18

Ich hänge mir die Leica um den Hals. Unsere sonstige Habe lassen wir bei Richard und nehmen den Hinterausgang des Hotels, folgen einem Pfad, der uns am Pool, einem weiteren Restaurantbereich und an den Tennisplätzen vorbeiführt. Zwei Paare spielen ein Doppel, sie lachen und necken sich, während sie fast jeden Ball verfehlen.

»Nicht viele Hotels verfügen über Tennisplätze«, sage ich. »War das Ihre Idee?«

»Die Plätze gab es schon, als ich es gekauft habe«, sagt Damien. Vielleicht bilde ich mir das nur ein, aber er scheint immer schneller zu gehen. Ich dagegen verlangsame meine Schritte. Neben den Tennisplätzen steht eine Bank, und dort halte ich inne, stütze mich auf die Lehne. Ich betrachte die Spieler, stelle mir Damien auf dem Platz vor. Seine muskulösen, gebräunten Beine. Seine breiten Schultern und kräftigen Arme. Sein entschlossen vorgerecktes Kinn.

Kurz darauf spüre ich, wie er hinter mich tritt. »Wir sollten gehen«, sagt er. »Ich möchte Ihnen den Pier zeigen, und ich muss um drei wieder im Büro sein.«

»O natürlich, das hatte ich ganz vergessen.« Ich nehme seine Hand, und wir gehen weiter, verlassen das Hotelgelände und schlendern an den verwunschenen Stuckfassaden der Mason Street vorbei.

»Vermissen Sie es?«, frage ich, als wir uns nach rechts wenden und einen kleinen grünen Park betreten. Vor uns liegen der Strand und der blaugrün in der Nachmittagssonne funkelnde Pazifik. »Das Tennisspielen, meine ich.«

»Nein.« Er antwortet mit fester Stimme, vorbehaltslos und ohne jedes Zögern. Trotzdem glaube ich ihm nicht wirklich, sage aber nichts und hoffe, dass er weiterspricht. Nach einer Weile sagt er: »Am Anfang habe ich leidenschaftlich gerne gespielt. Aber dann habe ich jeden Spaß daran verloren. Es war einfach zu viel Ballast damit verbunden.«

»Meinen Sie die Wettkämpfe?«, frage ich. »Vielleicht hätten Sie wieder Spaß daran, wenn Sie nur zum Vergnügen spielen. Ich spiele zwar katastrophal, aber von mir aus können wir gern mal ein paar Bälle schlagen.«

»Ich spiele nicht mehr«, sagt er barsch, ohne auf meinen Vorschlag einzugehen.

»Verstehe.« Ich zucke die Achseln. Anscheinend habe ich einen wunden Punkt berührt. Wie kann ich den flirtenden, lachenden Damien wieder heraufbeschwören? »Es tut mir leid.«

Er sieht mich von der Seite an und atmet hörbar aus. »Nein, mir tut es leid!« Er lächelt, und ich sehe, dass das Eis zu schmelzen beginnt, seinen warmen Kern enthüllt. »Es ist nur so, dass ich mit dem Tennis abgeschlossen habe. So wie Sie mit den Schönheitswettbewerben. Sie nehmen doch auch nicht mehr daran teil, oder?«

Ich lache. »Um Gottes willen, nein! Aber das ist etwas anderes. Mir hat es nie Spaß gemacht.« Mist, hätte ich doch meinen Mund gehalten! Ich will nicht, dass er wieder zu Eis erstarrt.

Aber seine Stimme ist alles andere als eisig. Er sieht mich neugierig an. »Niemals?«

»Niemals«, sage ich. »Na ja, als ich klein war, habe ich mich gern herausputzen lassen. Aber ehrlich gesagt kann ich mich kaum noch daran erinnern. Vermutlich hat es mir schon damals nicht wirklich gefallen. Ich bin mir dabei immer vorgekommen wie die Barbiepuppe meiner Mutter.«

»Und Puppen haben kein eigenes Leben«, sagt er.

»Nein.« Ich freue mich, dass er mich so gut versteht. »Wurden Sie von Ihren Eltern zum Spielen gezwungen?« Gut möglich, dass ich einen weiteren wunden Punkt berühre, aber ich möchte diesen Mann besser kennenlernen.

Als wir das Ende des Parks erreicht haben, nimmt er meine Hand, und wir überqueren den Cabrillo Boulevard. Dann sind wir am Strand und gehen schweigend auf die Brandung zu. Ich habe mich schon damit abgefunden, keine Antwort auf meine Frage zu erhalten, als Damien endlich den Mund aufmacht.

