14

Eine Million Dollar. Die Worte hallen in meinem Kopf wider, führen mich in Versuchung, und es ist diese Versuchung, die mich zu einer Reaktion zwingt.

Ich winde mich aus seiner Umarmung, hole dann aus und verpasse ihm eine Ohrfeige.

Er sieht mich an, in seinen Augen glüht ein Feuer, das ich nicht deuten kann. Dann packt er mein Handgelenk und zieht mich an sich, sodass sich mein Arm schmerzhaft verdreht. Sein Körper drängt gegen den meinen, und alles, was ich noch wahrnehme, ist Damien. In diesem Moment gehöre ich ganz ihm, und das weiß er auch. Er kann mir wehtun. Ich bin ihm ausgeliefert. Mein Körper zittert vor Verlangen. Meine Lippen öffnen sich. Meine Atmung beschleunigt sich. Ich verstehe meine Reaktion auf ihn nicht. Sie ist instinktiv, ungestüm. Ich spüre den Drang, mich ihm einfach zu ergeben.

Nein.

Ich konzentriere mich auf sein Gesicht. »Ich glaube, Sie sollten jetzt gehen.« Ich weiß nicht, wie ich es schaffe, mit fester Stimme zu sprechen.

»Ich werde gehen«, sagt er. »Aber ich werde auch mein Bild bekommen.« Ich will gerade etwas erwidern, als er einen Finger auf meine Lippen legt. »Ich werde es bekommen, weil ich es will – weil ich Sie will. Und ich werde es bekommen, weil Sie es auch wollen. Nein«, sagt er, noch bevor ich den Mund aufmachen kann. »Vergessen Sie die Regeln nicht: Lügen Sie mich nicht an, Nikki. Lügen Sie mich niemals an.«

Und dann küsst er mich. Er lässt meinen Arm los, vergräbt seine Finger in meinem Haar, drückt meinen Kopf nach hinten, während seine Lippen die meinen verschließen. Ich stöhne auf, als seine Zunge meinen Mund erkundet, und mein Arm schlingt sich um seinen Nacken. Ich weiß nicht, ob er mich näher an sich gezogen hat oder ob ich mich an ihn gedrängt habe, kann aber seine harte Erektion an meinem Schenkel spüren. Er hat recht, verdammt! Er hat recht. Ich will das hier, ich will es, und das darf nicht sein.

Dann lässt er mich los, und ich fühle mich dermaßen schwach und kraftlos, dass es mich nicht wundern würde, wenn mich die bloße Schwerkraft zu Boden zieht. Er wirft mir einen letzten glühenden Blick zu und geht dann zur Tür. Er öffnet sie und tritt über die Schwelle, noch bevor sich mein Puls wieder beruhigt hat.

Ich strecke den Arm aus und halte mich an der Stuhllehne fest. Dann setze ich mich langsam, beuge mich vor, stütze die Ellbogen auf und möchte ihn hassen: wegen des Vorschlags, den er mir gemacht hat, und wegen der Dinge, die er zu mir gesagt hat. Dinge, die zweifellos der Wahrheit entsprechen, aber es ist eine Wahrheit, die ich lieber verdrängen würde. Die ich verdrängen werde.

Ich weiß nicht, wie lange ich dort sitze, aber ich befinde mich immer noch am Tisch, als Jamie mit zerzaustem Haar und ohne BH hereintänzelt. Ich bin mir sicher, dass sie einen BH anhatte, als sie gegangen ist. Es wäre mir aufgefallen, wenn sie halb nackt mit Damien zusammengesessen wäre.

»Douglas?«, frage ich. Ich habe zwar das vertraute Stoßen und Knallen nicht gehört, war aber auch etwas abgelenkt.

»Um Gottes willen, nein!«, sagt sie, und für einen Moment bin ich erleichtert. Ich weiß zwar nicht, wie sie es geschafft hat, ihren BH zu verlieren, aber wenigstens ist sie nicht auf einen schnellen Quickie verschwunden. »Kevin aus 2H«, sagt sie, und meine Erleichterung weicht blankem Entsetzen.

