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Das stimmt zwar nicht ganz, aber fast. Es ist eine Geschichte, die ich weiterspinnen kann, ohne den Bezug zur Realität zu verlieren.
Sie dient mir als weitere Schutzschicht, und in Bezug auf Damien Stark kann mein Panzer gar nicht dick genug sein.
Er geht direkt hinter mir die Treppe hinauf, denn sie ist zu schmal, als dass wir nebeneinanderher laufen könnten.
»Nikki«, sagt er, und es klingt wie ein Befehl.
Ich bleibe stehen und drehe mich zu ihm um, sehe von meiner erhöhten Position aus auf ihn herab. Eine interessante Perspektive. Ich glaube nicht, dass viele Menschen die Gelegenheit hatten, auf Damien Stark herabzuschauen.
»Und was bedeutet Ihnen Mr. McKee jetzt?«
Ich bilde mir das bestimmt nur ein, glaube aber so etwas wie Verletzlichkeit in Starks Augen zu sehen.
»Er ist ein Freund«, sage ich »Ein sehr guter Freund.«
Erleichterung scheint sich auf seinem Gesicht abzuzeichnen, und der Kontrast zwischen den beiden Emotionen – Erleichterung und Verletzlichkeit – verschlägt mir den Atem.
Doch bald ist sein Gesicht wieder ausdruckslos, und sein »Schlafen Sie immer noch mit ihm?« klingt ziemlich frostig.
Ich presse meine Finger gegen meine Schläfe. Dieses Wechselbad der Gefühle macht mich ganz schwindelig. »Bin ich hier in einer Art Quiz-Sendung? Haben Sie Ihre Millionen in eine neue Version von Versteckte Kamera investiert?«
»Was meinen Sie?«
»Erst sind Sie nett und dann kalt wie Eis.«
»Tatsächlich?«
»Tun Sie nicht so, als wüssten Sie nicht, wovon ich rede! Erst sind Sie so unverschämt, dass ich Sie am liebsten ohrfeigen würde …«
»Aber Sie haben es nicht getan.«
Ich sehe ihn finster an, ignoriere seinen Einwand jedoch. »Und dann gehen Sie auf einmal auf Kuschelkurs.«
Er zieht die Brauen hoch. »Auf Kuschelkurs?«
»Ja genau. Wobei das Wort kuschelig nicht besonders gut zu Ihnen passt. Vergessen Sie das mit dem Kuschelkurs! Sagen wir lieber: heiß, intensiv.«
»Intensiv.« Er flüstert das Wort, lässt es sinnlicher klingen, als von mir beabsichtigt. »Das klingt gut.«
Das sehe ich genauso.
Ich schlucke, habe auf einmal einen ganz trockenen Mund. »Sie sind einfach schwindelerregend.«
Er sieht mich mit unverhohlener Belustigung an. »Das klingt auch gut.«
»Schwindelerregend. Nervtötend. Und impertinent.«
»Impertinent?«, wiederholt er. Er lächelt nicht mal, aber ich könnte schwören, dass er sich insgeheim kaputtlacht.
»Sie stellen Fragen über Dinge, die Sie überhaupt nichts angehen.«
»Und Sie haben höchst elegant vom Thema abgelenkt. Ohne meine impertinente Frage beantwortet zu haben.«
»Ich dachte eigentlich, ein so intelligenter Mann wie Sie würde merken, dass ich darauf nicht antworten will.«
»Niemand erreicht, was ich erreicht habe, wenn er wichtige Details vernachlässigt. Ich bin sowohl gewissenhaft als auch hartnäckig, Miss Fairchild.«
Er hat mich in die Enge getrieben, er hat gewonnen. »Wenn ich etwas in meinen Besitz bringen möchte, informiere ich mich im Vorfeld darüber, und anschließend verfolge ich mit ganzem Herzen mein Ziel.«
Ich brauche eine Weile, bis ich wieder ein Wort herausbringe. »Ach ja?«
»Ich glaube, im Forbes Magazine vom letzten Monat war ein Interview mit mir. Soweit ich weiß, hat der Reporter meine Hartnäckigkeit betont.«
»Ich werde mir ein Exemplar zulegen.«
»Ich werde Ihnen eines zuschicken lassen. Vielleicht begreifen Sie dann, wie hartnäckig ich sein kann.«
»Das ist mir bereits bewusst. Ich verstehe nur nicht, warum Sie sich so dafür interessieren, mit wem ich schlafe. Was ist so spannend daran?« Ich betrete ein Minenfeld, und plötzlich begreife ich, was die Redewendung »mit dem Feuer spielen« wirklich bedeutet.
