21
»Nicht schlecht?«, wiederholt er gespielt beleidigt, aber die Lachfältchen um seine Augen strafen ihn Lügen. »Das war mehr als nur nicht schlecht: Das war verdammt noch mal einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde wert! Meine Güte, dieser Fick war tausendmal besser als die Schuhe, die du an dem Abend anhattest, als wir uns begegnet sind.«
»Erstaunlich, dass du dich noch daran erinnerst.«
Seufzend fährt er mir mit den Fingern durchs Haar. »Ich erinnere mich an alles.«
Wenn man bedenkt, wie gut er über meine Ausbildung Bescheid weiß, ist das bestimmt nicht übertrieben. »Aber an den Schönheitswettbewerb kannst du dich nicht erinnern.«
»Im Dallas Convention Center. Du hast ein feuerrotes Abendkleid und einen türkisfarbenen Badeanzug getragen. Und du hast ungefähr fünf Kilo weniger gewogen und die Mini-Käsekuchen dermaßen gierig angestarrt, dass man schon allein davon einen Steifen hätte kriegen können.«
Ich muss lachen. »Ja, das stimmt wohl.«
Er streicht über meine Brüste und Hüften. »Diese Kurven sind eine eindeutige Verbesserung.«
»Das sehe ich auch so. Aber meine Mutter hat beinahe einen Herzinfarkt bekommen, als ich ihr gesagt habe, dass ich keine Kohlenhydrate und keine Kalorien mehr zähle.« Ich grinse ihn an. »Ich fasse es einfach nicht, dass du dich noch an all das erinnern kannst!«
»Du warst die einzige Teilnehmerin, die mir lebendig vorkam, auch wenn alles, was du getan hast, eine Lüge war. Oder vielleicht gerade deswegen.«
»Eine Lüge?« Fasziniert stütze ich mich auf. »Wie meinst du das?«
»So, wie ich es dir damals gesagt habe: Du wolltest gar nicht dort sein. Ich habe eine Seelenverwandte in dir gesehen.«
»Womit du auch recht hattest: Das war mein letzter Schönheitswettbewerb. Danach habe ich es endlich geschafft, mich zu befreien.« Ich runzle die Stirn. »Eine Seelenverwandte? Das hast du gesagt, weil du aus dem Tennis-Zirkus aussteigen wolltest, nicht wahr?«
Seine Miene verfinstert sich. »Allerdings!«
Hoffentlich bemerkt er meine Trauer nicht. Ich weiß noch, dass ihn der Moderator beim Schönheitswettbewerb mit den Worten angekündigt hat, Damien Stark habe soeben die US Open gewonnen. Er war so was von talentiert, und trotzdem hatte man ihm jede Freude genommen. Ich bin mir sicher, dass da noch mehr dahintersteckt, und frage mich, ob er mir jemals die ganze Wahrheit sagen wird.
Er streichelt meine Wange, und ich lächle. »Wir haben es beide geschafft, uns zu befreien«, sage ich und reiße mich aus meiner melancholischen Stimmung. »Und jetzt haben wir die Freiheit, unbekanntes Terrain zu erkunden.«
Wieder schaut er mich provozierend an, und seine Hand wandert weiter nach unten. »Ich zeige dir gleich, was ich noch erkunden will!«
Mir stockt der Atem, als er seine Finger in mich hineinsteckt.
»Zu wund?«
Allerdings, aber das möchte ich nicht zugeben. »Nein«, flüstere ich.
»Das freut mich zu hören.« Er drückt mich aufs Bett und legt sich auf mich. Sein Gewicht fühlt sich herrlich an, der sanfte Druck tröstet und beschützt mich. Sein Mund streift den meinen, es folgt eine Reihe sanfter Küsse, die bei meinen Lippen beginnen und sich dann über meinen Nacken fortsetzen, bevor er sich aufstützt und mir einen Kuss aufs Ohrläppchen gibt. »Ich dachte, wir könnten etwas Neues ausprobieren«, sagt er. »Oder besser gesagt etwas Altes.«
»Etwas Altes?«
»Die gute alte Missionarsstellung. Spreiz die Beine, Baby«, sagt er und stöhnt befriedigt auf, als ich gehorche. Sein dicker Penis drängt sich an mich, allerdings ohne in mich einzudringen. Stattdessen bewegt er sich nur leicht hin und her und stimuliert uns beide.
