31

Was hier offenbar wurde, brannte sich ihm tief in die Seele. Zorn stieg in ihm auf, und Sterling versuchte nicht, ihn zu vertreiben, denn er machte die in ihm wütende Qual erträglicher. Becca hatte ihn getäuscht, hatte zugelassen, dass er sich wegen ihres bevorstehenden Todes quälte. »Was führst du im Schilde, Becca?«

Sie machte einen Schritt auf ihn zu, und er ließ es geschehen, packte sie und zog sie hart und ungestüm an sich. Und verdammt, wie diese weichen, sinnlichen Kurven seinen Schwanz sofort wieder vor Verlangen dick anschwellen ließen. Der Teufel sollte sie holen! Aber, gut, wenn sie ihn aufs Kreuz legte, warum sollte er sie dann nicht auch aufs Kreuz legen und durchvögeln?

»Arbeitest du für Adam?«, fragte er schroff, den Mund dicht an ihrem, voller Gier, die Bitternis der Lüge auf ihren Lippen zu schmecken, sie einfach hinzunehmen, anzunehmen, und dann zu versuchen, über Becca hinwegzukommen. »Hat er herausgefunden, dass wir Lebensbänder sind? Oder, ja, du hast es herausgefunden. Jetzt ergibt alles einen Sinn. Deshalb hast du auch keine Angst vorm Windwalking gehabt. Warum machst du nicht einfach den Blutaustausch mit mir, Becca? Warum mich nicht reinlegen? Oder hat sich die Gelegenheit einfach noch nicht ergeben, sodass du mich weiter manipulieren musst?«

»Was?«, keuchte sie. »Sterling, nein. Wie kannst du so etwas denken?«

»Warum wohl sonst sollte eine Frau, die am Sterben ist, dem Mann, der ihr Leben retten könnte, so etwas nicht sagen – damit er sie auch wirklich rettet? Warum? Es ergibt keinen Sinn.«

»Ich hätte Gelegenheit gehabt«, flüsterte sie heiser. »Im Labor, als ich geblutet habe. Ich hätte dich reinlegen können. Aber ich habe alles getan, um dir aus dem Weg zu gehen.«

»Lüg nicht«, knurrte er leise und presste den Mund an ihr Ohr. »Wir wissen beide, dass sich der Blutaustausch nicht so leicht vollziehen lässt. Hör auf, mit mir zu spielen.« Er ließ sie los und fixierte sie mit einem verächtlichen Blick. »Ich mag das nicht.«

»Und ich mag dich im Moment nicht besonders«, entgegnete sie mit zitternden Lippen, den Kopf trotzig zurückgelegt. »Woher sollte ich das denn wissen?«

Dann zerschmolz ihre Tapferkeit plötzlich zu Tränen, wie sie ein Sterbender vergießt, Tränen, begriff er, wie sie sie sich niemals erlaubt hatte, seit er sie kennengelernt hatte.

»Das hier ist eine andere Sache, als mir eine deiner Nieren zu spenden, während du die andere behältst und deine Gesundheit dadurch statistisch nicht beeinträchtigt ist. Diese Sache ist für immer, Sterling. Wie konnte ich denn erwarten, dass du mir so viel gibst, obwohl du mich doch noch kaum gekannt hast? Wo du vielleicht noch merken könntest, dass du mich in Wirklichkeit gar nicht magst? Dass bei alledem vielleicht nur Mitleid und Schuldgefühle im Spiel waren und keine echte Liebe?«

Jetzt war es an ihm zu zerschmelzen, in ihr, um sie herum. »Becca«, flüsterte er und strich ihr mit dem Daumen die Feuchtigkeit von den Wangen. »Schatz, es tut mir leid.« Er legte seine Stirn an ihre. »Es tut mir so leid. Heute Nacht … Eddie … du – mein Unvermögen, wenigstens einen von euch zu retten … es hat mich völlig fertiggemacht.«

»Ich wollte es dir ja sagen«, murmelte sie. »Ich musste nur wissen …« Ihr stockte der Atem. »Ich musste wissen …«

»Dass ich dich liebe und ohne dich nicht leben kann?«

Sie hatte ihre Hand auf seine Brust gelegt. »Ja«, flüsterte sie.