Er nimmt eine weitere Stufe, nähert sich mir. »Es gibt so einiges an Ihnen, das mich fasziniert.«
Oje! Ich nehme vorsichtig die nächste Stufe. »In mir kann man lesen wie in einem offenen Buch, Mr. Stark.« Ich gehe noch eine Stufe weiter.
»Wir wissen beide, dass das nicht stimmt, Miss Fairchild. Aber eines Tages …«
Er verstummt, und wider besseres Wissen hake ich nach: »Eines Tages ist was?«
»Eines Tages werden Sie sich mir öffnen, Miss Fairchild. Und zwar in jeglicher Hinsicht.«
Ich möchte etwas erwidern, aber es hat mir die Sprache verschlagen. Damien Stark will mich, ja mehr als nur das: Er möchte hinter die Fassade schauen, meine Geheimnisse lüften.
Die Vorstellung ist beängstigend, aber gleichzeitig seltsam faszinierend. Verlegen gehe ich rückwärts noch eine Stufe in Richtung Balkon hinauf und verziehe vor Schmerzen das Gesicht. Sofort ist Stark an meiner Seite. »Was ist?«
»Nichts. Da war etwas Spitzes auf den Stufen.«
Er wirft einen Blick auf meine nach wie vor nackten Füße.
Verlegen halte ich meine Riemchensandaletten mit den knapp neun Zentimeter hohen Absätzen hoch.
»Sehr hübsch« sagt er. »Vielleicht hätten Sie sie anziehen sollen.«
»Hübsch?«, echoe ich. »Die sind nicht hübsch! Die sind atemberaubend. Sie umschließen perfekt meinen Fuß, bringen meine Pediküre zur Geltung, lassen mein Bein schlanker wirken und heben meinen Hintern gerade so weit an, dass ich in diesem Kleid verdammt scharf aussehe.«
Seine Mundwinkel zucken belustigt. »Ich werd’s mir merken. Das sind wirklich atemberaubende Schuhe.«
»Zufällig sind sie auch mein erster und einziger Einkauf bei einer frivolen Shoppingtour durch Los Angeles.«
»Nun, ich bin mir sicher, sie waren den Angriff auf Ihr Bankkonto wert.«
»Unbedingt. Aber man kann leider sehr schlecht darin laufen. Und jetzt, wo ich sie ausgezogen habe, weiß ich wirklich nicht, ob ich sie noch mal anbekomme – und darin laufen kann.«
»Ich verstehe Ihr Problem. Zum Glück beruht meine Karriere darauf, Lösungen für solch komplizierte Probleme zu finden.«
»Ach ja? Dann klären Sie mich doch bitte auf.«
»Sie können hier auf der Treppe bleiben. Sie können barfuß hineingehen. Sie können die Schuhe wieder anziehen und leiden.«
»Irgendwie hatte ich mir mehr vom berühmten Damien Stark erwartet. Wenn man nicht mehr wissen muss, um ein Firmenimperium zu leiten, müsste ich längst selbst eines besitzen.«
»Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen.«
»Hierbleiben kann ich nicht«, sage ich. »Zunächst einmal ist mir kalt. Außerdem möchte ich mich noch von Evelyn verabschieden.«
»Hm.« Er nickt stirnrunzelnd. »Sie haben recht. Ich habe das Problem nicht zu Ende gedacht.«
»Deshalb ist es ja auch ein unlösbares Problem«, sage ich. »Und was das Barfußlaufen betrifft: Elizabeth Fairchilds Tochter geht nicht barfuß auf eine gesellschaftliche Veranstaltung, selbst wenn es ihr sehnsüchtigster Wunsch wäre. Ich gehe mal davon aus, dass das erblich bedingt ist.«
»Ihre Entscheidung steht also fest: Sie werden die Schuhe wieder anziehen.«
»Und leiden? Nein danke. Ich stehe nicht auf Schmerzen.«
Das war eine voreilige und auch nicht ganz zutreffende Bemerkung. Er starrt mich lange an, und aus irgendeinem Grund fallen mir Ollies Abschiedsworte wieder ein: Pass auf dich auf! Doch dann erhellt sich seine Miene, und er sieht mich erneut belustigt an. Ich bin unendlich erleichtert.