Ich keuche auf und bin kurz davor, ihn anzuflehen, als er in mich dringt. Stöhnend biege ich den Rücken durch und verzerre vor lauter Schmerz und Lust das Gesicht.
»Ich glaube, da hat jemand gegen die Regeln verstoßen«, murmelt er, während er seinen Rhythmus findet und immer wieder in mich hineinstößt. »Ich glaube, du bist doch wund.«
Ich grinse ihn provozierend an. »Vielleicht. Aber vielleicht war es das wert.«
»Ich werde ganz vorsichtig sein«, verspricht er und gleitet so langsam in mich hinein, dass es zu einer köstlichen Folter wird. Meine Lust wird immer größer, bis ich endlich in seinen Armen explodiere und erschlaffe. Er kommt gleich darauf, umklammert mich, rammt seinen Schwanz hart in mich hinein, um anschließend auf mir zusammenzusinken.
»Gute alte Traditionen haben durchaus ihre Vorteile«, murmle ich, und Damien muss lachen.
Die nächsten Minuten liegen wir im Dunkeln nebeneinander und lauschen dem Ozean. Dann nimmt Damien meine Hand. »Komm, lass uns duschen und was essen.«
Da will ich nicht widersprechen, also ziehe ich mir wieder den Morgenmantel über und folge wie hypnotisiert dem herrlich nackten Damien, gehe am Kamin vorbei und erkunde den Rest des Stockwerks. Auch hier ist bereits alles fertig, inklusive einer raffinierten Profiküche mit allem Drum und Dran – »nur eine ganz kleine für Partys« – und eines noch uneingerichteten Schlafzimmers sowie des tollsten Bades, das ich je gesehen habe. Es ist bestimmt zweimal so groß wie Jamies Wohnung. Die Decke ist mindestens vier Meter hoch und besteht vollständig aus Glas. Im Moment sieht man nichts als schwarze Leere, aber würde Damien das Licht abschalten, könnten wir die funkelnden Sterne über uns sehen.
An einer Wand befindet sich ein Waschtisch aus Granit, in den zwei riesige Becken eingelassen sind. Neben dem einen Becken stehen ein elektrischer Rasierapparat, eine Zahnbürste und ein Flakon mit Aftershave. Neben dem anderen eine noch in Zellophan verpackte Zahnbürste und ein kleines Kästchen. Neugierig öffne ich es und finde Make-up, Puder und Lidschatten sowie Kajalstifte in verschiedenen Farben darin vor – es sind ausnahmslos meine Lieblingsschattierungen.
»Woher wusstest du, was du besorgen musst?«
»Ich habe da so meine Quellen«, sagt er.
Ich runzle die Stirn. Warum hat er mich nicht einfach gefragt, welche Marken und Farben ich bevorzuge? Ich komme mir ein bisschen vor wie unter dem Mikroskop, ohne jede Privatsphäre. So habe ich mich bei meiner Mutter auch immer gefühlt, aber Damien ist nicht Elizabeth Fairchild, und ich bin bestimmt nur überempfindlich.
»Was ist?«
»Nichts.« Mein Lächeln misslingt.
»Deine Make-up-Vorlieben und deine Schuhgröße stehen auf dem elektronischen Wunschzettel auf der Internetseite von Macy’s«, sagt er sanft.
»Oh.« Beschämt senke ich den Kopf. »Das habe ich ganz vergessen. Den habe ich für meinen letzten Geburtstag angelegt.« Ich hole tief Luft und sehe ihm direkt in die Augen. »Danke.«
»Gern geschehen.«
Ich fahre mit dem Finger über den kühlen Waschtisch. »Dieser Boden ist einfach toll. Dabei ist das Haus noch gar nicht fertig.«
»Ich habe den Bereich, auf den es diese Woche ankommt, möglichst schnell fertigstellen lassen.«
»Oh. Wann denn das?«
»Nachdem du eingewilligt hattest. Es ist schon erstaunlich, wie schnell sich manche Dinge regeln lassen, wenn die Bezahlung stimmt.«
»Das wäre doch nicht nötig gewesen!«
»Ich wollte dich nicht auf einer Baustelle Modell stehen lassen.« Er reicht mir die Hand, und ich ergreife sie. Er führt mich ans Ende des Bads, vorbei an einer Dusche mit mindestens einem Dutzend Düsen sowie an einer Wanne, die so groß ist wie ein Swimmingpool.