»Du bist mit ihm ins Bett?«

»Glaub mir, zu mehr taugt der Mann nicht. Der Kerl ist nicht besonders helle, und wir haben kaum etwas gemeinsam. Bis auf jede Menge überschüssige Energie.«

»Meine Güte, Jamie!« Im Vergleich zu Jamies wahllosen Eroberungen kommen mir meine Probleme auf einmal ziemlich unbedeutend vor. »Warum gehst du mit ihm ins Bett, wenn du ihn noch nicht mal leiden kannst?«

»Weil es Spaß macht. Mach dir keine Sorgen! Er wird mich schon nicht gleich stalken. Wir wissen beide, dass das nichts Ernstes war.«

»Das ist gefährlich, James«, sage ich und verwende ihren Spitznamen aus Kindertagen, um den Ernst der Lage zu unterstreichen.

»Quatsch, Nicholas«, erwidert sie. »Wenn ich’s dir doch sage: Der Typ ist völlig harmlos.«

»Ich rede nicht nur von ihm. Aber nur weil du ihn attraktiv findest, heißt das noch lange nicht, dass er kein Arschloch ist. Und woher willst du eigentlich wissen, dass du dir nichts einfängst? Hast du aufgepasst?«

»Meine Güte! Bist du meine Mutter? Natürlich habe ich aufgepasst.«

»Tut mir leid, tut mir leid.« Ich gehe die paar Meter ins Wohnzimmer und lasse mich aufs Sofa fallen. »Du bist meine beste Freundin. Ich mache mir Sorgen um dich. Du fickst diese Typen, und dann verschwinden sie sofort wieder aus deinem Leben.« Stirnrunzelnd denke ich an Damien. »Hast du dir noch nie überlegt, mal eine feste Beziehung einzugehen?«, frage ich barscher als beabsichtigt.

»Und du?«

Es fällt mir schwer, ruhig zu bleiben. »Es geht jetzt nicht um mich.«

»Nein, könnte es aber: Ich vögle durch die Gegend. Und du vögelst gar nicht. Wie in diesem Emily-Dickinson-Gedicht.«

Ich starre sie verständnislos an.

»Die Kerze«, erklärt sie. »Du brennst an einem Ende und ich am anderen.«

Ich muss lachen. »Das ist doch vollkommener Unsinn!«

Sie zuckt die Achseln. Manchmal sagt Jamie wirklich schlaue Dinge. Und manchmal eben nicht. Ihr ist das egal. Und das ist mit einer der Gründe, warum ich sie so gern habe, warum ich sie bewundere. Egal, was das Leben für sie bereithält: Jamie wird sich immer treu bleiben.

Für mich gilt das nicht.

Und für Damien Stark vermutlich auch nicht.

Ich frage mich, ob ich ihn deshalb so attraktiv finde.

»Dieses Lächeln gilt nicht mir«, sagt Jamie. »Und Kevin beziehungsweise Douglas bestimmt auch nicht. Mal überlegen … hm … könnte es sein, dass du gerade an den sexy Multimilliardär denkst, der soeben unsere armselige Hütte verlassen hat?«

»Gut möglich«, gestehe ich.

»Und was war das für ein Geschenk? Und vor allem: Warum seid ihr nicht in deinem Zimmer und vögelt euch um den Verstand?«

»Wir sind nicht zusammen«, sage ich.

»Seit wann muss man zusammen sein, um zu vögeln?«

»Er möchte, dass ich für ein Aktbild posiere«, sage ich, obwohl ich ihr das eigentlich gar nicht erzählen wollte. »Und er ist bereit, mir eine Million Dollar dafür zu zahlen.«

Sie starrt mich mit offenem Mund an. Ich habe es tatsächlich geschafft, Jamie Archer sprachlos zu machen. Eine Premiere.