»Es gibt noch eine weitere Option.«
»Aha! Wusst’ ich’s doch, dass Sie noch etwas in petto haben!«
»Ich kann Sie auf die Party zurücktragen.«
»Aber natürlich!«, sage ich. »Da schlüpfe ich doch lieber wieder in diese süßen Dinger und leide.« Ich setze mich auf die Stufen und ziehe mir meine Sandaletten an. Gut fühlt sich das nicht an: Die Schuhe sind noch nicht eingelaufen, und meine Füße protestieren heftig. Ich habe den Strandspaziergang genossen, hätte aber wissen müssen, dass alles seinen Preis hat.
Ich stehe auf, zucke kurz zusammen und gehe dann weiter die Treppe hoch. Stark ist direkt hinter mir, und als wir den Balkon erreichen, tritt er neben mich und nimmt meinen Arm. Anschließend beugt er sich so weit vor, dass ich seinen Atem an meinem Ohr spüren kann. »Es gibt Dinge, die den Schmerz wert sind. Ich bin froh, dass Sie das begreifen.«
Ich drehe mich abrupt um und sehe ihn an. »Wie bitte?«
»Ich sage nur, dass ich froh bin, dass Sie die Schuhe wieder angezogen haben.«
»Obwohl ich Ihr Angebot ausgeschlagen habe, mich neandertalermäßig über die Schulter zu legen und herumzutragen?«
»Ich kann mich nicht daran erinnern, etwas von einer Neandertaler-Tragetechnik erwähnt zu haben, obwohl die Vorstellung sicherlich reizvoll ist.« Er zieht sein iPhone hervor und tippt etwas ein.
»Was machen Sie da?«
»Ich mache mir Notizen«, sagt er.
Ich lache kopfschüttelnd. »Ich muss schon sagen, Mr. Stark, Sie sind immer für eine Überraschung gut.« Ich mustere ihn von Kopf bis Fuß. »Sie haben nicht zufällig irgendwo ein Paar schwarze Flipflops versteckt? Wenn ja, wäre das eine Überraschung, die ich jetzt gut gebrauchen könnte.«
»Ich fürchte nicht«, sagt er. »Aber ich werde in Zukunft welche mitnehmen, um für alle Fälle gewappnet zu sein. Mir war gar nicht klar, welch wertvolle Währung ein bequemes Paar Schuhe sein kann.«
Ich merke, dass ich schamlos mit Damien Stark flirte. Mit dem Mann, der mich schon den ganzen Abend lang in ein Wechselbad der Gefühle taucht. Mit dem Mann, der vor Macht nur so strotzt und über ein Imperium befiehlt. Der nur mit den Fingern zu schnippen braucht und jede Frau bekommt, die er haben will. Und im Moment bin ich diese Frau.
Es ist eine seltsame Erkenntnis, aber sie schmeichelt mir auch, erregt mich sogar.
»Ehrlich gesagt weiß ich genau, wie Sie sich fühlen«, bemerkt er.
Ich starre ihn mit offenem Mund an und frage mich, ob er Gedanken lesen kann.
