersprach er; seine dickköpfige Sturheit brach sich erneut mit aller Kraft Bahn.

»Bitte«, sagte sie verzweifelt. »Ich will allein mit ihr reden. Was auch immer mit mir nicht stimmt – ich muss zuerst allein damit fertigwerden.«

»Du bist nicht allein«, entgegnete er und beugte sich über sie, um die Computertaste zu drücken.

Becca ergab sich in ihre Niederlage und drehte sich zum Monitor um, auf dem nun Kellys Bild erschien. »Also gut, Becca«, begann Kelly erschöpft. Ihr blondes Haar war nachlässig aufgesteckt, und es sah aus, als hätte sie dazu einen Bleistift benutzt. »Unser aktueller Stand ist der folgende: Ihr Blutbild ist völlig chaotisch, aber wir haben keine eindeutige Ursache für die Blutung gefunden. Ich arbeite daran, weitere Details in Erfahrung zu bringen.«

»Ich hatte während meiner Krebstherapie Gerinnungsprobleme«, erklärte Becca.

»Es bedeutet nicht, dass Ihr Krebs zurück ist«, sagte Kelly streng. »Hören Sie auf, so zu denken. Ich sehe keinerlei Beweise für etwas Derartiges.«

Etwas war in ihren Worten unausgesprochen geblieben, und dort setzte Becca an. »Bitte, ich will nicht, dass Sie mich mit Samthandschuhen anfassen, Kelly.«

Kelly wölbte die Lippen nach vorn. »Das tue ich auch nicht. Hören Sie auf, aus dieser Sache etwas machen zu wollen, das sie nicht ist.« Sterling legte die Hände auf Beccas Schultern, kraftvoll und beruhigend. Es hätte ihr ein tröstliches Gefühl vermittelt, wenn Becca nicht so verzweifelt mit Kelly allein hätte sprechen wollen.

»Es läuft alles auf die eine Frage hinaus, Doc«, schaltete er sich ein. »Was bedeutet das Ganze für Becca?«

»Wir wollen, dass sie eine neue Dosis Ice nimmt und sich unmittelbar danach Blut abzapft.«

»Kann sie das?«, fragte er. »Gefahrlos eine weitere Dosis nehmen? Ich meine, ich weiß, dass sie jetzt zwei Dosen pro Tag braucht. Aber drei?«

»Ihr Blutbild so zu belassen wie jetzt ist auch nicht ungefährlich.«

»Das war also ein Nein«, gab Sterling zurück. »Es ist also nicht ungefährlich, wenn sie drei Dosen nimmt.«

»Überschüssiges Ice wird vom Körper ausgeschieden«, wiegelte Kelly ab. »Deshalb bekommt sie keine Überdosis, wenn sie zwei Ampullen am Tag nimmt, und deshalb haben wir auch noch nicht erlebt, dass jemand am übermäßigen Konsum der Droge gestorben ist.«

Was Kelly nicht aussprach und Becca im Stillen ergänzte, war die Tatsache, dass sie nicht wussten, ob es andere Nebenwirkungen einer erhöhten Dosierung gab.

»Gut, dann mache ich das«, sagte Becca. »Danke, Kelly.« Um nicht die Fassung zu verlieren, versuchte sie, sich auf etwas anderes als sich selbst zu konzentrieren, und fügte hinzu: »Ich habe über den Vitamin-C-Mangel nachgedacht, an dem die GTECHs leiden. Aus den Unterlagen, die Sie mir haben zukommen lassen, geht hervor, dass ihr Körper die Absorption verhindert – das ist wie Öl und Wasser. Was würde also passieren, wenn wir jemandem eine hohe Dosis Vitamin C verabreichen würden? Würde es dann umgekehrt die Absorption von Ice verhindern?

»Interessant«, antwortete Kelly und zog nachdenklich die Brauen zusammen. »Sie könnten da auf eine brauchbare Spur gestoßen sein.« Dann wechselte sie das Thema. »Aber Sie müssen jetzt Ihre Dosis nehmen. Wir können später darüber sprechen.«

»Einverstanden«, schaltete sich Sterling ein. Im nächsten Moment klingelte sein Handy. Er riss es vom Gürtel und fluchte. »Ich muss den Anruf entgegennehmen. Es ist Riker.« Er runzelte die Stirn. »Und Eddie ruft auch an.«

Irgendetwas war da im Gange, und es musste etwas Größeres sein, aber Becca blieb hartnäckig. »Später« war ein Wort, das sie früher einmal ganz selbstverständlich hingenommen hatte – doch das war jetzt vorbei. »Können Sie ein Team an der Vitamin-C-Theorie arbeiten lassen?«, wandte sie sich an Kelly.