Der begehbare Kleiderschrank ist riesig. In seiner Mitte steht eine Kommode wie eine Art Kücheninsel, die auf beiden Seiten über Schubladen verfügt. Darauf liegt eine Fernbedienung. Damien greift danach und drückt auf einen Knopf. Ich höre, wie Wasser in die Wanne läuft.
Im rechten Regal entdecke ich ein paar weiße Hemden, Jeans, Baumwollhosen und einen Kleidersack, in dem vermutlich ein Smoking steckt. Im Grunde keine besonders große Auswahl. Das linke Regal dagegen ist gut gefüllt. Mit Abendkleidern, Röcken, Blusen und Schuhen. Hunderten von Schuhen. »Gehören die etwa auch mir?«, frage ich ungläubig.
»Sie müssten alle passen.«
»Weißt du, shoppen kann auch Spaß machen.«
»Ich habe dir bereits eine Shoppingtour versprochen. Aber bis es so weit ist, findest du hier eine reichhaltige Auswahl.«
Ich verdrehe die Augen. »Und was ist in den Schubladen? Unterwäsche?«
»Nein.« Seine Mundwinkel zucken. »Ich dachte, wir wären uns einig, dass du keine Unterwäsche brauchst.«
»Aber wenn ich zu Hause bin – ich meine, ich werde hoffentlich noch diese Woche ein paar Vorstellungsgespräche haben …«
»Keine Unterwäsche«, wiederholt er. »Nicht in dieser Woche! Außer, ich gebe dir andere Anweisungen.«
Ich will schon widersprechen, lasse es aber bleiben. Es wäre sowieso nur pro forma gewesen. Wenn ich ehrlich bin, finde ich die Vorstellung erregend, splitternackt unter meinem Kleid zu sein, weil Damien es so will. Um dann jedes Mal an ihn zu denken, wenn mich ein Windstoß zwischen den Beinen liebkost.
»Und was ist mit dem BH?«, frage ich.
Er mustert die Wölbung meiner Brüste unter dem roten Morgenmantel. »Nein«, sagt er, und meine Brustwarzen stellen sich auf. Das bleibt nicht unbemerkt, und ich sehe die Erregung in seinem Blick.
»Das wird man aber sehen!«, sage ich.
»Na und?«, erwidert er. »Komm mit!« Ich folge ihm zur Wanne. »Zu heiß?«, fragt er.
Ich tauche die Hand ein. Das Wasser ist warm, aber nicht zu heiß. »Gar nicht.«
»Tatsächlich?« Er mustert mich neugierig und schließt den kalten Wasserhahn, bis er nur noch tröpfelt. »Ist das ein Schaumbad?«, frage ich und zeige auf einen eingebauten Spender.
»Bedien dich!«
Ich drücke auf den Knopf, und ein nach Blumen duftendes Gel fließt direkt neben dem Hahn in die Wanne. Sofort bilden sich Schaumbläschen. »Das nenne ich Komfort!«, sage ich lachend. »Darf ich mich reinsetzen?«
»Natürlich.«
Ich lasse den Morgenmantel fallen und klettere in die Wanne. Damien, der praktischerweise bereits nackt ist, folgt mir. Er lehnt sich zurück und zieht mich dann zwischen seine Beine. Ich spüre seinen mittlerweile schlaffen Schwanz an meinem Po. Ich wackle ein wenig mit den Hüften, und er zuckt zusammen.
»Unanständig«, murmelt er. Er nimmt etwas von dem Gel und seift mich damit ein – erst die Arme, dann meine Brüste, und schließlich gleiten seine Hände zwischen meine Beine. Ich schließe die Augen und lehne mich zurück, spüre, wie er steif wird und ich mich erneut für ihn öffne. Ich habe ihn soeben in mir gespürt – und bin jetzt wirklich ein wenig wund –, trotzdem habe ich Lust auf die nächste Runde. Und wie!