»Gut, das tue ich«, erwiderte er. »Und ich kann nicht ohne dich leben. Und ich bin mir nicht sicher, ob das für uns beide etwas Gutes oder etwas Schlechtes ist.«

Sie schluckte, und ihr kleiner, zarter Adamsapfel hüpfte dabei. »Also … ich hatte ganz recht damit, mir Sorgen zu machen. Du willst es nicht.«

Er vergrub sein Gesicht in ihren Nacken, atmete ihren blumigen, fraulichen Duft ein. »Mein Gott, ja, doch, ich will es. Ich weiß nur nicht, wie es gehen soll, Becca.«

»Das verstehe ich nicht, Sterling.« Ihre Hände waren in seinem Haar, zwangen ihn, sie anzusehen. Sie schaute ihm suchend in die Augen, Beklommenheit im Blick. »Du verwirrst mich.«

Er sah sie an und wusste um die tiefe Verzweiflung, die in seinem Blick lag. Aber er konnte sie nicht vertreiben. Er konnte diese Qual nicht durchdringen und hinter sich lassen. »Ich gehe Risiken ein, Becca. Ich bleibe nicht stehen. Ich denke nicht nach. Ich handele einfach. Und auf diese Weise rette ich Leben. Aber es ist immer mein Leben gewesen, das ich aufs Spiel gesetzt habe, nicht das eines anderen.«

»Du meinst meins«, sagte sie und verkrallte ihre Hand in seiner Brust. »Wir müssen es nicht tun.«

»Natürlich tun wir es«, erwiderte er mit rauer Stimme und küsste sie. Sie versuchte, Einwände zu erheben, und er küsste sie abermals. »Wir tun es.«

Er hob sie hoch, trug sie zum Bett und spreizte dabei ihre Beine, um die Intimität zwischen ihnen zu besiegeln. Ihr dunkles Haar wallte über das elfenbeinfarbene Kissen. Gott … sie war schön. Und sie war sein.

Sein Gewicht auf die Ellbogen gestützt, erklärte er: »Wir leben zusammen, und wir sterben zusammen. Und wir werden zusammen Leben retten.« Er griff zur Nachttischschublade, riss sie auf und ließ ein Taschenmesser aufspringen. »Von diesem Moment an.«

»Nein!«, protestierte sie und schloss ihre Hand um das Messer. »Nicht jetzt.«

»Becca, Liebling«, flehte er. »Vergiss, was ich gesagt habe. Ich hatte einfach Angst.« Das Gewicht dieses Eingeständnisses ließ Sterling tief durchatmen, und er richtete den Blick zur Decke, bis er die Fassung wiedergewonnen hatte. Dann sah er ihr fest in die Augen und ließ sie die Wahrheit in seinem Blick sehen. »Ich habe seit Jahren keine Angst mehr gehabt. Aber ich war auch seit Jahren nicht mehr so lebendig wie jetzt. Ich will es, Becca. Mit dem Rest werde ich schon fertig.«

»Du hast noch Zeit, um darüber nachzudenken«, wandte sie ein. »Wir können nichts tun, bis wir Dorian gefangen genommen haben.«

»Was hat Dorian damit zu tun?«

»Einer von uns muss überleben, um den Kampf fortzusetzen.«

»Nein, nein«, beharrte er. »Zusammen leben und zusammen sterben. Das ist nicht verhandelbar. Und sobald du dich mit mir verbunden hast, bist du ohnehin stärker und sicherer.«

»Und wenn das Lebensband mich irgendwie verwandelt? Wenn Dorian dann erkennen kann, dass ich anders bin, und ich dann kein Lockmittel mehr für ihn bin? Oder wenn ich dadurch meine besondere Fähigkeit verliere? Oder sich mein Bewusstsein auf irgendeine Art verändert? Wir dürfen all die Leben nicht riskieren, die wir unweigerlich verlieren werden, wenn wir ihn nicht fangen. Auf keinen Fall.«

Wie ein Schraubstock schloss es sich um Sterlings Brust. Er wollte nicht, dass sie recht hatte. Aber sie hatte recht. Millionen Leben waren in Gefahr, solange das Ice weiterproduziert wurde. Die freie Welt hing an einem seidenen Faden, der jederzeit von Adam durchgeschnitten werden konnte. Alles schien um ihn herum zusammenzubrechen, als er begriff … er konnte Becca immer noch verlieren. Noch nie in seinem Leben war er so durcheinander gewesen, so bewegt.

Er flüsterte ihren Namen und drückte ihre Beine auseinander, drängte sich tief in sie hinein, wurde auf die einzige Art, die ihm möglich war, ein Teil von ihr. Lebensband hin, Lebensband her, sie war sein. Sie war in seiner Seele, in seinem Herzen. Wenn sie starb, wäre er vernichtet. Dann wollte er mit ihr sterben.

Becca erwachte aus einem warmen, dunklen Tunnel des Schlafs. Richtigen Schlafs. Der erste Schlaf, den sie sich seit Tagen wirklich gegönnt hatte – sie lag auf dem Bauch und war nackt. Ein träges Lächeln glitt über ihre Lippen, als sie an die vielen Dinge zurückdachte, die sie mit Sterling getrieben hatte. Es gab alle möglichen Gründe, besorgt und aufgeregt zu sein. Aber in diesen wenigen Sekunden gestattete sie sich, etwas zu sein, das sie seit Monaten nicht mehr gewesen war. Glücklich und verliebt. Wenn sie wirklich sterben musste, würde sie es als zufriedene, befriedigte Frau tun.