»Ich habe meine Tennisschuhe stets gehasst. Ich habe barfuß trainiert. Das hat meinen Trainer wahnsinnig gemacht.«
»Tatsächlich?« Ich finde dieses Detail aus Starks Privatleben faszinierend. »Haben Sie denn nicht für eine bestimmte Marke geworben?«
»Für die einzige, die ich einigermaßen ertragen konnte.«
»Kein schlechter Werbespruch.«
»Zu schade, dass Sie nicht zur Werbeabteilung dieser Firma gehört haben.«
Er streckt den Arm aus und fährt mit dem Daumen die Konturen meines Kinns nach. Mein Magen flattert, und ein leises Stöhnen entweicht mir. Sein Blick eilt zu meinem Mund, und ich erwarte, dass er mich küsst. Ich will auf keinen Fall, dass er mich küsst – aber verdammt noch mal, warum küsst er mich nicht?
Dann geht die Balkontür auf, und ein Paar erscheint Arm in Arm. Damien zieht seine Hand zurück, und der Bann ist gebrochen. Ich würde die Neuankömmlinge am liebsten anschreien – und zwar nicht nur, weil ich erregt und gierig zurückbleibe. Nein, etwas ist unwiederbringlich dahin. Ich mag den Damien Stark, der im Dunkeln lacht und mich ärgert. Der so sanft und gleichzeitig so intensiv flirtet. Der mich auf eine Art anschaut, die mich in seine Seele blicken lässt.
Aber der Moment ist vorbei. Wenn wir hineingehen, wird er seine Maske wieder aufsetzen. Und ich werde dasselbe tun.
Ich will schon vorschlagen, wieder hinunter zum Strand zu gehen, aber er hält mir die Tür auf, und seine markanten Züge haben sich erneut verhärtet. Ich schlüpfe an ihm vorbei in den Raum, und mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen.
Die Party ist nach wie vor in vollem Gange, ja sie tobt heftiger denn je – jetzt, wo die Gäste bei ihrem zweiten, dritten oder vierten Drink sind. Der Raum ist stickig und eng. Ich schlüpfe aus Starks Jackett und gebe es ihm zurück. Er fährt mit der Hand über das Seidenfutter. »Sie sind sehr warm«, sagt er und schlüpft mit einer ganz gewöhnlichen, aber gleichzeitig unheimlich erotischen Bewegung hinein.
Eine Kellnerin tritt neben mich, ein Tablett mit Champagnergläsern in der Hand. Ich bediene mich und leere das Glas in einem Zug. Bevor die Kellnerin verschwindet, stelle ich mein leeres Glas ab und nehme mir ein neues.
»Aus rein medizinischen Gründen«, sage ich zu Stark, der sich ebenfalls ein Glas genommen hat, aber erst noch daran nippen muss. Ich bin nicht so zögerlich und kippe die Hälfte auf einmal hinunter. Die perlenden Luftbläschen steigen mir sofort zu Kopf und machen mich schwindelig. Es ist ein angenehmes Gefühl, an das ich nicht gewöhnt bin. Natürlich trinke ich Alkohol, aber nicht sehr oft und schon gar keinen Champagner. Aber heute Abend fühle ich mich verletzlich. Verletzlich und gierig. Mit etwas Glück wird der Alkohol mein Verlangen dämpfen. Oder mir den Mut verleihen, mich meiner Begierde entsprechend zu verhalten.
Bloß nicht!
Beinahe hätte ich meinen Champagner verschüttet. Luftbläschen hin oder her – das darf nicht passieren.
Als ich den Kopf neige, um noch einen Schluck zu nehmen, spüre ich Starks Blick. Seine Augen sind so dunkel und wissend wie die eines Raubtiers, und ich würde am liebsten einen Schritt zurückweichen. Ich umklammere mein Glas und bleibe, wo ich bin.
Seine Mundwinkel kräuseln sich belustigt, als er sich zu mir vorbeugt. Ich atme den sauberen, frischen Duft seines Aftershaves ein. Wie frische Waldluft nach einem Regen. Er streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht, und überrascht stelle ich fest, dass ich nicht auf der Stelle dahinschmelze.
Mein Körper ist überempfindlich. Meine Haut, mein Puls: Alles prickelt, und jedes Härchen an Armen und Nacken richtet sich auf, als hätte mich gerade der Blitz getroffen. Das liegt an der Energie, die von ihm ausgeht, und die ich am stärksten zwischen meinen Beinen wahrnehme.