»Ich habe bereits entsprechende Pläne im Auge«, versicherte Kelly. »Aber jetzt gehen Sie und nehmen Ihre Dosis.«

Becca zögerte. Es erleichterte sie, dass Sterling mit dem Handy am Ohr aus dem Labor trat. »Ich habe die grundlegenden Unterlagen über den Bindungsprozess durchgelesen, die Sie mir zusammen mit dem GTECH-Material zugemailt haben, aber können Sie mir auch die detailliertere Version zukommen lassen?«

Kelly legte den Kopf schief und zog die Augenbrauen zusammen; in ihren Tiefen glitzerte es wissend. »Gibt es gewisse Tests, die ich bei Ihnen machen sollte, Becca? Tests, die Sie lieber vertraulich behandelt wissen würden?«

»Ja«, antwortete sie, erleichtert über Kellys Fähigkeit, gleichzeitig offen und diskret zu sein. »Das wäre eine gute Idee.«

»Ich habe etwas dergleichen vermutet und die Tests bereits angesetzt. Die Ergebnisse liegen noch nicht vollständig vor, daher habe ich sie auch noch nicht erwähnt. Meine Sorge ist, dass Sie den Bindungsprozess in Gang gesetzt haben und dass Ihr Körper versuchen könnte, ihn ohne Blut abzuschließen, indem er das Blut vielleicht durch Ice ersetzt.«

Plötzlich fröstelte Becca. »Kann so etwas denn überhaupt möglich sein?«

»Wir bewegen uns hier in einer Welt voller Unbekannten, aber Cassandra war in einer ähnlichen Situation. Sie und Michael haben ihren Bindungsprozess nicht gleich abgeschlossen, und dann hat ihr Körper die Kontrolle übernommen. Sie hatte eine Reihe von Gesundheitsproblemen, bis die beiden die Sache zu Ende gebracht und das Blutband endgültig gemacht haben. Ich bin der Ansicht, dass es von entscheidender Wichtigkeit für Ihre Sicherheit ist, den Blutaustausch sofort zu vollziehen.«

»Das bedeutet, wenn ich sterbe, stirbt Sterling.«

»Ja, aber …«

»Nein. Das darf nicht passieren. Es darf nicht passieren, Kelly. Was ist, wenn Ice zur Folge hat, dass Sterling etwas zustößt? Dass es ihn zum Beispiel in einen Zodius verwandelt oder ihn umbringt? Und dann ist da ja auch noch die Sache mit Dorian. Wenn er mich angreift, greift er Sterling an.«

»Was sagt denn Sterling dazu?«

»Er weiß nichts davon, und er darf es auch nicht wissen.«

»Wir sprechen hier von Ihrem Leben, Becca.«

»Selbst wenn ich nicht diese Angst um seine Sicherheit hätte, würde ich es ihm nicht erzählen. Ich will keine Verpflichtung sein, die ihm aufgebürdet wird.«

Kelly klopfte mit dem Bleistift auf den Schreibtisch vor ihr und stützte dann nachdenklich das Kinn in die Hand. »Sie wollen, dass es eine freie Entscheidung ist und kein aufgezwungenes Band, das einer medizinischen Behandlung zur Rettung Ihres Lebens gleichkommt.« Es war keine Frage. »Das verstehe ich.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob Sie es wirklich verstehen«, erwiderte Becca. Sie wollte tatsächlich, dass das Knüpfen des Lebensbands eine Entscheidung war. Aber Sterling hatte auch recht, wenn er sagte, dass sie ihn zu schützen versuchte.

»Doch«, beharrte Kelly. »Ich verstehe es. Also sollten Sie wissen, dass wir allen Grund haben zu glauben, dass sich die Paare, die ein Lebensband knüpfen, ohnehin ineinander verliebt hätten. Wir glauben, dass das auch der Grund ist, warum es Adam nicht gelingt, ein Lebensband zu schaffen, indem er wahllos zusammengewürfelte Menschen miteinander Sex haben lässt. Damit vereitelt er vielmehr geradezu zwangsläufig jede Aussicht auf Erfolg. Ich weiß, ›glauben‹ ist ein Wort, das in der Wissenschaft nicht viel gilt, aber wenn Sie meine Berichte lesen, werden Sie begreifen, warum ich das sage. Ich glaube fest daran, dass die Knüpfung eines Lebensbands eine höhere Evolutionsstufe des Verliebens darstellt. Was immer Sie für Sterling empfinden, ist kein Produkt der Wissenschaft, Becca. Es hat einen echten emotionalen Gehalt.«

Bei diesen Worten wurde Becca warm ums Herz. Sie gaben ihr Hoffnung, dass das, was sie und Sterling empfanden, tief und echt war. Doch das änderte nichts an ihrer Entscheidung. »Ich werde Sterlings Leben nicht aufs Spiel setzen.«

Kelly musterte sie für einen Moment. »Wenn das, was Sie gerade gesagt haben, nicht beweist, dass die Knüpfung eines Lebensbands echte Liebe voraussetzt, dann weiß ich auch nicht«, meinte sie leise. »Ich muss mich erst mit Caleb beraten, aber für den Augenblick verspreche ich Ihnen, Stillschweigen zu bewahren.«

»Danke«, antwortete Becca, und eine Welle der Erleichterung flutete über sie hinweg.