»Am Anfang hat es mir gefallen. Offen gestanden habe ich es geliebt. Ich war noch so jung, aber schon damals haben mich die Präzision, das Timing und die kraftvollen Schläge begeistert. Und ich hatte einen verflucht kräftigen Schlag! Es war ein schlimmes Jahr für mich – meine Mutter war krank –, und da habe ich mich auf dem Tennisplatz abreagiert.«

Ich nicke. Das kann ich nachvollziehen. Als ich jünger war, habe ich mich am Computer oder hinter einer Kamera abreagiert. Erst als das nicht mehr genügt hat, habe ich damit begonnen, mich zu ritzen. Irgendwie findet jeder eine Lösung. Dann muss ich an Ashley denken. Manchmal scheint es auch keine Lösung zu geben.

»Anfangs habe ich nach der Schule Einzelunterricht beim Sportlehrer erhalten. Aber der meinte bald, er könne mir nichts mehr beibringen. Mein Vater war Fabrikarbeiter, sodass wir uns keinen Trainer leisten konnten. Aber das war nicht weiter schlimm für mich. Ich war schließlich noch ein Kind, gerade mal acht Jahre alt, und wollte nur zum Vergnügen spielen.«

»Und dann?«

»Der Lehrer wusste, dass meine Mutter krank ist und wir uns keinen Unterricht leisten können. Er hat mich einem Freund empfohlen, und ehe ich mich’s versah, hat mich ein richtiger Profi trainiert, und zwar kostenlos. Das war ein Riesenspaß, vor allem als ich anfing, Turniere zu gewinnen. Sie haben vielleicht schon bemerkt, dass ich äußerst ehrgeizig bin.«

»Sie? Das kann ich mir gar nicht vorstellen.« Ich ziehe meine Flipflops aus und lasse sie von meinen Fingern baumeln. Dann wate ich in die Brandung hinein. Damien ist bereits barfuß, er hat seine Schuhe bei Richard im Hotel gelassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es viele Männer gibt, die in einem Maßanzug barfuß den Strand entlanglaufen und dabei sexy aussehen können. Aber zu Damien passt es, es unterstreicht sein Selbstbewusstsein. Zeigt, dass er tut, was er möchte, und sich einfach nimmt, was er will.

So wie mich.

Ein wohliger Schauer durchfährt mich, und ich lächle. Obwohl der Tag ziemlich schrecklich begonnen hat, verspricht er doch noch außergewöhnlich schön zu werden.

Wir sind nicht die Einzigen am Strand, aber unter der Woche ist es nicht sehr voll hier. Ich kann keine einzige Muschel entdecken, nur Bruchstücke. Dafür sind die Kräusel im Sand, die die Wellen hinterlassen haben, in ihrer Präzision wunderschön. Ich lasse die Schuhe fallen, damit ich den Deckel vom Objektiv nehmen und die Kamera scharfstellen kann. Ich möchte den welligen Sand und die weiße Gischt der Brandung fotografieren.

Damien wartet, bis der Verschluss klickt, dann legt er die Arme um meine Taille. Ich spüre den leichten Druck seines Kinns auf meinem Kopf. »Werden Sie mir den Rest auch noch verraten?«, frage ich. »Und mir erzählen, was Sie so verändert hat?«

»Der Erfolg«, sagt er düster.

Ich drehe mich in seinen Armen um. »Das verstehe ich nicht.«

»Ich wurde so gut, dass sich ein widerwärtiger Profitrainer für mich interessiert hat.« Seine Stimme ist jetzt so tief und beißend, dass ich Gänsehaut bekomme. »Er hat einen Vertrag mit meinem Vater geschlossen, mich gegen eine Beteiligung an den Preisgeldern trainiert.«

Ich nicke. Dieser erste Profitrainer kam auch in dem Wikipedia-Artikel vor, den ich gelesen habe. Er hat Damien im Alter von neun bis vierzehn trainiert, anschließend hat er Selbstmord begangen. Anscheinend hatte er seine Frau betrogen.

Unwillkürlich muss ich wieder an Ashley denken, möchte aber bei Damien keine schlafenden Hunde wecken. Stattdessen frage ich: »Waren die Wettkämpfe schuld, dass aus Vergnügen Arbeit wurde?«

Damiens Miene verfinstert sich dermaßen rasch und heftig, dass ich nach einer Wolke über uns Ausschau halte. Aber da ist keine. Sein Gesicht spiegelt nur seine Gefühle wider. »Ich habe nichts gegen harte Arbeit«, sagt er mit fester Stimme. »Aber als ich neun Jahre alt wurde, war nichts mehr wie vorher.« Seine Stimme klingt jetzt ganz barsch, und ich verstehe nicht, warum. Da fällt mir auf, dass er meine Frage noch gar nicht beantwortet hat.