»Denken Sie an etwas Bestimmtes, Miss Fairchild?« Ich höre den provozierenden Unterton in seiner Stimme, und ich ärgere mich, dass ich so leicht zu durchschauen bin.
Dieser leichte Anflug von Wut hilft mir, er reißt mich aus meinen Tagträumen. Weil mir der Champagner Mut einflößt, sehe ich ihm direkt in die Augen und sage: »An Sie, Mr. Stark.«
Seine Lippen öffnen sich überrascht, aber er fängt sich sofort wieder. »Das freut mich zu hören.« Ich bekomme kaum mit, was er sagt. Ich konzentriere mich viel zu sehr auf seinen Mund. Er ist fantastisch, breit und sinnlich.
Er kommt einen Schritt näher, und es knistert noch heftiger zwischen uns, die Luft ist wie elektrisiert, und ich sehe fast die Funken fliegen.
»Sie sollten wissen, Miss Fairchild, dass ich Sie noch heute Abend küssen werde.«
»Oh.« Ich weiß nicht, ob ich damit meinem Erstaunen Ausdruck verleihen oder meine Zustimmung signalisieren will. Ich frage mich, wie sich seine Lippen wohl anfühlen werden. Seine Zunge, die meinen Mund aufzwingt. Das hitzige gegenseitige Erkunden, tastende Hände, aneinanderdrängende Körper.
»Schön, dass Sie sich darauf freuen.« Seine Worte reißen mich aus meinen Träumen, und diesmal weiche ich zurück. Ein Schritt, dann noch einer, bis sich der Sturm zwischen uns gelegt hat und ich wieder einen klaren Gedanken fassen kann.
»Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist«, sage ich, denn Träume sind ja gut und schön, aber bestimmte Grenzen sollte man nicht überschreiten. Das darf ich auf keinen Fall vergessen.
»Im Gegenteil. Ich finde, es ist eine meiner besten.«
Ich schlucke. Um ehrlich zu sein, hätte ich es am liebsten, wenn er gleich loslegen würde, aber Stark bewahrt mich vor diesem unvernünftigen Wunsch. Er muss schließlich seinen guten Ruf wahren. Carl scheint nicht der Einzige zu sein, der an die Macht des Networking glaubt, denn einige Leute gesellen sich zu uns, um sich in seinem Glanz zu sonnen. Investoren, Tennisfans, Singlefrauen: Sie alle kommen und sprechen ihn an, woraufhin Stark jeden höflich wegschickt. Ich bin die einzige Konstante an seiner Seite. Ich und ein nie versiegender Strom an Kellnern mit noch mehr Champagner, mit eisgekühltem Champagner, der die Glut etwas kühlt, die er in mir entfacht.
Langsam beginnt der Raum ein wenig zu schwanken, und ich tippe auf Starks Arm, unterbreche sein Gespräch mit einem Robotikingenieur, der ihm unbedingt etwas verkaufen will. »Entschuldigen Sie«, sage ich und gehe dann auf eine kleine Bank an der Wand zu.
Stark holt mich so schnell ein, dass der Ingenieur bestimmt noch weiterredet, ohne zu merken, dass seine potenzielle Geldquelle längst verschwunden ist.
»Sie sollten es etwas langsamer angehen lassen«, sagt er in einem Ton, als wäre ich seine Angestellte.
Aber ich bin nicht seine Angestellte. »Mir geht’s gut«, sage ich. »Ich habe einen Plan.« Ich erwähne nicht, dass dieser Plan darin besteht, mich hinzusetzen und nie wieder aufzustehen.
»Wenn Sie sich dermaßen betrinken wollen, dass Sie nicht mehr stehen können, machen Sie gute Fortschritte.«
»Seien Sie nicht so bevormundend!« Ich bleibe mitten im Raum stehen und betrachte der Reihe nach die Gemälde. Dann drehe ich mich um und sehe ihm direkt in die Augen. »Ich nehme an, Sie wollen ein Aktbild?«
Ich merke, wie Hitze in ihm aufsteigt und ein Loch in seine Maske zu brennen droht. Ich kann mir gerade noch ein triumphierendes Lächeln verkneifen.