Sie stütze sich mit den Händen auf und begriff, dass der Herr und Meister dieser Befriedigung verschwunden war. Aus dem Wohnzimmer klang gedämpft, aber deutlich vernehmbar, das Geräusch von Männerstimmen, was sie die Stirn runzeln ließ. Schnell fand sie eine ausgeblichene Jeans aus weichem Stoff und ein T-Shirt. In ihrer drängenden Neugier, zu erfahren, was da im Gange war, verzichtete sie auf Schuhe. Nach einem kurzen Blick auf ihre Füße und ihre bleichen Zehennägel fragte sie sich, wie ein heißes Bad und roter Nagellack für sie je mehr hatten sein können als eine bloße pubertäre Ausschweifung.

Sie öffnete die Tür gerade in dem Moment, als Sterling sagte: »Ich habe Becca dir gegeben.«

»Du hast Becca Tad übergeben«, setzte Damion dagegen.

»Das hatten wir alles schon«, warf Michael ein. »Was haben wir davon, wenn wir ständig erneut darauf herumreiten? Ihr habt beide etwas anderes gesehen.«

»Tad war nicht Tad«, betonte Sterling. »Und Eddie war nicht Eddie.«

»Wer zum Teufel könnte Eddie denn sonst sein als eben der verdammte Eddie?«, fragte Michael barsch.

Plötzlich kam Becca Sterlings Erinnerung wieder ins Gedächtnis, wie er sie an Damion ausgehändigt hatte. Jetzt verstand sie. Er hatte sie Damion übergeben, und dann … war Damion einfach zu Tad geworden. Sie öffnete die Tür ganz, trat in den Raum und blieb hinter dem Sofa stehen. Michael lehnte ihr gegenüber an der Wand. Caleb saß in dem schwarzen Ledersessel zu ihrer Rechten, Damion in dem zu ihrer Linken. Er schien von seinen Verletzungen vollauf geheilt zu sein. Sterling stand allein zwischen ihnen in der Mitte.

Sie grub die Finger in das Sofakissen, bereitete sich innerlich auf die Reaktion vor, die der offenkundige Irrsinn ihrer Worte gewiss herbeiführen würde, und sagte: »Was, wenn Eddie Tad war? Was, wenn er die Gestalt von jedem annehmen kann, zu dem er werden will?«

»Tut mir leid«, erwiderte Damion. »Aber das ist nicht die Lösung. Kann sie nicht sein. Ich habe gesehen, wie Sterling dich Tad ausgehändigt hat. Wir können nicht zwei verschiedene Leute gleichzeitig gesehen haben. Sterling war im Delirium, hatte mehrere Green Hornets im Leib und stand möglicherweise auch unter Drogen. Vielleicht haben die Zodius eine Art Halluzinogen eingesetzt.«

Sterling wirbelte zu ihm herum. »Was, wenn er sich verwandelt hat, während ich Becca übergeben habe?«

Damions Lippen wurden schmal. »Das Timing müsste perfekt gewesen sein, und er müsste sich ganz genau in dem Moment verwandelt haben, als ich um die Ecke kam, aber ich nehme mal an, in der Welt, in der wir leben, ist alles möglich.« Er zog die Brauen zusammen und sah Sterling fest in die Augen. »Also glaubst du mir jetzt endlich? Du denkst nicht mehr, dass ich Becca an Tad ausgeliefert habe?«

»Ich glaube dir«, bestätigte Sterling.

Damion warf ihm einen verblüfften Blick zu und nickte.

»Ihr vertraut einander wieder«, sagte Caleb. »Fein. Und ob es nun ein Gestaltwandler oder ein Halluzinogen war, wir müssen handeln, als sei nichts so, wie es scheint, und auf der Hut sein. Legen wir das also zu dem Stapel mit unseren größten Problemen, von denen das allergrößte die Frage ist, wie wir an Dorian herankommen sollen.«

Sterling sah Becca mit einem Blick voller Verzweiflung an. »Becca«, begann er ernst, und seine Stimme klang gezwungen. »Becca ist immer noch die Antwort. Sie wollen sie haben. Wir müssen eine Möglichkeit finden, sie ihnen zu geben, ohne sie aber Tad zu geben. Wir müssen sicherstellen, dass Adam glaubt, er müsse sie selbst holen kommen. Wir müssen seine Soldaten aufstöbern, und Becca muss dabei sein, wenn sie umkippen. Wir töten sie. Adam hasst es, Männer zu verlieren, weil es ihn dazu zwingt, das wenige Serum, das er noch hat, einzusetzen, um seine Armee funktionsfähig zu halten.«