»Was ist passiert?«

»Ich habe zu meinem Vater gesagt, dass ich aufhören will, aber ich verdiente bereits gutes Geld bei den Turnieren, und er hat Nein gesagt.«

Ich drücke seine Hand. Wieder ist er meiner Frage ausgewichen, aber ich hake nicht weiter nach. Wie könnte ich – schließlich bin ich selbst eine Meisterin im Ausweichen.

»Ein Jahr später habe ich nochmals versucht auszusteigen. Damals nahm ich bereits an nationalen, ja sogar an internationalen Wettkämpfen teil. Ich habe so viel Unterricht versäumt, dass mein Dad Privatlehrer engagieren musste. Am liebsten waren mir die Naturwissenschaften. Ich habe alles gelesen, was ich dazu in die Finger bekam, angefangen von Astronomie über Physik bis hin zu Biologie. Und natürlich auch Romane. Vor allem Science-Fiction-Romane habe ich regelrecht verschlungen. Ich habe mich sogar heimlich für ein naturwissenschaftliches Studium beworben. Man hätte mich nicht nur zugelassen, sondern mir sogar ein Vollstipendium angeboten.«

Ich fahre mir mit der Zunge über die Lippen. Ich weiß, was jetzt kommt. Wie konnte ich das nur übersehen? Wir haben so viel gemeinsam, er und ich. Wir wurden beide von unseren Eltern um unsere Kindheit gebracht. »Und Ihre Eltern haben Nein gesagt.«

»Mein Vater«, sagt Damien. »Meine Mutter war bereits im Jahr zuvor gestorben. Es war …« Er atmet hörbar ein und bückt sich dann nach meinen Schuhen. Wir gehen weiter den Strand entlang, nähern uns dem wuchtigen Stearns-Wharf-Pier. »In dem Jahr, in dem sie starb, war ich am Boden zerstört. Ich war wie betäubt, habe alles auf dem Tennisplatz abreagiert: die Wut, die Einsamkeit, die Enttäuschung.« Bei der Erinnerung daran mahlen seine Kiefer. »Das ist vielleicht der Grund, warum ich so verdammt gut gespielt habe.«

»Das tut mir leid«, sage ich, doch meine Worte klingen hohl. »Ich wusste, dass Sie sich für Naturwissenschaften interessieren. Dafür muss man sich nur die Geschäftsfelder ansehen, in die Sie investieren. Aber dass Sie schon ein Leben lang davon fasziniert sind, war mir nicht bewusst.«

»Woher auch?«

Ich hebe den Kopf und schaue ihm in die Augen. »Sie sind nicht gerade ein unbeschriebenes Blatt, Mr. Stark. Falls Sie es noch nicht gemerkt haben sollten: Sie sind ein Promi. Sie haben sogar einen Wikipedia-Eintrag. Aber dass Sie ein Vollstipendium für ein naturwissenschaftliches Studium ausgeschlagen haben, steht dort nicht.«

Er presst die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Ich habe hart daran gearbeitet, dass meine Vergangenheit nicht im Internet zu finden ist und die Medien nicht darüber berichten.« Ich muss an das denken, was Evelyn gesagt hat, nämlich dass Damien schon früh gelernt hat, wie man die Medien in Schach hält. Sie hat also recht gehabt. Ich frage mich, welche Details aus seinem Leben Damien Stark noch unter den Teppich gekehrt hat.

Ich hebe die Kamera und schaue durch den Sucher, richte ihn zunächst aufs Meer und dann auf Damien, der abwehrend die Hände hebt. Lachend mache ich rasch hintereinander mehrere Bilder. »Böses Mädchen!«, sagt er, woraufhin ich noch mehr lachen muss.

»Da sind Sie selbst schuld!«, sage ich. »Sie haben mir die Kamera gekauft.«

»Von wegen!« Jetzt muss er auch lachen. Ich tänzle rückwärts, als er einen Riesensatz auf mich zumacht. Ich freue mich, dass er wieder fröhlich und die Melancholie aus seinem Blick verschwunden ist. Ich hebe die Kamera und mache weitere Schnappschüsse.

»Und sie hört doch tatsächlich nicht auf, sich weitere Strafpunkte einzuhandeln!«, sagt er missbilligend und schnalzt mit der Zunge.