Erneut warf Kelly Becca einen prüfenden Blick zu. »Sie nehmen ihm seine eigene Entscheidung ab«, sagte sie. »Sie sind sich dessen bewusst, oder?«

Diese Bemerkung ließ Becca tief Luft holen. Die Tür zum Labor wurde geöffnet, und Sterling kam herein. Becca drehte sich zu ihm um und sah, wie seine Augen die ihren suchten. Sein Gesichtsausdruck drückte zärtliche Sorge um sie aus.

Mit bebendem Herzen machte sich Becca bewusst, dass die Sache zwischen ihr und Sterling lange vor dem Symbol in ihrem Nacken begonnen hatte. Sie hatte vor Jahren in jener Bibliothek begonnen, als sie für ihn geschwärmt hatte. Damals hatte sie angefangen, sich in ihn zu verlieben – und damit hatte sie immer noch nicht aufgehört. Becca wandte sich wieder zum Computer um. »Ich mag ihm seine Entscheidung abnehmen«, sagte sie leise, nur für Kellys Ohren bestimmt. »Aber ich schütze ihn auch.«

Es entging Sterling nicht, dass Becca ihre Telekonferenz mit Kelly genau in dem Moment beendete, als er das Labor betrat. Sie rollte den Stuhl zu ihm herum, und der helle rote Blutfleck auf ihrem gebleichten Laborkittel rief ihm höhnend ins Gedächtnis, welches Schicksal ihr mit unausweichlicher Sicherheit drohte. Sie starb, und welche Risiken er auch einging, welchen Berg er auch bestieg, von welchem Gebäude er auch hinuntersprang – er konnte nichts tun, um es zu verhindern. Er konnte nicht einmal ein Lebensband mit ihr eingehen, und er verstand nicht, warum. Wenn es in seinem Leben je eine Frau gegeben hatte, mit der er sich verbunden fühlte, dann Becca.

»Was wollten Riker und Eddie?«, erkundigte sie sich, während sie zu einem Regal ging und das Nötige herausholte, um sich Blut abzunehmen.

Er kam auf sie zu. »Sie wollten mich beide daran erinnern, dass ich in ihrer Schuld stehe. Und wenn man bedenkt, dass ich Eddie bezahle – das verlangt echt Mumm. Wahrscheinlich ist genau das der Grund, warum ich diesen Typen echt mag.« Er blieb vor ihr stehen und griff nach der Spritze.

»Ich kann es selbst machen«, sagte sie in einem schwachen Versuch, Widerstand zu leisten.

»Du kannst es nicht ausstehen, dir selbst Blut abzunehmen«, wandte er ein. »Ich mach das.«

Sie zögerte kurz, dann nickte sie, schlüpfte aus dem Laborkittel und setzte sich. »Kelly will Blut vor und nach meiner Dosis.«

»Ja, ich war mit dabei, wenn du dich erinnerst.«

»Oh ja. Richtig.«

Er kniete sich neben sie und legte ihr die Hand aufs Bein. »Becca …«

»Ich hab’s dir doch gesagt. Fass mich bitte nicht wieder mit Samthandschuhen an und spiel den Typen, der behauptet, dass alles gut werden wird.«

»Okay«, willigte er ein. »Aber nur, wenn ich der Typ sein darf, der dir sagt, dass er verrückt nach dir ist. Das bin ich nämlich.«

Sie versuchte zu lachen. »Schlechte Wahl. Auch dieser Typ solltest du lieber nicht sein, denn du hast recht gehabt. Ich will nicht, dass du verletzt wirst.«

»Hmm«, machte er zweifelnd. »Ich werd’s riskieren.« Er wickelte ein Band um ihren Oberarm.

»Jetzt ist nicht die Zeit, um mit Glücksspielen anzufangen.« Sanft legte sie ihre Finger auf seine Hand, die auf ihrer lag. »Ich meine es ernst, Sterling. Ich werde in einem anderen Apartment wohnen. Beenden wir, was zwischen uns ist, bevor es noch komplizierter wird.«

»Nein«, sagte er. Er spürte das Zittern ihres Arms. Sie brauchte ihre Dosis. Er nahm die Hand wieder weg und bereitete die Spritze vor.