Er hebt eine Braue. »Ich dachte, Sie wollten mir nicht helfen?«
»Ich habe gerade einen Anfall von Großzügigkeit«, sage ich. »Also, was wollen Sie? Einen Akt? Ein Landschaftsbild? Ein Stillleben mit Obst? Da wir hier auf Evelyns Ausstellung sind, gehe ich davon aus, dass Sie an einem Akt interessiert sind.«
»Ich spiele tatsächlich mit diesem Gedanken.«
»Sehen Sie hier irgendetwas, das Ihnen zusagt?«
»Ja, allerdings.«
Er sieht mich an, und mir schwant, dass ich vielleicht ein bisschen zu heftig geflirtet habe. Ich weiß, dass ich damit aufhören sollte, aber ich kann nicht. Vielleicht sind es die perlenden Luftbläschen, die aus mir sprechen, aber mir gefällt die Begierde, die ich an ihm wahrnehme. Nein, das stimmt nicht: Mir gefällt, dass er mich begehrt.
Das ist eine ebenso einfache wie erstaunliche Erkenntnis.
Ich räuspere mich. »Zeigen Sie es mir.«
»Wie bitte?«
Ich muss mich zwingen, gelassen zu bleiben. »Zeigen Sie mir, was Ihnen gefällt.«
»Glauben Sie mir, Miss Fairchild, es gibt nichts, was ich lieber täte.«
Die Doppeldeutigkeit seiner Worte ist nicht schwer zu erkennen, und ich schlucke. Ich habe das Spiel begonnen, und jetzt muss ich auch mitspielen. Ich trete nervös von einem Fuß auf den anderen und gerate ins Taumeln.
Er stützt mich, und es verschlägt mir den Atem, als er so plötzlich meine nackte Haut berührt.
»Sie sollten Ihre Schuhe ausziehen, bevor Sie sich noch verletzen.«
»Auf keinen Fall. Ich werde nicht barfuß auf dieser Party herumlaufen.«
»Gut.« Er nimmt meine Hand und führt mich zum Flur mit der samtenen Absperrkordel. Er geht langsam, nimmt Rücksicht auf meine schmerzenden Füße, grinst mich dann aber breit an. »Oder sollte ich doch lieber auf die Neandertaler-Taktik zurückgreifen?«
Ich reiße meine ohnehin schon weit geöffneten Augen noch ein Stück weiter auf, als er die Kordel löst und den dunklen, privaten Flur dahinter betritt. Ich zögere erst, dann folge ich ihm. Er befestigt die Kordel wieder und setzt sich dann auf eine samtbezogene Bank. Er sieht schamlos zu mir auf, so als gehörte ihm die Welt und alles, was darin ist. Dann klopft er auf die Bank neben sich, und weil meine Füße wehtun und sich alles dreht, nehme ich widerspruchslos Platz.
»Und jetzt ziehen Sie Ihre Schuhe aus«, sagt er, noch bevor ich protestieren kann. »Wir sind hinter der Absperrkordel und damit nicht mehr offiziell auf der Party. Sie verstoßen gegen keinerlei Benimmregeln.«
Letzteres sagt er mit einem Grinsen, das ich erwidere, ohne nachzudenken.
»Rutschen Sie zur Seite«, befiehlt er. »Legen Sie Ihre Füße auf meinen Schoß.«
Die wohlerzogene Nikki würde protestieren, aber ich lege meine Füße auf seine Hosenbeine.
»Schließen Sie die Augen. Entspannen Sie sich.«
Ich gehorche, und einen Moment lang passiert gar nichts. Ich habe schon Angst, er könnte sich über mich lustig machen, doch dann fahren seine Fingerkuppen über meine Fußsohle. Ich drücke ebenso überrascht wie entzückt den Rücken durch. Die Berührung ist hauchzart und kitzelt sanft. Als er sie wiederholt, atme ich zitternd aus. Alle meine Muskeln spannen sich an, während ich mich auf diese Berührung konzentriere. Ein Kribbeln durchfährt mich, und ich merke, dass ich erregt bin.