Ich hänge mir die Kamera um und hebe in gespielter Ergebenheit die Hände. »Noch bin ich frei, vergessen Sie das nicht!«

Sein Grinsen wird immer dreckiger. »Jetzt sind mir die Hände gebunden, aber das bedeutet nicht, dass ich für die Zukunft kein Strafregister anlegen kann.«

»Ach ja?« Ich mache ein weiteres Bild von ihm. »Wenn ich ohnehin bestraft werde, dann soll es sich wenigstens lohnen.«

In seinem Gesicht sehe ich pure Leidenschaft – ein einziges Versprechen. »Ich kann Ihnen versichern, dass ich in dieser Beziehung äußerst gründlich sein werde.«

»Eine Hand wäscht die andere, oder nicht? Sie bekommen ein Porträt von mir. Da darf ich ruhig auch ein paar Fotos von Ihnen machen.«

»Netter Versuch!«, sagt er. »Aber Ihrer Strafe werden Sie nicht entgehen.«

Ich gehe auf ihn zu, lege ihm den Arm um den Nacken. Das Einzige, was uns noch trennt, ist die Kamera, und plötzlich werde ich von seiner Wärme eingehüllt. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, damit ich ihm etwas ins Ohr flüstern kann. »Was, wenn ich Ihnen sage, dass ich mich darauf freue?«

Er erstarrt, aber als ich mich von ihm löse, sehe ich, wie seine Kiefer mahlen. Das genügt mir. Ich habe Damien Stark verblüfft, ja mehr als das: Ich habe ihn erregt.

Mit einem leisen Lachen mache ich einen Satz nach hinten und sonne mich in weiblichem Stolz.

Wir haben den Pier erreicht, betreten ihn aber nicht. Stattdessen machen wir kehrt und laufen in Richtung Bath Street und Hotel zurück. Unterwegs mache ich ein paar Schnappschüsse von den Kanalinseln, dann gelingt mir eine fantastische Aufnahme von zwei Möwen, die so dicht nebeneinanderfliegen, dass sie fast zu verschmelzen scheinen. Wir haben beinahe die gesamte Strecke zurückgelegt, als Damien sich auf eine Bank setzt. Ich gehe vor ihm in die Hocke, weil ich einen Seeigel im Sand sehe.

»Ich freue mich auf heute Abend, Miss Fairchild«, sagt er eindringlich. Als er mich anblickt, bemerke ich die altvertraute Leidenschaft in seinen Augen. »Es ist nicht leicht, etwas so Kostbarem so nahe zu sein, ohne es in Besitz nehmen zu dürfen.«

»In Besitz?«, wiederhole ich.

Er setzt ein breites, selbstbewusstes Grinsen auf. »Besitz. Eigentum. Genuss. Kontrolle. Macht. Suchen Sie sich einen Begriff aus, Miss Fairchild, denn ich habe vor, sie alle bis zum Letzten auszukosten.«

»Jetzt verstoßen Sie aber gegen die Regeln.«

»Oh, das sehe ich anders.« Er hebt die Hände. »Ich berühre Sie nicht und stelle auch keine Forderungen. Noch gehören Sie mir nicht.« Er schaut auf die Uhr. »Nur noch wenige Stunden«, fügt er hinzu, und ich muss aufstehen. Meine Beine sind viel zu schwach, und mein Körper prickelt zu sehr, um länger in der Hocke zu bleiben.

»Noch bin ich vollkommen frei«, stelle ich fest, muss aber an nachher denken. Daran, was dann passieren wird.

»Noch habe ich keinerlei Gewalt über Sie«, sagt Damien, während er mich mit seinen Blicken auszieht. »Ich kann Ihnen nicht befehlen, sich zu berühren. Ich kann nicht darauf bestehen, dass Sie sich nackt in die Brandung legen und Ihre Finger über Ihre Muschi gleiten lassen. Ich kann Sie nicht mit zum Pool nehmen, Sie hineinführen und an Ihren Brustwarzen saugen, während das Wasser den Sand von Ihrem Körper wäscht. Ich kann meine Finger nicht in Sie hineinstecken und spüren, wie feucht Sie sind, wie sehr Sie mich begehren.«

Sein Blick ruht auf mir, und ich atme nur noch ganz flach. Auf meiner Haut stehen Schweißperlen, und das liegt nicht an der Sonne. Ich bin mindestens einen Meter von ihm entfernt, aber es fühlt sich an, als wäre er direkt neben mir, ja als würden wir miteinander verschmelzen. Als würden seine Hände über meinen Körper wandern. Und verdammt, ich will mich berühren! Nur mit Mühe schaffe ich es, die Arme locker neben dem Körper hängen zu lassen. Nichtdestotrotz streicht mein Daumen über die Außenseite meines Schenkels, langsam und sinnlich. Mehr kann ich nicht tun, und ich klammere mich an diese Berührung genauso wie an seine Worte.

»Ich kann Sie nicht in den Whirlpool ziehen und Sie umdrehen, damit ich Sie von hinten nehmen kann, während das Wasser Ihre Klitoris stimuliert. Ich kann Ihre Brüste nicht umschließen und Sie so brutal ficken, dass Sie für mich kommen, dass Sie explodieren. Und ich kann Sie nicht unterm Sternenhimmel auf einem Balkon lieben.«

Mich lieben …

Mein Herz schlägt einen Purzelbaum.