Seine Finger stimulieren mich, umkreisen sanft meine Klitoris, sodass ich mich genüsslich winde. »Ich werde dich jetzt nicht mehr ficken«, flüstert er. »Und ich werde dir auch keinen Orgasmus mehr verschaffen.«
In stillem Protest verändere ich meine Position.
»Morgen!«, sagt er. »Vorfreude ist die schönste Freude.« Dafür, dass er gerade verkündet hat, er würde mich nicht mehr ficken wollen, ist das eine denkbar ungünstige Stellung: Sein großer steifer Schwanz befindet sich nämlich direkt zwischen uns. Ich lasse meine Hand nach unten gleiten und streichle ihn sanft, aber provozierend. Er fühlt sich an wie Stahl – wie mit Samt überzogener Stahl, und ich möchte ihn in mir spüren. Ich begehre ihn ebenso schamlos wie verzweifelt. »Du wirst mich nicht ficken«, sage ich leise. »Aber das heißt nicht, dass ich dich nicht ficken kann.«
Als ich meine Hüften hebe, sehe ich so etwas wie fiebrige Erregung auf seinem Gesicht.
»O nein!«, warnt er mich.
»O doch!«, sage ich und setze mich schwungvoll auf seinen Schwanz. Ich packe seine Schultern, werfe meinen Kopf in den Nacken und reite ihn.
»Meine Güte, Nikki!« Seine Stimme geht in ein verzweifeltes Stöhnen über, und er packt meine Hüften und übernimmt die Führung. Langsam lerne ich seinen Körper kennen und merke, wie seine Erregung mit jedem Stoß steigt. Ich bewege mich schneller, fester, feuere ihn an. »O Gott, ich komme!«
Er explodiert in mir, zieht mich keuchend an sich, während sein ganzer Körper erschlafft. »Das kam … unerwartet«, sagt er. »War aber verdammt gut!«, setzt er noch nach, woraufhin ich mich scharf, sexy und stark fühle.
Er streicht mir über die Wange. »Wir haben das Kondom vergessen.«
Aus irgendeinem Grund wende ich scheu den Blick ab. »Ich bin mal davon ausgegangen, dass ich mir bei dir nichts einfangen werde. Das stimmt doch auch, oder?«
»Ja«, sagt er. »Aber das ist nicht das einzige Problem.«
»Ich nehme die Pille«, gestehe ich. Ich sage ihm nicht, dass ich sie eher wegen meiner Bauchkrämpfe als zu Verhütungszwecken nehme.
»Gut«, sagt er. »Ausgezeichnet sogar.«
Ich steige von ihm herunter und schmiege mich in dem rasch auskühlenden Wasser an ihn. Er drückt mich an sich, steht dann auf und zieht mich hoch. Er hilft mir aus der Wanne und trocknet mich mit einem so dicken Handtuch ab, wie ich es nur aus Spas kenne. Dann hüllt er mich in den Morgenmantel und bindet die Schärpe zu. Als Nächstes trocknet er sich ab und schlüpft in einen schlichten Baumwollbademantel. »Komm mit!«, sagt er und führt mich zum Bett.
Er öffnet eine Truhe und zieht zwei Kissen sowie eine leichte Decke heraus, die er auf dem Laken ausbreitet. Einladend schlägt er sie zurück, und ich will darunterschlüpfen. »Zieh den Morgenmantel aus!«, sagt er. Ich gehorche und löse die Schärpe. Der weiche Stoff gleitet über meine Schultern und fällt zu Boden.
»Und jetzt bitte nicht einschlafen!«, sagt er, nachdem ich unter der Decke liege. »Ich bin gleich wieder da.«
Ich drehe mich auf die Seite und schaue aufs Meer hinaus. Die Fenster sind nach wie vor geöffnet. Kühle Nachtluft weht herein, doch unter der Decke ist es angenehm warm. Der Himmel ist schwarz, und ich sehe die funkelnden Sterne.