Ich klammere mich an der Bank fest, lasse meinen Kopf nach hinten fallen. Ein paar Haarspitzen gleiten über meinen Nacken. Die Kombination der Empfindungen – seine Berührung, mein Haar, das mich sanft streichelt – ist überwältigend. Jetzt wird mir erst recht schwindelig, aber das liegt nicht am Champagner.
Er verstärkt den Druck, knetet mit dem Daumen die Schmerzen aus meinem Fuß und streicht dann sanft über die empfindlichen, von den Schuhen wund gescheuerten Stellen. Ganz langsam. Das ist so unheimlich intim, dass ich fast den Verstand verliere.
Ich atme schwer und kann den kleinen Anflug von Panik, der in mir aufsteigt, nicht länger ignorieren. Ich habe nicht aufgepasst, habe den Dingen ihren Lauf gelassen. Ich stehe kurz davor, einen Schritt zu weit zu gehen – aber habe ich die Kraft, dem einen Riegel vorzuschieben?
»Jetzt«, sagt er.
Ich öffne verwirrt die Augen, und sein verzücktes Gesicht lässt mir beinahe die Sinne schwinden.
»Jetzt werde ich Sie küssen«, sagt er, und ehe ich mich’s versehe, ist auch schon seine Hand auf meinem Hinterkopf. Irgendwie liegen jetzt nicht nur meine Füße, sondern auch meine Schenkel auf seinem Schoß. Wir sind uns ganz nahe, und er beugt sich über mich, presst seine Lippen auf die meinen. Ich staune, wie sanft und gleichzeitig fest sein Mund ist. Er hat ganz eindeutig das Kommando. Fordernd nimmt er sich genau das, was er will – und was ich ihm nur zu gerne gebe.
Ich höre mich stöhnen, und er nutzt den Moment, um seine Zunge zwischen meine geöffneten Lippen zu schieben.
Er kann ausgezeichnet küssen, und ich gehe ganz darin auf. Irgendwann merke ich, dass ich mich mit einer Hand an sein Hemd kralle und mit der anderen in seinem Haar wühle. Es ist dick und weich, ich vergrabe meine Finger darin, ziehe seinen Kopf zu mir, um seine Lippen noch fester auf den meinen zu spüren. Ich möchte mich ganz in seinem Kuss verlieren. Ich möchte das Feuer, das sich in meinem ganzen Körper lichterloh ausbreitet, noch weiter entfachen. Vielleicht wird es mich vollkommen verzehren. Vielleicht werde ich wie Phönix aufsteigen, nachdem ich unter Damien Starks Berührungen zu Asche zerfallen bin.
Seine Zunge streichelt die meine, bis erotisch die Funken fliegen. Meine Haut, die allein schon aufgrund seiner Nähe überempfindlich war, wird jetzt zum reinsten Folterinstrument: Die Erwartung seiner nächsten Berührung ist mehr, als ich ertragen kann. Eine fordernde Leidenschaft lodert zwischen meinen Schenkeln auf, und ich presse die Beine zusammen – zum einen, um mich zu schützen, zum anderen, um mir eine leichte Befriedigung zu verschaffen.
Er stößt ein leises Knurren aus und dreht mich in seinen Armen herum. Plötzlich liegt seine Hand auf meiner Hüfte, und der dünne Stoff meines Rocks liebkost meine Haut, als er darüberfährt, immer weiter in Richtung meiner Vagina. Ich verkrampfe mich vor Erregung und Nervosität, stoße ihn aber nicht weg. Mein Körper pulsiert, meine Klitoris pocht, und ich will Befriedigung. Ich will Damien.
Ich spüre seine harten Muskeln. Er zieht mich an sich, intensiviert seinen Kuss, und seine Hand wandert zwischen meine Beine, langsam genug, um mir die Sinne zu rauben. Ich nehme ein Bein von seinen Schenkeln, aber das ist unbequem, und mein anderes Bein rutscht ebenfalls herunter. Ich stütze mich mit dem Fußballen ab und spüre, wie sich ein kühler Luftzug einen Weg unter meinen Rock bahnt und mein feuchtes Höschen umspielt.