»All das ist mir verwehrt, Nikki«, fährt er fort. »Weil Sie mir noch nicht gehören. Aber das wird sich bald ändern. Schon bald kann ich mit Ihnen machen, was ich will. Ich hoffe, Sie sind dafür bereit.«

Ich schlucke. Das hoffe ich auch. Lieber Gott, lass mich dafür bereit sein.

Als wir in Santa Monica aus dem Flugzeug steigen, warten bereits zwei Autos auf uns. Damiens schnittiger, teurer roter Wagen mit dem unaussprechlichen Namen sowie ein Lincoln Town Car. Ein kleiner Mann mit Mütze steht neben dem Lincoln. Er neigt den Kopf, als ich ihn ansehe.

Damien legt seine Hand auf meinen Rücken und schiebt mich auf ihn zu. »Das ist Edward, einer meiner Fahrer. Er wird Sie nach Hause bringen.«

»Und Sie kehren ins Büro zurück?«

»Es tut mir sehr leid, unseren Ausflug beenden zu müssen, aber das lässt sich nicht ändern.«

»Nein, nein. Sie sind sicher sehr beschäftigt. Es ist nur so, dass mein Wagen in der Garage steht. Ich könnte genauso gut mit Ihnen zurückfahren.«

Er drückt mir einen Kuss auf die Stirn, während Edward mir den Wagenschlag aufhält. »Ich würde mich über Ihre Begleitung freuen, aber Ihr Wagen steht vor Ihrem Apartment.«

Ich brauche eine Weile, bis ich seine Worte verarbeitet habe. »Wie bitte? Wie ist er denn dahin gekommen?«

»Ich habe das für Sie arrangiert.«

»Sie haben das für mich arrangiert«, wiederhole ich. Ich bin gar nicht mal wütend, eher verblüfft. Nein, eigentlich bin ich schon wütend. Ich spüre, wie Zorn in mir aufwallt. »Einfach so, ohne mich zu fragen?«

Er sieht mich verwirrt an. »Ich dachte, Sie würden sich darüber freuen.«

»Sie mischen sich ungefragt in mein Leben ein, berühren mit Ihren klebrigen Fingern alles, was mir gehört.«

»Ich glaube, Sie reagieren etwas überempfindlich.«

Tue ich das? Ich muss an meine Mutter denken, daran, wie sie sich in jeden Bereich meines Lebens eingemischt hat. Projiziere ich den Hass auf meine Mutter auf Damien? Oder hat er hier tatsächlich eine Grenze überschritten? Ich weiß es nicht, und es ärgert mich, dass Elizabeth Fairchild mich noch aus zweitausendvierhundert Kilometern Entfernung verfolgt.

Ich fahre mir durchs Haar. »Tut mir leid«, würge ich schließlich hervor, lasse mich auf die Rückbank des Lincoln gleiten und schaue zu ihm auf. »Wahrscheinlich haben Sie recht. Aber das nächste Mal fragen Sie mich bitte vorher, einverstanden?«

»Ich wollte nur helfen«, sagt er. Wieder so eine Nichtantwort, aber er schließt bereits die Tür.

Verdammt!

Edward nimmt hinter dem Lenkrad Platz, um mich nach Hause zu bringen. Dabei weiß ich nicht mal, ob ich überhaupt schon nach Hause will. »Sie können mich auf der Promenade rauslassen«, sage ich und meine damit die Einkaufsstraße von Santa Monica. »Von dort aus nehme ich mir dann ein Taxi nach Hause oder lasse mich von meiner Mitbewohnerin abholen.«

»Tut mir leid, Miss Fairchild«, sagt Edward und fährt auf die Interstate. »Ich habe die Anweisung, Sie direkt nach Hause zu bringen.«

Oh, verdammt!

»Sie haben die Anweisung?«, wiederhole ich. »Habe ich da nicht auch noch ein Wörtchen mitzureden?«

Edward sieht auf, und unsere Blicke treffen sich im Rückspiegel. Die Antwort ist eindeutig: Nein.

Mist!

Ich zücke mein Handy und rufe Damien an.

»Hallo, Baby.« Seine Stimme ist tief und sinnlich, was mich nur noch wütender macht – diesmal auf mich selbst, weil ich mich davon so leicht ablenken lasse.

Ich koche vor Wut. »Würden Sie Edward bitte sagen, dass er mich nicht direkt nach Hause fahren muss?«, sage ich klar und deutlich. »Er scheint zu glauben, dass Sie ihm eine Anweisung erteilt haben, statt ihm ein Fahrtziel zu nennen.«

Ein unangenehmes Schweigen entsteht. »Sie müssen um Punkt sechs fertig sein. Es ist bereits nach zwei. Sie müssen sich ausruhen.«

»Was soll der Scheiß?«, herrsche ich ihn an. »Sind Sie meine Mutter?«

»Es war ein anstrengender Tag. Sie sind müde.«

»Einen Scheiß bin ich!« Natürlich hat er recht. Ich bin müde, aber das werde ich ihm gegenüber niemals zugeben.