»Gehen wir noch einen Schritt weiter«, sagte Michael. »Wir nehmen Tad aufs Korn. Lassen ihn von der Bildfläche verschwinden.« Er hob die Stimme. »Ich sage, Tad muss sterben. Wenn Becca diejenige sein kann, die das bewerkstelligt – umso besser.«

In ihrem hautengen türkisfarbenen Kleid, das einen reizvollen Kontrast zu ihrem roten Haar bildete und ihre Kurven an den richtigen Stellen zur Geltung brachte, fühlte sich Sabrina ganz als Madame, während sie den Aufzug des Magnolia verließ und den Weg zum Büro der Geschäftsführung einschlug, wo Tad – der sich für Marcus ausgab – auf sie wartete.

Sie hatten ihren alten Plan wieder aufgenommen – sie würde eine entscheidende Rolle dabei spielen, Rebecca Burns in den sicheren Tod zu führen, indem sie die Madame gab, die um ihr Leben bangte, weil sie mit Iceman ein doppeltes Spiel trieb. Auf diese Weise würde sie sich einen Weg in die Kreise der Renegades bahnen und Rebecca Burns nahe genug kommen, um sie töten zu können. Die Sache war perfekt. Sabrina hätte nicht glücklicher darüber sein können, dass Tads Plan vom vergangenen Abend gescheitert war. Jetzt würde sie zeigen, was sie alles draufhatte und wie wertvoll sie sein konnte; würde dafür sorgen, dass sie Tads Lebensband wurde, und ihr Hoheitsgebiet in Zodius City abstecken. Dort würde man sie wie eine Prinzessin behandeln – wie er es versprochen hatte. Sie war es müde, sich für alles und jeden abzurackern, Geld und Männern hinterherzujagen, mit Mühe und Not ihre Rechnungen abzustottern. Sie hatte gedacht, Iceman wäre ihre Fahrkarte, um aus dieser Hölle herauszukommen. Er hatte allen möglichen Müll über die Beherrschung der Welt verzapft, und dann war er böse auf die Nase gefallen. Sie wollte dort sein, wo die Fäden der echten Macht zusammenliefen.

Weichen Plüschteppich unter ihren Absätzen, klopfte Sabrina an die Tür. Als sie sich öffnete, stolzierte sie in das Büro aus kostbarem Mahagoni und mit geschmackvoll an den Wänden arrangierten teuren Kunstwerken. Doch das sinnliche Lächeln auf ihren roten Lippen verschwand: Marcus saß auf seinem Bürostuhl, geknebelt und gefesselt. Lebendig.

Sie wirbelte zu Tad herum, und trotz ihres Schrecks entging ihr nicht, wie scharf und attraktiv er aussah. Ganz in Leder ausstaffiert, wirkte er wie eine bösartige Kampfmaschine. Er war nicht schön, nicht einmal ansatzweise. Aber er wirkte tödlich – roh und rau.

»Ich habe gedacht, du hättest ihn getötet«, sagte sie.

»Ich habe ihm etwas Ice in die Kehle gekippt und ihn dadurch gerettet«, erwiderte Tad. »Er ist ein Geschenk für Adam. Adams Feinde werden vor der ganzen Stadt an die Wölfe verfüttert – bei lebendigem Leib aufgefressen. Sorgt für eine interessante Abendunterhaltung.«

Selbst Sabrina, die doch wusste, was für ein kaltherziges Biest sie sein konnte, verspürte bei dieser Vorstellung Übelkeit in sich aufwallen. Marcus – ehedem ihr mächtiger, unverzichtbarer Iceman – machte hinter ihr wilde, tierähnliche Geräusche. Er war verzweifelt, und sie konnte es ihm nachfühlen. Wer wollte schon als Hundefutter enden.

Tad begab sich zum Schreibtisch und lehnte sich an die Tischkante, den Rücken Marcus zugewandt, der sinn- und nutzlos gegen seine Fesseln ankämpfte.

Tänzelnd schritt sie auf Tad zu. »Also, wie sieht unser Plan aus?«

»Wir werden Adam geben, was er will: seinen Verräter, gefesselt und geknebelt; die Antwort auf die Frage, warum die Leute gestorben sind; Massenvertrieb von Ice; die Kontrolle über dieses Casino und die mit ihm verbundenen Häuser.«

Sie schmiegte sich an ihn, und er zog sie roh zwischen seine Beine. »Ich habe genau das getan, wovon die Renegades glaubten, dass ich es nicht tun würde.« Er griff in ihr Haar, zog ihren Mund an seinen und rieb die Zunge an ihrer. Seine Lust kennzeichnete sie mit seinem Zeichen, so wie sie bald auch seinen Feind kennzeichnen würde. Und sie würde ihren großen Auftritt haben, wenn die Show losging.