In dieser Haltung bin ich weit geöffnet und sehr verletzlich. Stark wölbt seine Hand über meiner Vulva und stöhnt in meinen Mund. Noch durch den Stoff meines Rocks und meines Satinhöschens spüre ich seine Hitze. Er liebkost mich durch die Kleidung hindurch, seine Finger stimulieren meine Klitoris, machen mich so feucht, dass ich beinahe dahinschmelze.
Mein Rock ist hochgeschoben, bedeckt aber nach wie vor meine Schenkel. Trotzdem steht er kurz davor, die Geheimnisse zu enthüllen, die ich niemandem enthüllen will. Sollte er den Innenseiten meiner Schenkel zu nahe kommen, werde ich auf und davon rennen, so viel steht fest. Ich bin nervös, habe Angst. Aber die Angst und die Gefahr steigern meine Erregung noch. Ich glaube, ich war in meinem ganzen Leben noch nicht so geil.
Seine Finger reizen mich, und mir wird heiß und kalt. Ich stehe kurz davor zu kommen, nur noch ein bisschen, und dann …
Dann ist seine Hand verschwunden. Ich öffne die Augen, und einen Moment lang blicke ich in sein warmes und liebevolles Gesicht. Ich habe das Gefühl, dass er nur Augen für mich hat. Doch dann verändert sich seine Miene, und er setzt seine Maske wieder auf. Er ändert erneut meine Position, zieht mich hoch, sodass ich halb auf seinem Schoß sitze.
»Damien, was …«
Da höre ich die Stimme hinter mir, eine helle, fröhliche Frauenstimme: »Ich habe dich schon überall gesucht. Bist du so weit?«
O Gott. Hat sie uns etwa überrascht? Wie lange ist sie schon hier?
Ich sehe Damien hilflos an, aber er bemerkt es nicht. Er sieht über meine Schulter. »Ich muss Miss Fairchild nach Hause bringen«, sagt er. Ich drehe mich auf der Bank um – und entdecke Audrey Hepburn.
Sie nickt mir zu, lächelt Damien an, macht kehrt und geht.
Sanft schiebt er mich von seinem Schoß. Er steht auf und reicht mir die Hand. »Gehen wir!«
Ich bin ganz wackelig auf den Beinen – mein ganzer Körper ist wie gelähmt von seiner Berührung. Aber ich schlüpfe wieder in meine Schuhe und folge ihm bereitwillig. Ich bin verwirrt und verlegen, weiß nicht, was ich denken soll.
Wir bahnen uns einen Weg durch die sich lichtende Gästeschar und verabschieden uns von Evelyn. Sie umarmt mich, und ich verspreche ihr, sie in den nächsten Tagen anzurufen: ein Versprechen, das ich auch halten will.
An der Tür legt mir Damien sein Jackett um die Schultern. In der Auffahrt wartet eine Limousine. Ein livrierter Fahrer hält mir die Wagentür auf, und Damien bedeutet mir einzusteigen. Ich habe nicht mehr in einer Limousine gesessen, seit ich ein Kind war, und ich nehme mir die Zeit, mich ausgiebig umzusehen. Gegenüber der schwarzen Ledersitze befindet sich eine perfekt ausgestattete Bar, eine Kristallkaraffe samt Gläsern funkelt mir in der indirekten Beleuchtung entgegen. Der Boden ist mit Teppich ausgelegt. Alles um mich herum strahlt Luxus, Geld und Eleganz aus.
Ich nehme auf der Rückbank Platz, sodass ich nach vorn schauen kann. Das Leder ist weich und warm und scheint mich zu umarmen. Ich blicke zur Tür, warte darauf, dass Damien ebenfalls einsteigt.
Aber er steigt nicht ein.
»Gute Nacht, Nikki«, sagt er in dem offiziellen Tonfall, den ich schon zu Beginn des Abends zu hören bekam. »Ich freue mich schon auf die Präsentation morgen.«
Und dann schlägt er die Tür zu und geht zurück zu Evelyns Haus und zu Audrey Hepburn, deren Silhouette ich in der Tür erkenne. Sie reicht ihm die Hand, heißt ihn willkommen.