»Nicht lügen!«, sagt er. »Schon vergessen?«

»Gut«, sage ich scharf. »Ich bin müde, aber auch stinksauer. Wir sehen uns heute Abend, Mr. Stark.« Ich lege auf, ohne seine Antwort abzuwarten, lasse mich dann in den Sitz fallen und verschränke die Arme vor der Brust. Ich schließe kurz die Augen, aber als ich sie wieder aufmache, hat Edward bereits vor meinem Apartment angehalten. Ich muss fast eine Stunde geschlafen haben.

Ich seufze ebenso verwirrt wie frustriert auf.

Edward öffnet mir den Wagenschlag und ruft mir noch einmal in Erinnerung, dass ich um sechs Uhr fertig sein muss. Dann setzt er sich wieder hinters Lenkrad, fährt aber noch nicht los. Mir wird klar, dass er wartet, bis ich die Wohnung betreten habe. Ich stampfe die Treppen hoch, ramme den Schlüssel ins Schloss und drücke die Tür auf. Das Erste, was ich sehe, ist eine teure Umhängetasche. Ich weiß natürlich, von wem sie stammt, habe aber nicht die leiseste Ahnung, wie er das so schnell bewerkstelligt hat.

»Das wurde gerade für dich abgegeben«, sagt eine Männerstimme, und ehe ich begreife, dass sie Ollie gehört, zucke ich zusammen. »Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.« Er erhebt sich aus dem Sessel am Ende des Wohnzimmers und kommt auf mich zu. Er ist barfuß. Auf dem Sessel liegt eine Zeitschrift – Elle. Anscheinend hat er mit meiner und Jamies Lektüre vorliebnehmen müssen.

»Wann denn?«, frage ich.

»Ungefähr vor fünf Minuten. Ich habe sie für dich auf den Tisch gestellt. Sie wiegt so gut wie gar nichts.«

Ich bin bereits dort und sehe sofort, warum die Tasche so leicht ist. Sie enthält nur zerknittertes Seidenpapier. Obenauf liegt ein Umschlag. Ich breche das Siegel auf und ziehe eine Karte heraus, die mit einer verschnörkelten Handschrift bedeckt ist: Ich bin eifersüchtig auf jede freie Minute, die Du ohne mich verbringst. Ich schulde Dir eine Shoppingtour. D. S.

Mein Lächeln ist so erfrischend wie eine kühle Brise. Irgendwie findet er immer die richtigen Worte. Wieder frage ich mich, wie es ihm wohl gelungen ist, die Sendung so schnell zustellen zu lassen. Der Mann muss überall in der Stadt Personal haben.

Ich stecke die Karte zurück in den Umschlag und schiebe ihn unters Seidenpapier, damit Ollie ihn nicht sieht.

»Von wem ist das?«, fragt er.

»Das ist eine lange Geschichte.« Schnell wechsle ich das Thema. »Wo warst du eigentlich gestern? Jamie meinte, sie hätte dich eingeladen.«

»Ja. Na ja, du weißt schon, ich musste so einiges zu Hause erledigen. Und dann ist Courtney früher als gedacht von ihrer Konferenz zurückgekommen, und wir haben es uns zu Hause gemütlich gemacht.«

»Und was macht sie heute?«

»Arbeiten«, sagt er. »Immer dasselbe.«

»Verstehe.« Ich stelle meine Taschen auf den Tisch und gehe in die Küche, um mir eine Flasche Wasser zu holen. Ich bin ganz ausgedörrt vom Alkohol und dem Flug und nehme einen großen Schluck, als ich plötzlich stutzig werde. »Warum muss sie heute arbeiten und du nicht?«, frage ich Ollie beim Betreten des Wohnzimmers.

»Der Prozess war früher zu Ende als gedacht«, sagt er. »Da dachte ich, ich schau mal vorbei.«

»Das ist ja toll! Aber du bist doch hoffentlich nicht meinetwegen gekommen? Tut mir leid, dass ich nicht da war. Aber ab morgen wirst du mich tatsächlich auch tagsüber zu Hause antreffen.« Das ist ein ziemlicher Wink mit dem Zaunpfahl, aber er geht nicht darauf ein.