»Eine Million Dollar? Im Ernst?«

»Ja.«

»Und? Denkst du darüber nach?«

»Nein«, sage ich sofort. »Natürlich nicht.«

Aber schon während ich es ausspreche, weiß ich bereits, dass das nicht stimmt. Ich denke darüber nach. Darüber, nackt auf eine Leinwand gebannt zu werden. Darüber, dass Damien Stark in seinem Wohnzimmer steht und zu mir aufschaut.

Ein Schauer durchläuft mich. »Los, gehen wir!«, sage ich.

Jamie legt den Kopf schräg. »Gehen? Wohin denn?«

»Lass uns ausgehen! Es ist Samstagabend. Wir gehen tanzen und trinken – auf jeden Fall trinken.«

»Gibt es was zu feiern?«, fragt sie wissend.

»Vielleicht.« Ich zucke die Achseln. »Vielleicht möchte ich auch einfach nur tanzen.«

»Wir sollten Ollie und Courtney anrufen«, sagt sie, nachdem wir uns beide umgezogen haben. Ich kontrolliere, ob alles in meiner Handtasche ist, was ich für einen Ausgehabend brauche.

»Er hat übrigens vorhin angerufen. Das habe ich ganz vergessen, dir zu sagen.«

»Ach, verflucht. Soll ich zurückrufen?«

Sie zuckt die Achseln. »Er hat nur angerufen, um sich nach dir zu erkundigen. Wollte sich wohl vergewissern, dass Damien Stark dich gestern Nacht nicht aufgefressen hat. Der Gute war völlig ahnungslos.«

Meine Wangen glühen. »Du hast ihm doch hoffentlich nichts erzählt?«

»Ich habe ihm nur gesagt, dass du heil nach Hause gekommen bist. Dass Stark dich in eine Limousine gesetzt und heimgeschickt hat. Ich erzähle keine schmutzigen Details weiter. Wieso, hätte ich das tun sollen?« Ihre Augen funkeln mich provozierend an »Ich wette, Ollie hätte diese Geschichte bestimmt gefallen.«

»Nein«, sage ich mit fester Stimme »Nein.«

»Also, rufen wir sie an?«

»Warum nicht?«

Courtney sagt ab, weil sie morgen früh auf irgendeine Konferenz nach San Diego muss, aber Ollie ist mit von der Partie. Wir läuten den Abend bei Donnelly’s ein, einem Pub unweit seiner Mietwohnung in West Hollywood, und ziehen dann weiter ins Westerfield’s. »Keine Sorge!«, sagt Ollie, als ich einen Blick auf die lange Schlange hinter der samtenen Absperrkordel werfe. »Ich weiß, wie wir da reinkommen.«

Ich hätte angenommen, dass Ollie den Türsteher kennt, aber wie sich herausstellt, verlässt sich mein Freund auf Jamie und mich. Der Gorilla mustert uns von Kopf bis Fuß, Jamie wirft ihm ihren besten »Ich bin so scharf, dass ich fast schon gemeingefährlich bin«-Blick zu. »Rein mit euch!«, sagt der Typ, und ich spüre seinen Blick auf meinem Po, während wir den dunklen, brummenden Laden betreten.

»Wahnsinn!«, rufe ich. »Wir können uns nicht mal unterhalten.«

»Dann tanz!«

Jamie nimmt meine und Ollies Hand und zerrt uns auf die Tanzfläche. Ich spüre, wie der Bass in meiner Brust wummert, und schon bald lasse ich mich völlig gehen, versinke in dem heftigen, pulsierenden Dröhnen. Ollie und Jamie hatten ein paar Drinks mehr als ich und geben sich ganz der Musik hin, tanzen so innig, dass sich ihre Hinterteile berühren. Wenn ich nicht wüsste, wie gut die beiden befreundet sind, würde mich das beunruhigen.