»Du magst dieses Wort allzu gern.«

»Ich kann dir sagen, warum«, antwortete er, streckte ihren Arm und schob die Nadel in die Vene. »Mit ›Nein‹ kann man nicht argumentieren. Wenn ich dir hingegen die Gründe hinter meiner Weigerung nennen würde, müsstest du sie – Wissenschaftlerin, die du bist – analysieren, sie zerpflücken und versuchen, sie zu widerlegen. All diese Zeit wäre besser darauf verwendet, um an deiner Immunisierungsmethode zu arbeiten, oder, noch besser, um nackt mit mir im Bett zu liegen. Was im Übrigen verlangt, dass wir im selben Apartment und im selben Schlafzimmer sind.«

Sie schüttelte den Kopf und lächelte. »Du bist unmöglich.«

Er zog die Nadel heraus. Blut tropfte viel zu schnell aus ihrem Arm, und er drückte Verbandswatte darauf. »Ich glaube, du magst ›unmöglich‹.« Er zwinkerte und ging wieder zum Schrank, legte ihr Blut dort ab, griff nach einer Ampulle Ice und den nötigen Utensilien, um noch mehr Blut abzuzapfen.

Er kam zurück und reichte ihr die Ampulle. Sie kippte den Inhalt herunter, dann griff sie nach seiner Hand. »Ich muss mit Caleb reden«, sagte sie.

Er erstarrte. Dieses Gespräch würde in eine Richtung gehen, die ihm nicht gefiel. »Warum, Becca?«

»Ich will lernen, wie ich mich gegen Dorian schützen kann.«

Er biss die Zähne zusammen. »Du wirst dir Dorian nicht vornehmen.«

»Das ist nicht deine Entscheidung.«

Er verband ihren Arm. Das Ice verlangsamte die Blutung bereits. Seine Antwort kam zögerlich. »Und wenn ich mich weigere, dir das zu erlauben?«

Ihre Miene wurde weicher, und sie strich ihm mit den Fingern über die Wange. »Dann gebe ich dir eine dieser simplen Antworten, die du so magst, und sage: Ja gut, dann mache ich es trotzdem. Dann musst du zustimmen, also lass uns den Streit überspringen und direkt in dieses Bett gehen, das du erwähnt hast.«

»Das ist Erpressung«, klagte er und griff nach ihrer Hand.

Ein schüchternes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Und? Funktioniert es?«

»Süße«, sagte er. »Ich gehe mit dir ins Bett, was auch immer geschieht. Ein guter Streit garantiert großartigen Versöhnungssex.«

Ein ernster Ausdruck legte sich über ihre zarten Gesichtszüge. »Ich muss das tun, Sterling.«

Sterling betrachtete ihr bleiches, elfenbeinfarbenes Gesicht und wünschte, er könnte die dunklen Schatten unter ihren Augen wegwischen und den Schmerz in ihren Tiefen dazu. Ihn peinigte weniger, was sie gesagt hatte, sondern vor allem das, was unausgesprochen blieb.

Sie musste sich Dorian entgegenstellen, solange sie es noch konnte, solange sie dazu in der Lage war. Alles in ihm schrie danach, diese Wirklichkeit nicht zuzulassen, schrie, dass sie sich irrte. Sie musste es nicht tun.

Er wollte mit ihr ins Bett gehen und sie dort bei sich behalten, bis diese ganze Hölle vorüber war, aber sie würde nicht vorübergehen. Und er konnte das nicht tun.

Er wusste nicht, was in diesem Moment mit ihm geschah, als er sich all das bewusst machte, aber es geriet etwas in ihm in Bewegung, und er konnte nur noch an eines denken: wie sehr er sich wünschte, in dieser Frau zu sein, in ihrem Körper und ihrer Seele. Wie sehr er unbedingt ein Teil von ihr sein musste. Wie sehr er das Gefühl hatte, dies sei der Schlüssel zu ihrer Rettung.

Das klare Bewusstsein ging in pures Verlangen über. Schon küsste er sie, wild und heiß, wusste kaum mehr, wann er sie in die Arme geschlossen hatte. Plötzlich war sie einfach da. Und er wusste nichts mehr als das, was ihn zugleich heiß und kalt durchschoss wie Feuer und Ice: dass er wollte, was ihm genommen werden würde, während er zugleich die Gewissheit spürte, dass all das irgendwie vorbeigehen würde, wenn er sich jetzt nur in ihr vergrub.

Er setzte Becca auf den Labortisch, wie er es schon einmal getan hatte, spreizte ihr die Beine und schob sich dazwischen. Nur dass sie es diesmal nicht bis zum Bett schafften.