»Nein, ich wollte Jamie besuchen. Um mich dafür zu entschuldigen, dass ich gestern nicht aufgetaucht bin.«

»Cool.« Ich lasse mich neben ihn fallen. »Wo steckt sie überhaupt?«

»Im Bad. Sie duscht gerade. Ich glaube, sie muss gleich weg. Ich habe gesagt, dass ich auf sie warte und so lange fernsehe, aber jetzt bekomme ich langsam Hunger.« Er steht auf. »Warum gehen wir nicht irgendwo eine Kleinigkeit essen?«

Ich schüttle den Kopf. »Ich hab schon gegessen. Geh du allein.«

»Dann leiste mir wenigstens Gesellschaft. Ich gehe nur um die Ecke zum Daily Grill.«

Er ist schon fast an der Tür. Dafür, dass er gerade noch gemütlich hier rumgesessen ist, scheint er es jetzt mächtig eilig zu haben, etwas zwischen die Kiemen zu bekommen. »Soll ich dir schnell was warm machen? Wir haben noch jede Menge Pizza übrig.«

»Nö. Ich habe Lust auf einen Burger. Kommst du?« Er hat die Tür bereits aufgemacht.

Ich denke an die Kameras und die Fotos, die ich mit Photoshop bearbeiten will. Andererseits ist Ollie mein bester Freund.

»Klar«, sage ich. »Eine Sekunde.« Ich greife nach meiner Tasche und eile zum Bad, bleibe aber vor der Tür stehen und klopfe an.

»Sei nicht so prüde!«, sagt Jamie. »Komm einfach rein.«

Die Dusche läuft, aber Jamies Stimme ist deutlich zu hören, wahrscheinlich hat sie gerade das Bein auf den Klodeckel gestellt, um es zu rasieren. Da wir seit Schulzeiten keinerlei Geheimnisse voreinander haben, öffne ich die Tür. Dass ihr Bein mit Rasierschaum bedeckt ist, erstaunt mich nicht. Ihr Gesichtsausdruck dagegen schon. Sie sieht mich völlig schockiert an.

Plötzlich fällt der Groschen.

»Hey, Nik! Was machst du denn so früh schon hier?«

»Was bildest du dir eigentlich ein?«, herrsche ich sie an. »Er ist verlobt. Er ist tabu. Meine Güte, Jamie!«

»Ich …« Aber sie redet gar nicht erst weiter, sondern greift nur zu einem Handtuch und hüllt sich darin ein.

»Scheiße!« Der Fluch ist mir einfach so herausgerutscht. »Gottverdammte Scheiße!« Ich bin nicht besonders gut im Fluchen, für mich ist das schon ganz schön heftig. »Hast du ihn gefickt?«

Sie presst die Lippen zusammen und nickt unmerklich.

Ich verlasse das Bad und knalle die Tür hinter mir zu. Ollie steht nach wie vor an der Haustür, aber seinem Gesichtsausdruck entnehme ich, dass er unser Gespräch belauscht hat oder aber klug genug ist, um sich die Situation selbst zusammenzureimen.

»Meine Güte, Ollie!«, sage ich.

Er sieht zerknirscht aus. »Ich hab’s versaut, Nik. Was soll ich sagen?«

Ich atme hörbar aus. Ich bin stinksauer, aber das ist Ollie, und ich liebe ihn, muss jetzt für ihn da sein, für ihn und Jamie. O Gott, Jamie! »Musste es denn ausgerechnet Jamie sein? Du hättest irgendjemanden ficken können, den ich nicht so gerne mag. Ihr beide seid meine besten Freunde – ich möchte nichts damit zu tun haben.«

»Ich weiß. Ehrlich, es tut mir leid. Komm, begleite mich zum Essen. Ich werde – wir können reden. Oder auch nicht, Hauptsache, du kommst mit, einverstanden?«

Ich nicke. »Ich werde aber nur einen Tee bestellen oder so. Ich habe ausführlich mit Damien zu Mittag gegessen.«

»Mit Damien«, wiederholt er, und ich könnte mich ohrfeigen. Ich hatte ihn eigentlich gar nicht erwähnen wollen. »Meine Güte, Nik. Das gefällt mir gar nicht.«

»Von dir muss ich mir das wohl kaum anhören!«, sage ich und muss mich zwingen, nicht zu schreien. »Und jetzt erzähl mir bitte nicht, dass du Damien Stark nicht magst. Du kannst mir nicht einfach so was an den Kopf werfen und so tun, als wärst du mir moralisch überlegen! Das Gegenteil ist der Fall!«

»Ist ja gut – du hast ja recht.« Er fährt sich durch die ohnehin schon zerzausten Haare. »Hör zu, ich hole mir jetzt einen Burger und schaue anschließend in der Kanzlei vorbei. Wir reden morgen weiter, einverstanden? Dann kannst du mir wegen Jamie die Leviten lesen, so lange du willst. Und vielleicht habe ich dann auch ein paar schlechte Neuigkeiten für dich.«

»Geht es um Damien?«, frage ich kühl.