Kurz darauf spüre ich, wie sich die Matratze bewegt, als Damien neben mir Platz nimmt. Er hat ein Tablett mit Wein, Käse und Trauben mitgebracht. Strahlend setze ich mich auf, schiebe das Kissen zwischen das kühle Bettgestell und meinen Rücken. »Mach den Mund auf!«, befiehlt er und füttert mich mit einer Traube. »Du bist wunderschön, Nikki«, sagt er. »Glaubst du mir?«
»Wenn du es sagst, schon.« Er legt die Hand auf die Decke über meinen Beinen. »Wie lange geht das schon so?«
Ich tue gar nicht erst so, als würde ich ihn nicht verstehen. »Ich war sechzehn, als es angefangen hat«, sage ich. »Meine Schwester hatte geheiratet und war ausgezogen. Und meine Mutter wurde immer fanatischer, was die Schönheitswettbewerbe angeht. Es klingt lächerlich, aber Ashley war die Einzige, die mein seelisches Gleichgewicht bewahrt hat. Ohne sie wurde ich dermaßen frustriert, dass ich die Diademe aus dem Trophäenschrank geholt und sie verbogen habe. Nicht so sehr, dass meine Mutter etwas bemerkt hätte, sondern nur so weit, dass sie nicht mehr perfekt waren.« Ich zucke die Achseln. »Und dann hat sich meine Zerstörungswut irgendwann nicht mehr nur gegen die Diademe gerichtet.«
»Warum das Ritzen?«
»Keine Ahnung. Das war wie ein Zwang, ich habe es einfach gebraucht. Entweder ich habe mich geritzt, oder aber ich bin in ein tiefes schwarzes Loch gefallen. Ich war mir so fremd, hatte das Gefühl, kein eigenes Leben mehr zu haben. Der Schmerz hat mir Halt gegeben. Heute vermute ich, dass ich es auch getan habe, weil meine Mutter keine Macht darüber hatte. Es hat einfach geholfen. Das ist schwer zu erklären.« Ich zucke die Achseln. Ich möchte, dass er mich versteht, aber ich verstehe es ja selbst kaum und rede auch nicht gerne darüber.
»Das kann ich nachvollziehen«, sagt er.
Ich sehe ihn an, frage mich, ob er nur höflich sein will, erkenne aber aufrichtiges Mitgefühl in seinem Gesicht.
»Du warst sechzehn«, sagt er nachdenklich. »Aber als ich dich mit achtzehn bei diesem Wettbewerb gesehen habe, hattest du noch keine Narben.«
»Nur an den Hüften«, sage ich. »Anfangs habe ich mich auf die Hüften beschränkt. Diese Narben ließen sich gut verstecken, sogar in einer Umkleide.«
»Und was ist dann passiert?« Er hält meine Hand und drückt sie sanft.
»Ashley«, gestehe ich. »Ich war gerade achtzehn, als sie Selbstmord begangen hat. Ihr Mann hatte sie verlassen – und meine Mutter war entsetzt. Sie hat ihr die Schuld daran gegeben, dass er abgehauen ist. Ich glaube, Ashley hat das auch so gesehen, denn in ihrem Abschiedsbrief stand, sie sei eine Versagerin.« Ich schlucke und weiß seinen tröstenden Händedruck sehr zu schätzen. »Damals habe ich zum ersten Mal gemerkt, wie sehr ich meine Mutter hasse. Trotzdem besaß ich nach wie vor nicht den Mut, ihr zu sagen, dass sie sich die Schönheitswettbewerbe sonst wohin stecken kann. Also habe ich stattdessen meine Schenkel geritzt.« Ich lächle zynisch. »Diese Narben lassen sich nicht so leicht verbergen.«
»Hat sie nicht dafür gesorgt, dass du Hilfe bekommst?«
»Nein. Anfangs hat sie nur gejammert, ich hätte alle ihre Pläne ruiniert und sie lächerlich gemacht. Dann hat sie mich als Egoistin beschimpft, weil ich das viele Preisgeld, die Stipendien, ja sogar einen Ehemann in den Wind schlagen würde.«
Damien schweigt, aber ich kann sehen, dass seine Augen böse funkeln und sich sein ganzer Körper versteift. Er muss sich schwer beherrschen, und dass er so mit mir fühlt, gibt mir die Kraft weiterzusprechen.