Nein, wie gut wir befreundet sind! Ich schiebe mich zwischen sie, lege ihnen die Arme um die Schultern und muss schallend lachen, während wir versuchen, unsere Bewegungen so aufeinander abzustimmen, dass wir nicht auf den Hintern fallen. Das macht Spaß, auch wenn es bestimmt völlig lächerlich aussieht. Das ist mir egal. Gerade bin ich in Hochstimmung: Ich bin mit meinen besten Freunden in Los Angeles. Ich habe einen tollen Job. Ich hatte innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden zwei fantastische Orgasmen, und mir wurde eine Million Dollar angeboten. So etwas kommt schließlich nicht jeden Tag vor.

»Die nächste Runde geht auf mich«, sage ich und merke, dass ich mehr als nur ein bisschen angetrunken bin.

Die Bar befindet sich ganz am Ende des Raumes, und als ich sie erreiche, weiß ich auch, warum: Hier ist es deutlich leiser, sodass der Barkeeper die Bestellungen nicht von den Lippen seiner Kunden ablesen muss. Ich warte gerade auf unsere Drinks, als Ollie zu mir stößt. Seine Haare kleben ihm in der Stirn, und sein Gesicht ist ganz rot von dem Versuch, auf der Tanzfläche mit Jamie mitzuhalten.

»Macht sie dich fertig?«, frage ich.

»Von wegen!«, sagt er, wobei seine Augen provozierend funkeln »Sie ist gerade auf dem Klo, und da dachte ich, ich sehe mal nach dir. Ich wollte sowieso mit dir reden.«

»In Ordnung.« Ich runzle die Stirn. Das hier ist nicht unbedingt der richtige Ort für ein ernstes Gespräch. »Was gibt’s?«

»Stark«, sagt er. »Nach dem, was ich von Jamie weiß, scheint da was zwischen euch zu laufen.«

Ich könnte Jamie glatt erwürgen.

»Quatsch!«, sage ich und weiß nicht recht, ob ich die Wahrheit sage oder ihn anlüge. Zum ersten Mal überhaupt bin ich Ollie gegenüber nicht absolut aufrichtig. Aber im Moment möchte ich meine komplizierten Gefühle für Damien Stark lieber für mich behalten.

»Tatsächlich?«, sagt er. »Dann ist es ja gut. Sonst hätte ich mir Sorgen um dich gemacht.«

Jetzt schrillen sämtliche Alarmsirenen. »Wirklich? Warum denn?«

Er zuckt die Achseln. »Na ja, so wie er dich auf dieser Party angesehen hat, und wie du seinen Blick erwidert hast …«

»Na gut, es hat schon gefunkt zwischen uns«, gestehe ich. »Aber warum ist das ein Problem? Warum hast du mich vor ihm gewarnt?«

Er fährt sich durchs Haar, und seine feuchten Strähnen ringeln sich noch mehr, was ziemlich sexy aussieht.

»Geh ihm lieber aus dem Weg. Der Kerl ist gefährlich.«

»Gefährlich? Inwiefern?«

Ollie zuckt mit den Schultern. »Zunächst einmal hat er ein ziemlich hitziges Temperament.«

»Das ist ja nichts Neues«, sage ich. »Dafür war er schon in seiner aktiven Tenniszeit bekannt. Daher auch sein kaputtes Auge.« Bei einer Auseinandersetzung mit einem anderen Spieler wurde Damien von einem Tennisschläger ins Gesicht getroffen. Soweit ich weiß, hatte er großes Glück, keinen bleibenden Schaden davonzutragen, doch die Pupille seines linken Auges ist jetzt permanent geweitet. »Aber das ist lange her, und er spielt auch nicht mehr Tennis. Und das macht dir ernsthaft Sorgen?«

Ollie schüttelt nur den Kopf. Jamie kommt auf ihn zugehüpft und packt ihn am Arm. »Ich muss ihn dir leider wieder entführen.«

Ich sehe zu, wie die beiden auf die Tanzfläche zurückkehren. Gefährlich.

Er soll gefährlich sein. Aber aus irgendeinem Grund werde ich das Gefühl nicht los, dass Ollie damit etwas ganz anderes meint als ich.