Er zeigt mit dem Daumen zur Tür. »Ich will doch nur … es tut mir leid.«

Ich spare mir die Worte und sehe ihm hinterher. Dann nehme ich meine Sachen und stampfe in mein Zimmer. Meine Laune ist im Keller, und zweimal greife ich zum Telefon und stehe kurz davor, Damien anzurufen. Aber was soll ich ihm sagen? Hallo, wenn du mich gemalt haben willst und mich dafür bezahlst, deine Gespielin zu sein, darf ich dich ja wohl auch kurz anrufen und mit den Problemen meiner Freunde belästigen.

Jamie ist nach wie vor im Bad, vermutlich will sie mir aus dem Weg gehen. Oder aber sie nimmt gerade ihren ganzen Mut zusammen, um mit mir zu reden. Doch darauf kann ich im Moment sehr gut verzichten.

Ich fahre den Laptop hoch und lade die Bilder von der Kamera in Photoshop. Als Erstes sehe ich das Foto vom sich kräuselnden Sandstrand, an den die Wellen schlagen. Es ist gestochen scharf, und ich würde mich am liebsten dorthin flüchten. Mir ist, als könnte ich in die Wellen hineinwaten, die die Kamera eingefangen hat, und mich weit weg von allem und jedem aufs offene Meer hinausziehen lassen.

Aber es gibt auch Menschen, die ich in meiner Nähe haben will …

Ich öffne ein weiteres Bild, und plötzlich erscheint Damien vor mir. Ich habe ihn in Bewegung fotografiert, was ich sehr passend finde. Wenn ich an Damien Stark denke, ist er immer in Bewegung. Er ist ein Macher. Er ist Action pur, und ich habe es geschafft, das einzufangen. Das und noch etwas anderes: Lebensfreude.

Er hatte sich gerade zu mir umgedreht, als ich den Schnappschuss gemacht habe, und sein Gesicht füllt meinen Bildschirm. Seine Lippen sind geöffnet, da er zu einem Lachen ansetzt, und das Nachmittagslicht spiegelt sich in seinen Augen. Sein Gesicht ist offen, und er geht ganz in diesem Moment auf. Ich bin richtig gerührt. Ich habe ihn lächeln, lachen und grinsen sehen, aber erst auf diesem Bild sehe ich ungetrübte Freude.

Ich lege die Hand auf den Bildschirm und berühre Damiens Gesicht: Damien, der so stark und doch so gezeichnet ist.

Ich denke an die Narben, die meinen Körper entstellen, ziehe die Beine an und umarme meine Knie. Damien hat seine Haut zwar nie mit einem Messer geritzt, aber ich weiß, dass auch er einige Narben davongetragen hat. Aber wenn ich sein Gesicht sehe – die Freude, die es auf diesem Bild ausstrahlt –, sehe ich keine Verletzungen, sondern nur den Mann, der sie überlebt hat.

Nach einigen Minuten höre ich, wie sich die Badezimmertür öffnet und Jamie über den Teppich schleicht. Ihre Schritte verharren vor meiner Tür. Aber sie klopft nicht an, und wenig später höre ich, wie die Haustür ins Schloss fällt. Ich warte eine Minute und gehe dann zum Duschen ins Bad. Ich fühle mich so schmutzig, als würde ich durch die dreckige Wäsche meiner Freunde waten. Ich möchte mich unter das kochend heiße Wasser stellen und den Dreck abschrubben.

Ich ziehe mich aus und stelle mich unter den Strahl, ohne vorher die Temperatur zu prüfen. Anfangs ist das Wasser dermaßen eiskalt, dass ich fast aufschreie vor lauter Schreck. Dann springt der Boiler an, und ich schließe die Augen, lasse das Wasser über mich fließen und wünsche mir, es könnte mir die Haut vom Körper schälen.

Ich drücke etwas von Jamies Erdbeer-Duschgel in meine Hand und seife mich damit ein, auch meine Schenkel. Bei meinen wulstigen Narben halte ich inne.

Damien wird sie noch heute Abend zu Gesicht bekommen.

Ich kneife die Augen zusammen. Wie dumm ich doch gewesen bin! Ich wollte es ihm mit diesem Spielchen heimzahlen. Ganz so, als wäre die Demonstration meiner Narben eine Art Schlag ins Gesicht und kein Eingeständnis von Schwäche, kein Beweis dafür, wie sehr ich mich dem Schmerz anheimgegeben habe.

Jetzt möchte ich meine Narben nicht länger als Waffe benutzen. Ich möchte die Woche mit Damien nicht mehr aufs Spiel setzen. Dafür habe ich heute schon zu viel verloren.

Ich stehe unter der Dusche und weine mit bebenden Schultern. Heiße Tränen rinnen über meine Wangen und vermischen sich mit dem kochend heißen Wasser, das über meine entstellte Haut strömt.