»Sie hat gesagt, dass ich alle ihre Mühen zunichtegemacht habe und sie nicht wisse, warum sie sich jahrelang mit so einer lächerlichen Idiotin wie mir abgegeben hat. Dass ich nicht nur meinen Körper, sondern auch meine Zukunft ruiniert hätte. Ein Stück weit habe ich ihr sogar geglaubt, denn selbst als ich schon in Austin zur Highschool ging, habe ich mich immer noch geritzt.«
Er reicht mir ein Glas Wein, das ich dankbar annehme. »Ich war einsam und verängstigt. Irgendwie ist mir das alles über den Kopf gewachsen, aber ich habe keinen Therapeuten aufgesucht. Langsam wurde es besser, und irgendwann habe ich ganz damit aufgehört.« Ich nehme einen Schluck. »Meine Mutter hat Geld«, sage ich. »Nicht so viel wie du, aber nach dem Tod meines Großvaters hat sie die Ölfirma und ein ziemlich dickes Bankkonto geerbt.« Dass meine Mutter unfähig ist und die Firma in den Ruin getrieben hat und sie letztlich verkaufen musste, erwähne ich nicht. Heute lebt sie von ihren Ersparnissen, die jedes Jahr weniger werden, weil sie keine Ahnung hat, wie man mit Geld umgeht, und sich weigert, einen Finanzberater einzustellen. Deshalb will ich auch unbedingt lernen, wie man eine Firma leitet, bevor ich selbst eine gründe.
»Wie dem auch sei, kaum war ich mit der Highschool fertig, hat meine Mutter mir den Geldhahn zugedreht. Naturwissenschaften seien nichts für Mädchen! Aber mir hätte gar nichts Besseres passieren können, denn dadurch konnte sie mich nicht mehr kontrollieren. Ich musste nicht mehr perfekt sein. Ich habe zwar nicht sofort mit dem Ritzen aufgehört, aber es wurde immer besser, und nach einer Weile war das Bedürfnis verschwunden.«
Die Worte fließen nur so aus mir heraus. So viel habe ich noch niemandem erzählt. Sogar Jamie und Ollie gegenüber bin ich nur scheibchenweise mit der Wahrheit herausgerückt. Aber es tut gut, das mal loszuwerden, obwohl Damien immer wütender wird.
Dabei habe ich ihm noch nicht alles erzählt …
Er stellt unsere Gläser auf den Nachttisch und räumt das Tablett weg. Dann zieht er mich an sich, sodass mein Kopf an seiner Schulter ruht. Langsam streicht er über meinen Arm. »Das kann ich verstehen, Baby. Wirklich, ich kann das verstehen.«
Ich kneife die Augen zu. Ich glaube ihm.
»Was verschweigst du mir?«
Ungläubig blinzele ich ihn an. »Ich – woher weißt du das?«
»Weil du so panisch vor mir geflohen bist«, sagt er nur.
Ich löse mich aus seiner Umarmung und drehe mich auf die andere Seite.
Seine Hand ruht schwer auf meiner Schulter, und ich schließe die Augen.
»Und wenn ich ›Sonnenuntergang‹ sage?« Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern.