»Wirklich, Jamie!«, sage ich, als sie in eine weitere der kurvenreichen dunklen Straßen Malibus einbiegt. »Können wir nicht einfach nach Hause fahren?« Wir haben uns völlig verfranst. Anscheinend haben kleine böse Elfen die Straßenschilder versteckt. Bestimmt um den Pöbel fernzuhalten. Und wir gehören natürlich zum Pöbel.

Vor über einer Stunde haben wir uns von Ollie verabschiedet, nachdem wir bei Dukes auf dem Sunset Boulevard Rührei mit Toast und literweise Kaffee zu uns genommen haben. Sobald Ollie weg war, verkündete Jamie, dass wir uns jetzt auf die Suche nach Starks neuem Haus in Malibu machen würden. »In einem der Artikel über ihn stand, dass er einen Privatstrand hat. Und weil ich mal mit diesem Typen aus Malibu zusammen war, kenne ich die Gegend ziemlich gut.«

Ich habe natürlich sofort protestiert – allerdings nicht zu laut. Ich muss zugeben, dass ich neugierig war. Obwohl ich nicht glaubte, dass wir das Haus finden würden, klang die Idee, mitten in der Nacht durch Malibu zu kutschieren, ziemlich aufregend.

Doch jetzt bin ich müde, außerdem ist mir etwas übel.

»Wir können genauso gut heimfahren«, sage ich. »Wir werden es sowieso nicht finden.«

»Und ob wir es finden werden!«, beharrt Jamie und fährt rechts ran, um einen Blick auf den Stadtplan auf ihrem Smartphone zu werfen. »Wenn es am Strand liegt, kommen nur wenige Straßen infrage. Außerdem wird hier momentan nicht viel gebaut, erst recht nicht in den Dimensionen, die man von einem Damien Stark erwartet. Wenn wir daran vorbeikommen, wird es uns sofort auffallen.«

»Ja, und dann? Das hier ist schließlich kein Vorort in Texas, wo man einfach so auf jede Baustelle spazieren kann. Selbst wenn du es findest, wird es eingezäunt und wahrscheinlich bewacht sein.«

»Ich möchte es doch bloß mal sehen«, sagt sie und fährt weiter. »Du etwa nicht? Der Architekturgeschmack eines Mannes ist doch ziemlich aufschlussreich, oder?«

Darauf sage ich nichts. Ollies und ihre Bemerkungen haben mich nachdenklich gemacht. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht besonders viel über Damien Stark. Nur das, was alle wissen. Und ein paar wirklich intime Details. Aber sonst? Wie gut kenne ich den echten Damien Stark?

Ich schiele zu Jamie hinüber, und dann bricht es spontan aus mir heraus: »Ollie behauptet, Stark sei gefährlich.«

»Ja«, sagt sie zu meiner großen Überraschung. »Das hat er mir auch schon gesagt. Er macht sich Sorgen um dich.«

»Keine Angst«, sage ich, lasse mich tiefer in den Sitz gleiten und lege meine nackten Füße aufs Armaturenbrett. »Da wird sowieso nichts draus. Ollie ist einfach überfürsorglich. Inwiefern soll Damien denn gefährlich sein?«, frage ich und ignoriere damit alle meine guten Vorsätze. »Ich glaube ihm einfach nicht, wenn er behauptet, es ginge nur um Starks hitziges Temperament.«

»Um sein Temperament? Wohl kaum. Genaueres hat er mir auch nicht gesagt. Ich nehme mal an, es hat was mit seiner Arbeit zu tun. Wie du weißt, wird Stark von Bender, Twaine & McGuire vertreten. Die Kanzlei kümmert sich praktisch nur um ihn.«

»Oh.« Ich muss das erst mal verdauen. »Bricht er damit nicht seine Schweigepflicht als Anwalt?«

»Wahrscheinlich schon«, gesteht Jamie. »Ich glaube zwar nicht, dass Ollie direkt mit Stark und seinen Geschäften zu tun hat, dafür ist er noch nicht lange genug bei der Firma. Aber wahrscheinlich hat er Akten gesehen und Gespräche unter seinen Vorgesetzten mitbekommen.«

»Aber worum es genau geht, hat er dir nicht gesagt?«

»Nein, das nicht. Aber das ist doch ziemlich offensichtlich, oder?«

Nicht für mich. »Offensichtlich?«

»Diese junge Frau, die gestorben ist.« Sie hält an einer Ampel und dreht sich zu mir um.

»Die, mit der er zusammen gewesen sein soll? Wieso, was ist mit ihr?«

»Ich habe ein bisschen recherchiert.« Als ich sie anstarre, zuckt sie nur die Achseln. »Mir war langweilig, außerdem war ich neugierig. Wie dem auch sei, sie ist erstickt. Der Rechtsmediziner hat es als Unfall eingestuft, aber anscheinend hat ihr Bruder angedeutet, dass Stark etwas damit zu tun hatte …« Sie verstummt und zuckt ein weiteres Mal mit den Schultern.

Mir ist plötzlich kalt. »Hat er gesagt, dass Damien sie umgebracht hat?« Ich versuche mir das vorzustellen, allerdings vergeblich. Ich glaube das nicht, kann es einfach nicht glauben.

»So weit ist er meines Wissens nach nicht gegangen«, sagt Jamie. »Wenn Damien Stark des Mordes verdächtigt würde, stünde das doch in allen Zeitungen. Aber ich habe nur ein paar Kommentare auf irgendwelchen Klatschseiten gefunden. Im Ernst, ich glaube nicht, dass da was dran ist. Ein so mächtiger Mann wie Stark muss sich eben die abartigsten Gerüchte gefallen lassen.« Schweigend setzt sie die Fahrt fort, und ich sehe, wie sich ihre Miene verdüstert.

»Was ist?«

»Nichts.«

»Jamie, verdammt! Jetzt mach schon den Mund auf!«

»Ich habe nur gerade über Ollie nachgedacht. Wenn das tatsächlich nur irgendwelche unhaltbaren Gerüchte aus dem Internet sind – warum gibt er sich dann überhaupt damit ab? Wenn an der Sache wirklich etwas dran ist, müssten Starks Anwälte diesen Bruder doch inzwischen regelrecht auseinandernehmen. Ihm mit einer Anzeige wegen Rufmord oder übler Nachrede oder wie das heißt drohen. Ein Typ wie Stark weiß bestimmt, wie man die Medien in Schach hält.«

Mir fällt ein, dass Evelyn etwas ganz Ähnliches gesagt hat. Ich bin etwas beunruhigt. »Wahrscheinlich schon. Hat Ollie dir das gesagt?«

»Nein, nein. Er ist nicht ins Detail gegangen.« Sie zuckt die Achseln. »Er macht sich bloß Sorgen um dich. Aber mal ganz ehrlich, Nik; das ist bestimmt alles ganz harmlos. Wahrscheinlich der übliche Scheiß, mit dem sich die Superreichen herumschlagen müssen.«

»Und wer war diese junge Frau?«

»Irgendeine Tussi namens Sara Padgett.«

Padgett. Mir fällt wieder ein, wie Miss Peters unsere Besprechung unterbrochen und diesen Namen erwähnt hat.

Jamie tritt ohne Vorwarnung dermaßen heftig auf die Bremse, dass ich gegen den Sicherheitsgurt geschleudert werde. »Was zum Teufel …?«

»Tut mir leid. Ich dachte, ich hätte in der Straße, an der wir gerade vorbeigefahren sind, etwas gesehen.« Sie legt den Rückwärtsgang ein und stößt auf der kurvigen Straße zurück.