Seine Finger verkrampfen sich, bevor sie sich wieder entspannen. »Wenn es sein muss, dann sag es.« Er nimmt meine Hand, verschränkt sie mit der seinen. »Oder halt dich an mir fest.«
Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, also beginne ich mit dem Nächstliegenden. »Ich habe nie mit Ollie geschlafen«, sage ich. »Auch wenn ich dir gegenüber etwas anderes behauptet habe.«
Er schweigt, also spreche ich weiter, erzähle dem Nachthimmel und Damien meine Geschichte. »Das Ganze geschah etwa eine Woche nach Ashleys Geburtstag, ein paar Jahre nach ihrem Selbstmord. Ich hatte fast vollkommen mit dem Ritzen aufgehört, aber manchmal – na ja, manchmal habe ich es einfach gebraucht. Aber ich befand mich auf dem Weg der Besserung. Ollie wusste Bescheid und Jamie auch. Beide haben mir sehr geholfen.«
»Und was ist dann passiert?«
»Ich habe mich betrunken, so richtig betrunken. Meine Mutter hatte mal wieder angerufen und mir den Kopf gewaschen. Ich habe Ashley so sehr vermisst! Und ich war mit diesem Kerl zusammen, mit Kurt. Wir haben uns monatelang verabredet. Es dauerte eine Weile, doch irgendwann haben wir auch miteinander geschlafen. Er hat immer behauptet, dass ihm meine Narben nichts ausmachen. Dass ich schön sei, dass es ihm um mich gehe und nicht um meine Narben, meine Titten oder sonst was. Nur um mich und unsere Beziehung. Ich habe ihm geglaubt, und ehrlich gesagt war der Sex gut. Wir hatten viel Spaß zusammen.«
Ich hole tief Luft, nehme meinen ganzen Mut zusammen. »Aber in dieser Nacht haben wir uns beide betrunken. Offen gestanden ist es mir ein Rätsel, wie er es überhaupt geschafft hat, noch einen hochzukriegen. Aber es ist ihm gelungen, und wir haben es getan. Danach fiel sein Blick auf meine Beine und …« Bei der Erinnerung daran versagt mir die Stimme. »Und da meinte er, ich könne von Glück sagen, dass ich so ein hübsches Gesicht und eine so hübsche Muschi hätte, denn ansonsten wäre ich nämlich völlig abgefuckt, und beim Anblick meiner Narben könnte er glatt kotzen.«
Ich hole tief Luft, starre weiterhin in den Himmel und umklammere Damiens Hand. Sogar jetzt wird mir noch ganz schlecht, wenn ich daran denke. Ich habe Kurt vertraut, und er hat mich völlig fertiggemacht.
»Ich bin zu Ollie gegangen«, fahre ich fort. »Als mein bester Freund wusste er das mit den Narben. Außerdem war mir nicht entgangen, dass er sich zu mir hingezogen fühlt. Also habe ich versucht, ihn zu verführen.«
»Aber er wollte nicht mit dir schlafen«, sagt Damien.
»Er wollte mich nicht ficken«, erwidere ich grob. »Stattdessen hat er mir die Jeans ausgezogen und gesagt, dass ihn die Narben an das erinnerten, was ich durchgemacht habe. Und auch, dass er mich für stark halte und nicht wolle, dass ich mich weiterritze. Dass ich was Besseres sei als meine Mutter. Dass ich Arschlöcher wie Kurt vergessen, mein Studium beenden und aus Texas fortziehen solle. Und dann hat er mich im Arm gehalten, bis ich eingeschlafen bin.«
Unter Tränen ringe ich mir ein Lächeln ab. »Ich dachte, er hätte mir darüber hinweggeholfen. Aber anscheinend habe ich nach wie vor Probleme.«
Ich habe einen fröhlichen Ton angeschlagen, aber Damien geht nicht darauf ein.
»Damien?« Ich drehe mich zu ihm um und setze mich abrupt auf. Er sieht so wütend aus, als könnte er sich kaum noch beherrschen. Ich nehme seine Hand. »Kurt ist Geschichte.«
»Das ist er allerdings, wenn ich ihm jemals begegnen sollte. Wie heißt er mit Nachnamen?«
Ich zögere. Da Damien die halbe Welt gehört, sollte ich lieber nichts sagen. »Nein, das ist lange vorbei. Ich bin darüber hinweg«, lüge ich.
Er mustert mich, aber ich erwidere unverwandt seinen Blick. »Was ist mit den anderen Männern, mit denen du geschlafen hast?«
Erstaunt runzle ich die Stirn. »Es gab keine anderen Männer. Nur meinen ersten Freund, den ich mit sechzehn hatte –, irgend so ein Privatschulidiot, mit dem mich meine Mutter verkuppelt hat. Und dann kam Kurt.« Ich zucke die Achseln. »Aber das ist schon okay. Ich bin trotzdem mit Männern ausgegangen, habe mit ihnen herumgealbert, aber im Großen und Ganzen habe ich mich aufs Studium konzentriert. Ich habe jedenfalls nicht im Elfenbeinturm rumgesessen und mich bedauert, weil niemand meinen Keuschheitsgürtel öffnen wollte. Außerdem besitze ich einen netten Vibrator.«
Bei meiner letzten Bemerkung bricht er in lautes Gelächter aus. »Tatsächlich?«
Ich kann kaum glauben, dass ich das gesagt habe. Ich will schon zurückrudern und behaupten, das sei nur ein Scherz gewesen, aber stattdessen nicke ich.
»Nun, vielleicht kannst du ihn mir ja mal irgendwann vorführen.« Seine Hand streicht über meinen nackten Po, und ich muss zugeben, dass ich seinen Vorschlag äußerst reizvoll finde. Fragt sich nur, ob ich jemals den Mut dazu finden werde. Doch was Damien angeht, scheint es mir an Mut nicht zu fehlen.
»Und nach Kurt?«, fragt Damien. »Hast du dich da noch geritzt?«
»Nein. Ein paarmal stand ich kurz davor, aber ich habe es nicht getan.«
»Und in der Garage?«
Jetzt fällt mir der Mann wieder ein, den ich dort schemenhaft gesehen habe, als ich nach meinem Autoschlüssel suchte. »Warst du das?«
»Dein überstürzter Aufbruch hat mir Angst gemacht.«
»Ich hatte Angst vor deiner Reaktion. Du warst … Ich wollte dich, aber du hättest sie fast gesehen und …«
Er drückt mir einen Kuss auf die Stirn. »Ich weiß, Schatz. Hast du dich geritzt?«
»Ich habe darüber nachgedacht«, gestehe ich. »Ich habe mir sogar den Autoschlüssel ins Fleisch gerammt. Aber geritzt?« Ich schüttle den Kopf. »Nein.«
»Und das wirst du auch nicht mehr!« Seine Stimme ist ernst und bestimmt. Er nimmt mein Gesicht in beide Hände. »Du hast mich gefragt, ob ich dir wehtun werde«, sagt er. »Es gibt so einiges, das ich tue – so einiges, was ich gern mit dir tun würde. Aber wenn es mit Schmerzen verbunden ist, dann nur, um die Lust zu steigern, verstanden?«
Ich nicke.
»Ich werde niemals dein Blut vergießen. Auf so was stehe ich nicht. Und selbst wenn, ich würde dir keine Wunden zufügen, hast du das verstanden?«
Ich schlucke und nicke. Ich bin etwas verlegen – so langsam komme ich mir vor wie beim Psychiater. Andererseits sorgen seine mitfühlenden Worte dafür, dass ich mich geborgen fühle. So als wäre ich mehr als nur die Frau, mit dem er diese Woche das Bett teilt.
»Hast du immer noch das Bedürfnis, dir Schmerzen zuzufügen?«, fragt er.
»Eigentlich nicht«, sage ich. »Aber damals im Auto – da schon. Doch ich habe dagegen angekämpft.«
»Wenn du wieder den Drang dazu hast, gibst du mir bitte Bescheid.« Seine Stimme klingt eindringlich. »Hast du das verstanden?«
Ich nicke und schmiege mich an ihn, lasse zu, dass er mir übers Haar streichelt. Denn ich höre auch, was unausgesprochen bleibt: Sollte ich Halt brauchen, ja sollte ich mich nach Schmerz sehnen, um wieder zu mir zu finden, wird Damien mir helfen. Egal, was ich brauche – er wird es mir geben. Schon beim Gedanken daran bekomme ich Gänsehaut. Ich habe mich noch nie einem Menschen derart offenbart, nicht einmal Ollie oder Jamie. Gleichzeitig habe ich mich noch nie so geborgen gefühlt.
»Und was ist mit dir, Damien?«, frage ich schließlich. »Was brauchst du?«
Er sieht mich an, und einen Moment lang glaube ich, dass er mir auch seine Geheimnisse anvertrauen, mir Einblicke in seine wahre Persönlichkeit gewähren wird. Wenn man bedenkt, wie sehr ich mich ihm geöffnet habe, wäre das nur fair. Aber dann verändert sich seine Miene, und ich sehe nur noch ein provozierendes Glitzern in seinen Augen.
»Dich!«, sagt er und presst seinen Mund auf meine Lippen.