Ich drehe mich um, befürchte, gleich von den Scheinwerfern eines heranbrausenden Autos erfasst zu werden. Aber die Straße ist dunkel, und wir können gefahrlos wenden. Als ich wieder nach vorn schaue und mich bei Jamie über ihr rücksichtsloses Fahren beschweren will, verpufft meine Wut beim Anblick des unglaublichen Gebäudes, das vor mir aufragt.

»Wow! Glaubst du, das ist es?«

»Keine Ahnung. Ich hätte es mir größer vorgestellt«, sagt Jamie. Sie hält am Straßenrand an. Wir steigen aus und gehen zu dem improvisierten Zaun, der um das Gebäude errichtet wurde. Auf einem kleinen Schild steht, dass der Architekt Nathan Dean heißt. »Das ist es!«, sagt Jamie. »Ich kann mich noch an den Namen erinnern. Meine Güte, Stark schwimmt doch in Geld! Müsste die Villa dann nicht viel größer sein?«

»Nein«, sage ich. »Sie ist perfekt.«

Für einen Multimilliardär mag das Haus klein sein. Ich schätze, dass es ungefähr neunhundert Quadratmeter misst. Dafür scheint es aus den Hügeln aufzusteigen, statt einfach daraufgesetzt worden zu sein. Wäre es größer, würde es wie ein Fremdkörper aus der Landschaft ragen. Wäre es kleiner, würde es sich darin verlieren. Obwohl der Rohbau noch unverputzt ist und die Mauern noch nicht einmal alle stehen, hat man bereits einen guten Gesamteindruck. Es strahlt etwas Herrschaftliches aus, aber auch Wärme und Komfort. Es wirkt einladend – typisch Damien.

Und ich finde es spektakulär.

Wir stehen leicht oberhalb des Gebäudes. Die Gäste werden das Grundstück über eine Einfahrt erreichen, die sich mehrere Kurven hinunterwindet und ihnen die Illusion gibt, ein privates Tal zu betreten. Die Nachbarhäuser werden vom Grundstück aus nicht sichtbar sein.

Der Ozean dagegen sehr wohl. Schon jetzt ist erkennbar, dass kein einziges Fenster landeinwärts zeigt. Die Seite, die aufs Meer hinausgeht, kann ich nicht erkennen, doch nachdem ich Damiens Apartment und seine Büroräume kennengelernt habe – und die Beschreibung des Aktbildes gehört habe, das er sich wünscht –, wird die gesamte Westfassade ausschließlich aus Glas bestehen.

»Eine Million Dollar!«, sagt Jamie und stößt einen leisen Pfiff aus. »Das ist ja wie ein Lottogewinn!«

Sie hat recht. Eine Million Dollar könnte mein Startkapital sein. Eine Million könnte mein Leben verändern.

Wenn diese Sache nur nicht einen kleinen Haken hätte …

Ich streiche über die Innennaht der Jeans, die ich für unseren Ausgehabend angezogen habe. Durch den Stoff kann ich sie kaum spüren, aber wenn ich die Augen schließe, sehe ich die wulstigen dicken Narben vor mir, die meine Schenkelinnenseiten und Hüften entstellen. »Er wird nicht das bekommen, was er sich vorstellt.«

Jamie hat ein schmutziges Grinsen aufgesetzt. »Caveat emptor: Der Käufer trägt das Risiko.«

Genau das liebe ich so an Jamie!

Ich wende mich wieder dem Haus zu und versuche mir vorzustellen, vor diesen Fenstern zu stehen, vor dem Vorhang, vor dem Bett – alles ist so, wie er es beschrieben hat –, während Damiens Blick auf mir ruht.

Mein Puls beschleunigt sich, und ich kann nicht leugnen, wie sehr mir diese Vorstellung gefällt. Damien Stark hat mich überrumpelt, und ein Teil von mir möchte ihn dafür bestrafen oder wenigstens wieder die Kontrolle zurückgewinnen. Aber was heißt schon »wieder«? Ich weiß nicht, ob ich ihn überhaupt jemals kontrolliert habe.

»Caveat emptor«, wiederhole ich, drücke Jamies Hand und lächle.